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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.06.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 221/05
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896
FGG § 27
In einem Verfahren der weiteren Beschwerde, in dem der Betroffene die Aufhebung der Betreuung begehrt, ist die Hauptsache erledigt, wenn in zeitlicher Nähe zu der Entscheidung des Landgerichts das Vormundschaftsgericht einen neuen Betreuer mit den gleichen Aufgabenkreisen bestellt.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 19.8.2005 eine Betreuerin bestellt mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge; Aufenthaltsbestimmung; Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Heimen, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Das Landgericht bestätigte diese Entscheidung am 10.10.2005. Mit Beschluss vom gleichen Tag entließ das Amtsgericht die damalige Betreuerin, bestellte die jetzige Betreuerin für den Betroffenen und legte ihre Aufgabenkreise fest, wobei diese inhaltlich denen der früheren Betreuerin entsprachen.

Mit Schreiben vom 4.11.2005 erhoben die Verfahrensbevollmächtigten für den Betroffenen weitere Beschwerde mit dem Ziel der Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und beantragten Prozesskostenhilfe.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts vom 10.10.2005 hat sich im Hinblick auf die angegriffene Entscheidung des Landgerichts vom gleichen Tag die Hauptsache erledigt.

a) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Hauptsache erledigt, wenn nach Einleitung des Verfahrens der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, welches eine Veränderung der Sach- und Rechtslage herbeiführt, weggefallen ist, so dass eine Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (vgl. BGH NJW 1982, 2505/2506; BayObLGZ 1990, 130/131; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 10. Aufl. Einl. FGG Rn. 120 f.; Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 85).

Eine Erledigung der Hauptsache tritt insbesondere ein, wenn eine gerichtliche Verfügung durch die spätere Fortentwicklung des Verfahrens und insbesondere eine neue gerichtliche Entscheidung bedeutungslos wird mit der Folge, dass eine Beschwerdeentscheidung über die frühere Verfügung den Beschwerdeführer nicht mehr besser stellen könnte (Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses durch so genannte verfahrensrechtliche Überholung; vgl. Keidel/Kahl § 19 FGG Rn. 87 Stichwort "prozessuale Überholung" m.w.N.). Tritt die Erledigung der Hauptsache bereits vor Einlegung der weiteren Beschwerde ein, so ist dieses Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen (Bassenge Einl. FGG Rn. 130; Keidel/Kahl § 19 FGG Rn. 93).

b) Die Erledigung der Hauptsache ist hier dadurch eingetreten, dass das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 10.10.2005 einen Betreuerwechsel vorgenommen und damit eine neue Rechtsgrundlage für die Betreuung des Betroffenen geschaffen hat. Mit der Bestellung der neuen Betreuerin wurde zugleich deren Aufgabenkreis - wenn auch inhaltlich identisch - festgelegt. Im Hinblick auf den in § 1896 Abs. 1 BGB angelegten Grundsatz der Einheitsentscheidung im Betreuungsrecht hat das Amtsgericht damit auch die Erforderlichkeit der Betreuung in diesem Umfang bestätigt. Rechtsgrundlage für die Betreuung des Betroffenen ist damit nicht mehr der amtsgerichtliche Beschluss vom 19.8.2005, sondern nur mehr dessen Beschluss vom 10.10.2005. Die im Rechtsmittelverfahren angestrebte Aufhebung des früheren amtsgerichtlichen Beschlusses kann den Betroffenen nicht mehr besser stellen, weil die Betreuung auf der Basis des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 10.10.2005, der nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist und damit nicht der Aufhebung unterliegt, weitergeführt würde. Das Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist damit entfallen.

c) Da die Erledigung der Hauptsache bereits vor Einlegung der weiteren Beschwerde eingetreten ist, ist das Rechtsmittel daher als unzulässig zu verwerfen. Einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen des Amtsgerichts vom 19.8.2005 und des Landgerichts vom 10.10.2005 hat der Verfahrensbevollmächtigte, der vom Berichterstatter auf die Erledigung der Hauptsache hingewiesen wurde, nicht gestellt. Ob ein solcher Antrag hier zulässig wäre, kann daher offen bleiben.

2. Die weitere Beschwerde wäre im Übrigen auch unbegründet.

a) Die von dem Betroffenen gegen den festgestellten Sachverhalt und die Krankheitsdiagnose erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die medizinischen Voraussetzungen der Betreuungsbedürftigkeit nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB festgestellt. Es durfte sich dabei auf das Sachverständigengutachten vom 3.8.2005 stützen.

Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist Sache der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und vom Beschwerdegericht nur dahin nachprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLGZ 1993, 18/19 f. m.w.N.).

Eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen bzw. ein weiteres Sachverständigengutachten war nicht geboten. Die Anforderung eines weiteren Sachverständigengutachtens steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und kann dann erforderlich sein, wenn das vorliegende Gutachten an gravierenden Mängeln leidet, in unauflösbarem Widerspruch zu anderen gutachtlichen Äußerungen steht, Zweifel an der Sachkunde des Gutachters bestehen oder ein anderer Gutachter über überlegene Diagnosemittel und Fachkenntnisse verfügen würde (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 921; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 10. Aufl. § 15 FGG Rn. 33; Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 15 Rn. 46). Anhaltspunkte für derartige Konstellationen fehlen. Das im Verfahren der weiteren Beschwerde vorgelegte Attest des Hausarztes, wonach eine Betreuung nicht erforderlich sei, wird von diesem nicht begründet. § 68b Abs. 1 FGG setzt im Übrigen einen in der Psychiatrie erfahrenen Arzt voraus. Eine Befragung des Hausarztes war im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung durch das Landgericht nicht geboten.

b) Eine erneute Anhörung des Betroffenen vor dem Landgericht war nach § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG entbehrlich, da von einer solchen - wie vom Landgericht dargelegt - keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren. Die Anhörung vor dem Amtsgericht lag erst wenige Wochen zurück.

c) Die vom Amtsgericht festgelegte Überprüfungsfrist schöpft den gesetzlichen Rahmen gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG nicht aus und ist im Hinblick auf die Ausführungen des Gutachters, dass eine Besserung des Gesundheitszustands des Betroffenen nicht vor Ablauf von vier bis fünf Jahren eintreten werde, nicht zu beanstanden.

d) Allerdings hätte das Amtsgericht dem Betroffenen das Sachverständigengutachten vom 3.8.2005 aushändigen müssen. Der Inhalt eines gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG eingeholten Gutachtens eines Sachverständigen ist dem Betroffenen grundsätzlich vollständig in schriftlicher Form und rechtzeitig vor seiner persönlichen Anhörung zum Zwecke der Gewährung des gebotenen rechtlichen Gehörs bekannt zu geben. Eine Abweichung hiervon kann nur bei Vorliegen der (hier nicht gegebenen) engen Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 FGG in Betracht kommen (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 1361/1362; BayObLG BtPrax 1993, 208/209).

Auf diesem Verfahrensfehler beruhte die Entscheidung des Landgerichts jedoch nicht. Auch nach Einsicht des Verfahrensbevollmächtigten in die Betreuungsakten wurden keine Angriffe gegen das Gutachten vorgetragen, die nach verständiger Würdigung zu einer anderen Entscheidung des Landgerichts geführt hätten.

III.

Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil das Rechtsmittel von vornherein keine hinreichende Erfolgssausicht hatte (§ 14 FGG, § 114 ZPO).

Die Festsetzung des Geschäftswerts der weiteren Beschwerde beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 und 2 KostO.



Ende der Entscheidung

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