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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.01.2003
Aktenzeichen: 1 Sa 133/02
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, TV-Zuwendung, SGB IV, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 133
BGB § 157
TV-Zuwendung § 1 Abs. 1 Nr. 3
SGB IV § 26 Abs. 2
ZPO § 91
ZPO § 344
1) Auslegung einer Rückzahlungsklausel (Weihnachtsgratifikation)

2) Der Rückzahlungsanspruch richtet sich auf den Bruttobetrag der Gratifikation


Tenor:

1) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 12.10.2001, Az.: 6 Ca 680/01, abgeändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts vom 18.09.2001 verurteilt, an die Klägerin 1.099,28 ? nebst 5 % Zinsen hieraus seit 04.04.2001 zu bezahlen.

2) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis der Klägerin im Termin vom 18.09.2001 entstanden sind; diese Kosten trägt die Klägerin.

3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung einer Weihnachtsgratifikation.

Die Beklagte war bei der Klägerin seit dem 07.01.1991 als Arzthelferin beschäftigt. § 2 Ziff. 2 des Arbeitsvertrages lautet:

Die Arbeitnehmerin erhält eine jederzeit widerrufliche Weihnachtsgratifikation bis zu einem Monatsgehalt, wenn sie am 30. November im Arbeitsverhältnis steht und während des gesamten Jahres Entgelt erhalten hat. Anderenfalls erhält sie einen entsprechenden Anteil. Voraussetzung ist, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Jahres aus einem groben Verschulden oder auf eigenen Wunsch der Arbeitnehmerin endet. Die bereits gewährte Gratifikation ist dann in voller Höhe zurückzuzahlen. Dies gilt nicht bei Ausscheiden wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Altersgründen oder schwerer Krankheit oder einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin.

Die arbeitsvertragliche Kündigungsfrist beträgt nach zehn Beschäftigungsjahren fünf Monate zum Ende des Kalendervierteljahres.

Die Klägerin zahlte an die Beklagte mit dem Gehalt für den Monat November 2000 eine Weihnachtsgratifikation in Höhe des damals bezogenen Monatsgehaltes von 2.150,00 DM brutto.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15.02.2001 zum 31.03.2001 gekündigt. Die Klägerin hat die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 28.02.2001 darauf hingewiesen, dass das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist erst zum 30.09.2001 beendet werden kann. Sie hat die Beklagte zur Arbeitsleistung bis zum Kündigungstermin aufgefordert und vorsorglich Schadensersatzansprüche angekündigt. Die Beklagte hat an der Kündigung zum 31.03.2001 festgehalten. Die Beklagte hat ab 01.04.2001 ein Arbeitsverhältnis als Krankenschwester im Kreiskrankenhaus begründet.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Rückzahlung der Weihnachtsgratifikation verpflichtet. Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.150,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Gegen die Klägerin erging am 18.09.2001 ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil. Gegen dieses ihr am 28.09.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.09.2001 Einspruch eingelegt.

Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Es hat die klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Rückzahlungsklausel auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abstelle. Dies ergebe sich daraus, dass die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht davon abhängig gemacht worden sei, dass der Empfänger der Zahlung innerhalb einer bestimmten Frist "nicht ausscheidet", sondern vielmehr davon, dass innerhalb der bezeichneten Frist "dieses Arbeitsverhältnis nicht ... endet".

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt. Die Beklagte macht vorsorglich geltend, dass die Klägerin lediglich den ihr zugeflossenen Nettobetrag zurückverlangen könne.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Der Klage ist unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18.09.2001 stattzugeben.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückzahlung der für das Jahr 2000 gezahlten Weihnachtsgratifikation zu, da die Voraussetzungen des vertraglich vereinbarten Rückzahlungsvorbehaltes erfüllt sind. Das Arbeitsverhältnis hat auf eigenen Wunsch der Beklagten bis einschließlich 31.03.2001 geendet.

Das Gericht hält die vom Arbeitsgericht gefundene Auslegung der vertraglichen Rückzahlungsklausel für unzutreffend.

Die Auslegung einer Willenserklärung richtet sich nach § 133 BGB. Danach ist bei Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Gem. § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Nach diesen Auslegungsregeln kann für den Rückzahlungsvorbehalt nicht darauf abgestellt werden, ob das Arbeitsverhältnis auch in seinem rechtlichen Bestand am 31.03. des Folgejahres endet. Die Anspruchsvoraussetzungen der vertraglichen Rückzahlungsklausel sind der Formulierung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 TV-Zuwendung zum BAT nachgebildet, die lautet: Der Angestellte erhält in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn er ... nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet. Durch eine Gegenüberstellung der Formulierungen, wonach das "Arbeitsverhältnis ... endet" (so der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag) einerseits und dem "Ausscheiden" aus dem Arbeitsverhältnis (so TV-Zuwendung) andererseits kann jedoch der Regelungsgehalt der vertraglichen Vereinbarung nicht hinreichend bestimmt werden.

Mit einem Rückzahlungsvorbehalt soll der Arbeitnehmer dazu veranlasst werden, sich auch in dem auf die Auszahlung der Gratifikation folgenden Jahr für eine gewisse Zeit an das Arbeitsverhältnis zu binden. Dabei geht das Interesse des Arbeitgebers von vornherein dahin, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers während der Bindungsfrist zu erhalten. Mit einem lediglich rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses über die Bindungsfrist hinaus bei gleichzeitiger Unterbrechung des vertraglichen Austauschverhältnisses wird dieser Interessenlage nicht entsprochen.

Verbietet daher bereits die bei einem Rückzahlungsvorbehalt grundsätzlich gegebene Interessenkonstellation eine Auslegung im Sinne des angefochtenen Urteils, so wird diese auch durch die konkrete vertragliche Abrede widerlegt. Der Rückzahlungsvorbehalt setzt nämlich voraus, dass das Arbeitsverhältnis "aus grobem Verschulden oder auf eigenen Wunsch der Arbeitnehmerin" endet.

Das grobe Verschulden stellt auf eine durch vertragswidriges Verhalten der Arbeitnehmerin veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Eine das Arbeitsverhältnis in seinem rechtlichen Bestand beendende Maßnahme könnte in diesen Fällen nur die vom Arbeitgeber ausgesprochene rechtswirksame außerordentliche Kündigung sein. Stellt demgegenüber die Arbeitnehmerin vor oder mit dem 31.03. des Folgejahres in vertragswidriger Weise die Arbeit ein, indem sie entweder unwirksam kündigt oder die Kündigung gänzlich unterlässt, so könnte nach der Auslegung des Arbeitsgerichts die Gratifikation nicht zurückgefordert werden, weil das Arbeitsverhältnis in seinem rechtlichen Bestand ja fortbesteht. Damit würde gerade ein besonders schwerwiegender Vertragsbruch der Arbeitnehmerin folgenlos bleiben. Ein Ergebnis, das nicht gewollt sein kann.

Auch beim Ausscheiden auf eigenen Wunsch der Arbeitnehmerin führt die Auslegung des Arbeitsgerichts zu Ergebnissen, die Sinn und Zweck des Rückzahlungsvorbehalts widersprechen. Scheidet nämlich die Arbeitnehmerin unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03. des Folgejahres aus, so wäre sie zur Rückzahlung der Gratifikation verpflichtet, nicht aber, wenn sie das Arbeitsverhältnis, wie vorliegend, zum gleichen Termin ohne Einhaltung der Kündigungsfrist beendet. Wenn aber bereits das vertragstreue Verhalten der Arbeitnehmerin zur Rückzahlungsverpflichtung führt, so muss dies erst recht für das vertragswidrige Verhalten gelten. Deutlicher als durch die Einstellung der Arbeitsleistung bei der Klägerin zum 31.03.2001 und die Aufnahme einer Beschäftigung beim neuen Arbeitgeber ab 01.04.2001 kann die Beklagte nicht dokumentieren, dass sie die Gegenleistung für die gewährte Gratifikation, nämlich die Bindung an das Arbeitsverhältnis über den 31.03. hinaus, nicht erbringen will.

Nach Sinn, Zweck und konkreter Ausgestaltung ist demnach mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne der vertraglichen Rückzahlungsklausel das tatsächliche Ende des vertraglichen Austauschverhältnisses gemeint und nicht das Ende des nach tatsächlicher Beendigung völlig inhaltsleeren rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts hätte die Klägerin der unwirksamen außerordentlichen Eigenkündigung der Beklagten ihrerseits durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, spätestens zum 31.03.2001, begegnen müssen, um das Arbeitsverhältnis rechtlich zu beenden, dabei aber immer noch das Risiko getragen, dass für diese außerordentliche Kündigung ggf. kein wichtiger Grund vorgelegen hätte. Der Umstand, dass in der Rückzahlungsklausel auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht auf das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als Anspruchsvoraussetzung abgestellt wurde, wäre nach dieser Auffassung im Ergebnis schlechthin irreparabel, die Rückzahlungsklausel würde in den Fällen, für die sie gedacht ist, weitgehend leerlaufen. Die ausschließlich am Begriff, nämlich am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haftende Auslegung des Arbeitsgerichts negiert entgegen § 133 BGB den wirklichen Willen der Parteien.

Der Rückzahlungsanspruch richtet sich auf den Bruttobetrag der Gratifikation.

Die Gratifikation ist von der Beklagten nach der vertraglichen Abrede in voller Höhe zurückzuzahlen. Zurückzuzahlen ist daher auch die von der Klägerin für die Beklagte als Steuerschuldnerin abgeführte Lohnsteuer (so zu einer insoweit gleichlautenden tarifvertraglichen Rückzahlungsklausel: BAG vom 15.03.2000, AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT Zuwendungs-TV).

Auch die auf die Beklagte entfallenden Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge, die von der Klägerin an die Einzugsstelle abgeführt wurden, hat die Beklagte zurückzuzahlen. Der Rückzahlungsanspruch erfasst alles, was die Beklagte erhalten hat. Mit der Abführung der anteiligen Sozialversicherungsbeiträge hat die Klägerin einen Lohnanspruch der Beklagten erfüllt (§ 362 BGB), diesen Betrag hat die Beklagte folglich ebenfalls erhalten (so zur vergleichbaren Situation bei Abführung der Lohnsteuer: BAG, a. a. O.). Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, dass die Beklagte ihr statt einer Zahlung den Erstattungsanspruch gem. § 26 Abs. 2 SGB IV abtritt. Die von der Beklagten insoweit angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.03.2001 (AP Nr. 1 zu § 26 SGB IV) ist nicht einschlägig, da der Rückzahlungsanspruch der Klägerin auf Vertrag beruht, während die zitierte Entscheidung einen Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812, 818 BGB) betraf. Der Anspruch aus Vertrag richtet sich auf die Rückzahlung in voller Höhe, der Bereicherungsanspruch dagegen auf Herausgabe des Erlangten. Die Beklagte hat daher Zahlung an die Klägerin zu leisten. Sie kann ihrerseits den Erstattungsanspruch aus § 26 Abs. 2 SGB IV gegenüber der Beitragseinzugsstelle geltend machen.

Die Beklagte hat gem. § 91 ZPO als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis der Klägerin im Termin vom 18.09.2001 entstanden sind; diese Kosten hat gem. § 344 ZPO die Klägerin zu tragen.

Wegen der Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung des Bruttobetrages in voller Höhe auch hinsichtlich der Sozialabgaben hat das Gericht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache angenommen und deshalb die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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