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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.01.2006
Aktenzeichen: 7 S 1369/03
Rechtsgebiete: BSHG, RegSatzV


Vorschriften:

BSHG § 12
BSHG § 21
BSHG § 22
RegSatzV § 1
Aufwendungen für Passbilder können keiner der Bedarfsgruppen des § 1 Abs. 1 Satz 1 der Regelsatzverordnung zugeordnet werden, insbesondere nicht den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens. Für sie ist daher Hilfe in Form einer einmaligen Leistung (§ 21 Abs. 1 BSHG) zu gewähren.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

7 S 1369/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 3. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Januar 2002 - 19 K 2266/01 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klage ist auf die Übernahme der Kosten für Passbilder im Wege der Sozialhilfe gerichtet.

Der Kläger, der laufend Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten bezieht, stellte am 18.08.2000 bei der Beklagten einen entsprechenden Antrag und wies darauf hin, dass die Gültigkeit seines Personalausweises Anfang September 2000 auslaufe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.08.2000 ab, da dieser Bedarf bereits über den Regelsatz abgegolten sei. Der vom Kläger hiergegen rechtzeitig eingelegte Widerspruch wurde vom Landratsamt Esslingen mit Bescheid vom 03.05.2001, dem Kläger zugestellt am 07.05.2001, mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Kosten für die Passbilder, bei denen es sich um persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens handele, durch den Regelsatz mit abgegolten würden. Dies sei dem Kläger auch zumutbar.

Auf die am 07.06.2001 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Gerichtsbescheid vom 15.01.2002 - 19 K 2266/01 - die genannten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kosten zu übernehmen, die dem Kläger für die Herstellung von Passbildern, die zur Herstellung eines Personalausweises erforderlich waren, entstanden sind. Zur Begründung heißt es, dass die entstandenen Kosten zum notwendigen Lebensunterhalt gehörten. Dieser Bedarf werde indessen nicht durch die Regelsätze abgedeckt. Insoweit komme allenfalls eine Zuordnung zur Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens in Betracht. Dieser Bedarfsgruppe seien die hier streitigen Kosten aber deswegen nicht zuzuordnen, weil persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht solche Bedürfnisse seien, die einem Hilfeempfänger unabhängig von seinem Willen entstünden. Dies ergebe sich aus der Funktion dieser Bedarfsgruppe, dem Hilfeempfänger eine freie, selbstbestimmte und selbstgestaltete Lebensführung zu ermöglichen. Der Gerichtsbescheid wurde den Beteiligten am 21.01.2002 zugestellt.

Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 18.06.2003 die Berufung gegen diesen Gerichtsbescheid zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, dass es eine "einstweilige Beihilfe", von der in dem Gerichtsbescheid die Rede sei, auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes nicht gebe. Das Verwaltungsgericht habe das von ihm herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend interpretiert. Es entspreche auch der Billigkeit, dass der Kläger die Kosten für die Passbilder aus dem Regelsatz bestreite.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15.01.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat telefonisch darum gebeten, das Vorliegen von "Formfehlern" zu prüfen.

II.

Der Senat entscheidet über die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung nach § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden (§ 130a Satz 2 in Verbindung mit § 125 Abs. 3 Satz 2 VwGO) und hatten Gelegenheit, sich zum Verfahren und zur Sache zu äußern.

Der Umstand, dass der Nachweis der Zustellung des Schreibens des Senats vom 24.11.2005, mit welchem den Beteiligten die beabsichtigte Verfahrensweise angekündigt und Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, an den Kläger bislang nicht zu den Gerichtsakten gelangt ist, steht der Entscheidung nicht entgegen, da das Schreiben nach § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 189 ZPO als dem Kläger zugestellt gilt und der Kläger auch ausreichend Zeit zur Stellungnahme hatte. Das genannte Schreiben sollte dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde zugestellt werden; ein entsprechender Auftrag wurde dem mit der Zustellung betrauten Postunternehmen am 28.11.2005 erteilt. Die Postzustellungsurkunde ist bislang nicht wieder beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen; Nachforschungen des Senats bei dem beauftragten Postunternehmen haben zu dem Ergebnis geführt, dass die Postzustellungsurkunde wohl in Verstoß geraten ist. Jedoch hat der Kläger in einem Telefongespräch mit der Geschäftsstelle des Senats am 21.12.2005 mitgeteilt, dass er das Schreiben vom 24.11.2005 erhalten habe. Damit steht fest, dass ihm dieses Schreiben bis zum 21.12.2005 tatsächlich zugegangen ist, was dazu führt, dass es als dem Kläger zugestellt gilt (§ 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 189 ZPO).

Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der - zulässigen - Klage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Übernahme der hier streitigen Kosten verpflichtet. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) und bemerkt im Hinblick auf das Berufungsvorbringen Folgendes:

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Verwaltungsgericht keine dem Sozialhilferecht fremde Kategorie der "einstweiligen Beihilfe" einführen wollen. Wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, in dem diese Formulierung in dem Gerichtsbescheid verwendet wird, handelt es sich dabei offensichtlich nur um eine nicht ganz klare Ausdrucksweise, da ersichtlich eine "einmalige" Beihilfe bzw. Leistung gemeint war.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht aber auch dargelegt, dass die hier streitigen Kosten keiner der Bedarfsgruppen des § 1 Abs. 1 Satz 1 der Regelsatzverordnung zugeordnet werden können und daher eine einmalige Leistung nach § 21 Abs. 1 BSHG zu gewähren ist. Insbesondere handelt es sich nicht um die Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 der Regelsatzverordnung. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich um Kosten handeln würde, die dem Kläger nicht notwendig entstanden sind, sondern von seiner freien, selbstbestimmten Lebensführung abhingen (BVerwG, Urteil vom 29.10.1997 - 5 C 34.95 -, BVerwGE 105, 281 <285 f.>); letzteres ist bei Passbildern, die wegen der Notwendigkeit der Beantragung eines neuen Personalausweises beschafft werden, nicht der Fall.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist innerhalb der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens nicht nochmals zwischen solchen, die dem Hilfeempfänger notwendig entstanden sind, und weiteren derartigen persönlichen Bedürfnissen zu differenzieren; hierfür findet sich weder im Bundessozialhilfegesetz oder in der Regelsatzverordnung noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Den von der Beklagten angenommenen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass jeder Deutsche die Kosten für Passbilder zunächst aus seinem verfügbaren Einkommen, der Sozialhilfeempfänger aus dem Regelsatz zu bezahlen habe, kennt die Rechtsordnung nicht.

Abgesehen davon lassen sich Passbilder auch deswegen nicht den Bedürfnissen des "täglichen" Lebens zuordnen, weil die Aufwendungen für sie nur sehr selten anfallen. Bedarf aus der genannten Gruppe muss zwar nicht mehr oder weniger täglich zu Ausgaben führen (BVerwG, Urteile vom 13.12.1990 - 5 C 17.88 -, BVerwGE 87, 212 <215>, und vom 29.10.1997 aaO., 285). Nach dem Wortsinn darf ein Bedürfnis des täglichen Lebens jedoch nicht nur in mehrjährigen Abständen auftreten und damit einen außerordentlich selten und vereinzelt auftretenden Bedarf darstellen. Da ein Personalausweis regelmäßig eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren besitzt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Personalausweisgesetzes), ist mit entsprechenden Aufwendungen ebenfalls nur in vergleichbaren Zeitabständen zu rechnen, was die Annahme eines Bedürfnisses des täglichen Lebens ausschließt.

Schließlich handelt es sich bei der in Rede stehenden Bedarfsgruppe auch nicht um eine Auffangbedarfsgruppe (BVerwG, Urteil vom 29.10.1997 aaO., 284), sodass ihr die fraglichen Kosten auch nicht im Hinblick auf ihre geringe Höhe oder ihre von der Beklagten angenommene Zumutbarkeit für den Kläger zuzuordnen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 a. F. gerichtskostenfrei.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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