Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 13 S 451/06
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, FreizügG EU, VwVfG, EG


Vorschriften:

AuslG § 47
AufenthG § 102
FreizügG EU § 11
VwVfG § 48
EG Art. 18
1. Ausweisungen von EU-Bürgern, die vor dem Inkrafttreten des FreizügG/EU bestandskräftig geworden sind, sind auch nach diesem Zeitpunkt noch wirksam.

2. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht begründen einen Anspruch auf Rücknahme einer bestandskräftig gewordenen gemeinschaftsrechtswidrigen Ausweisung.

3. Mit der Verpflichtungsklage kann auch die Rücknahme eines unwirksamen Bescheides begehrt werden.

4. Zur Freizügigkeit aus der Unionsbürgerschaft und zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf ihre Eltern (im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH, Entscheidungen Baumbast und Chen).

5. An den Verzicht auf Freizügigkeit sind strenge Anforderungen zu stellen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 451/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme der Ausweisung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 - 6 K 3901/04 - abgeändert; der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. September 2004 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4. März 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und im Jahr 1973 in Deutschland geboren, wo auch seine italienische Mutter, der italienische Stiefvater und seine Halbschwester leben. Er hat einen Hauptschulabschluss, ist aber ohne Beruf; begonnene Lehren wurden nicht zu Ende geführt. 1993 bezog er mit seiner damaligen deutschen Freundin - die er später heiratete - eine Wohnung; aus der Beziehung sind zwei Kinder hervorgegangen (geboren 1990 und 1995), deren Vaterschaften er anerkannte. Die ihm zuletzt erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz (nicht nach dem AufenthaltsG/EWG), erteilt von der Stadt Stuttgart am 22.4.1996, endete am 22.10.1997; eine Verlängerung wurde nicht beantragt.

Seit 1988 wurde der Kläger im Bundesgebiet mehrfach straffällig und verurteilt. Es handelt sich zunächst u.a. um zahlreiche Diebstahlsdelikte, Urkundenfälschungen, mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung und Betrugsversuche; später (ab 1992) kamen hinzu: gemeinschaftlicher schwerer Raub, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, weitere Diebstähle und Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige und vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Delikte (zuletzt Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten). Im Juli 1997 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Betrugs, gemeinschaftlicher Urkundenfälschung und zweier Diebstähle in besonders schwerem Fall zu einem Jahr und 3 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Oktober 1996 wurde der Kläger festgenommen und war anschließend in Haft; er flüchtete im Juli 1997 aus der Haftanstalt und wurde im Oktober 1997 erneut in Haft genommen.

Im Juni 1998 wurde er aufgrund einer Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 (Regelausweisung aus schwerwiegenden spezial- und generalpräventiven Gründen und Abschiebungsandrohung) nach Italien abgeschoben. Vor Erlass dieser Ausweisungsverfügung hatte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.1998 erklärt:

"Im Schreiben vom 12.1.1998 sieht die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung der Strafe ab dem 13.6.1998 ab, wenn ich von der Grenzpolizei abgeschoben werde. Darum beantrage ich nun selber meine Abschiebung aus der BRD und ziehe hiermit meine Beschwerde vom 2.2.1997 zurück. Ich habe in der BRD nichts mehr zu suchen, da meine Freundin und meine beiden Kinder mit mir nach Italien gehen ..."

In der Begründung der Ausweisungsverfügung, gegen die der Kläger keinen Widerspruch erhob, war das Regierungspräsidium Stuttgart davon ausgegangen, dass der Kläger mangels Arbeitnehmereigenschaft, ausreichender Krankenversicherung und Existenzmitteln sowie aufgrund seiner Erklärung vom Februar 1998 nicht zu den freiheitsberechtigten Unionsbürgern gehöre. Eine atypische Fallgestaltung wurde verneint; Ermessen wurde nicht (auch nicht hilfsweise) ausgeübt.

Im November 1998 kam der Kläger nach Deutschland zurück; am 13.9.1999 wurde er erneut nach Italien abgeschoben. Im November 1999 reiste er wiederum in das Bundesgebiet ein; am 18.3.2000 kam er wieder in Haft. Er war erneut straffällig geworden (Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4.8.2000: Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wurde angeordnet. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Maßregelvollzug (ab Juni 2001) in der xxxxxxxxxxxxx in xxxxxxxxxx wurde abgebrochen, nachdem der Kläger im November 2001 mit zwei Mitpatienten von dort geflohen war; seit dem 19.12.2001 befindet er sich wieder in Strafhaft in der JVA Heilbronn.

Von 1993 bis ca. 2000 hatte der Kläger mit seinen Kindern und deren Mutter mit den oben genannten Unterbrechungen zusammengelebt; er heiratete die Mutter der Kinder im Jahr 1999 (19.8.1999) in der Strafhaft. Ab März 2000 bewohnte der Kläger mit zwei Mitbewohnern aus dem Drogenmilieu eine Zwei-Zimmer-Wohnung; er selbst war drogenabhängig und konsumierte Drogen aller Art, auch Heroin. Er ist mit HIV und Hepatitis C infiziert.

