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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 21.09.1999
Aktenzeichen: 1 Ws 347/99
Rechtsgebiete: StGB, Beurk, BeurkG


Vorschriften:

StGB § 267 Abs. 1
StGB § 274 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 348 Abs. 1
Beurk § 13 Abs. 1
BeurkG § 13
Zur Strafbarkeit eines Notars bei der Beurkundung von Willenserklärungen unter Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 13 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BeurkG)

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken - 1. Strafsenat Beschluss vom 21. September 1999 - 1 WS 347/99


1 Ws 347/99 5470 Js 14560/97 StA Frankenthal

PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen

Dr. M P, geboren am, wohnhaft in

wegen Verdachts der Falschbeurkundung im Amt,

hier: Eröffnung des Hauptverfahrens

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel am 21. September 1999 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal vom 1. Juni 1999 aufgehoben.

2. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankenthal vom 19. Mai 1998 wird mit der Maßgabe zur Verhandlung zugelassen, dass

a) hinsichtlich der in der Anklageschrift unter den Ziffern 41 und 100 aufgeführten Fällen die Verletzung der Strafvorschrift des § 348 Abs. 1 StGB wieder in das Verfahren einbezogen wird

b) der Angeschuldigte in allen in der Anklageschrift aufgeführten Fällen eines Vergehens der Falschbeurkundung im Amt, strafbar gem. § 348 Abs. 1 StGB und begangen durch das in der Anklageschrift als erste Sachverhaltsalternative beschriebene Verhalten, hinreichend verdächtig ist.

3. Das Hauptverfahren wird eröffnet.

4. Die Hauptverhandlung soll vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal - Große Strafkammer - stattfinden.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem angeschuldigten Notar in der Anklageschrift 101 Fälle der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zur Last. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Gegen den ihr am 8. Juni 1999 vorgelegten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit einem am folgenden Tag bei dem Landgericht eingegangenen Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1. Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeschuldigten zur Last, als Notar in im Zeitraum von Dezember 1996 bis April 1997 den Beweiswert der von ihm in 101 Fällen der Beurkundung von Willenserklärungen aufgenommenen

Niederschriften gemindert zu haben. Er soll entweder nach Unterzeichnung des auf einem gesonderten Blatt stehenden Schlussvermerks "vorgelesen, genehmigt und unterschrieben" (im Folgenden: Unterschriftsblatt) statt des während der Beurkundung verlesenen, mit handschriftlichen Zusätzen, Streichungen und Änderungen versehenen und den Beteiligten bei der Unterschriftsleistung vorgelegten Entwurfs (im Folgenden: Entwurf) eine nach Unterschriftsleistung erstellte Reinschrift, in der die handschriftlichen Änderungen maschinenschriftlich umgesetzt waren (im folgenden: Reinschrift), mit dem Unterschriftblatt vernähen lassen oder die noch vor Unterschriftsleistung erstellte und mit dem Unterschriftsblatt danach vernähte Reinschrift gegen den in den Nebenakten aufbewahrten Entwurf austauschen und diesen mit dem Unterschriftsblatt vernähen lassen haben. In zwei Fällen (Fälle 100 und 101) soll die erste Sachverhaltsalternative sicher vorliegen.

Nach Aktenlage ist allerdings davon auszugehen, dass der Angeschuldigte in allen Beurkundungsfällen gemäß der Beschreibung der ersten Sachverhaltsalternative vorging. Er ließ sich vor dem Notarsenat des Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken in dem Verfahren über seine vorläufige Amtsenthebung dahin ein, im April 1997 aus dem Gedächtnis die 110 Vorgänge, bei denen den Beteiligten lediglich die Entwürfe bei der Unterschriftsleistung vorlagen, herausgesucht zu haben. Die angeklagten Beurkundungsfälle gehören zu diesen Vorgängen. Aus einem Vermerk zu dem Vorgang UR Nr. 12/96 ergibt sich, dass der Angeschuldigte es in dem Entwurf festhielt, wenn eine bestimmte Passage der Niederschrift vor der Unterschriftsleistung durch die Beteiligten neu ausgedruckt wurde. Damit besteht kein Anlass an den Angaben des Angeschuldigten zu zweifeln, zumal sie durch die Aussagen der Zeugen F und E sowie der Zeugin D gestützt werden.

