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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 30.05.2000
Aktenzeichen: 3 U 911/99
Rechtsgebiete: GG, BGB, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 34
BGB § 839
ZPO § 256
1. Zur Haftung einer Gemeinde für falsche Auskünfte ihres Bürgermeisters.

2. Zum Umfang des Personenkreises, der durch die Amtspflicht zur Erteilung richtiger und vollständiger Auskünfte geschützt wird.

3. Ein anhängiges verwaltungsgerichtliches Primärrechtsschutzverfahren führt weder zur Unzulässigkeit einer erhobenen Feststellungsklage noch dazu, dass diese als derzeit unbegründet abzuweisen ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 911/99

Verkündet am: 30.05.2000

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Richter am Landgericht

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 26.5.1999, Az.: 10 O 2094/98, abgeändert und neu gefasst.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern den Schaden zu ersetzen, der ihnen aus der falschen Auskunft des Bürgermeisters der Gemeinde A. in dem Schreiben vom 3.6.1993 an den Notar M. betreffend die Erschließung des Baugebiets S. entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,- DM abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Wert der Beschwer beträgt 84.630,00 DM.

Tatbestand:

In einem von einem Erfurter Notar, dem Zeugen M., am 03.02.1993 beurkundeten Vertrag kauften die Kläger von der Firma S. GmbH eine noch zu vermessende Teilfläche von 1080 m² in der Gemarkung A., Flur 4, Nr. 163, Auf dem Rode. Nach Nr. III 5 dieses Kaufvertrages sollte der Verkäufer die öffentlich-rechtlichen Erschließungsbeiträge tragen und die äußere und innere Erschließung des Grundstückes gewährleisten. Hinsichtlich des Teils des Kaufpreises, der dafür im Gegenzug von den Käufern an die Bauträgerin zu entrichten sein sollte, vereinbarten die Vertragsparteien, dass dieser erst auszuzahlen sei, nachdem die Gemeinde A., die Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Notar M. schriftlich bestätigt habe, "dass die äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehenden Bebauungsplan fertiggestellt, abgenommen, abgerechnet und bezahlt [sei] oder die Zahlung sichergestellt [sei] und feststeh[e], dass der Käufer nicht mehr für Erschließungskosten für die Erschließung entsprechend dem Bebauungsplan nach BauGB oder Kommunalabgabengesetz herangezogen" werde.

Im Hinblick auf Nr. III 5 des notariellen Kaufvertrages vom 3.2.1993 zahlten die Kläger die betreffenden 84.630,- DM an den Notar M., die dieser auf seinem Notaranderkonto hinterlegte.

Unter dem Datum 03.06.1993 unterzeichnete der damalige Bürgermeister der Gemeinde A., der Zeuge S., ein an den Zeugen M. gerichtetes Schreiben, das wie folgt lautet:

"Sehr geehrter Herr M.,

hiermit bestätigt die Gemeinde A., dass

1. die Zahlung der Erschließungskosten für die äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehenden Bebauungsplan für das gesamte Baugebiet S., nämlich für die Grundstücke, Gemarkung A.

Flur 4, Nrn. ... Flur 4, Nrn. ... Flur 4, Nrn. ...

...

sichergestellt ist und

2. feststeht, dass die Grundstückseigentümer der vorgezeichneten Grundstücke oder Teilflächen dieser Grundstücke nicht mehr für diese Erschließungskosten nach BauGB oder Kommunalabgabengesetz herangezogen werden."

Nach Erhalt dieses Schreibens zahlte der Notar M. am 06.08.1993 den hinterlegten Restkaufpreisbetrag an die Bauträgerin aus. Diese kam jedoch nicht ihrer nach Nr. III 5 obliegenden Verpflichtung zur äußeren und inneren Erschließung des Baugrundstückes nach. Am 23.12.1994 erfolgte vielmehr die Anordnung der Sequestration über das Vermögen der Bauträgerin.

Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Bauträgerin führte die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde A. die Erschließungsmaßnahmen selbst durch. Für die hierdurch entstandenen Kosten nahm die Beklagte die Kläger - bezogen auf deren Grundstück - zunächst mit einem Beitragsbescheid vom 24.10.1996 auf Zahlung einer Vorausleistung für die Erschließungskosten in Höhe von 23.469,93 DM in Anspruch. Dieser Betrag erhöhte sich ausweislich der Endabrechnungsbescheide vom 07.06.1998 auf 26.807,53 DM.

Gegen die genannten Bescheide haben die Kläger verwaltungsrechtliche Schritte eingeleitet. Der entsprechende Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht ist noch nicht abgeschlossen.

Die Bauträgerin hatte sich gegenüber der Gemeinde A. vertraglich verpflichtet, das Baugebiet A.-S. zu erschließen. Zur Absicherung dieser Verpflichtung übergab sie dem Bürgermeister S. am 05.03.1993 eine bis zum 15.05.1993 befristete Bankbürgschaft. Die Gemeinde A. nahm diese Bürgschaft während ihres Gültigkeitszeitraums nicht in Anspruch.

Die Kläger haben behauptet, dem ehemaligen Bürgermeister der Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Zeugen S., sei bekannt gewesen, dass seine Auskunft vom 03.06.1993 Grundlage für die Auszahlung des Restkaufpreises vom Notaranderkonto gewesen sei. So habe der Zeuge S. das betreffende Schreiben auf eine entsprechende Anfrage des Zeugen M. hin abgegeben. Auch habe der Zeuge S. amtspflichtwidrig gehandelt, indem er sich zum einen keine unbefristete Bankbürgschaft habe vorlegen lassen und zum anderen, indem er nicht auf die Bürgschaft zurückgegriffen habe, obwohl die Erschließung nicht verwirklicht und ihre Durchführung und Bezahlung auch nicht anderweitig gesichert gewesen sei.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger DM 84.630,- zu bezahlen.

Hilfsweise haben sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtschuldner DM 26.807,53 zu bezahlen, und darüber hinaus festzustellen, dass die Beklagte den Klägern den über den im endgültigen Beitragsbescheid festgesetzten hinausgehenden Schaden zu ersetzen hat, der diesen aus der Mitteilung des ehemaligen Bürgermeisters der Gemeinde A., Herrn S., an den Notar M. in Erfurt, dass der auf dem No­tar­anderkonto des Notars M. für Erschließungsleistungen hinterlegte Kaufpreisteil von DM 84.630,- aus dem Kaufvertrag zwischen den Klägern und der Firma S. GmbH vom 03.02.1993, UR-Nr. M 141/1993 des Notars M. in Erfurt, an die S. GmbH ausgezahlt werden könne, sowie aus der Nichtinanspruchnahme der von der Firma Sarne GmbH an die frühere Gemeinde A. geleisteten Bürgschaft zur Sicherung der Erschließung des Baugebietes A.-S., erwachsen ist oder zukünftig noch erwächst.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dem Zeugen S. sei es nicht erkennbar gewesen, dass durch die Auskunft Interessen der Kläger berührt worden seien. Insbesondere sei ihm die Bestimmung Nr. III 5 des notariellen Kaufvertrages vom 03.02.1993 nicht bekannt gewesen. Er habe nicht gewusst, zu welchem Zweck der Notar M. die angeforderte Erklärung benötigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes 1. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Blatt 134 - 137) Bezug genommen.

Das Landgericht Erfurt hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Zeuge S. habe zwar eine Amtspflichtverletzung begangen, indem er eine falsche Auskunft erteilt habe, dies komme jedoch den Klägern nicht zugute, da diese insoweit nicht dem Schutzbereich des § 839 BGB unterfielen. Adressat der Auskunft sei ausschließlich der Notar M. gewesen. Auch hätten die Kläger ihre Behauptung, dem Zeugen S. sei bei der Abgabe der Erklärung vom 03.06.1993 bekannt gewesen, dass die Auskunft auch in ihrem Interesse erfolge, nicht nachgewiesen.

Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 138 - 141) Bezug genommen.

Die Kläger haben gegen das ihnen am 31.5.1999 zugestellte Urteil des Landgerichts Erfurt am 30.6.1999 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.8.1999 mit einem am 30.8.1999 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie vertreten auch in zweiter Instanz die Ansicht, die Beklagte hafte ihnen aus Amtspflichtverletzung aufgrund der fehlerhaften Auskunft des Bürgermeisters S.. Das Landgericht Erfurt habe eine falsche Beweiswürdigung vorgenommen, indem es davon ausgegangen sei, der Zeuge S. habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Schreiben für bestimmte, hinter dem Notar stehende Dritte bestimmt gewesen sei. So habe dieser selbst in seiner erstinstanzlichen Vernehmung bekundet, das Schreiben vom 03.06.1993 habe der Information von potentiellen Interessenten der Grundstücke des Wohnbaugebietes A.-S. gedient. Auch sei der Kreis der von der Erklärung betroffenen Dritten genau individualisiert, da in der Erklärung vom 03.06.1993 die Flurnummern bezeichnet seien, für welche keine Erschließungskosten mehr anfallen sollten.

Dass dem Zeugen S. erkennbar gewesen sei, für welchen Zweck die Erklärung vom 03.06.1993 gedacht gewesen sei, folge auch daraus, dass sich im Frühjahr 1993 viele Personen an die Gemeinde gewandt hätten, um zu erfragen, ob die Gemeinde für das Baugebiet S. von den zukünftigen Eigentümern nochmals Erschließungskosten verlange. Es sei mithin für den Bürgermeister ersichtlich gewesen, dass die Grundstückskäufer im Innenverhältnis gegenüber dem Bauträger aufgrund einer entsprechenden Klausel im Kaufvertrag verpflichtet gewesen seien, die Erschließungskosten zu tragen. Im Übrigen folge die Erkennbarkeit auch daraus, dass der Zeuge S. die Erklärung gegenüber einem Notar abgegeben habe. So entspreche es der Natur der Sache, dass ein Notar in der Regel im fremden Interesse tätig werde.

Zudem behaupten die Kläger, ein Mitarbeiter der Bauträgerin, der Zeuge L., habe am 3.6.1993 den Bürgermeister S. aufgesucht, ihm die streitgegenständliche, von der Bauträgerin bereits vorformulierte Erklärung zur Unterschrift vorgelegt und ihm erläutert, dass sich die Erklärung am Mus­terkaufvertrag orientiere und Voraussetzung für die Freigabe der Gelder von den Notaranderkonten sei. Gleichzeitig sei im Rahmen dieses Gesprächs erörtert worden, dass die Bankbürgschaft zur Sicherung der Erschließung des Baugebiets bereits seit Mai 1993 abgelaufen sei.

Nachdem die Kläger in der Berufungsbegründungsschrift angekündigt hatten zu beantragen,

die Beklagte unter Abänderung des am 26.05.1999 verkündeten Urteils des Landgerichts Erfurt, Az. 10 O 2094/98, zu verurteilen, an die Kläger 26.807,53 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 07.09.1998 zu bezahlen

und hilfsweise zu beantragen,

festzustellen, dass der Anspruch der Beklagten aus den endgültigen Erschließungsbeitragsbescheiden vom 17.06.1998 durch die Aufrechnung der Kläger vom 28.05.1998 erloschen ist,

beantragen sie,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern allen sich aus der falschen Auskunft des Bürgermeisters der Gemeinde A. vom 03.06.1993 ergebenden Schaden zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, aus dem durch § 839 Abs. 3 BGB zum Ausdruck kommenden Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes gegenüber zivilrechtlichen Amtshaftungsansprüchen folge, dass die Klage derzeit unbegründet sei, da das Verwaltungsstreitverfahren über die klägerseits angefochtenen Beitragsbescheide noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Zudem fehle im Hinblick auf die Bindungswirkung der verwaltungsrechtlichen Entscheidung das Feststellungsinteresse. Außerdem vertritt die Beklagte die Ansicht, das Feststellungsbegehren könne nur solche möglichen Schäden betreffen, die einen Betrag von 26.807,53 DM nicht überschritten. Indem die Kläger in ihrer Berufungsbegründung ihre Berufung der Höhe nach ausdrücklich auf einen Betrag in Höhe von 26.807,53 DM beschränkt hätten, sei die erstinstanzliche Abweisung der Klage, soweit sie einen darüber hinausgehenden Betrag betreffe, in Rechtskraft erwachsen. Dies folge insbesondere auch aus dem Umstand, dass die Kläger in der Berufungsbegründung ausdrücklich erklärt hätten, die Klage in Höhe von DM 48.792,47 zurückzunehmen.

In der Sache verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil. So werde in Auswertung der Aussage des Zeugen S. deutlich, dass das Schreiben vom 03.06.1993 lediglich der Information von potentiellen Interessenten dienen sollte. Daran könne auch die Auflistung der Flur-Nummern nichts ändern. Vielmehr sei zu beachten, dass der Notar M. Adressat der Erklärung gewesen sei. Angesichts dessen juristischer Sachkenntnis und Geschäftsgewandtheit seien an die Auskunft des Zeugen S. nicht so hohe Anforderungen zu stellen gewesen, als wenn diese einem juristischen Laien gegenüber hätte erteilt werden müssen.

Die Beklagte vertritt zudem die Ansicht, die Kläger müssten sich ein ganz erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie sich in dem notariellen Kaufvertrag auf eine äußerst riskante Regelung hinsichtlich der Auszahlungsmodalitäten eingelassen hätten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der zweitinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2000 gestellte Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht der sog. Vorrang des verwaltungsrechtlichen Primärrechtsschutzes entgegen. Zwar trifft es zu, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend feststeht, ob und in welcher Höhe den Klägern aus der falschen Auskunft des Zeugen S. ein Schaden entstanden ist. Derzeit besteht durch die Beitragsbescheide lediglich eine Vermögensgefährdung, die zudem dadurch relativiert wird, dass die Beklagte im Rahmen eines Stillhalteabkommens darauf verzichtet hat, vor Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aus den Bescheiden zu vollstrecken.

Gleichwohl führt dies nicht dazu, dass die Kläger erst den Ausgang des Verwaltungsrechtsstreites abwarten müssen, bevor eine Amts- bzw. Staatshaftungsklage erhoben werden kann. Dies folgt insbesondere nicht aus § 839 Abs. 3 BGB. Diese Norm regelt materiell-rechtlich, dass die Ersatzpflicht des Beamten, die nach Artikel 34 Satz 1 GG auf den Staat übergeleitet ist, nicht eintritt, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Der insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z. B. BGH, NJW 1995, 2778 (2779); NJW 1990, 898 (899)) und des Bundesverfassungsgerichts (siehe BVerfG, NJW 2000, 1402) anerkannte Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes hat lediglich materiell-rechtlich zur Folge, dass ein Geschädigter seinen aus Amtshaftung folgenden Schadensersatzanspruch verliert, wenn er sich nicht zuvor bemüht hat, auf dem Verwaltungsrechtsweg gegen die rechtswidrige Handlung des Beamten vorzugehen, um auf diese Weise den Schaden auszuschließen oder zumindest gering zu halten. Der Verstoß gegen die aus § 839 Abs. 3 BGB folgenden Obliegenheiten ist im Rahmen des zivilgerichtlichen Amtshaftungsverfahrens zu prüfen. § 839 Abs. 3 BGB hat hingegen nicht zur Konsequenz, dass eine Amtshaftungsklage vor Abschluss eines gegen ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unzulässig ist.

