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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.08.2002
Aktenzeichen: 9 S 1039/02
Rechtsgebiete: FahrlG, FeV, VwGO


Vorschriften:

FahrlG § 18
FahrlG § 21
FeV § 6
VwGO § 80 Abs. 5
1. Die Ausbildung der Fahrschüler dient nicht lediglich der Vorbereitung auf die Prüfung; vielmehr kommt ihr für die Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs eine eigenständige Bedeutung zu.

2. Verletzt ein Fahrschulinhaber seine Aufzeichnungspflicht nach § 18 FahrlG wiederholt gröblich, so ist die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet, und der Widerruf der Fahrschulerlaubnis ist gerechtfertigt.

3. Eine Verletzung der Aufzeichnungspflicht, welche den Zweck der Aufzeichnungen - die ordnungsgemäße Ausbildung der Fahrschüler zu überwachen und damit mittelbar die Sicherheit des Straßenverkehrs sicherzustellen - nicht oder nur am Rande berührt, kann nicht als "gröblich" erachtet werden.

4. Solange sich der Fahrschulinhaber durch Vernachlässigung seiner Aufzeichnungspflichten der behördlichen Überprüfung, ob er seiner Pflicht zur gewissenhaften und vorschriftsgemäßen Ausbildung nachkommt, entzieht, besteht eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Das rechtfertigt jedoch nicht zwingend den Schluss, dass die Fahrschüler auch tatsächlich nicht ordnungsgemäß ausgebildet werden. Ohne zusätzliche Umstände besteht damit kein Anlass, den Widerruf der Fahrschulerlaubnis für sofort vollziehbar zu erklären.


9 S 1039/02

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Widerruf der Fahrschulerlaubnis

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Gerstner-Heck und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert

am 08. August 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. April 2002 - 10 K 1156/02 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamts Heidenheim - Fachbereich Sicherheit, Ordnung und Verkehr - vom 31. Januar 2002 wird hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 wiederhergestellt. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auf Wunsch die Erlaubnisurkunden für die Hauptstelle und für die Zweigstellen einstweilen wieder auszuhändigen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Mit Bescheid vom 30.01.2002 widerrief der Antragsgegner die dem Antragsteller erteilten Fahrschulerlaubnisse (Ziffer 1 des Bescheides vom 30.01.2002) und verpflichtete ihn zur Abgabe der Erlaubnisurkunden und zur Vorlage des Fahrlehrerscheins (Ziffer 2); insofern ordnete er den Sofortvollzug des Bescheides an (Ziffer 3). Ferner drohte er dem Antragsteller die Wegnahme der Erlaubnisurkunden im Wege unmittelbaren Zwangs an (Ziffer 5) und setzte eine Verwaltungsgebühr fest (Ziffer 4). Der Antragsteller legte gegen den Bescheid fristgerecht Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden ist. Zugleich hat er beim Verwaltungsgericht beantragt, die Vollziehung des Bescheides auszusetzen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht abgelehnt; der Antragsteller hat daraufhin seine Erlaubnisurkunden zurückgegeben. Ungeachtet dessen hat er Beschwerde eingelegt.

Die Beschwerde hat Erfolg. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist wiederherzustellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), und die erfolgte Vollziehung ist aufzuheben (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO); denn in der gebotenen Abwägung ist dem Interesse des Antragstellers daran, von der Vollziehung des Bescheides einstweilen verschont zu bleiben, gegenüber dem gegenläufigen öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides der Vorzug zu geben.

1. Der Bescheid ist nicht offenkundig rechtmäßig. Vielmehr bedarf die Frage seiner Rechtmäßigkeit einer genaueren Prüfung im Widerspruchsverfahren.

Gemäß § 21 Abs. 2 des Fahrlehrergesetzes - FahrlG - vom 25.08.1969 (BGBl. I S. 1336), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2001 (BGBl. I S. 3762, 3765), ist die Fahrschulerlaubnis unter anderem zu widerrufen, wenn nachträglich die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz genannte Voraussetzung weggefallen ist, wenn also nunmehr Tatsachen vorliegen, die den Erlaubnisinhaber für die Führung einer Fahrschule als unzuverlässig erscheinen lassen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1). Unzuverlässig in diesem Sinne ist der Erlaubnisinhaber insbesondere dann, wenn er wiederholt und gröblich die Pflichten verletzt hat, die ihm nach diesem Gesetz oder den auf ihm beruhenden Rechtsverordnungen obliegen.