In keinem der angeklagten Fälle weichen Entwurf und Reinschrift in ihrem gedanklichen Inhalt voneinander ab.

2. Danach ist der Angeschuldigte der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1 StGB) hinreichend verdächtig.

Bei den angeklagten Beurkundungsvorgängen beurkundete der Angeschuldigte, der als Notar ein zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugter Amtsträger ist, in dieser Eigenschaft jeweils eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch.

Bei der Beurkundung von Willenserklärungen beurkundet der Notar, dass die Urschrift der Niederschrift in seiner Gegenwart verlesen und von den Beteiligten genehmigt sowie unterschrieben wurde (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Verlesen bedeutet, einen schriftlich vorliegenden Text durch wörtliches Ablesen den Beteiligten zu Gehör zu bringen. Es gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit, d.h. das Verlesene muss Bestandteil der späteren Niederschrift i.S.d. § 9 BeurkG sein (vgl. BGHZ 115, 169, 174 <zu § 2250 Abs. 3 S. 1 BGB>; OLG Hamm DNotZ 1978, 54, 57). Diese Tatsache ist rechtlich erheblich, weil die Verlesung zwingendes und wesentliches Formerfordernis ist, dessen Nichtbeachtung zur Formnichtigkeit und damit zur Unwirksamkeit des beurkundeten Rechtsgeschäfts führt (§ 125 S. 1 BGB).

Die Beurkundung i. S. v. § 348 Abs. 1 StGB ist erst dann vollendet, wenn ein Begebungsakt erfolgt, also sich der Amtsträger der Urkunde irgendwie entäußert (vgl. Tröndle LK § 348, Rn. 20). Dazu ist erforderlich, dass sie bewusstermaßen der Benutzung im Rechtsverkehr zugänglich gemacht oder diese wenigstens gestattet wird. Bei notariellen Urkunden kann der Tatbestand der Strafvorschrift noch mit der Anweisung an die Kanzlei, beglaubigte Abschriften zu erteilen, erfüllt werden (vgl. BGH NJW 1952, 1064). Erst die an der Urkunde nach ihrer Entäußerung vorgenommenen Manipulationen fallen nicht mehr unter den Straftatbestand (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, § 348, Rn. 8).

Entsprach das Vorgehen des Angeschuldigten dem von dem Präsidenten der Notarkammer im Schreiben an den Präsidenten des Landgerichts Frankenthal vom 9. Mai 1997 beschriebenen üblichen Verfahren, wurden die Ausfertigungen und beglaubigten Abschriften erst dann von ihm unterschrieben, wenn die Urschrift der Niederschrift mit Schnur und Prägesiegel verbunden war. In dem im Auftrag des Angeschuldigten erstatteten und hinsichtlich des Sachverhalts wohl auf seinen Angaben beruhenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. h. c. C wird allerdings ausgeführt, die Ausfertigungen und beglaubigten Abschriften der Urkunden seien erteilt worden, bevor die "Heftung" der Urschrift der Niederschrift erfolgt sei. Der Angeschuldigte überprüfte nach seiner Einlassung aber jedenfalls vor Erteilung der Ausfertigungen und Abschriften selbst die Übereinstimmung der Reinschrift mit dem Entwurf. Mit der Freigabe der Reinschrift bestimmte er gemäß seiner Beurkundungspraxis ohne eine Einzelweisung erteilen zu müssen, dass die Reinschrift mit dem Unterschriftsblatt verbunden werden sollte. Frühestens gleichzeitig kann er sein Personal angewiesen haben, die Ausfertigungen und Abschriften zu erteilen. Damit stand im Zeitpunkt der Entäußerung der Urkunde fest, dass die Reinschrift mit dem Unterschriftsblatt verbunden wird.

Bei den angeklagten Beurkundungsvorgängen war somit die von dem Angeschuldigten hergestellte Urschrift der Niederschrift inhaltlich unzutreffend. Diese Niederschrift war den Beteiligten nicht vorgelesen, von ihnen nicht genehmigt und nicht unterschrieben worden. Gerade dies beurkundete aber der Angeschuldigte.