Dies folgt letztlich auch aus der 3-jährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB. Bedenkt man nämlich, dass verwaltungsgerichtliche Verfahren häufig mehrere Jahre in Anspruch nehmen, so gerät ein Betroffener, dem gegenüber eine Amtspflichtverletzung begangen worden ist, in die Gefahr, dass sein Amtshaftungsanspruch unter Umständen bei Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verjährt ist. Dies war im Übrigen auch Anlass für den Bundesgerichtshof, zur Frage, wann die Verjährung des Amtshaftungsanspruches beginnt, Stellung zu nehmen (vgl. BGHZ 95, 238, 242; NJW 1995, 2778 (2779)). Insbesondere in der letztgenannten Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass es wegen des grundsätzlichen Vorrangs des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz sachgerecht oder doch zumindest naheliegend sei, wenn der Betroffene, ehe er Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung geltend mache, sich zunächst gegen das beanstandete Verwaltungshandeln selbst wende und versuche, im Wege des primären Rechtsschutzes Abhilfe zu erreichen. Aus diesem Grunde meint der BGH, dass es gerechtfertigt sei, der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes verjährungsunterbrechende Wirkung für die Geltendmachung des zivilrechtlichen Amtshaftungsanspruches zuzuerkennen. Hieraus lässt sich aber auch entnehmen, dass es zwar prozessökonomisch ist, vor Einleitung eines Amtshaftungsverfahrens den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes abzuwarten, dass Letzeres aber keine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Amtshaftungsklage ist.

Trotz der zitierten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Frage, wann bei noch laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Verjährung eines Amtshaftungsanspruches beginnt, ist im vorliegenden Rechtsstreit davon auszugehen, dass das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Gerade weil im Einzelfall zweifelhaft sein kann, wann bei einem Staats- oder Amtshaftungsfall die Verjährung beginnt, und in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Beklagte in 1. Instanz im Termin vom 11.11.1998, Blatt 74 d. A., ausdrücklich im Hinblick auf den Staatshaftungsanspruch nach § 1 StHG auf die Einrede der Verjährung berufen hat, haben die Kläger ein berechtigtes Interesse daran, schon vor Abschluss der verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide durch ein Zivilgericht feststellen zu lassen, dass die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde A. verpflichtet ist, den Klägern sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus der fehlerhaften Auskunft des Bürgermeisters S. vom 03.06.1993 entstanden ist.

Die Beklagte geht auch fehl in ihrer Annahme, das Feststellungsbegehren könne sich nur auf solche potentiellen Schäden erstrecken, die einen Betrag in Höhe von 26.807,53 DM nicht überschritten. Die Abweisung des hierüber hinausgehenden Betrags ist nicht in Rechtskraft erwachsen, auch wenn die Kläger in ihrer Berufungsbegründungsschrift angekündigt haben, die Berufung der Höhe nach auf 26.807,53 DM zu beschränken. Das klägerische Begehren zielt sowohl in 1. als auch in 2. Instanz darauf ab, von der Beklagten den Schaden ersetzt zu erhalten, der den Klägern durch die fehlerhafte Auskunft des ehemaligen Bürgermeisters der Gemeinde A., des Zeugen S., entstanden ist. Aufgrund dieses einheitlichen Streitgegenstandes waren die Kläger berechtigt, in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2000 ihren angekündigten Zahlungsantrag, der auf 26.807,53 DM beschränkt war, auf einen Feststellungsantrag umzustellen, der letztlich den möglichen vollen Schaden in Höhe von 84.630,- DM mit umfasst.

