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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.06.2000
Aktenzeichen: 29 W 1437/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 5
ZPO § 567
ZPO § 577 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
Die Mitwirkung eines Sachverständigen in einem von ihm initiierten Verein, der für unzulässig gehaltene Nachahmungen durch einen "Negativpreis" anprangert, macht ihn nicht schlechthin ungeeignet, in einem Rechtsstreit zur Schöpfungshöhe und zur Eigentümlichkeit eines Geschmacksmusters als Gutachter unvoreingenommen Stellung zu nehmen.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN Beschluß

Aktenzeichen: 29 W 1437/00 4 HKO 7811/99 LG München I

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 09. Juni 2000

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30.März 2000 - 4 HKO 7811/99 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

I. In dem zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreit ordnete das Landgericht durch Beweisbeschluss vom 09.09.1999 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an und beauftragte am 09.11.1999 Prof. R B mit der Erstellung des schriftlichen Gutachtens zu den Behauptungen der Klägerin, die Gestaltung ihrer "Arbeitsplatte mit Auflage aus Metall, vorzugsweise Edelstahl", wie sie im Antrag auf Eintragung in das Musterregister vom 08.12.1995 dargelegt ist, lasse eine geistige Schöpfung erkennen, die über das Durschnittskönnen eines Mustergestalters hinausgehe und gemessen am bekannten Formenkreis sei das Muster eigentümlich.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.11.1999 lehnten die Beklagten den Sachverständigen Prof. B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung ihrer Eingabe brachten sie vor, Aktivitäten von Prof. B im Zusammenhang mit dem Verein "P e.V.", dessen Initiator und Geschäftsführer Prof. B ist, begründeten bei ihnen die Befürchtung, dass der Sachverständige an das Beweisthema, zu dem er sich äußern soll, nicht unbefangen herangehen werde. Er sei offensichtlich von einem missionarischen Eifer gegen Produkte geleitet, die er - ohne Rücksicht auf die Rechtslage - für Plagiate halte, und nehme für sich das Recht in Anspruch, auch Produkte, die rechtlich nicht zu beanstanden seien, in aller Öffentlichkeit und mit äußerst diffamierender Wirkung anzuprangern. Dabei lasse er bewusst Gerichtsentscheidungen außer Acht und stelle auch eigene Zweifel zurück. Der Verein "P" verleihe jährlich mit erheblichem öffentlichen Aufsehen die Negativauszeichnung P in Form eines Gartenzwergs mit goldener Nase. Prof. B habe u.a. ein Produkt der Firma I noch als Plagiat gebrandmarkt, als bereits die Entscheidung eines Landgerichts vorgelegen habe, wonach gegen die Verbreitung des Produkts durch I rechtlich nichts einzuwenden sei.

Der Sachverständige hat sich mit Schreiben vom 05.01.2000 zu dem Ablehnungsgesuch geäußert. Die Klägerin ist dem Gesuch entgegengetreten.

Durch Beschluss vom 30.03.2000 hat das Landgericht den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Tatsache, dass Prof. B einen Verein zur Bekämpfung von Nachahmungen im Wirtschaftsleben mitbegründet habe und im Rahmen des Vereinszieles arbeite, offenbare weder eine Voreingenommenheit noch eine entsprechende Absicht des Sachverständigen, jeden Beurteilungsfall von vorneherein in einer bestimmten Richtung sehen zu wollen. Prof. B sei sich - wie seiner Stellungnahme zu entnehmen sei - durchaus bewusst, dass Nachahmungen rechtmäßig und damit erlaubt sein können; er sei auch willens und in der Lage, insoweit zu differenzieren.

Gegen diesen am 06.04.2000 zugestellten Beschluss legten die Beklagten mit am 12.04.2000 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde ein. Sie wiederholen und vertiefen ihren Vortrag im ersten Rechtszug und betonen, schon der bei einer Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit des Sachverständigen rechtfertige seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Nach der Rechtsprechung genüge es, dass Umstände vorliegen, die auch bei einer vernünftig, nüchtern denkenden Partei die Befürchtung rechtfertigen können, der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt. Weder müsse der Nachweis erbracht werden, dass der Sachverständige tatsächlich parteiisch ist, noch komme es darauf an, ob bei dem Gericht Zweifel an der Unparteilichkeit geweckt wurden. Es genüge vielmehr, dass aus der Sicht des Ablehnenden auch für das Gericht nachvollziehbare Gründe vorliegen, die den Anschein der Parteilichkeit nahelegen.

