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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.08.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 133/05
Rechtsgebiete: GG, BGB, FGG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
BGB § 1906
FGG § 27 Abs. 1
FGG § 70m
Eine sofortige weitere Beschwerde mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Genehmigung einer Unterbringung festzustellen, ist zulässig, auch wenn sich die Hauptsache noch vor Einlegung des Rechtsmittels erledigt hat (vgl. BayObLG Beschluss vom 18.3.2004 - 3Z BR 253/03).
Tatbestand:

Für den Betroffenen ist seit April 2003 ein Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung für nervenärztliche Behandlung, Gesundheitsfürsorge für nervenärztliche Behandlung. Nach mehreren vorangegangenen Unterbringungen genehmigte das Amtsgericht mit Beschluss vom 6.5.2005 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 17.6.2005. Der Betroffene leide an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Die persönliche Anhörung des Betroffenen wurde am 9.5.2005 nachgeholt.

Gegen die Genehmigung der Unterbringung erhob der Betroffene sofortige Beschwerde. Nach Anhörung des für den Betroffenen bestellten Verfahrenspflegers wies das Landgericht die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 13.6.2005 zurück. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde. Eine Unterbringung sei nicht mehr notwendig, es bestehe keine Gefahr mehr, dass er sich gesundheitlichen Schaden zufüge.

Mit Beschluss vom 17.6.2005 hat das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen bis 17.12.2005 verlängert. Auf Grund des Hinweises des Gerichts, dass sich durch den neuen Unterbringungsbeschluss die Hauptsache erledigt habe, wurde das Ziel des Rechtsmittels auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung umgestellt. Das Rechtsmittel erwies sich als unbegründet.

Gründe:

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig.

a) Die sofortige weitere Beschwerde wurde durch Schriftsatz des Verfahrenspflegers für den Betroffenen formgerecht eingelegt (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG).

b) Da sich aus den Akten der Zeitpunkt der Zustellung der landgerichtlichen Entscheidung an den Betroffenen selbst nicht feststellen lässt, ist zugunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass die zweiwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde gemäß § 29 Abs. 2, § 70m Abs. 1, § 70g Abs. 3, § 22 Abs. 1 FGG eingehalten ist. Auf den von dem Betroffenen gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es dementsprechend nicht an.

c) Die sofortige weitere Beschwerde mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Unterbringung festzustellen, ist zulässig, Zwar hat sich noch vor Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde die Hauptsache dadurch erledigt, dass die angefochtene Anordnung durch Zeitablauf gegenstandslos und im Übrigen durch die zwischenzeitlich angeordnete Verlängerung überholt wurde (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 98 m.w.N.). Dennoch fehlt der sofortigen weiteren Beschwerde nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfGE NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306). Dies muss nicht nur für die Fälle gelten, in denen sich nach Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels die Hauptsache erledigt hat, sondern auch für die Fälle, in denen die Erledigung bereits vor der Einlegung des Rechtsmittels eintrat (vgl. BayObLG Beschluss vom 18.3.2004 - 3 Z BR 253/03).

d) Gegenstand der Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den Senat ist sowohl die ursprüngliche Genehmigung der Unterbringung durch das Amtsgericht als auch die Frage, ob das Landgericht zu Recht die Fortdauer der Unterbringung bestätigt hat.

Der Betroffene legt durch seinen Antrag fest, in welchem Umfang er die Rechtswidrigkeit überprüft sehen möchte (vgl. BayObLGZ 2002, 304/309 f.). Tritt eine Erledigung erst nach Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts ein, sind die Grenzen zu beachten, die einer Überprüfung durch das Gericht der weiteren Beschwerde allgemein gezogen sind. Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde und damit auch der Nachprüfung ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts und damit nur das, worüber das Beschwerdegericht eine Entscheidung getroffen hat. Nur wenn Gegenstand der Beschwerdeentscheidung auch die Überprüfung der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der Genehmigung und/oder der Durchführung der Unterbringung bis zur landgerichtlichen Entscheidung war, ist dem Gericht der weiteren Beschwerde auch die Entscheidung über diese Verfahrensgegenstände eröffnet (vgl. Senatsbeschluss vom 11.5.2005 - 33 Wx 045/05; BayObLG Beschluss vom 14.10.2002 - 3Z BR 149/02).