Die Prüfung der Frage, ob bzw. in welcher Form der Angeschuldigte vorsätzlich handelte, muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Ein hinreichender Tatverdacht besteht jedenfalls auch hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes.

Soweit es um den Inhalt der Beurkundung und die Beurteilung ihrer Richtigkeit geht, ist die Anwendung der Strafvorschrift in gewissem Umfang an externes, "außertatbestandliches" Recht gebunden. Wenn der Notar bei der Beurkundung von Willenserklärungen beurkundet, dass die Niederschrift in seiner Gegenwart verlesen, von den Beteiligten genehmigt und unterschrieben wurde (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG), kommt es für die Frage, ob eine entsprechende Beurkundung falsch ist, auf den Begriff der Niederschrift an. Irrt sich der Notar über die Bedeutung dieses Rechtsbegriffs, führt dies nicht - wie die Staatsanwaltschaft meint - zu einem Verbotsirrtum. Der Notar gelangt aufgrund seines irrigen Ausgangspunktes nicht zu der Auffassung, dass unter den gegebenen Umständen die unrichtige Beurkundung einer rechtlich erheblichen Tatsache erlaubt sei. Er hat vielmehr eine unzutreffende Vorstellung darüber, was im konkreten Fall eine richtige Beurkundung der rechtlich erheblichen Tatsache ist, und kennt somit einen Umstand nicht, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB; vgl. Urteil des BGH vom 5. April 1955 - 1 StR 461/54 -; ferner Herdegen, Festschrift 25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975, S. 206).

Ein Irrtum über den Bedeutungsinhalt des Begriffs "Niederschrift" ist auch tatsächlich möglich; denn der Begriff kann nicht nur über die gegenständliche Identität, sondern auch über die inhaltliche Identität definiert werden.

Nach den Ausführungen in dem Schriftsatz der Verteidigung vom 8. Oktober 1998 sei der Angeschuldigte nach gewissenhafter Prüfung der ihm zur Tatzeit zugänglichen Rechtsprechung und Literatur zu der Überzeugung gelangt, dass unter den besonderen Umständen der von der Anklage betroffenen Beurkundungsfällen sowohl die nach als auch die vor Unterzeichnung der Beteiligten ausgedruckte Reinschrift Niederschrift im Sinne von § 13 Abs. 2 BeurkG analog und die unmittelbar verlesene, handschriftlich geänderte Schrift Niederschrift im Sinne von § 13 Abs. 1 BeurkG zu demselben Beurkundungsakt seien, dass also Entwurf und Reinschrift zwei Niederschriften zu demselben Beurkundungsakt darstellten. Das Unterschriftblatt gehöre nach der Rechtsauffassung des Angeschuldigten zu beiden Niederschriften.

Auch wenn man bei einem Notar grundsätzlich ein vertieftes Verständnis des Wesens der Beurkundung wird voraussetzen können, wird ihm möglicherweise nicht zu widerlegen sein, von der dargestellten Rechtsauffassung ausgegangen zu sein.

