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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.10.2001
Aktenzeichen: 5 U 217/01
Rechtsgebiete: VVG, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 62
VVG § 63 Abs. 1
AKB § 12 Nr. I d
ZPO § 286
ZPO § 91
ZPO § 709 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

5 U 217/01-18-

Verkündet am 10.10.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12.9.2001 unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, des Richters am Oberlandesgericht Dier und der Richterin am Oberlandesgericht Hermanns

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19.2.2001 - 14 O 153/00 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.625,05 DM nebst 4 % Zinsen seit 19.5.2000 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer beträgt 10.625,05 DM.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten für seinen PKW Lancia 840 mit dem amtlichen Kennzeichen eine Fahrzeugteilversicherung. Am 5.10.1999 erlitt er auf der Kreisstraße 1 zwischen Zweibrücken-Wattweiler und Blieskastel in Höhe der Station 1100 einen Verkehrsunfall, bei dem er von der Fahrbahn nach rechts abkam, ein Metallgeländer überfuhr, in einen Graben geriet und sich überschlug. Der Kläger behauptet, im Bereich der dortigen S-Kurve hätten plötzlich mehrere Rehe die Fahrbahn überquert. Ihnen habe er ausweichen wollen. Gegen das sein auf Ersatz des unstreitigen Wiederbeschaffungswertes gerichtetes Begehren abweisende Urteil des Landgerichts Saarbrücken wendet er sich mit der Berufung.

II.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Dem Kläger steht nach § 63 Abs. 1, § 62 VVG i.V.m. § 12 Nr. I d AKB ein Anspruch auf Entschädigung in der geltend gemachten Höhe zu. Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass er den Verkehrsunfall, der seinen Schaden verursacht hat, erlitten hat, weil er einen Zusammenstoß seines Kraftfahrzeuges mit Haarwild vermeiden wollte.

Allerdings fehlen objektive Spuren, die ein Ausweichen zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Reh belegen. Zeugen für das Geschehen sind nicht vorhanden. Der Kläger kann sich folglich im wesentlichen lediglich auf seine eigenen Angaben berufen.

Insoweit hat das Landgericht zu Recht und mit beachtlichen Gründen darauf hingewiesen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalls "Diebstahl" auf den Versicherungsfall "vermiedener Haarwildschaden" nicht übertragen werden können (OLG Düsseldorf zfs 2000, 493, OLG Jena VersR 1999, 678, zfs 2001, 319). Nach ihnen kann in Fällen, in denen einem Versicherungsnehmer andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, zur Annahme des äußeren Bildes einer bedingungsgemäßen Entwendung den Angaben des als redlich zu betrachtenden Versicherungsnehmers geglaubt werden (BGH VersR 1991, 917). Dass diese Regeln nicht gelten, wenn zur Vermeidung des Versicherungsfalls "Haarwildschaden" vom Versicherungsnehmer Aufwendungen im Sinne des § 63 Abs. 1 VVG gemacht werden, entspricht auch der Rechtsauffassung des Senats.

Denn die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in Fällen der Behauptung des Versicherungsfalls "Diebstahl" weichen von den allgemein geltenden Grundsätzen der Verteilung der Beweislast und dem im allgemeinen verlangten Beweismaß ab, weil der Versicherer Schutz für einen sich typischerweise heimlich - ohne Spuren zu hinterlassen oder von Zeugen beobachtet zu werden - ereignenden Versicherungsfall verspricht. Dann muss der Deckungszusage materiell-rechtlich auch eine Verteilung des Risikos der Beweisführung entnommen werden. Gleiches gilt aber für den Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen zur Abwendung des Versicherungsfalls "Haarwildschaden" nicht. Zwar mag es auch hier eine nicht unbeträchtliche Zahl von Fällen geben, in denen Beweismittel - mitfahrende oder nachfolgende Zeugen oder sachverständig festzustellende Spuren - nicht zur Verfügung stehen. Gewissermaßen regelhaft und damit als Grundlage für die Annahme einer konkludenten vertraglichen Abänderung der Grundsätze der Beweisführung geeignet ist das indessen nicht. In einer nicht ganz unbeachtlichen Zahl von Fällen werden dem Versicherungsnehmer Zeugen zur Verfügung stehen. Indizien, die seinen Angaben besonderes Gewicht verleihen, wird er durch Auskünfte von Polizei- und Forstdienststellen unter Beweis stellen können, gegebenenfalls Zeugen dafür benennen können, dass an Ort und Stelle des Unfalls Wildwechsel - häufiger - beobachtet worden ist. Sachverständig kann festgestellt werden, ob das Unfallgeschehen plausibel mit dem Ausweichen vor einem plötzlich auftretenden Hindernis erklärt werden kann. Der Versicherungsnehmer wird darlegen und unter Beweis stellen können, dass andere Ursachen seines Verkehrsunfalls - eine Alkoholisierung oder ein grob fehlerhaftes Fahrverhalten - auszuschließen sind All dies, einschließlich einer Anhörung des Versicherungsnehmers, kann Grundlage der Überzeugungsbildung sein, weil § 286 ZPO den Beweis eines Geschehens nicht davon abhängig macht, dass er sich aus einem abschließenden Kanon von Beweismitteln ergibt. Die Überzeugungsbildung kann sich dann unter besonderen Umständen im Einzelfall auch einmal wesentlich auf die Angaben des Versicherungsnehmers selbst stützen, ohne dass dadurch die materielle Beweislast für den Versicherungsfall oder das Beweismaß verändert würde. So liegt der Fall hier.

Das Unfallgeschehen ist plausibel mit dem plötzlichen Erscheinen von Rehen von links zu erklären. Das Fahrzeug des Versicherungsnehmers ist im Bereich einer S-Kurve nach rechts ohne einen sonstigen erkennbaren objektiven Grund - von der Witterung gingen keine Beeinträchtigungen des Verkehrs aus - abgekommen und hat sich überschlagen (vgl. dazu OLG Hamm U. v. 3.5.2001 - 6 U 209/00 -). Zwischen den Parteien ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gewesen, dass der Unfallort in einem Straßenbereich liegt, dessen anliegende Grundstücke von Rehen, die dort äsen und auch tagsüber beobachtet werden können, begangen werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger, wie er vorträgt, nicht alkoholisiert gewesen ist: Die Polizei war wenige Minuten nach dem Unfall an Ort und Stelle und hatte keinen Anlass, dem Kläger eine Blutprobe abzunehmen. Der Kläger hat der Polizei auch sofort und nicht erst nach Weckung von Problembewusstsein vorgetragen, Ursache seines Unfall sei das plötzliche Erscheinen von Rehen gewesen. Wenige Tage nach dem Unfall des Klägers ist der Polizei ein weiterer Unfall gemeldet worden, zu dem es an Ort und Stelle dadurch gekommen sein soll, dass ein Reh auf die Fahrbahn gesprungen ist. In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Kläger den Eindruck eines verständigen, nüchternen, das Geschehen lebhaft und im Detail erinnernden Mannes erweckt, der das plötzliche Auftauchen der Gruppe von Rehen anschaulich und nachvollziehbar - so wie ein Bericht über eine erlebte Wirklichkeit zu erwarten ist - geschildert hat. Anhaltspunkte dafür, dass es andere Gründe für das Abkommen von der Fahrbahn gegeben haben könnte - in Betracht käme allein überhöhte Geschwindigkeit oder auf völliger Übermüdung beruhende Unaufmerksamkeit -bestehen nicht.

Wäre im übrigen der Kläger nicht selbst Versicherungsnehmer sondern versicherter Fahrer eines von einer anderen Person versicherten Kraftfahrzeugs gewesen, wäre er als Zeuge vernommen worden; der Senat hätte keine Zweifel gehabt, ihm zu glauben und seine Entscheidung auf diese Vernehmung zu stützen. Dann darf aber - auch im Lichte von Art 6 EMRK, der einem jeden die faire Chance garantiert, mit seinem Vortrag entscheidungserheblich Gehör zu finden - der Zufall, dass der Versicherungsnehmer Partei ist, deren Behauptungen das deutsche Zivilprozessrecht nach traditionellem Verständnis geringeres Gewicht beimisst, nicht dazu führen, dass die formale prozessuale Rolle des Klägers über seine Beweismöglichkeiten zu seinem Nachteil entscheidet

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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