Dem Antragsgegner ist darin zuzustimmen, dass hierzu auch die Aufzeichnungspflichten aus § 18 FahrlG gehören. Nach § 18 Abs. 1 FahrlG hat der Fahrschulinhaber Aufzeichnungen über die Ausbildung zu führen, die für jeden Fahrschüler Art, Inhalt, Umfang und Dauer der theoretischen und praktischen Ausbildung, den Namen des den Unterricht erteilenden Fahrlehrers, Art und Typ der verwendeten Lehrfahrzeuge, Tag und Ergebnis der Prüfungen sowie die erhobenen Entgelte und die Vorstellung zur Prüfung erkennen lassen sowie vom Fahrschüler gegengezeichnet oder sonst bestätigt sein müssen und von diesem obendrein nach Abschluss der Ausbildung unterschrieben werden müssen. Daneben hat der Fahrschulinhaber nach § 18 Abs. 2 FahrlG für jeden Fahrlehrer Tagesnachweise über die Anzahl der erteilten Fahrstunden zu erstellen. Das sind keine bloßen Ordnungsvorschriften. Vielmehr dienen die Aufzeichnungen dazu, dass die Aufsichtsbehörde die Ausbildung der Fahrschüler wirksam überwachen kann. Das liegt für die Aufzeichnungen nach § 18 Abs. 1 FahrlG auf der Hand; diese dokumentieren, ob der Fahrschulinhaber und die Fahrlehrer ihren Pflichten hinsichtlich einer gewissenhaften und vorschriftsmäßigen Ausbildung der Fahrschüler nachkommen (§ 6 Abs. 1 und 3, § 16 Abs. 1 FahrlG). Es gilt jedoch auch für die Tagesnachweise nach § 18 Abs. 2 FahrlG. Diese sollen die Einhaltung des Gebots bestätigen, dass ein Fahrlehrer täglich nur so lange praktischen Fahrunterricht erteilen darf, wie er in der Lage ist, die Verantwortung für die Ausbildungsfahrt zu übernehmen und den Fahrschüler sachgerecht zu unterrichten (§ 6 Abs. 2, § 16 Abs. 2 FahrlG). Beide Aufzeichnungen dienen mithin der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Ausbildung der Fahrschüler und damit zugleich der Sicherheit des Straßenverkehrs; darauf weist das Verwaltungsgericht zutreffend hin. Verletzt ein Fahrschulinhaber seine Aufzeichnungspflicht wiederholt gröblich, so ist die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet, und der Widerruf der Fahrschulerlaubnis ist gerechtfertigt.

Im vorliegenden Falle geht der Antragsgegner mit Recht davon aus, dass der Antragsteller seine Aufzeichnungspflicht verletzt hat; die tatsächlichen Einwendungen des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit Recht nicht durchgreifen lassen. Gleichermaßen steht fest, dass diese Pflichtverletzung wiederholt geschah; dem vorliegenden Verfahren gingen zwei Abmahnungen und zwei Bußgeldverfahren wegen derselben Pflichtverletzung voraus. Der näheren Prüfung im anhängigen Widerspruchsverfahren bedarf jedoch, ob die Verletzung der Aufzeichnungspflicht "gröblich" war. In die Auslegung und Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs muss einfließen, dass die bei Bejahung der "Gröblichkeit" zwingend ausgelöste Rechtsfolge dem Betroffenen die Ausübung des Berufs des selbständigen Fahrlehrers auf zumindest erhebliche Dauer verwehrt (vgl. Art. 12 Abs. 1 GG). Daher kann eine Verletzung der Aufzeichnungspflicht, welche den Zweck der Aufzeichnungen - die ordnungsgemäße Ausbildung der Fahrschüler zu überwachen und damit mittelbar die Sicherheit des Straßenverkehrs sicherzustellen - nicht oder nur am Rande berührt, nicht als "gröblich" erachtet werden. Das gilt namentlich hinsichtlich der Pflicht, in den Ausbildungsnachweisen auch die erhobenen Entgelte für die Ausbildung und für die Vorstellung der Prüfung zu verzeichnen; dies steht zur Sicherheit des Straßenverkehrs allenfalls in sehr entfernter Beziehung. Ferner scheidet aus, das Fehlen oder die Unvollständigkeit nur einzelner Aufzeichnungen schon als "gröblich" anzusehen, wenn die Aufzeichnungspflicht im Großen und Ganzen erfüllt wird und der Behörde die Wahrnehmung ihrer Überwachungsaufgabe grundsätzlich ermöglicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob das Gewicht von Pflichtverletzungen im Laufe der Zeit abgenommen hat, namentlich ob frühere Abmahnungen zwar vielleicht noch nicht zu einer einwandfreien Pflichterfüllung, aber doch immerhin zu einer deutlichen Verbesserung geführt haben, so dass die Prognose angebracht erscheint, eine erneute Abmahnung, gegebenenfalls verbunden mit einem (erneuten) - auch deutlichen - Bußgeld, werde zu einer weiteren Verhaltensänderung und damit jedenfalls in absehbarer, naher Zukunft zu einwandfreier Pflichterfüllung führen.