Das Erscheinungsbild der Entwürfe in den angeklagten Beurkundungsfällen weist allerdings darauf hin, dass der Angeschuldigte diese lediglich als Lesevorlage für die Beurkundungsverhandlung und Konzept für die Fertigung der Urschrift der Niederschrift zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beteiligten und er bereits die Unterschriften geleistet und die Beteiligten auch bereits das Notariat verlassen hatten, angesehen haben könnte. So enthalten die Entwürfe häufig Abkürzungen, die in der Reinschrift in ausgeschriebene Worte übertragen wurden (vgl. z.B. URNr. 63/96, S. 5, 7, 13 u. 14; URNr. 62/96, S. 3 u. 5; URNr. 13/96, S. 7, 8 und 12). Zahlreiche Entwürfe sind teilweise jedenfalls für eine mit der Handschrift des Angeschuldigten nicht vertraute Person unleserlich (URNr. 62/96, S. 7; URNr. 230/97, S. 2; URNr. 86/96, S. 3; URNr. 100/96, S. 3; URNr. 105/96, S. 3; URNr. 135/96, S. 8 und 9; URNr. 138/96, S. 7; URNr. 147/96, S. 4 und 5; URNr. 150/96, S. 7; URNr. 152/96, S. 2; URNr. 503/97, S. 3). Manche Entwürfe weisen deshalb handschriftliche "Reinschriften" einzelner durch vielfache Änderungen unleserlich gewordener Absätze auf, die ihrerseits aber nicht gestrichen sind (vgl. URNr. 50/96, S. 10; URNr. 229/97, S. 10; URNr. 491/97, S. 9). In einigen Entwürfen wird auf Absätze in eingefügten, erkennbar nicht zu dem beurkundeten Vertrag gehörenden Seiten verwiesen und damit die Anweisung verbunden, diese an einer bestimmten Textstelle - wie ein Textbaustein - einzufügen (vgl. URNr. 426/97, S. 1; URNr. 491/97, S. 9). Die Reinschriften enthalten Ergänzungen, Änderungen und Textumstellungen, die bewußt vorgenommen wurden (vgl. URNr. 61/96, S. 2; URNr. 87/96, S. 2; URNr. 95/96, S. 2; URNr. 131/96, S. 2; URNr. 290/97, S. 7). In einem Fall weist die Reinschrift sogar einen umformulierten Satz (vgl. URNr. 24/97, S. 6) und in einem anderen Fall einen über den Beurkundungsvorgang hinausgehenden Hinweis an das Notariatspersonal auf (vgl. URNr. 136/97, S. 7). Es erscheint schwer vorstellbar, dass ein Notar derartige Entwürfe als verlesbare Urschrift einer Niederschrift ansieht, die einer inhaltlichen Bestätigung durch die Unterschrift der Beteiligten zugänglich sein könnten.

Andererseits wird der dargestellte Irrtum von dem Angeschuldigten nicht nur behauptet, sondern unter Hinweis auf das Rundschreiben der Bundesnotarkammer Nr. 19/97 vom 3. Juli 1997 und das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 5. Juni 1996 (NJW 1997, 3178 f.) eingehend begründet. Auch in dem Beschluss des Notarsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 22. Dezember 1997 - Not 3/97 über die vorläufige Amtsenthebung des Angeschuldigten wird davon ausgegangen, dass der Angeschuldigte die Bedeutung der notariellen Urschrift bei keinem der Beurkundungsvorgänge erkannt habe. Der Notarsenat geht in der Entscheidung nach Anhörung des Angeschuldigten davon aus, für ihn habe die nach Unterzeichnung des Entwurfs auf der Grundlage der Urschrift erstellte Reinschrift, die möglichst makellos habe sein sollen, im Vordergrund gestanden. Der Notarsenat gewann sowohl aufgrund der Anhörung des Angeschuldigten als auch seiner schriftlichen Einlassung den Eindruck, dass es ihm am erforderlichen Grundverständnis seiner Amtspflichten mangele, weil bei der Rechtfertigung seiner Beurkundungspraxis seine Überzeugung im Vordergrund stehe, er sei im wesentlichen korrekt vorgegangen.

Die Frage, von welcher Rechtsauffassung der Angeschuldigte bei seinen Beurkundungen ausging, betrifft die Glaubhaftigkeit seiner Angaben und entzieht sich damit einer Beurteilung nach, Aktenlage.

3. Eines Vergehens der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ist der Angeschuldigte dagegen jedenfalls deshalb nicht hinreichend verdächtig, weil nach Aktenlage ausgeschlossen werden kann, dass der Angeschuldigte bei dem Austausch des Entwurfs mit der Reinschrift in der Absicht handelte, einem anderen Nachteil zuzufügen.

Dazu müßte er das Bewußtsein gehabt haben, die Benutzung des gedanklichen Inhalts der Urkunde in einer aktuellen Beweissituation zu vereiteln (vgl. BGHR StGB § 274, Nachteil 1) oder zu erschweren (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1977 - Ss 229/77 - GA 1978, 316, 317). Daran kann es auch dann fehlen, wenn die Beweisführung durch Beweismittel außerhalb der Urkunde mit derselben Sicherheit möglich ist wie mit der Urkunde vor ihrer Beschädigung. So liegt der Fall hier.

Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass der Angeschuldigte davon überzeugt war, die von den Beteiligten abgegebenen Willenserklärungen inhaltlich zutreffend aufgenommen zu haben. Eine feste Verbindung zwischen der Niederschrift und den Unterschriften bestand durch die Verwendung des gesonderten Unterschriftsblattes in den angeklagten Fällen von Anfang an nicht. Bereits dieser Umstand allein stellte einen die Beweiskraft der Niederschrift beschränkenden äußeren Mangel dar; denn das Erscheinungsbild der Urkunde weckte Zweifel, ob die tatsächlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung des § 13 Abs. 1 S. 3 BeurkG vorliegen. Dazu reicht es bereits aus, dass nach dem Erscheinungsbild der Urkunde ein Austausch der Urschrift der Niederschrift mit einem anderen Schriftstück möglich erscheint. Der Mangel war allerdings durch das Zeugnis des Angeschuldigten auszugleichen. An dieser Beweissituation änderte sich durch den Austausch des Entwurfs mit der Reinschrift nichts, solange der Entwurf im Notariat noch vorhanden und für das dazu berechtigte Personal und damit auch für die Beteiligten jederzeit zugänglich war. Denn die inhaltliche Übereinstimmung von Entwurf und Reinschrift war somit noch feststellbar. Der Zweifel über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung des § 13 Abs. 1 S. 3 BeurkG ist durch den Austausch deshalb nicht vertieft worden. Die Reinschrift ist unschwer als Abschrift des Entwurfs erkennbar, der lediglich unzulässigerweise an dessen Stelle getreten ist.

Es ist nicht feststellbar, dass der Angeschuldigte mit dem Umstand, dass in der von ihm hergestellten Urschrift der Niederschrift die handschriftlichen Änderungen und Ergänzungen des Entwurfs nicht mehr erkennbar waren, gedanklich irgendeinen Nachteil für einen Dritten verknüpfte. Sollte er beabsichtigt haben, dadurch die über ihn auszuübende Dienstaufsicht zu erschweren, wäre dies unerheblich. Darin kann kein solcher Nachteil erblickt werden. Insoweit kann nichts anderes gelten als für den staatlichen Straf- und Bußgeldanspruch (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1977 Ss 229/77 - GA 1978, 316 f.).

4. Hinreichender Tatverdacht besteht auch nicht hinsichtlich eines Vergehens des Verwahrungsbruchs (§ 133 Abs. 1 StGB).

Nach Aktenlage kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass der Angeschuldigte, selbst wenn man davon ausgehen wollte, er habe die Urschrift der Niederschriften in den angeklagten Fällen als in seiner dienstlichen Verwahrung befindliche Schriftstücke beschädigt, insoweit vorsätzlich handelte. Der Angeschuldigte ging nicht davon aus, dass zwischen dem Entwurf und dem Unterschriftsblatt eine Urkundeneinheit bestand, die durch den Austausch mit der Reinschrift hätte zerstört werden können. Entweder sah er den Entwurf lediglich als Konzept für die erst noch anzufertigende Niederschrift oder die Reinschrift als eine weitere Urschrift der Niederschrift an. In beiden Fällen befand er sich in einem Irrtum, der es ausschloss, den Austausch des Entwurfes gegen die Reinschrift als Beschädigung einer Urkunde anzusehen. Der Irrtum betraf nicht unmittelbar das Tatbestandsmerkmal, sondern eine das Beurkundungsrecht betreffende Rechtsfrage.

5. Eines Vergehens der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) ist der Angeschuldigte ebenfalls nicht hinreichend verdächtig.

Bei den einzelnen Beurkundungsvorgängen bildete zwar das Unterschriftsblatt zusammen mit dem Entwurf jeweils eine zusammengesetzte Urkunde (vgl. Tröndle LK, 10. Aufl., § 267, Rn. 87); denn eine lockere äußere Verbindung der Bestandteile einer Urkunde kann durch eine offensichtliche innere Verbindung ausgeglichen werden (vgl. RGSt 60, 17, 22; BGHSt 5, 75, 79; Lampe NJW 1965, 1746, 1748).

Unecht ist eine Urkunde aber nur dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist (Identitätstäuschung; vgl. BGHSt 33, 159, 160). Soweit es um die in der Urkunde verkörperten Erklärungen des Notars geht, waren die Urkunden mithin zu keinem Zeitpunkt unecht.

