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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 13.04.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 42/06
Rechtsgebiete: BGB, VBVG


Vorschriften:

BGB § 1908i Abs. 1 Satz 1
BGB § 1836
VBVG § 5 Abs. 1
VBVG § 5 Abs. 3
Nimmt der Betroffene, der in einem Wohnpark eine Wohnung mit Küche gemietet hat, über die laut diesem Vertrag verpflichtend abzunehmenden so genannten Grundleistungen wie z.B. Anschluss an ein Notrufsystem, allgemeine Betreuung und allgemein soziale Beratung hinaus aufgrund Vertrages mit dem Träger des Wohnparks auch umfangreiche hauswirtschaftliche und pflegerische Betreuung bei gleichzeitiger Einstufung in eine Pflegestufe der Pflegeversicherung in Anspruch, so ist dies als Heimaufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VBVG anzusehen. Es kommt insoweit nicht auf die Einstufung der Einrichtung insgesamt als Heim und ihre Unterstellung unter die Heimaufsicht an. Entscheidend ist im Rahmen des Vergütungsrechts der heimmäßige Aufenthalt des konkret Betroffenen.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen wurde mit Wirkung vom 11.4.2005 der jetzige berufsmäßige Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge; Vermögenssorge; Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post. Mit Beschluss vom 22.12.2005 setzte das Amtsgericht die Vergütung für den Zeitraum vom 1.7.2005 bis 11.10.2005 antragsgemäß auf 24,2 Stunden zu je 44 EUR, insgesamt 1.064,80 EUR fest. Dabei ging es in Übereinstimmung mit der Auffassung des Betreuers davon aus, dass der vermögende Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hatte. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verfahrenspflegers wies das Landgericht mit Beschluss vom 9.2.2006 zurück. Mit seinem zugelassenen Rechtsmittel verfolgt der Verfahrenspfleger weiter das Ziel, den Stundenansatz des Betreuers nach den Grundsätzen für vermögende Betreute, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim haben, zu bemessen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Das neue Vergütungsrecht der Betreuer pauschaliere den Zeitaufwand der Betreuung und unterscheide zum einen zwischen vermögenden und nicht vermögenden Betreuten, darüber hinaus danach, ob der Betreute in einem Heim seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe oder nicht. Für den letzteren Fall und den vermögenden Betreuten gehe das VBVG jeweils von einem erhöhten Zeitaufwand aus. § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG definiere den Heimbegriff zwar in enger Anlehnung an das Heimgesetz und verweise in § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG auf § 1 Abs. 2 HeimG, der das so genannte Betreute Wohnen vom Heimaufenthalt abgrenze. Allerdings sei bei der Abgrenzung zwischen Betreutem Wohnen und Heimaufenthalt im Sinne des Vergütungsrechts für Betreuer der vom Heimgesetz abweichende Zweck der Regelung zu beachten. Zum Schutz der Heimbewohner und zur Sicherung der Betreuungs- und Pflegequalität seien die entsprechenden Einrichtungen der Heimaufsicht unterstellt. Das neue VBVG dagegen regele die Vergütung des Berufsbetreuers nach einem gesetzlich typisierten Arbeitsaufwand, wobei es davon ausgehe, dass bei einer heimmäßigen Unterbringung des Betreuten der Arbeitsaufwand des Betreuers geringer sei. Anders als beim Heimgesetz komme es daher nicht auf den Status der Einrichtung insgesamt, sondern nur auf die Art der Unterbringung des Betreuten an. Die Frage, in welchem Ausmaß der Betreute in die Einrichtung eingegliedert sei, spiele jedoch auch im Rahmen des VBVG eine entscheidende Rolle. Sei der Betreute in einem Heim eingegliedert, so könne auch von einem geringeren Zeitaufwand für den Betreuer ausgegangen werden, da der Heimbewohner einen nur noch eingeschränkten Entscheidungsspielraum im täglichen Leben habe und aufgrund dessen typischerweise der Betreuungsaufwand geringer sei als bei einem Betreuten, der in einer eigenen Wohnung lebe bzw. in einer Einrichtung, die einer eigenen Wohnung gleichzustellen sei. Der Betroffene sei nicht in diesem Sinne in dem Wohnpark eingegliedert, vielmehr sei sein Aufenthaltsort einer häuslichen Unterbringung mit der damit verbundenen Mehrbelastung für den Betreuer gleichzustellen. Dem Betroffenen werde zwar von dem Betreiber des Wohnparks Wohnraum überlassen, jedoch sei dies nicht an eine tatsächliche Betreuung oder Verpflegung gebunden. Der Betroffene habe lediglich die Möglichkeit, Wahlleistungen in Anspruch zu nehmen, die gesondert in Rechnung gestellt und auf ihre Richtigkeit überprüft werden müssen. Daneben bestehe die Möglichkeit, dass er sich selber in der in seiner Wohnung vorhandenen Küche versorge, die Wäsche selbst wasche oder für die genannten Leistungen den Pflegedienst des Wohnparks oder andere Pflegedienste in Anspruch nehme. Hinsichtlich der hauswirtschaftlichen, technischen und pflegerischen Betreuung treffe den Betroffenen keine Abnahmeverpflichtung; die Betreuungspauschale liege mit 175 EUR monatlich deutlich unter 20 % der Bruttomiete. Der Wohnpark unterliege nicht der Heimaufsicht. Der Umstand, dass im konkreten Fall eine alten- und behindertengerechte Wohnung vermietet, ein Hausnotrufsystem, allgemeine soziale Betreuung, Teilnahmemöglichkeiten an Veranstaltungen des Hauses und ähnliches in den Grundleistungen inbegriffen sei, rechtfertige keine andere Beurteilung, denn grundsätzlich sei der Betroffene nach den abgeschlossenen Verträgen berechtigt und in der Lage, einen eigenen Haushalt zu führen und selbständig seinen Tagesablauf zu organisieren. Entscheidend sei nicht, dass der Betroffene tatsächlich Wahlleistungen in Anspruch nehme, die nahezu an die Miete heranreichten und insbesondere zahlreiche pflegerische Leistungen umfassten. Maßgeblich sei auch nicht, dass der Betroffene diese Leistungen aufgrund eigener Entscheidung in Anspruch nehme, sondern ausschließlich der Umstand, dass er dies nach den vertraglichen Vereinbarungen frei entscheiden könne und nicht zur Abnahme verpflichtet sei. Gegen eine Einordnung des Aufenthalts des Betroffenen als Heim im Sinne des § 5 VBVB spreche ferner, dass die Abrechnung dieser Wahlleistungen durch den Betreuer überprüft werden müsse und der Stromverbrauch durch die Stadtwerke direkt mit dem Betroffenen abgerechnet werde sowie diesen auch Schönheitsreparaturen träfen. All dies sei mit einem erhöhten Betreuungsaufwand im Vergleich zu einer Heimunterbringung verbunden.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.

a) Der Senat teilt im Ausgangspunkt die Auffassung des Landgerichts:

Die Vergütung des Betreuers richtet sich in dem hier allein noch zu beurteilenden Zeitraum nach §§ 4, 5 VBVG. Die Höhe des dem Betreuer zu bewilligenden Stundensatzes steht mit 44 EUR pro Stunde außer Streit.

§ 5 VBVG ersetzt den bisherigen Einzelnachweis der aufgewendeten Betreuungszeit durch ein System der Pauschalierung, das nach der Intention des Gesetzgebers einfach, streitvermeidend, an der Realität orientiert und für Berufsbetreuer auskömmlich ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 31). Dabei kommt es nicht auf die Auskömmlichkeit im jeweiligen Einzelfall an, sondern auf die Angemessenheit der Vergütung bei einer Mischkalkulation aus aufwendigen und weniger aufwendigen Fällen (aaO S. 33). Hinsichtlich des Zeitaufwandes unterscheidet das Gesetz zwischen mittellosen (§ 5 Abs. 2 VBVG) und nicht mittellosen Betreuten (§ 5 Abs. 1 VBVG), wobei es bei vermögenden Betreuten einen höheren Betreuungsaufwand in Ansatz bringt. Innerhalb der jeweiligen Fallgruppe geht der Gesetzgeber aufgrund der Auswertungen von 1808 Betreuungsakten durch das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) davon aus, dass die Betreuung eines nicht in einem Heim wohnenden Betroffenen mehr Zeit erfordert als die eines Heimbewohners (BT-Drucks. 15/2494 S. 32, wobei dort von einer "Einrichtung" die Rede ist).

§ 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG übernimmt zur Definition des Heimbegriffs im Wesentlichen die Formulierung des § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG, fasst allerdings den Personenkreis der möglichen Heimbewohner weiter. § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG verweist zur Abgrenzung des Heimaufenthalts von Formen des so genannten Betreuten Wohnens ausdrücklich auf § 1 Abs. 2 HeimG. Der Senat stimmt auch hier der Ansicht des Landgerichts zu, wonach es im Rahmen des VBVG, anders als beim Heimgesetz, nicht auf den Charakter der jeweiligen Einrichtung insgesamt, sondern auf die Frage ankommt, ob der konkrete Betroffene heimmäßig untergebracht ist oder nicht. Ausschlaggebend hierfür sind - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - unterschiedliche Gesetzeszwecke. Ist es Zweck des Heimgesetzes, die Rechtsstellung und den Schutz des Bewohners von Heimen zu verbessern, die Qualität der Betreuung und Pflege weiterzuentwickeln und eine entsprechende Einrichtung deswegen der Heimaufsicht zu unterstellen, so geht es im Rahmen des VBVG um die Vergütung des Berufsbetreuers nach seinem gesetzlich typisierten Arbeitsaufwand. Für die Vergütung und damit für die Qualifizierung einer Einrichtung als Heim kommt es darauf an, ob der konkrete Betroffene heimmäßig untergebracht ist (vgl. Lipp/Ohrt BtPrax 2005, 209/210). Das formale Kriterium der Unterstellung einer Einrichtung unter die Heimaufsicht bewirkt zwar auch im Rahmen des Vergütungsrechts regelmäßig die Annahme einer heimmäßigen Unterbringung. Sein Fehlen führt in diesem Zusammenhang jedoch nicht automatisch zur Verneinung eines heimmäßigen Aufenthalts.

Maßgebliches und auch für die Zwecke des § 5 VBVG geeignetes Kriterium für eine heimmäßige Versorgung ist das der Aufnahme in einer Einrichtung. Ein Heimbetrieb ist mehr als die Summe der Heimleistungselemente Wohnraum, Betreuung und Verpflegung. Die Aufnahme begründet in Verbindung mit der heimvertraglichen Gewährung seiner Leistungen ein besonderes Verantwortungsverhältnis des Heims gegenüber den aufgenommenen Bewohnern, das sich nicht in einem isoliert zu sehenden Gläubiger-Schuldner-Verhältnis bezüglich einzelner Leistungen erschöpft (vgl. Dahlem/Giese/Igl/Klie HeimG § 1 Rn. 11, Stand Februar 2002). Eine solche Aufnahme wird - wie das Landgericht zu Recht ausführt - nicht allein durch den Mietvertrag und die zugehörige Abnahme der so genannten Grundleistungen gemäß § 1 von Teil I des von dem Betroffenen mit dem Träger des Wohnparks geschlossenen Vertrags begründet.

b) Der Senat kann dem Landgericht jedoch nicht darin folgen, dass auch die Inanspruchnahme umfangreicher hauswirtschaftlicher und pflegerischer Leistungen des Trägers des Wohnparks durch den Betroffenen keine Aufnahme im Sinne einer Eingliederung bewirkt habe. Hier hat der Betroffene - was ja auch Ziel der Träger derartiger Einrichtungen ist - von der vertraglichen Möglichkeit einer Inanspruchnahme externer Anbieter keinen Gebrauch gemacht, sondern die Leistungen des Mietvertragspartners gewählt. Betrachtet man die in der als Beispiel vorgelegten Rechnung vom Oktober 2005 aufgeführten Einzelleistungen, so zeigt sich, dass der Betroffene eine Rundumversorgung aus einer Hand erhält. Die rechtlich bestehende Möglichkeit, den Zusatzvertrag zu kündigen und die gleichen Leistungen eines anderen Anbieters in Anspruch zu nehmen, dürfte praktisch nicht häufiger relevant werden als die Kündigung eines Heimvertrages im engeren Sinne, wenn der Bewohner mit den dort erbrachten Leistungen nicht einverstanden ist. Auch die vom Betreuer angeführte Notwendigkeit einer Kontrolle der Rechnungen vermag eine Mehrbelastung nicht zu begründen. Überweisungen fallen nicht an, da der Träger des Wohnparks nicht nur hinsichtlich der Miete, sondern auch für die Zusatzleistungen über eine Einzugsermächtigung verfügt. Diese erteilt der jeweilige Mieter bei Vertragsabschluss gemäß § 7 Buchst. b von Teil I des Vertrages vorsorglich auch schon für die Wahlleistungen unabhängig davon, ob diese von Anfang an im Leistungsumfang enthalten sind oder später hinzugewährt werden. Die Kontrollaufgaben entsprechen denen für einen privat versicherten Betreuten, bei dem auch bei der Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XI an die Stelle von Sachleistungen die Kostenerstattung tritt. Der Umstand, dass die für die Wohnung des Betreuten anfallenden Stromkosten direkt mit diesem abgerechnet werden, spricht ebenfalls nicht gegen eine "Eingliederung" des Betroffenen im heimmäßigen Sinn. Stromkosten werden in der Regel im Wege der Abbuchung aufgrund Einzugsermächtigung erhoben und lediglich einmal im Jahr wird eine Zählerstandskontrolle vorgenommen. Es kann dahingestellt bleiben, ob hierfür die Anwesenheit des Betreuers überhaupt erforderlich ist oder ob die Stromzähler - wie häufig in Mietshäusern - nicht zentral angebracht und zugänglich sind. Auch im ersteren Fall ist die zusätzliche Belastung des Betreuers von völlig untergeordneter Bedeutung und lässt sich die Kontrolle mit einem Besuch bei dem Betreuten und der Erledigung anderer Aufgaben verbinden. Anders als bei der Inanspruchnahme - eventuell mehrerer - externer Anbieter fallen bei der hier gegebenen umfassenden Versorgung durch einen Leistungsanbieter keine Koordinierungs- und Abstimmungsaufgaben an. Bemerkt z.B. der Etagenservice ein gesundheitliches Problem des Betroffenen, werden die notwendigen Maßnahmen intern ergriffen. Auch krankheitsbedingte Personalausfälle können intern ausgeglichen werden. Verschiedene Leistungen können durch Absprache der Dienste ohne Einschaltung des Betreuers abgestimmt werden.

Der Senat verkennt nicht, dass es sich im hier vorliegenden Fall nicht um eine klassische Heimunterbringung handelt. Durch die dem Betroffenen durch die Hinzubuchung von Hauswirtschafts- und Pflegeleistungen aus einer Hand zuteil werdende Fürsorge liegt der Sachverhalt jedoch bei typisierender Betrachtung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks so weit von einem typischen häuslichen Aufenthalt entfernt und so nahe an einer klassischen Heimunterbringung, dass die Einstufung als heimmäßiger Aufenthalt richtig ist. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Vergütung des Betreuers anhand der niedrigeren Stundenansätze des § 5 Abs. 1 Satz 1 VBVG festzusetzen.

Daraus folgt für den Zeitraum 1.7. bis 11.7. 2005 ein Ansatz von 11/31 x 5,5 = (aufgerundet) 2 Stunden sowie für den anschließenden Dreimonatszeitraum bis 11.10.2005 von 3 x 4,5 Stunden, mithin insgesamt 15,5 Stunden. Vervielfacht mit dem maßgebenden Stundensatz von 44 Euro ergibt sich die dem Betreuer zustehende Vergütung von 682 Euro.

Ende der Entscheidung

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