Eine Prüfung unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt lässt der Bescheid des Landratsamts vermissen. Sie wird im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden müssen. Dabei wird auch dem Vorwurf nachzugehen sein, der Antragsteller habe Fahrschüler zur Prüfung angemeldet, bevor die vorgeschriebenen Ausbildungsfahrten absolviert worden seien.

2. Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheides ist auch nicht aus einem anderen Grunde im öffentlichen Interesse geboten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

Die Antragsgegnerin verweist darauf, die Sicherheit des Straßenverkehrs erfordere, dass nur zweifelsfrei ordnungsgemäß ausgebildete Fahrschüler zur Fahrerlaubnisprüfung angemeldet würden. Das ist richtig. Die Sicherheit des Straßenverkehrs ist gefährdet, wenn die Fahrerlaubnis an Personen erteilt wird, die zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet oder nicht fähig sind. Die Fahrerlaubnisprüfung nach den §§ 15 ff. Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18.08.1998 (BGBl. I S. 2214) kann nicht allein gewährleisten, dass der Erlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen hinlänglich befähigt ist; denn sie kann die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nur exemplarisch überprüfen. Daher dient die Ausbildung nicht lediglich der Vorbereitung auf die Prüfung; vielmehr kommt ihr für die Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs eine eigenständige Bedeutung zu. Dem verleiht das Gesetz dadurch Ausdruck, dass es die Erteilung der Fahrerlaubnis außer vom Bestehen der Prüfung (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 Straßenverkehrsgesetz - StVG - vom 19.12.1952, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2001, BGBl. I S. 3762) zusätzlich vom Absolvieren einer ordnungsgemäßen Ausbildung abhängig macht (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 StVG).

Die Sicherheit des Straßenverkehrs ist jedoch im konkreten Fall nicht dringlich gefährdet. Zwar besteht eine abstrakte Gefahr, solange der Antragsteller sich durch Vernachlässigung seiner Aufzeichnungspflichten der behördlichen Überprüfung, ob er seiner Pflicht zur gewissenhaften und vorschriftsgemäßen Ausbildung nachkommt, entzieht. Das rechtfertigt jedoch nicht zwingend den Schluss, dass der Antragsteller seine Fahrschüler auch tatsächlich nicht ordnungsgemäß ausbildet. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Fahrschüler vor der theoretischen wie vor der praktischen Prüfung dem Prüfer eine Ausbildungsbescheinigung übergeben müssen (§ 16 Abs. 3 Sätze 6 und 7, § 17 Abs. 5 Sätze 5 und 6 FeV), in der der erteilte theoretische und praktische Unterricht im einzelnen aufgeführt und die vom Fahrlehrer ebenso wie vom Fahrschüler unterschrieben wird (§ 6 Abs. 2 i.V.m. Anlagen 7.1 bis 7.3 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung - FahrschAusbO - vom 18.08.1998, BGBl. I S. 2307, 2335). Damit wird zwar nicht der Aufsichtsbehörde, wohl aber dem Prüfer gegenüber erklärt und durch Unterschrift bekräftigt, welche Ausbildung der Fahrschüler erfahren hat. Der Prüfer ist seinerseits verpflichtet zu überprüfen, ob die in der Ausbildungsbescheinigung enthaltenen Angaben zum Umfang der Ausbildung mindestens dem nach der Fahrschüler-Ausbildungsordnung vorgeschriebenen Umfang entsprechen, andernfalls die Prüfung nicht durchgeführt werden darf (§ 16 Abs. 3 Sätze 8 und 9, § 17 Abs. 5 Satz 6 FeV). Es besteht also noch eine zusätzliche Vorkehrung dagegen, dass nicht ordnungsgemäß ausgebildete Fahrschüler zur Prüfung vorgestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 25 Abs. 2, § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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