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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 21.10.2009
Aktenzeichen: 6 S 166/09
Rechtsgebiete: VwGO, EG


Vorschriften:

VwGO § 94
EG Art. 234
Das Verwaltungsgericht kann ein Verfahren in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO aussetzen, wenn es entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Fragen in einem Parallelverfahren zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 234 EG beim Europäischen Gerichtshof gemacht hat.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

6 S 166/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sportwetten

hier: Aussetzung des Verfahrens

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 21. Oktober 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Januar 2009 - 4 K 4733/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 147 VwGO). Sie ist jedoch unbegründet.

Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO durch das Verwaltungsgericht Stuttgart bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.07.2007 (4 K 3365/06, 4 K 4435/06 und 4 K 3424/07) lässt sich rechtlich nicht beanstanden. Gemäß § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Diese Vorschrift regelt lediglich die Aussetzung mit Blick auf ein anderes Verfahren, in dem es um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis geht. Das hier vorliegende Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof betrifft jedoch die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage, die sich in einer Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren stellen kann.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, kann § 94 VwGO in solchen Fällen entsprechend anwendbar sein, wenn gemeinschaftsrechtliche Fragen, die in einem Verfahren entscheidungserheblich sind, bereits Gegenstand eines beim EuGH anhängigen Verfahrens sind. Eine neuerliche Anrufung des Gerichtshofs durch das Verwaltungsgericht über seine bereits beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchen hinaus würde diesen zusätzlich belasten, ohne dass davon ein Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre (BVerwG, Beschluss vom 04.05.2005 - 4 C 6.04 -, NVwZ 2005, 1061, 1067 m.w.N.; Beschluss vom 10.11.2000 - 3 C 3.00 -, NVwZ 2001, S. 319; vgl. auch BFH, Beschluss vom 14.10.1998 - VII R 56.97 -, BFH/NV 1999, 840 zu § 74 FGO; BAG, Urteil vom 24.09.1996 - 3 AZR 698.65 -; zu § 148 ZPO; BGH, Urteil vom 25.02.1999 - VII ZR 408.97 -, BGHR ZPO § 148 - EuGH-Verfahren 1; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.09.2001 - 9 S 1464/01 -, DÖV 2002, 35, Beschluss vom 26.10.2006 - 10 S 2068/06 -; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 29.09.2009 - 11 LC 281/06 -. ZfWG 2008, 386; a. A. möglicherweise OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.09.2008 - 4 E 1358/08 -, juris, wobei es sich um eine Aussetzungsentscheidung eines Verwaltungsgerichts handeln dürfte, das seinerseits nicht in Parallelverfahren den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren angerufen hat; differenzierend Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblatt Stand Oktober 2008, § 94 Rdnr. 57ff.). Da die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Gerichts steht ("kann"), hat der Senat bei der Entscheidung über die Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss grundsätzlich den Rechtsstandpunkt des aussetzenden Gerichts zugrunde zu legen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.09.2001, a.a.O., Beschluss vom 17.04.1986 - 11 S 216/86 -, VBlBW 1986, 458), OVG Bremen, Beschluss vom 01.08.2008 - 1 S 89/08 -, NVwZ-RR 2008, 851).

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die sofort vollziehbare Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.12.2008, mit der dem Kläger u. a. unter Zwangsgeldandrohung untersagt wurde, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln, hierfür zu werben oder solche Tätigkeiten zu unterstützen. Rechtsgrundlage dieser Untersagungsverfügung ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (GlüStV). Die Beteiligten streiten darüber, ob der Glücksspielstaatsvertrag und die darauf gestützte Untersagungsverfügung insbesondere mit der in Art. 49 EG gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit übereinstimmen. In der Rechtsprechung des EuGH ist anerkannt, dass im Zusammenhang mit der Veranstaltung und Durchführung von Glücksspielen der Dienstleistungsfreiheit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, wie etwa dem Verbraucherschutz, der Betrugsvorbeugung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zur erhöhten Ausgaben durch innerstaatliche Regelungen Beschränkungen auferlegt werden können, dass es Sache des jeweiligen Einzelstaates ist, das Schutzniveau bei den einzelnen Formen des Glücksspiels zu bestimmen und dass Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zulässig sind, soweit diese wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern, diese geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten und die auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen (EuGH, Urteil vom 08.09.2009, ZfWG 2009, 304 [Liga Portuguesa]; Urteil vom 06.03.2007, ZfWG 2007, 125 [Placanica]; Urteil vom 06.11.2003, NJW 2004, 139, juris, Rdnr. 76 [Gambelli]; Urteil vom 21.10.1999, GewArch 2000, 19, juris, Rdnr. 38 [Zanetti]; Urteil vom 21.09.1999, DVBl. 2000, 211 [Läärä]); dabei müssen sie auf jeden Fall in nicht diskriminierender Form angewandt werden. Ob dieses Ziel der Verminderung der Spielsucht (§ 1 Nr. 1 bis 3 GlüStV) kohärent und systematisch verfolgt wird, stellt das Verwaltungsgericht in seinen Vorlagebeschlüssen in Frage. Es hebt bei seiner Betrachtung wesentlich darauf ab, dass unter europarechtlichen Gesichtspunkten der Bereich der Automatenspiele, der nach allen vorliegenden Erkenntnissen unter dem Aspekt der Spielsucht besonders gefährlich sei, nicht ausgeblendet werden dürfe, wovon auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Schreiben vom 31.01.2008 zum Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4866 ausgehe. Damit sei die fortwirkende europarechtliche Relevanz dieser Frage gegeben.

Der Senat teilt zwar diese Auffassung des Verwaltungsgerichts in zahlreichen den Beteiligten bekannten Beschlüssen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht (Beschluss vom 16.10.2008 - 6 S 1288/08 -, ESVGH 59, 84, m. w. N.). Er hat gleichwohl die Frage, ob bei der gerichtlichen Überprüfung der vom Europäischen Gerichtshof geforderten Kohärenz der staatlichen Glücksspielpolitik auf den Glücksspielsektor in seiner Gesamtheit oder nur sektoral auf die hier streitige, unter Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) einem staatlichen Monopol unterliegende Veranstaltung von Sportwetten abzustellen ist, als rechtsgrundsätzlich angesehen und aus diesem Grund in zahlreichen Berufungszulassungsverfahren auch die Berufung zugelassen.

Bei dieser Sachlage konnte das Verwaltungsgericht das Verfahren nach seinem Ermessen aussetzen. Hierbei musste es das Interesse des Klägers an einer zeitnahen Entscheidung über die Klage in Rechnung stellen. Dies hat es getan und ausgeführt, dass die Hauptsacheentscheidung aller Voraussicht nach ohnehin nicht vor der Entscheidung des EuGH über die gemeinschaftsrechtlichen Zweifelsfragen rechtskräftig würde. Soweit der Kläger in der Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung der Hauptsache ein "faktisches Berufsverbot" zu erkennen glaubt, vermag der Senat seine Auffassung nicht zu teilen. Dem Hauptsacheverfahren ist bereits das einstweilige Rechtsschutzverfahren vorausgegangen, in dem sich der Senat ausführlich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt hat. Darüber hinaus bleibt es dem Kläger unbenommen, bei einer Änderung der Sach- oder Rechtslage ein Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO anzustrengen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Beschwerdeverfahren nicht, weil nach Nr. 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 50,-- EUR zu entrichten ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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