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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.10.2001
Aktenzeichen: 6 UF 78/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG, KostO


Vorschriften:

ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 516
ZPO § 519
BGB § 1671
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 2
KostO § 94 Abs. 2 Satz 1
KostO § 30 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Saarländisches Oberlandesgericht Beschluss

6 UF 78/01

In der Familiensache

betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M D geboren am 19. Februar 1994,

hat der 6. Zivilsenat - Senat für Familiensachen I - des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Jochum, die Richterin am Oberlandesgericht Cronberger und den Richter am Landgericht Neuerburg

am 24. Oktober 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarlouis vom 8. Juni 2001 - 20 F 288/00 So - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat den übrigen Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Beschwerdewert: 5.000 DM.

Gründe:

I.

Die Parteien sind seit 10. September 1998 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe ist der am 19. Februar 1994 geborene gemeinsame Sohn M hervorgegangen. Die Antragsgegnerin hat ihren am 23. März 1988 geborenen Sohn P mit in die Ehe gebracht, den der Antragsgegner nach der Eheschließung adoptiert hat. Für beide Kinder, die seit der Trennung der Eltern im Jahre 1996 bei der Antragstellerin in Siersburg gewohnt haben und von ihr betreut worden sind, besteht das gemeinsame Sorgerecht der Parteien. Die Antragstellerin arbeitet in Teilzeit in einer Arztpraxis in Saarbrücken. Der Antragsgegner ist als Pharmareferent im Außendienst vollerwerbstätig.

Aus Anlass des zum 1. Juli 2000 geplanten Umzuges der Antragstellerin von Siersburg nach Weiten kam es wegen der nach den Sommerferien anstehenden Einschulung M zu Meinungsverschiedenheiten, weil die Parteien das Kind jeweils in verschiedenen Grundschulen - nämlich in Siersburg und in Weiten - angemeldet hatten.

Mit ihrem am 26. Juni 2000 eingegangenen Antrag auf vorläufige Anordnung hat die Antragstellerin die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungs- und des Einschulungsrechts auf sich begehrt. Der Antragsgegner hat seinerseits auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich und den Erlass einer vorläufigen Anordnung angetragen.

Das Amtsgericht - Familiengericht - in Saarlouis hat durch Beschluss vom 6. Juli 2000 - 20 F 288/00 So - den Parteien das Einschulungsrecht vorläufig entzogen und auf das beteiligte Jugendamt übertragen. Nach vollzogenem Umzug wurde M mit Beginn des Schuljahres 2000/2001 entsprechend der Entscheidung des Jugendamtes in Weiten eingeschult.

Durch den angefochtenen Beschluss, auf den ergänzend Bezug genommen wird, hat das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M nach Anhörung des Kindes und der Beteiligten sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Antragsgegner übertragen. M wohnt jetzt beim Antragsgegner und besucht seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 die zweite Klasse der Grundschule in Siersburg.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde begehrt die Antragstellerin die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

Der Antragsgegner bittet um Zurückweisung der Beschwerde und verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II.

Die gemäß §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3, 516, 519 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts unterliegt - als Teilbereich der Personensorge - bei dauerhaftem Getrenntleben der Eltern der Vorschrift des § 1671 BGB. Danach ist im Streitfall diejenige Regelung zu treffen, die dem Kindeswohl am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dabei sind neben den Bindungen des Kindes an seine Eltern und Geschwister die Prinzipien der Förderung, der Kontinuität und der Beachtung des Kindeswillens als gewichtige Gesichtspunkte für die zu treffende Regelung zu berücksichtigen. Danach soll das Sorgerecht demjenigen Elternteil übertragen werden, der dem Kind voraussichtlich die besseren Entwicklungsmöglichkeiten vermitteln und ihm die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit und eine gleichmäßige und stetige Betreuung und Erziehung geben kann. Daneben liefert der stets zu beachtende Kindeswille auch bei kleineren Kindern unter zehn Jahren ein ernst zu nehmendes Indiz für die zu berücksichtigenden persönlichen Bindungen. Alle Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale nebeneinander, sondern jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (BGH, FamRZ 1990, 392, 393).

Nach Überzeugung des Senats entspricht es unter den gegebenen Umständen - jedenfalls derzeit - dem Kindeswohl am besten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht beim Antragsgegner zu belassen.

Das Familiengericht geht, gestützt auf das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten, unangegriffen davon aus, dass M eine gleichermaßen gute emotionale Bindung zu beiden Elternteilen hat. Dies entspricht auch dem Ergebnis der Anhörung des Kindes durch den Senat. Daneben ist die Bindungstoleranz bei beiden Elternteilen uneingeschränkt gegeben. Diese sind nach Einschätzung des Senats auch in gleicher Weise zur Erziehung des Kindes fähig und geeignet.