Der Angeschuldigte verfälschte durch den Austausch des Entwurfs gegen die Reinschrift auch keine eigene Urkunde. Verfälschen kann eine echte Urkunde zwar auch der Aussteller, wenn er unbefugt handelt (vgl. BGHSt 13, 382, 385 f.); aber verfälscht wird die Urkunde nur dann, wenn ihre Beweisrichtung geändert wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Urkunde nach dem Eingriff des Täters eine andere Tatsache zu beweisen scheint, als vorher (vgl. RGSt 62, 11, 12). Die Niederschrift i. S. v. § 13 BeurkG ist der Bericht des Notars über die von den Beteiligten abgegebenen Erklärungen (vgl. Kanzleiter DNotZ 1990, 478, 488 f.). Der Inhalt dieses Berichts wurde durch den Austausch des Entwurfs mit der diesem vom gedanklichen Inhalt her entsprechenden Reinschrift nicht verändert.

Die notarielle Vertragsurkunden enthalten aber nicht nur Gedankenerklärungen des Angeschuldigten. Aussteller der Niederschrift ist zwar allein der Notar (vgl. Reithmann in Seybold/Schippel, Bundesnotarordnung; 6. Aufl. 1995, § 20, Rn. 6). Die notarielle Urkunde enthält aber auch die Unterschriften der Beteiligten. Die Unterschrift der Beteiligten unter der Niederschrift dient der Bekräftigung, dass das ihr Voranstehende auch das ihnen Vorgelesene und von ihnen Gewollte darstellt (vgl. Beschluss des Senats für Notarsachen des Bundesgerichtshofs vom 20. Juli 1998 - NotZ 2/98 -). Dabei handelt es sich um eine Gedankenerklärung, die einer privaten Beglaubigung der Niederschrift vergleichbar ist. Derartige Gedankenerklärungen können durch den Austausch des Schriftstücks, auf das sie sich beziehen, verfälscht werden (vgl. Tröndle LK § 267, Rn. 94; zur amtlichen Beglaubigung ferner RGSt 34, 360, 362 f.). Die Urkunde wird durch den Austausch allerdings dann nicht verfälscht, wenn bei wiederholter Änderung der ursprüngliche Sinn der Urkunde wiederhergestellt wird (vgl. Tröndle LK, 10. Aufl., § 267, Rn. 144; Schönke/Schröder/Cramer, 25. Aufl., § 267, Rn. 66). Für die erstmalige Änderung ohne Änderung des Sinngehalts kann nichts anderes gelten.

6. Danach ist unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Anklage mit der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung zur Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer des Landgerichts zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen (§ 207 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 StPO).

Das Landgerichts ist gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG sachlich zuständig. Die besondere Bedeutung des Falles ergibt sich aus dem Amt des Angeschuldigten und den damit zusammenhängenden Auswirkungen seines strafbaren Verhaltens in der Öffentlichkeit. Das dem Angeschuldigten in einer Vielzahl von Beurkundungsfällen vorgeworfene Fehlverhalten berührt das Ansehen der Notarschaft der Pfalz ganz erheblich, weil es den Kernbereich der notariellen Tätigkeit betrifft und den Notaren aufgrund ihres Amtes in der Öffentlichkeit besonderes Vertrauen entgegengebracht wird (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 1992 - 1 Ws 101/92 - ). Diese Umstände sind offensichtlich, so dass sie bei der Anklageerhebung nicht angegeben werden mussten (vgl. BGHR GVG § 24 Abs. 1, Bedeutung 3).

Die Wiedereinbeziehung der Verletzung des § 348 Abs. 1 StGB in den Fällen 41 und 100 erfolgt im Hinblick auf die von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift vorgenommene Verfahrensbeschränkung (§§ 207 Abs. 2 Nr. 4, 154a Abs. 3 S. 1 StPO).

Von der Möglichkeit zu bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Landgerichts stattzufinden habe (§ 210 Abs. 3 S. 1 StPO), hat der Senat keinen Gebrauch gemacht, da hierfür keine besonderen Gründe vorliegen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 210, Rn. 10). Die nach § 76 Abs. 2 GVG zu treffende Entscheidung über die Besetzung obliegt der Strafkammer (vgl. OLG Koblenz wistra 1995, 282).



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