Soweit ein Rechtsmittelkläger durch das angefochtene Urteil beschwert ist, hemmt nämlich das eingelegte Rechtsmittel den Eintritt der Rechtskraft hinsichtlich des gesamten den Rechtsmittelkläger belastenden Teils, unabhängig davon, ob er die Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils bei Rechtsmitteleinlegung oder später auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt. Denn diese Beschränkung muss nicht endgültig sein. Sie bindet den Rechtsmittelkläger nicht. Er hat bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz die Möglichkeit, das Rechtsmittel zu erweitern und auf den gesamten Streitstoff 1. Instanz zu erstrecken. Dem Rechtsmittelkläger steht mithin die Disposition über den Umfang des Rechtsmittelangriffs genauso zu wie dem Kläger 1. Instanz über den Streitgegenstand mit der Möglichkeit nachträglicher Klageerweiterung nach § 264 Abs. 2 ZPO (BGHZ 91, 154 (159 f.); Krüger, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 705 Rn. 8).

An dieser Rechtslage vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Kläger in der Berufungsschrift erklärt haben, die Klage in Höhe von 48.792,47 DM zurückzunehmen. Hierbei ist erstens zu berücksichtigen, dass die Stellung beschränkter Rechtsmittelanträge im Zweifel keinen Verzicht auf die Anfechtung des Urteils im Übrigen beinhaltet (BGH, NJW-RR 1998, 572). Zweitens ist zu beachten, dass die oben genannte klägerische Erklärung unklar ist. Sie steht einerseits im Widerspruch zur Aussage, die Überprüfung durch das Berufungsgericht solle nur den in 1. Instanz geltend gemachten Hilfsantrag in Höhe von 18.093,41 DM umfassen, und andererseits zur Ankündigung, die Berufung "soll[e] damit der Höhe nach auf DM 26.807,53 beschränkt sein". Drittens kann die Auslegung nicht bei diesen in sich widersprüchlichen Aussagen stehenbleiben. Vielmehr wird aus der gesamten Berufungsschrift deutlich, dass es auch in 2. Instanz das Ziel der Kläger ist, letztlich von der Beklagten den vollen Schaden ersetzt zu bekommen, der ihnen aus der fehlerhaften Auskunft des Bürgermeisters S. entsteht bzw. entstehen wird. Viertens schließlich hat die Beklagte - geht man mit ihr von einer teilweisen Klagerücknahme aus - dieser Prozesshandlung nicht zugestimmt, so dass wegen § 269 Abs. 1 ZPO auch unter diesem Aspekt nicht von einer Beschränkung des Streitgegenstandes ausgegangen werden kann.

In der Sache ist das Feststellungsbegehren der Kläger begründet. Der klägerische Anspruch beruht auf § 839 Abs. 1 Satz BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG. Der Zeuge S. hat als seinerzeitiger Bürgermeister der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Amtspflichtverletzung begangen, indem er fälschlicherweise in dem Schreiben vom 03.06.1993 bestätigt hat, die Zahlung der Erschließungskosten sei sichergestellt, und es stehe fest, dass die Eigentümer der in diesem Dokument mit Flurnummer bezeichneten Grundstücke oder Teilflächen dieser Grundstücke nicht mehr für die Erschließungskosten nach dem BauGB oder dem Kommunalabgabengesetz herangezogen werden. Der Zeuge S. war als Bürgermeister Beamter i. S. d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB. Er hat auch amtspflichtwidrig gehandelt. So ist es Amtspflicht eines Beamten, der die Erteilung einer Auskunft übernommen hat, diese richtig, klar, unmissverständlich und vollständig zu erteilen (BGHZ 117, 83 (87 f.); 121, 65 (69)). Die mit Schreiben vom 03.06.1993 erteilte Auskunft war objektiv unzutreffend, da - wie sich ex post herausgestellt hat - der private Erschließungsträger, der auf eigene Kosten die Erschließung vornehmen sollte, in Insolvenz geraten ist, so dass die Beklagte genötigt war, die Erschließung auf ihre Kosten vornehmen zu lassen und den entsprechenden Aufwand auf die Anlieger abzuwälzen.

Die genannte Amtspflicht ist auch drittbezogen. Die Pflicht, eine vollständige und zutreffende Auskunft zu geben, besteht nicht nur gegenüber der Allgemeinheit, sondern gegenüber jedem, auf dessen Antrag oder in dessen Interesse die Auskunft erteilt wird (vgl. BGH, WM 1980, 1199 (1200); NJW 1994, 2087 (2090)).

Die Kläger unterfallen auch persönlich dem Schutzzweck, dem die hier verletzte Amtspflicht dienen soll. Ein Geschädigter gehört dann zum Kreis der nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB geschützten "Dritten", wenn die Amtspflicht - nicht notwendig allein, jedoch zumindest auch - den Zweck hat, das Interesse gerade des betreffenden Geschädigten wahrzunehmen. Nur dann, wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der Natur des Amtsgeschäftes herleiten lässt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäftes geschützt und gefördert sein sollen, existiert ihm gegenüber bei einer schuldhaften Amtspflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Anderen Personen gegenüber kann hingegen, selbst dann, wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet werden. Erforderlich ist daher eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten (BGHZ 122, 317 (320 f.).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts Erfurt ist davon auszugehen, dass das Schreiben vom 03.06.1993 auch aus der Sicht der Beklagten nicht allein der Unterrichtung einer unbestimmten Vielzahl potentieller Grundstücksinteressenten dienen sollte. Es werden ausdrücklich die betroffenen Grundstücke mit den Flurstücknummern bezeichnet, und es wird zudem eingrenzend davon gesprochen, dass die Grundstückseigentümer der vorbezeichneten Grundstücke oder Teilflächen nicht mehr zu Erschließungskosten herangezogen werden können. Auch aus dem Umstand, dass ein Notar gegenüber der Gemeinde aufgetreten ist, war nach außen gerade auch im Hinblick auf die einzeln aufgeführten Grundstücke erkennbar, dass der Notar nicht allgemein eine Erklärung eingeholt hat, sondern ganz speziell im Hinblick auf ganz bestimmte Grundstücke und die dahinterstehenden Interessenten oder auch Eigentümer. Da sich bereits aus diesen Umständen ergibt, dass der Bürgermeister S. - wenn auch nicht namentlich - wusste, dass hinter dem Notar M. Personen stehen, die ihre Vermögensdispositionen von der Korrektheit der von ihm für die Gemeinde A. unterzeichneten Erklärung abhängig machten, kommt es nicht darauf an, ob die klägerische Darstellung zutrifft, dass ein Mitarbeiter der Bauträgerin dem Bürgermeister S. am 3.6.1993 die vorformulierte Erklärung überreicht und über die kaufvertraglichen Hintergründe informiert haben soll. Demensprechend sieht der Senat keine Veranlassung, die insoweit klägerseits benannten Zeugen zu vernehmen oder der Anregung der Beklagten zu folgen, das Verfahren bis zum Abschluss der diesbezüglichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mühlhausen, Az.: 350 Js 57948/94, auszusetzen.

Es ist auch davon auszugehen, dass die vom Bürgermeister S. verletzte Amtspflicht, vollumfänglich und inhaltlich zutreffend Auskunft zu erteilen, die Kläger davor schützen sollte, im Vertrauen auf die Nichtheranziehung zu Erschließungsbeiträgen Vermögensdispositionen zu treffen, die sie nicht getroffen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die Erschließung noch nicht gesichert und zudem damit zu rechnen ist, dass sie für die künftige Erschließung abgabenpflichtig sind. Insofern ist auch der sachliche Schutzzweck der Amtspflicht im vorliegenden Fall gegeben.

