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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 4 W 428/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
1. An die Darlegung des nach § 485 Abs. 2 ZPO erforderlichen Interesses des Antragstellers an der Beweissicherung sind keine besonderen Anforderungen zu stellen; insbesondere kommt es für das rechtliche Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten des späteren (Haupt)Prozesses an.

2. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist mit dem Hauptsachewert oder dessen Teil anzusetzen, auf den sich die Beweiserhebung bezieht.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 428/06

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 05.09.2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Gera vom 18.08.2006, Nichtabhilfeentscheidung vom 06.09.2006, durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richterin am Landgericht Höfs

am 24.01.2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Gera vom 18.08.2006, Az. 3 HK OH 1/06, aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Das Landgericht Gera hat durch Beschluss vom 18.08.2006 - der Antragstellerin zugestellt am 22.08.2006 - den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen mit der Begründung, die Antragstellerin habe kein rechtliches Interesse im Sinne der §§ 485 Abs. 2, 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht; sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr vertragliche Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zustehen könnten.

Dagegen richtet sich die am 05.09.2006 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin (wegen der Begründung wird Bezug genommen auf den Beschwerdeschriftsatz vom 05.09.2006, Bl. 113 ff d.A.).

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 490 Abs. 1 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

In der Sache führt die sofortige Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Die Bestimmungen über das selbständige Beweisverfahren ermöglichen in § 485 Abs. 2 ZPO - unabhängig von einem Beweissicherungsbedürfnis - die Erhebung des Sachverständigenbeweises unter der Voraussetzung, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat; ein solches ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO), kann aber auch bei einem nicht vergleichsbereiten Gegner bestehen (Zöller/Herget, ZPO, 26. Auflage 2007, § 485 Rn. 7a m.w.N.).

Der Begriff des "rechtlichen Interesses" ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Dabei kann es sich nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, Beschlüsse vom 28.07.2006, Az. III ZB 14/06 = NJW-RR 2006, 1454-1455; vom 16.09.2004, Az. III ZB 33/04 = NJW 2004, 3488-3490; Zöller/Herget, aaO; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Auflage 2005, § 485 Rn. 7). Ein rechtliches Interesse fehlt, wenn eine ganz offensichtliche Aussichtslosigkeit des Rechtsschutzbegehrens, zu dessen Vorbereitung das in Rede stehende selbständige Beweisverfahren dienen soll, festgestellt werden kann (BGH, Beschluss vom 16.09.2004, aaO).

Dies ist hier aber nicht der Fall. Unter Außerachtlassung der vom Landgericht - unzulässiger Weise - durchgeführten Schlüssigkeitsprüfung ist es für den Senat nicht evident, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann.

Die Antragstellerin hat u.a. folgende Tatsachen glaubhaft gemacht: Die Antragsgegnerin war Halterin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Auf Veranlassung des Herrn A. übersandte die Antragsgegnerin ihr - der Antragstellerin - per Telefax eine Kopie des Kraftfahrzeugbriefes sowie eine Detailinformation über Ausstattung und Neupreis des Fahrzeugs. Die Parteien vereinbarten telefonisch, dass die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von 50.000 EUR an die Antragsgegnerin überweist und diese - im Gegenzug - der Antragstellerin den Kraftfahrzeugbrief übersendet. Entsprechend der Vereinbarung wurden das Geld überwiesen und der Kraftfahrzeugbrief übersandt. Erst im Zuge der polizeilichen Ermittlungen erfuhr die Antragstellerin, dass der von ihr erworbene Pkw einen Unfallschaden hatte.

Unter diesen Umständen ist es aber nicht von der Hand zu weisen, dass die Antragstellerin Ansprüche gegen die Antragsgegnerin haben könnte. Die Prüfung, ob die Parteien einen Kaufvertrag geschlossen haben oder ob der Antragstellerin Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB deswegen zustehen, weil die Antragsgegnerin ihr - der Antragstellerin - auf Veranlassung des Herrn A. eine Kopie des Kraftfahrzeugsbriefes und eine Auskunft über die Ausstattung und den Neuwert des Fahrzuges zugeschickt hatte, und die Entscheidung über die Erfolgsaussichten einer möglichen Prozessführung ist aber nicht im selbständigen Beweisverfahren zu treffen, sondern muss dem - jedenfalls nicht offensichtlich aussichtslosen - Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die Sachentscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben und die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, dem der Erlass eines Beweisbeschlusses über die Beweisanträge obliegt.

Der Beschwerdewert ist mit dem Hauptsachewert anzusetzen (BGH, Beschluss vom 16.09.2004, aaO), hier also - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - nach dem von der Antragstellerin angegebenen Interesse.

Ende der Entscheidung

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