Die Klägerin tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.

Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die gemäß § 406 Abs. 5 ZPO statthafte und nach §§ 567, 577 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen wie ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO), nämlich wenn aus auch nur subjektiver Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass zu der Befürchtung besteht, der Sachverständige werde sein Gutachten nicht unparteiisch erstatten.

Die Beschwerdeführer haben die Voraussetzungen für die Entscheidung, ob aus ihrer Sicht Anlass besteht, gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen Prof. B misstrauisch zu sein, zutreffend dargelegt. Ergänzend ist jedoch auszuführen, dass die Besorgnis der Befangenheit nur gegeben ist, wenn auch aus der Sicht eines unparteiischen Dritten subjektive Befürchtungen der ablehnenden Partei immerhin verständlich und nicht weitgehend grundlos zu sein scheinen.

Die von den Beschwerdeführern im vorliegenden Rechtsstreit geäußerten Befürchtungen sind bei nüchterner Betrachtung nicht stichhaltig. Die Mitwirkung Prof. B in einem Verein, der für unzulässig gehaltene Nachahmungen durch einen Negativpreis anprangert, macht ihn als Sachverständigen nicht schlechthin ungeeignet, zur Schutzfähigkeit der Gestaltung der Arbeitsplatte der Klägerin unvoreingenommen Stellung zu nehmen. Prof. B soll auf der Grundlage des oben wiedergegebenen Beweisbeschlusses des Landgerichts zur Schöpfungshöhe der Gestaltung und zur Frage der Eigentümlichkeit des Musters der Klägerin Feststellungen treffen; mit der durch das Gericht zu entscheidenden Frage, ob das Produkt der Beklagten ein Plagiat darstellt, soll sich sein Gutachten dagegen nicht befassen. Dies sehen offenbar auch die Beklagten so, denn sie führen aus, bei dem Beweisthema gehe es nicht um die Frage, ob die von ihnen hergestellte Arbeitsplatte eine Nachahmung darstellt; der Gutachter habe vielmehr unter Berücksichtigung des bekannten Formenschatzes für Küchenmöbel die gestalterische Leistung für die als Geschmacksmuster angemeldete Arbeitsplatte zu würdigen. Allerdings meinen die Beklagten, es sei von dem vom Gericht ausgewählten Sachverständigen aufgrund der von ihm seit Jahrzehnten vertretenen Auffassungen nicht zu erwarten, dass er dieser Aufgabe unparteiisch nachgehen werde.

Die Beklagten werfen dem Sachverständigen jedoch zu Unrecht vor, er habe durch Festhalten an diesen Überzeugungen in seinem ohne Aufforderung an das Gericht übersandten Schreiben vom 05.01.2000 zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht jede Leistung eines Mustergestalters als geistige Schöpfung anerkannt werden müsse und die Eigentümlichkeit stets zu bejahen sei. Sie meinen, eine in dieser Weise bekundete Einstellung im anhängigen Rechtsstreit müsse auch bei einer vernünftig denkenden Partei Befürchtungen im Hinblick auf die Unparteilichkeit wecken.

Dem kann nicht gefolgt werden. Es trifft schon nicht zu, dass Prof. B sich ohne Aufforderung an das Gericht gewandt habe. Er wurde vielmehr mit Schreiben des Vorsitzenden der KfH vom 02.12.1999 (Bl. 125 d.A.) um Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch gebeten. Prof. B äußerte in seiner Stellungnahme zwar die Ansicht, dass nicht nur rechtswidrige Nachahmungen P seien, sondern jede Art geistigen Diebstahls und zitierte zur Unterstützung seiner Meinung aus einem Wörterbuch der deutschen Sprache, relativierte diese Ansicht aber sogleich indem er einschränkte, dass dies keine juristische Einschätzung sei und dass er sich durchaus bewusst sei, dass nach der Rechtslage Nachahmungen ggf. (etwa mangels Schutzrecht) rechtmäßig und damit erlaubt seien. Er merkte ferner an, mehrfach in ähnlich gelagerten Prozessen als Gutachter unter Beweis gestellt zu haben, dass er hier sehr wohl differenzieren könne. Inwiefern aus solchen Ausführungen - wie die Beklagten geltend machen - hervorgehe, dass der Sachverständige das Unrecht nicht in einem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sehe, sondern allein in der Übernahme einer bereits existierenden Gestaltung oder Lösung, ist nicht nachvollziehbar.