Der Zeuge S. hat als Bürgermeister auch schuldhaft gehandelt. Er hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) außer Acht gelassen, indem er die Auskunft erteilt hat, obwohl die Erschließung noch gar nicht endgültig gesichert war. Die Erschließung war noch nicht durchgeführt worden, und zudem musste die Klägerin damit rechnen, dass der Erschließungsträger möglicherweise als Schuldner ausfällt. In einer derartigen Situation verbot es sich, die Erklärung vom 03.06.1993 abzugeben. Der Verschuldensvorwurf wird auch nicht dadurch entkräftet, dass der Zeuge S. im Termin vom 21.04.1999 (Blatt 128 - 130) bekundet hat, er habe nicht gewusst, dass seine Auskunft Voraussetzung für die Auszahlung des Restkaufpreises an die Bauträgerin gewesen sei. Selbst wenn dies zuträfe, so bliebe es dennoch beim Fahrlässigkeitsvorwurf, denn das Verschulden muss sich nicht auch auf die Voraussehbarkeit des Schadens beziehen (vgl. BGH, BGHZ 34, 375 (381); NJW 1965, 962 (963)).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das klägerische Begehren auch nicht wegen eines überwiegenden Mitschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. So haben die Kläger nicht gegen die Obliegenheit zur Schadensverhinderung verstoßen. Die Klausel im Notarvertrag, nach der die Auszahlung des Restkaufpreises von einer vorherigen Bestätigung der Rechtsvorgängerin der Beklagten abhängt, ist für einen juristischen Laien, der sich an einen Notar wendet, mithin an eine rechtskundige Person, nicht von vornherein so problematisch, dass er sich gegen eine derartige Bestimmung verwahren müsste.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das klägerische Feststellungsbegehren auch nicht im Hinblick auf § 839 Abs. 3 BGB derzeit unbegründet. Wie bereits oben bei den Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage betont, stellt § 839 Abs. 3 BGB materiell-rechtlich eine besondere Ausprägung der in § 254 BGB verankerten Mitverschuldenshaftung dar. Ihm kann zwar zusätzlich auch die Wertung des Gesetzgebers entnommen werden, dass der für rechtmäßige hoheitliche Eingriffe geltende Satz "Dulde und liquidiere" im Deliktsrecht keinen Platz hat (Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., S. 92), jedoch führt diese andere Art der Subsidiarität, nämlich der des Amtshaftungsanspruchs gegenüber dem Primärrechtsschutz (Ossenbühl, a.a.O., S. 93), im vorliegenden Fall nicht dazu, dass die Klage derzeit unbegründet ist. Denn da die Kläger ihre Klage in ein Feststellungsbegehren modifiziert haben, kann es nicht zu dem von der Beklagtenseite befürchteten Widerspruch zwischen zivil- und verwaltungsgerichtlicher Entscheidung kommen. Sollten die hier streitrelevanten Beitragsbescheide von der Verwaltungsgerichtsbarkeit für rechtswidrig befunden werden und zu einer Aufhebung der Verwaltungsakte führen, könnte allenfalls das zivilgerichtliche Feststellungsurteil leer laufen, weil die Kläger dann nicht mehr doppelt wegen der Erschließungskosten in Anspruch genommen werden könnten, ihnen mithin kein Schaden aus der fehlerhaften Auskunft des Bürgermeisters S. entstanden sein könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Entgegen der Ansicht der Beklagten können den Klägern nicht nach § 269 Abs. 3 ZPO wegen teilweiser Klagerücknahme anteilig die Kosten des Rechtsstreits mit auferlegt werden. Zwar kann mitunter der Wechsel von einer Leistungs- zu einer Feststellungsklage eine teilweise Klagerücknahme darstellen, jedoch gilt dies für den vorliegenden Fall nicht. Wie bereits oben dargestellt, zielt das klägerische Begehren letztlich darauf ab, den vollständigen Schaden von der Beklagten ersetzt zu bekommen, der ihnen aus der Falschauskunft des Bürgermeisters S. entsteht bzw. noch entstehen wird. Lediglich aufgrund des Umstandes, dass der Schaden noch nicht endgültig feststeht, machen sie kein Leistungs-, sondern nur ein Feststellungsbegehren geltend. Wertmäßig steht dahinter aber nach wie vor der gesamte potentielle Schaden in Höhe von 84.630,- DM, so dass von einer konkludenten teilweisen Klagerücknahme nicht ausgegangen werden kann.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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