Der Sohn xxxxxxx des Klägers (geb 1990) ist wegen Verhaltensauffälligkeit tagsüber in einem Heim untergebracht, die Tochter xxxxxx lebt bei der Mutter, zu der der Kläger keinen engen Kontakt mehr hat.

Der Kläger beantragte im April 2001 und erneut im Februar 2004, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung zu befristen. Er machte geltend, er sei mit einer Deutschen verheiratet und habe auch zwei deutsche Kinder. Das Befristungsverfahren wurde im Einverständnis mit dem Kläger zunächst nicht betrieben, weil er erklärte, sich in Italien einer Drogentherapie unterziehen zu wollen. Im Mai 2004 beantragte der Kläger, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen mit sofortiger Wirkung zu befristen.

Mit Verfügung vom 29.9.2004 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 4.3.1998 und die weiteren Anträge auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 LVwVfG für den Erlass einer die Ausweisungsverfügung betreffenden Rücknahmeverfügung lägen nicht vor. Die Ausweisung sei rechtmäßig erlassen worden. Ihr Widerruf scheide aus, weil die Widerrufsvorschrift durch die Befristungsregelung im Ausländergesetz verdrängt sei. Eine Befristung der Wirkungen komme derzeit nicht in Betracht, weil der von § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG vorausgesetzte Regelfall nicht gegeben sei. Der Fall des Klägers sei atypisch, und es sei gegenwärtig nicht absehbar, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung überhaupt erreicht werden könne. Auch eine Befristung der Wirkungen der Abschiebung komme derzeit nicht in Betracht, zumal der Kläger die angefallenen Kosten noch nicht bezahlt und im übrigen seine früheren Abschiebungen missachtend schon zweimal illegal nach Deutschland gekommen sei.

Die am 1.10.2004 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,

die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu befristen,

ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abgewiesen worden. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen ausgeführt, die Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 verletze den Kläger nicht in seinen Rechten; eine Rücknahme komme nicht in Betracht, da die frühere Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums vom 4.3.1998 rechtmäßig sei. Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ändere nichts daran, dass diese Verfügung rechtmäßig erlassen worden sei. Der Kläger sei zwar Unionsbürger, erfülle aber die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 der RL 90/364/EWG vom 28.6.1990 nicht, da das Erfordernis der Krankenversicherung und ausreichender Existenzmittel nicht erfüllt sei. Außerdem habe der Kläger vor Erlass der Ausweisungsverfügung im Anhörungsverfahren wirksam auf ein Freizügigkeitsrecht verzichtet, als er erklärt habe, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen und wolle deshalb mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern nach Italien übersiedeln. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, da auf den Kläger nunmehr aufgrund der Ausweisungsverfügung nicht mehr das Freizügigkeitsgesetz/EU, sondern vielmehr das allgemeine Ausländerrecht anzuwenden sei. Ein Regelfall, der die Befristung nahe legen könne, sei hier nicht gegeben; das Regierungspräsidium habe zu Recht angenommen, hier liege ein Sonderfall vor. Auf die Begründung der Behörde werde Bezug genommen.

Auf den rechtzeitig gestellten und begründeten Zulassungsantrag des Klägers hin hat der Senat mit Beschluss vom 20.2.2006 (Zustellung am 27.2.2006) die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit dem am 2.3.2006 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz, der auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug genommen hat, beantragt der Kläger,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abzuändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen,

hilfsweise:

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung der Verfügung vom 29.9.2004 die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung zu befristen.