Die Beklagten betonen im Übrigen, ihre Besorgnis der Befangenheit rühre nicht daher, dass Prof. B sich in einem Verein zur Bekämpfung von Nachahmungen engagiere. Sie würden keinen Grund zu einer solchen Besorgnis sehen, wenn der Verein "P e.V." in ähnlicher Weise wie etwa die Aktion "Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie" ausschließlich die Bekämpfung rechtswidriger Nachahmungen und die Unterstützung von Unternehmen bei der Bekämpfung von rechtswidrigen Produkt- und Markenfälschungen zum Ziel hätte. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Verein "P e.V." ersichtlich ebenfalls das Ziel hat, P zu bekämpfen, dieses Ziel allerdings durch eine jährlich stattfindende medienwirksame Aktion verfolgt. Dass hierbei zugleich auch auf nach Ansicht des Vereins und seines Initiators "Plagiatoren begünstigende Mängel der geltenden Rechtslage" hingewiesen bzw. auf "Unrecht" aufmerksam gemacht werden soll, lässt bei vernünftiger Bewertung nicht den Schluss zu, Prof. B wolle als Gutachter in Wahrheit nicht schutzfähigen Gestaltungen die erforderliche Gestaltungshöhe und Eigentümlichkeit zubilligen, weshalb auch im Streitfall eine unvoreingenommene Beurteilung nicht erwartet werden könne. Ob der Vorwurf einer rechtlich zu missbilligenden Nachahmung einer schöpferischen Leistung zu Recht erhoben wurde oder nicht, wird ohnehin nicht der Sachverständige, sondern das Gericht zu beurteilen haben. Es kann deshalb auch nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, dass die Aktion P wahrscheinlich in den von den Beklagten angeführten beiden Fällen in den Jahren 1990 und 1997 die Plagiatsvorwürfe nicht "auf der Grundlage sorgfältiger juristischer Beurteilungen" erhoben hat. Der Stellungnahme des Sachverständigen zum Ablehnungsgesuch ist vielmehr zu entnehmen, dass er sehr wohl zwischen den Aktivitäten im Rahmen der Aktion "P" und der Aufgabe, als Sachverständiger in einem Rechtsstreit fundierte, nicht angreifbare Feststellungen zu treffen, zu unterscheiden weiß. Die Schlussfolgerung, dass für Prof. B, auch wenn er als vom Gericht bestellter Gutachter tätig wird, "offensichtlich jede neue Gestaltung bereits zu schützen sei", wie die Beklagten meinen, ist nicht gerechtfertigt. Es trifft auch nicht zu, dass Prof. B sich im vorliegenden Verfahren bereits weitgehend festgelegt hat. Offenbar beziehen sich die Beklagten hierbei auf seine Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch, denn von anderweitigen Äusserungen ist nicht die Rede. Aussagen, die auf eine solche Festlegung schließen ließen, finden sich aber in der Stellungnahme vom 05.01.2000 nicht.

Der Senat teilt deshalb die Ansicht des Landgerichts, dass auch aus subjektiver Sicht der Beklagten bei ruhiger und vernünftiger Überlegung kein Anlass zu der Befürchtung besteht, Prof. B werde sein Gutachten nicht unvoreingenommen erstatten. Das von den Beklagten zum Ausdruck gebrachte Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen ist aufgrund der vorgetragenen Umstände nicht gerechtfertigt (§§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO).

Die Kosten der erfolglosen Beschwerde haben die Beklagten gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, § 46 RNr. 9).

Der Wert des Ablehnungsverfahrens entspricht auch bei der Ablehnung eines Sachverständigen dem der Hauptsache und zwar auch für die Beschwerde.

Ende der Entscheidung

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