Im konkreten Fall war Gegenstand des Erstbeschwerdeverfahrens nicht nur die Frage des Fortbestands der Genehmigung der Unterbringung, sondern auch die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der Genehmigung. Dies ergibt die Auslegung des Beschwerdeschreibens des Betroffenen vom 12.5.2005. Das Landgericht geht in seinem verfahrensgegenständlichen Beschluss auch auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung durch das Amtsgericht ein.

2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit ist sowohl bezüglich des Zeitpunktes der Genehmigung der Unterbringung durch das Amtsgericht als auch bezüglich der Fortdauer bis zur Beschwerdeentscheidung des Landgerichts unbegründet.

a) Das Landgericht hat in seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:

Der Betroffene leide seit Jahren an einer chronischen paranoiden Schizophrenie, aufgrund derer er vielfach im Bezirksklinikum habe behandelt werden müssen. Bereits in der Vergangenheit habe der Betroffene dazu geneigt, nach seiner Entlassung aus dem Bezirksklinikum die zur Behandlung seiner Erkrankung erforderlichen Medikamente nicht oder nicht zuverlässig einzunehmen, was zum Auftreten erneuter akuter Krankheitsschübe geführt habe. Eine derartige Situation sei nunmehr erneut eingetreten. Infolgedessen habe sich sein Zustand erneut verschlechtert. Die Gesundheit des Betroffenen sei nachhaltig gefährdet. Die notwendige Heilbehandlung könne derzeit nicht ambulant erfolgen. Minderschwere Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung, da jedenfalls derzeit nicht damit gerechnet werden könne, dass der Betroffene außerhalb einer stationären Umgebung zuverlässig die notwendigen Medikamente einnehme.

b) Der Betreuer darf den Betroffenen freiheitsentziehend nur dann unterbringen, wenn ihm die Aufenthaltsbestimmung zusteht und das Vormundschaftsgericht die Unterbringung genehmigt (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohl des Betroffenen u.a. deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Auch eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung, denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/ 219 f. = NJW 1967, 1795; BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJWE-FER 2001, 150). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf (BVerfGE NJW 1998, 1774; BayObLG FamRZ 2002, 908/909).

c) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landgerichts, der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit, die zugleich seine Willensbildungsfreiheit aufhebe.

Diese Feststellung ist gestützt auf das Gutachten des Landgerichtsarztes und Arztes für Psychiatrie Dr. H. vom 14.4.2004 sowie das ärztliche Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie M. vom 3.5.2005.

Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist Sache der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und vom Beschwerdegericht nur dahin nachprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLGZ 1993, 18/19 f. m.w.N.).

In diesem Rahmen sind Rechtsfehler nicht zu erkennen. Das Beschwerdegericht hat sich mit der Krankheitsproblematik des Betroffenen ausführlich auseinandergesetzt.

d) Das Landgericht hat ohne Rechtsverstoß eine konkrete, auf der psychischen Erkrankung beruhende Gesundheitsgefahr für den Betroffenen bejaht. Hierzu hat es zu Recht darauf verwiesen, dass sich der Zustand des Betroffenen vor der Unterbringung erneut - wie schon früher - verschlechtert habe.

e) Die Unterbringung ist auch zur Durchführung der Heilbehandlung geboten. Auch insoweit ist die Würdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden, dass minderschwere Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden, da jedenfalls derzeit nicht damit gerechnet werden könne, dass der Betroffene außerhalb einer stationären Umgebung zuverlässig die notwendigen Medikamente einnehme.

f) Da auf der Basis der sachverständigen Stellungnahmen sowohl zum Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Beschlusses als auch bis zum Zeitpunkt der Landgerichtsentscheidung die Voraussetzungen für eine Unterbringung vorlagen, waren die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts rechtmäßig. Der Feststellungsantrag des Betroffenen war dementsprechend zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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