Die grundlegende Betreuungssituation zeigt jedenfalls keine entscheidenden Vorteile zu Gunsten der Antragstellerin. Zwar muss M in Siersburg nach der Schule zunächst in einem Hort betreut werden und kann aus beruflichen Gründen nicht immer vom Antragsgegner persönlich von dort abgeholt werden. Demgegenüber steht die nur in Teilzeit erwerbstätige Antragstellerin zwar wochentags zumindest ab etwa 14 Uhr für die Betreuung des Kindes zur Verfügung, ist andererseits aber selbst ebenfalls in nicht unerheblichem Umfang auf Fremdbetreuung angewiesen.

Die von der Antragstellerin behaupteten Betreuungsdefizite auf Seiten des Antragsgegners sind nach dem Ergebnis der Anhörung des Kindes und der Beteiligten durch den Senat nicht festzustellen. M wird nach eigenen Angaben morgens vom Vater betreut, bis er den Schulweg antritt. In den - seltenen - Fällen beruflich bedingter nächtlicher Abwesenheit des Antragsgegners ist seine Unterbringung und kindgerechte Betreuung gewährleistet. Eine weitere Konkretisierung der von ihr in dieser Richtung erhobenen - nach eigenem Bekunden im Wesentlichen auf Hörensagen beruhenden - Vorwürfe, die der Antragsgegner weitestgehend entkräftet hat, war der Antragstellerin im Rahmen ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht möglich.

Bei dieser Sachlage gewinnt nach Überzeugung des Senats hier der Kontinuitätsgesichtspunkt ausschlaggebende Bedeutung zu Gunsten eines Aufenthaltsbestimmungsrechts des Antragsgegners, was im Übrigen auch in Einklang mit der Stellungnahme des beteiligten Jugendamtes in der mündlichen Verhandlung steht. Denn M ist in Folge des Umzuges zum Antragsgegner nach Siersburg wieder in ein seit Kindergartenzeiten gewachsenes und vertrautes soziales Umfeld zurückgekehrt, aus dem er bedingt durch den Wegzug mit seiner Mutter nach Weiten im Sommer 2000 herausgerissen worden ist. Dieses hat er aufgrund seiner fortbestehenden aktiven Mitgliedschaft im dortigen Fußballverein auch während des Jahres in Weiten niemals ganz aufgegeben, schätzt es nach wie vor und hat es ersichtlich vermisst. Dies wird einmal daran deutlich, dass seine schulische Integration in Siersburg problemlos verlaufen ist, M es vor allem aber - wenn die Eltern schon getrennt leben - erklärtermaßen begrüßen würde, wenn wenigstens wieder beide in Siersburg lebten. Demgegenüber ist seine außerhäusliche soziale Einbindung in Weiten, wie seine Anhörung ergeben hat, weit weniger intensiv und gefestigt.

Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Antragsgegner entspricht schließlich auch dem in der Anhörung erneut geäußerten und nach Einschätzung des Senats ernsthaften und weitgehend unbeeinfiussten Willen M. Hieran ist das Gericht zwar nicht gebunden, wohl aber gehalten, den Wunsch oder Willen des Kindes bei seiner Entscheidung mit zu bedenken und die Entscheidung nicht ohne Berücksichtigung des geäußerten Willens des Kindes zu treffen, wobei in diesem Zusammenhang auch dessen Alter eine mit zu berücksichtigende Bedeutung zukommt (Senatsbeschluss vom 10. November 1995 - 6 WF 72/95, FamRZ 1996, 561, 562). Der Kindeswille ist hier angesichts des noch relativ jungen Alters M: zwar nicht ausschlaggebend - nach verbreiteter Auffassung stellt er in der Regel erst ab Vollendung des 12. Lebensjahres eine relativ zuverlässige Entscheidungsgrundlage dar, die die Untersuchung der übrigen Kindeswohlkriterien gleichwohl aber nicht verkürzen sollte, wohingegen er vor Erreichen des 10. Lebensjahres entwicklungspsychologisch in der Regel überhaupt noch nicht als eigenständige Selbstbestimmung gewertet werden kann (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 BGB, Rz. 81 m.w.N.) - aber doch mitentscheidend, zumal M in der Anhörung einen sehr aufgeweckten und altersentsprechend eher weit entwickelten Eindruck hinterlassen hat.

Bei der gegebenen Sachlage hat der Gesichtspunkt der nach wie vor engen Geschwisterbindung M zu seinem Bruder P, die im Übrigen ebenso wie die gute Mutter-Kind-Beziehung durch ein großzügig praktiziertes Umgangsrecht der Mutter gepflegt werden kann, bei der Entscheidung zurückzutreten.

Nach alldem hat die angefochtene Entscheidung Bestand.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 94 Abs. 2 Satz 1, 30 Abs. 2 und 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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