Zur Begründung des Berufungsantrags trägt der Kläger vor, sein Freizügigkeitsrecht könne nicht bestritten werden. Es ergebe sich aus Art. 7 Abs. 2 der RL 68/360/EWG, und das Freizügigkeitsrecht sei auch nicht wegen Fehlens von Unterhaltsgewährung nach Art. 10 der Verordnung 1612/68 untergegangen. Ein Verzicht auf das Freizügigkeitsrecht sei unwirksam und liege auch inhaltlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe außerdem verkannt, dass auch seine Kinder neben der deutschen Staatsangehörigkeit die italienische Staatsangehörigkeit hätten, so dass er als Vater dieser Kinder ebenfalls ein Aufenthaltsrecht habe. Dass die damalige Ausweisungsverfügung gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei, liege auf der Hand. Einmal habe die Behörde zu Unrecht das Freizügigkeitsrecht verneint und allgemeines Ausländerrecht angewandt. Dies sei bei EU-Bürgern unzulässig. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof inzwischen sogar die entsprechende Regelung des AufenthaltsG/EWG für gemeinschaftswidrig erklärt. Rechtswidrig sei die Ausweisung auch deswegen gewesen, weil sie unbefristet erfolgt sei; dies widerspreche mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Allgemein sei zu bemerken, dass die Europäischen Institutionen die Voraussetzungen der Ausweisung ohnehin enger fassten als die deutschen Behörden und Gerichte. Das der Behörde zustehende Ermessen sei hier wegen der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Ausweisung auf die Rücknahme ex tunc reduziert; eine andere Lösung komme nicht in Betracht. Die Bestandskraft einer Verfügung sei geringer zu werten als die Rechtskraft, und der Europäische Gerichtshof habe mehrfach entschieden, dass bei gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen entweder die Rechtsmittelfrist gehemmt sei oder eine Rücknahmepflicht bestehe. Teilweise werde auch angenommen, solche gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen würden unwirksam. Jedenfalls sei die neuere Rechtsprechung der Europäischen Gerichte auch auf zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Da die Möglichkeit der Befristung einer Rücknahme ex nunc als Spezialregelung entgegenstehe, bleibe die Rücknahme ex tunc. Mindestens sei diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist nach wie vor der Auffassung, dass der Kläger die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts im Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr erfüllt habe und daher EU-Recht unbeachtlich sei. Seine Erklärung vom15.2.1998, er wolle mit Freundin und Kindern in Italien leben, belege dies ausreichend. Abgesehen davon seien aber die Voraussetzungen des § 12 AufenthG/EWG und des EU-Rechts für die Ausweisung gegeben gewesen, da der Kläger massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Insofern handle es sich um einen Extremfall im Sinn des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, und von einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Behörden könne keine Rede sein. Die bestehende Wiederholungsgefahr habe der Kläger selbst nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet nachhaltig bestätigt. Auch der Vollzug der Strafhaft sei nicht beanstandungsfrei. Die vom Kläger zitierten Urteile des EGMR insbesondere zur Befristungsfrage änderten daran nichts; zumutbar und erforderlich sei jedenfalls, dass ein Befristungsantrag gestellt werde. Die Befristungsvorschriften belegten geradezu, dass die Ausweisung nicht gewissermaßen lebenslänglich sei. Die Ausweisung habe auch nicht gegen Art. 9 der RL 64/221/EWG verstoßen, da der Kläger nach Italien habe zurückkehren wollen. Er habe außerdem keine Klage erhoben, habe sich also gerade nicht verteidigen wollen. Ein Rücknahmeermessen sei damit nicht gegeben; erst recht nicht sei es auf die Rücknahme der Ausweisung reduziert. Auf die Bedeutung der Rechts- und Bestandskraft habe der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16.3.2006 hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe außerdem davon aus, dass eine Ermessensentscheidung auch nachgeholt werden könne. Eine Rücknahme sei regelmäßig ausgeschlossen, wenn ein Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt (hier: Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU) neu erlassen werden müsse. Das sei hier der Fall. Neben dem nachhaltigen und massiven kriminellen Fehlverhalten sei darauf hinzuweisen, dass auch die Drogenproblematik nicht gelöst sei. Es sei daher nicht unverhältnismäßig, an der Ausweisung festzuhalten, sie als Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt anzusehen und dem Rücknahmeantrag nicht zu entsprechen. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, den Kläger auf die Möglichkeit der Befristung zu verweisen für den Fall, dass die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben sei. Mit den Kindern habe der Kläger im übrigen vor seiner Inhaftierung nicht in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengewohnt. Möglicherweise werde er von ihnen und von seiner freizügigkeitsberechtigten Mutter noch regelmäßig besucht. Zur Mutter der Kinder habe er aber nur sporadischen und telefonischen Kontakt. Was Art. 8 EMRK angehe, so sei die hohe und konkrete Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen; er sei nicht therapiert. Seine Erkrankung führe nicht dazu, dass sein Interesse an der Rücknahme der Ausweisung überwiege, da er erforderliche Medikamente auch in Italien bekommen könne. Für die ersten Tage nach einer Abschiebung nach Italien könnten ihm auch Medikamente mitgegeben werden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Rücknahme, und eine am Zweck des § 48 LVwVfG orientierte Ermessensausübung ergebe, dass die Ablehnung des Antrags nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Soweit hilfsweise die Befristung beantragt werde, werde auf die angegriffene Verfügung vom 29.9.2004 (Fortbestand der Wiederholungsgefahr) verwiesen.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts und der Behörden (jeweils 1 Heft Akten des RP Stuttgart und der Stadt Fellbach) vor; sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).

Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die "Ausweisungsanordnung" beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur "Rücknahme" der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.

Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).

1.

Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).

Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).

Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut "Familienleben" im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).

Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).

1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den "Beschränkungen und Bedingungen" der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der "Beschränkungen und Bedingungen" der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen "entgegengehalten" worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.

Letztlich kann der Senat jedoch offenlassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit "an sich" an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als "Stammberechtigte" nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur "Erstreckung" des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der "geläuterten" Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die "Beschränkungen und Bedingungen" der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht "entgegengehalten" worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser "Erstreckung" des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:

Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein "Familienleben" im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).

Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.

Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise "zum Sterben in der Heimat" hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.

1.2.

Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung "umgedeutet" werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).

1.3.

Der Senat kann offenlassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.

2.

Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein "Ergänzen" im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene "Alt-Ausweisung" kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße "Ergänzung" im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.

3.

Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).

3.1.

Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.

Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann "schlechthin unerträglich" sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung "schlechthin unerträglich", weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.

Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht "schlechthin unerträglich" ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer Rechtsverpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

3.2

Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen "Rücknahme"-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.

Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).

Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.

4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.

Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück