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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 18.06.2002
Aktenzeichen: 9 S 2441/01
Rechtsgebiete: GG, LV, SchG


Vorschriften:

GG Art. 4
GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 7
LV Art. 14 Abs. 1
SchG § 72
SchG § 76
1. Schule im Sinne des Schulrechts ist eine organisierte, auf Dauer angelegte Einrichtung, in der eine im Laufe der Zeit wechselnde Mehrzahl von Schülern zur Erreichung allgemein festgelegter Erziehungs- und Bildungsziele planmäßig durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte gemeinsam unterrichtet wird.

2. Heimunterricht an Stelle des Besuchs der Grundschule kann nur gestattet werden, wenn der Besuch einer Schule gerade als solcher im konkreten Einzelfall unmöglich oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. Das Schulgesetz erlaubt hingegen keine Ausnahme, wenn die öffentlichen (und die privaten) Schulen, so wie sie ausgestaltet sind und bestehen, lediglich wegen ihrer Unterrichtsinhalte und Erziehungsziele abgelehnt werden oder wenn die Eltern ihr Kind vor den Einflüssen von Mitschülern bewahren wollen, die sie als schädlich erachten. Das gilt auch dann, wenn dies aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen geschieht.

3. Ist der Besuch einer Schule unmöglich oder nicht mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen, so hat die Schulaufsichtsbehörde sicherzustellen, dass das Kind jedenfalls eine ausreichende Erziehung und Unterrichtung erfährt. Das kann im Wege des Heimunterrichts, muss aber nach den für die Grundschule allgemein festgelegten Zielen und Methoden sowie durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte erfolgen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 18.06.2002

9 S 2441/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Schulpflicht

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Gerstner-Heck und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Juli 2001 - 2 K 2467/00 - werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger Ziff. 1 und 2 sind Eheleute, die Kläger Ziff. 3 und 4 sind ihre gemeinschaftlichen Kinder. Sie begehren die Verpflichtung des beklagten Landes, den Klägern Ziff. 3 und 4 die Erfüllung ihrer Schulpflicht durch Heimunterricht seitens ihrer Eltern zu gestatten.

Die 1992 geborene Klägerin Ziff. 3 ist seit August 1999, der 1993 geborene Kläger Ziff. 4 seit August 2000 schulpflichtig. Beide besuchen jedoch weder eine öffentliche Grundschule noch eine private Ersatzschule, sondern werden daheim von ihrer Mutter unterrichtet. Das wird von den Behörden mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit geduldet; eine Verfügung der Polizeibehörde zur Durchsetzung der Schulpflicht der Klägerin Ziff. 3 wurde auf Widerspruch hin aufgehoben, Bußgeldverfahren gegen die Kläger Ziff. 1 und 2 wurden eingestellt.

Mit Schreiben vom 03.03.2000 beantragten die Kläger Ziff. 1 und 2, die Kläger Ziff. 3 und 4 von der Pflicht zur Teilnahme am öffentlichen Schulunterricht zu befreien. Zur Begründung trugen sie im Antragsschreiben sowie mit ihrem späteren Widerspruch vor, sie könnten ihre Kinder der öffentlichen Schule nicht aussetzen. Sie hätten eine christlich geprägte Schule erwartet, wie es die Landesverfassung gebiete. Jedoch habe sich die öffentliche Schule unter dem Einfluss der sog. Frankfurter Schule seit Ende der 1960er Jahre vom Christentum abgewendet. Die seither befolgte Pädagogik habe dazu geführt, die Kinder ihren Eltern zu entfremden und sie zu entwurzeln; sie ziele letztlich auf Anarchie. Namentlich verhindere eine durchgängige Sexualisierung jede individuelle, gesunde Geschlechtsentwicklung und jedes verantwortliche Sozialverhalten. Hinzu komme, dass die Schule als Stillübungen zu Konzentrationszwecken okkulte und magische Methoden anwende: Das Mandala-Malen sei eine okkulte religiöse Übung, und "Phantasiereisen" seien eine Grundübung der magischen Imagination; beides lehnten sie als überzeugte Christen ab. Ihren Kindern drohe aber nicht nur Schaden durch den Schulunterricht selbst, sondern auch von Seiten der Mitschüler. Der Schulalltag sei geprägt von physischer und psychischer Gewalt, vom Mobbing und Prügeleien über die üblich gewordene Fäkaliensprache bis hin zu Alkohol und Rauschgift. All dem könnten sie ihre Kinder in zartem Alter noch nicht aussetzen; sie müssten sie auf die Gesellschaft erst im Schonraum der familiären Geborgenheit vorbereiten. Das gebiete ihnen ihr Glaube; Gott habe ihnen ihre Kinder anvertraut und aufgetragen, sie vor Schäden zu bewahren. Eine christliche Privatschule sei keine Alternative; weil dort ebenfalls jeder Schüler aufgenommen werde, seien die Verhältnisse dort kaum anders. Sie begehrten daher die Befreiung von der Schulpflicht und die Gestattung von Heimunterricht. Das sehe das Schulgesetz für Ausnahmefälle vor, sofern der Heimunterricht dem Schulunterricht vergleichbar sei. Das könnten sie gewährleisten: Sie unterrichteten ihre Kinder nach Maßgabe der baden-württembergischen Lehrpläne und im Rahmen der "Philadelphia-Schule", einer privaten Organisation mit Sitz in Siegen, welche die Erziehung und Unterrichtung durch die Eltern oder durch Vertrauenspersonen in Heim- oder in Gemeindeschulen nach biblischen Grundsätzen konzipiere, anleite und betreue. Im übrigen sei das "Home-scooling" in den USA und in anderen west- und nordeuropäischen Ländern anerkannt und habe sich bewährt; es garantiere auch in Deutschland gute Erfolge, die dem öffentlichen Schulwesen mindestens ebenbürtig seien. Auch im Schweizer Kanton Bern, aus dem die Klägerin Ziff. 2 stamme und wohin sie mit ihrer Familie möglicherweise einmal zurückkehre, werde Heimunterricht unter staatlicher Aufsicht anerkannt.

Das Staatliche Schulamt Offenburg lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28.08.2000 ab, das Oberschulamt Freiburg wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2000 zurück. Zur Begründung des Widerspruchsbescheides hieß es, durch den geplanten Heimunterricht werde für ihre Erziehung und Unterrichtung der Kinder nicht ausreichend gesorgt, weil er nicht durch ausgebildete Lehrkräfte erteilt werde; daran vermöge auch die Anleitung und Kontrolle durch die "Philadelphia-Schule" nichts zu ändern, die im übrigen keine Schule im Sinne des Schul- oder des Privatschulgesetzes sei. Auf die Erfüllung der Schulpflicht könne nicht verzichtet werden. Die Schule diene nicht nur der Unterrichtung, sondern auch der Einübung sozialen Verhaltens in der Gruppe, was in der behüteten familiären Situation nicht geleistet werden könne. Es sei auch kein besonderer Ausnahmefall gegeben. Eine Gefährdung des Kindeswohls durch den Besuch der öffentlichen Grundschule sei nicht erkennbar. Eine "Sexualisierung" der Kinder, durch die diese ihren Eltern entfremdet würden, sei weder Ziel noch Folge der durch § 100b SchG gebotenen Familien- und Geschlechtserziehung, die im Gegenteil kindgerecht, zurückhaltend und in Achtung der kindlichen Intimsphäre sowie in Abstimmung mit dem Elternhaus erfolge. Auch die Furcht vor Gewalt an den Schulen rechtfertige nicht den individuellen Rückzug in einen "Schonraum". Das von den Klägern gezeichnete Szenario entspreche keineswegs der Realität, sondern übertreibe und pauschaliere; der tatsächlich an Schulen auftretenden Gewalt aber werde mit präventiven wie repressiven Mitteln begegnet. Schließlich lasse sich auch der Vorwurf des verkappten Okkultismus oder der Magie nicht nachvollziehen. Zwar wendeten einige Lehrer Entspannungs- und Konzentrationsübungen durch Ausmalen von Mandalas oder sog. Phantasiereisen an, doch geschehe dies stets kompetent und verantwortungsbewusst; negative Auswirkungen seien nicht bekannt, und jede unsachgemäße Verwendung werde verhindert. Müsse es nach allem bei der Schulpflicht der Kläger verbleiben, so werde hierdurch deren Glaubens- oder Gewissensfreiheit nicht verletzt. Das gesamte System staatlicher Beschulung vermeide jegliche religiöse Vereinseitigung, Missionierung oder Indoktrination. Die Gefahr einer Kollision mit religiösen Anschauungen des familiären Lebenskreises der Schüler bestehe damit nicht. Im übrigen verfolge die öffentliche Schule Erziehungsziele auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte. Genüge dies christlichen Eltern nicht, so stehe es ihnen frei, ihre Kinder auf eine anerkannte Privatschule zu schicken und/oder die schulische Erziehung durch ihre eigene Erziehung zu ergänzen, wozu außerhalb des Unterrichts genügend freie Zeit verbleibe.

Die Kläger haben rechtzeitig Klagen erhoben. Sie berufen sich auf ihr Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, die Kläger Ziff. 1 und 2 zusätzlich auf ihr Elternrecht. Die meisten westeuropäischen Länder und die USA kennten lediglich eine Unterrichts-, aber keine Schulbesuchspflicht und ermöglichten damit den Heimunterricht, Irland und Dänemark sogar mit dahingehendem Verfassungsanspruch. Die ursprünglich vergleichbare Rechtslage in Deutschland sei durch die Weimarer Reichsverfassung unter kollektivistischen Vorzeichen zurückgedrängt und vom Nationalsozialismus beseitigt, unter dem Grundgesetz aber wieder ermöglicht worden. Auch Baden-Württemberg gestatte Ausnahmen von der grundsätzlichen Schulbesuchspflicht. Es sei anerkannt, dass solche Ausnahmen aus Krankheitsgründen sowie aus beruflichen Gründen der Eltern zu gewähren seien. Dem Grundrecht der Berufsfreiheit sei aber das Grundrecht der Glaubensfreiheit wenigstens gleichzuerachten. Daher sei eine Befreiung von der Schulbesuchspflicht möglich und sogar geboten, wenn der Besuch öffentlicher Schulen mit den religiösen Überzeugungen der Schüler und/oder ihrer Eltern unvereinbar und eine gleichwertige anderweitige Erziehung und Unterrichtung gesichert sei. Das nähmen sie, die Kläger, für sich in Anspruch. Sie gehörten einer freien christlichen Gemeinschaft bibelgläubiger Christen in der Gruppe der evangelikalen Konfessionen an und sähen sich in der Tradition der Pietisten. Gott sei für sie oberste Autorität und die Bibel als sein geoffenbartes Wort die einzig anzuerkennende Wahrheit. Alles Handeln müsse für sie daran ausgerichtet werden. Damit sei das öffentliche Schulwesen schon im Grundsatz unvereinbar. Dessen humanistisches Erziehungskonzept stelle nicht Gott, sondern den Menschen als Individuum und als Gesellschaft in den Mittelpunkt und suche seine Wertvorstellungen aus ihm zu begründen. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit spiegele sich in zahlreichen Einzelpunkten wieder: Die öffentliche Schule stelle die Autorität Gottes und der von ihm eingesetzten Institutionen - der Eltern, des Staates usw. - in Frage. Nahezu sämtliche Schulbücher verwendeten Bilder und Symbole aus dem Umfeld von Magie und Zauberei wie Hexen, Zauberer, Zwerge usw.; das sei widergöttlich und "Gott ein Greuel" (5 Mose 18). Hinzu kämen die bereits im Widerspruchsverfahren angesprochenen Stillübungen wie Mandala-Malen und Phantasiereisen, die eine Verletzung des Ersten Gebots darstellten. Im schulischen Unterricht werde den Schulkindern die Welt nicht als geoffenbarte Schöpfung Gottes nahegebracht, sondern als Ergebnis weltimmanenter Evolution. Ferner durchkreuze der schulische Sexualkundeunterricht jede Möglichkeit der Eltern zu einer gerade auf ihre Kinder zugeschnittenen individuellen Sexualerziehung, sei aber auch nach seinem Inhalt mit dem Sechsten Gebot, demzufolge ein freier Umgang mit der Sexualität allein der Ehe vorbehalten ist, unvereinbar. Eine Erziehung zur Keuschheit und zum Verzicht auf einen Einsatz sexueller Reize im sozialen Kontakt werde in der öffentlichen Schule durch eine allseitige Sexualisierung unterlaufen; im Gegenteil würden Kinder und Jugendliche zu frühen sexuellen Erfahrungen bis hin zum Geschlechtsverkehr ermuntert und auf ein Recht zur Abtreibung hingewiesen, das es nicht geben könne. Des weiteren räume das beklagte Land zwar die Existenz von Gewalt an den öffentlichen Schulen ein, verharmlose das Phänomen jedoch und beraube gerade sensible Kinder ihrer Würde, wenn es sie zwinge, sich dem auszusetzen. Der beschriebenen Konfliktlage könne durch einzelne Unterrichtsbefreiungen nicht Rechnung getragen werden; sie sei grundsätzlicher Natur. Eine konkrete Möglichkeit, auf eine anerkannte Privatschule auszuweichen, bestehe für die Kläger nicht. Liege damit ein Befreiungsgrund vor, so sei durch den Heimunterricht seitens der Eltern auch für eine ausreichende anderweitige Erziehung und Unterrichtung gesorgt. Die Unterrichtung erfolge im Rahmen der "Philadelphia-Schule". Diese lege die baden-württembergischen Lehrpläne einschließlich der einzelnen Fächer und des jeweiligen Unterrichtsstoffs zugrunde. Der Unterricht entspreche nach Einschulalter, Schulstufen und täglicher Unterrichtszeit demjenigen an öffentlichen Schulen. Er werde von lehrfähigen Familienangehörigen oder anderen Personen mit gleicher Glaubensüberzeugung erbracht, die von einem ausgebildeten Lehrer betreut, angeleitet und beaufsichtigt würden. Die Eltern erhielten vorbereitete Stunden- und Arbeitsblätter und verwendeten Schulbücher und -materialien anerkannter Fernschulorganisationen. Regelmäßige Klassenarbeiten würden durch Fachlehrer benotet und kommentiert. Der Unterricht und der Unterrichtserfolg könnten im übrigen staatlich überprüft werden. Damit sei eine gleichwertige Bildung und Erziehung gewährleistet. Dementsprechend habe der Beklagte einer anderen Familie im Bereich des Staatlichen Schulamts Heilbronn die Heimunterrichtung ihrer Kinder unter staatlicher Lernerfolgskontrolle gestattet. Hilfsweise werde beantragt, den Heimunterricht unter Teilnahme an der "Deutschen Fernschule e.V." zuzulassen. Diese entspreche zwar nicht den inhaltlichen Vorstellungen der Kläger und sei auch deutlich teurer, entschärfe aber die beschriebene Kollisionslage immer noch zureichend. Weiter hilfsweise seien die Kläger bereit, die Kinder bei einer öffentlichen oder privaten Ersatzschule anzumelden und dort regelmäßig prüfen zu lassen, solange nur der Unterricht selbst daheim durch die Eltern erfolgen könne.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Gründe seines Widerspruchsbescheides vertieft. Der von den Klägern genannte Fall im Schulamtsbezirk Heilbronn sei anders gelagert; dort liege eine faktische Schule vor, die einen - aussichtsreichen - Antrag auf Anerkennung als Privatschule gestellt habe, und der Unterricht werde durch zumindest einen ausgebildeten Lehrer erteilt. Zum Hilfsantrag hat der Beklagte vorgebracht, dass auch der Fernunterricht nach dem Konzept der "Deutschen Fernschule" keine der öffentlichen Schule vergleichbare Erziehung und Unterrichtung gewährleiste; die "Deutsche Fernschule" betreue daher, von wenigen Ausnahmefällen (z.B. erkrankte Kinder) abgesehen, nur deutsche Kinder im Ausland, für die eine deutschsprachige Schule nicht erreichbar sei.

Mit Urteil vom 11.07.2001 hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Klagen abgewiesen. Die Kläger Ziff. 3 und 4 seien nach dem Gesetz grundschulpflichtig und müssten diese Pflicht durch den Besuch einer deutschen Schule erfüllen. Heimunterricht ersetze den Schulbesuch grundsätzlich nicht. Die Möglichkeit, anderes zu gestatten, sei nur für eng begrenzte Ausnahmefälle vorgesehen, wenn das Kind aus gesundheitlichen Gründen am schulischen Unterricht nicht teilnehmen könne; für diese Fälle sehe das Schulgesetz staatlichen Hausunterricht vor. Die Ablehnung des staatlichen Schulsystems aus religiösen oder ethischen Motiven rechtfertige eine Ausnahme hingegen nicht. Dazu zwinge weder Art. 4 GG noch Art. 6 Abs. 2 GG. Art. 6 Abs. 2 GG gewährleiste den Eltern das Recht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder - auch in religiöser Hinsicht - selbst zu bestimmen. Dieses Recht sei jedoch durch den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 GG beschränkt, der dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet sei. Konflikte zwischen schulischer und familiärer Erziehung seien daher im Wege praktischer Konkordanz, aber nicht in dem Sinne zu lösen, dass sich das Elternrecht stets durchsetze und die generelle Schulpflicht verdränge. Nichts anderes gelte für die Rechte der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG. Auch diese seien durch den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 GG im Sinne des prinzipiellen Gleichrangs beschränkt. Könnte das Elternrecht oder die Religionsfreiheit die Schulbesuchspflicht generell verdrängen, so werde Art. 7 Abs. 1 GG ausgehöhlt, selbst wenn der Heimunterricht ausreichend Wissen vermittele; die Schule solle nämlich außerdem das Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranbilden. Das gelte in besonderer Weise für die Grundschule, die nach dem Bild des Grundgesetzes unterschiedslos von allen Kindern besucht werden solle, um so erste gesellschaftliche Erfahrungen zuzulassen und den Erwerb sozialer Kompetenzen zu fördern. Derartige Erfahrungen machen zu dürfen, hätten obendrein die Kinder ein durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Recht, das sich auch gegen ihre Eltern richte. Umgekehrt würden die Grundrechte der Kläger aus Art. 4 und Art. 6 Abs. 2 GG durch den Schulbesuch der Kläger Ziff. 3 und 4 nicht ausgehöhlt. Die zusätzliche Unterweisung entsprechend ihren religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen in der unterrichtsfreien Zeit bleibe ihnen unbenommen. Außerdem stünden an Stelle der öffentlichen Schulen genügend christlich geprägte Privatschulen zur Verfügung. Im übrigen ergebe sich aus dem Vortrag zur Gewalt in der Schule, zur Verwendung von Fabelwesen oder von Mandalas im Schulunterricht sowie zur Sexualerziehung nicht, dass die Kläger durch zwingende Gebote oder Verbote ihres Glaubens gehindert wären, eine öffentliche Schule zu besuchen. Die öffentliche Schule sei nämlich zur religiös-weltanschaulichen Neutralität und Toleranz verpflichtet und müsse jegliche Indoktrinierung unterlassen. Im übrigen könnten die einzelnen Monita nicht der Schulbesuchspflicht insgesamt entgegen gehalten werden. Für den geltend gemachten Befreiungsanspruch fehle es jedoch nicht nur an einem besonderen Ausnahmefall; der Heimunterricht sei der schulischen Erziehung und Bildung auch nicht gleichwertig. Auch insoweit wirke sich das Fehlen einer Unterrichtung in der Gemeinschaft auch mit Andersdenkenden aus. Schließlich lasse sich der Klaganspruch auch nicht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz begründen. Die von den Klägern angeführten Fälle taugten als Vergleichsfälle nicht.

Mit Zulassung durch den Senat haben die Kläger gegen dieses Urteil fristgerecht Berufungen eingelegt. Sie wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend machen sie geltend: Das Verwaltungsgericht habe die Ausnahmevorschrift des § 76 Abs. 1 SchG zu Unrecht einengend interpretiert. In Wahrheit lägen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, und das damit eröffnete Ermessen der Behörde sei zu ihren Gunsten auf Null reduziert. In tatbestandlicher Hinsicht könne nicht bezweifelt werden, dass der Heimunterricht - mit fachlicher Anleitung und gegebenenfalls unter schulbehördlicher Aufsicht - eine ausreichende Erziehung und Unterrichtung biete. Das gelte nicht nur in fachlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht, wie das Beispiel praktisch sämtlicher west- und nordeuropäischer Länder und der USA beweise; nirgends seien Schwierigkeiten bei einer Rückeingliederung eines Heimschülers in das öffentliche Schulwesen oder beim Eintritt in eine weiterführende Schule oder Universität aufgetreten, im Gegenteil gälten Heimschüler als besser unterrichtet, besser motiviert und sozial kompetent. Auch die weitere Tatbestandsvoraussetzung des besonderen Ausnahmefalles liege vor. Das Verwaltungsgericht wolle nur gesundheitliche Ausnahmefälle anerkennen und bleibe damit selbst hinter der bisherigen restriktiven Verwaltungspraxis zurück, die auch aus beruflichen Gründen der Eltern (Binnenschiffer, Zirkuskinder) sowie zur Sonderförderung Hochbegabter (Fall Ann-Sophie Mutter usw.) Heimunterricht gestatte. Dem Ausnahmegrund der mangelnden Gesundheit oder der elterlichen Berufstätigkeit müsse aber der Ausnahmegrund der religiösen Überzeugung mindestens gleichstehen. So sei bei Erlass der Vorgängervorschrift im Jahre 1920 die Gewissensnot als Ausnahmegrund ausdrücklich anerkannt worden. Der Klaganspruch leite sich aber auch unmittelbar aus Verfassungsrecht her. Dem Elternrecht trete lediglich eine Unterrichtspflicht, nicht aber eine Schulbesuchspflicht gegenüber; die Unterrichtspflicht erstarke nur dann zur Schulbesuchspflicht, wenn anders die gebotene Unterrichtung nicht geleistet werden könne. Weil die Kläger Ziff. 3 und 4 die nötige Unterrichtung und Erziehung jedoch daheim in ausreichendem Maße erführen, fehle der Schulbesuchspflicht die nötige Legitimation. Jedenfalls aber bestehe der Klaganspruch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung. Der Beklagte habe in mehreren vergleichbaren Fällen Heimunterrichtung durch Eltern gestattet.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11.07.2001 - 2 K 2467/00 - zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Staatlichen Schulamtes Offenburg vom 28.08.2000 und des Widerspruchsbescheides des Oberschulamtes Freiburg vom 30.10.2000 zu verpflichten, den Klägern Ziff. 3 und 4 die Erfüllung der Schulpflicht durch Inanspruchnahme einer häuslichen Unterrichtung durch die Kläger Ziff. 1 und 2 mit Hilfe der "Philadelphia-Schule" Siegen - hilfsweise: durch Inanspruchnahme von Fernunterricht der "Deutschen Fernschule e.V." Wetzlar, weiter hilfsweise: in Abstimmung mit einer vom beklagten Land zu benennenden öffentlichen oder staatlich anerkannten Schule, bei der die Kläger Ziff. 3 und 4 angemeldet und von der sie regelmäßig geprüft werden, obwohl der eigentliche Unterricht von den Klägern Ziff. 1 und 2 durchgeführt wird - zu gestatten.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Es verteidigt seine Bescheide und das angefochtene Urteil.

Der Senat hat über die Berufungen mündlich verhandelt; auf die Niederschrift vom 18.06.2002 wird Bezug genommen. Ihm liegen die zur Sache gehörenden Akten des Ordnungsamts der Stadt Lahr (3 Hefte), des Oberschulamtes Freiburg und des Verwaltungsgerichts Freiburg (2 K 574/00, 2 K 2467/00) vor; auf diese sowie auf die Berufungsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kläger begehren die Befreiung von der Pflicht zum Besuch einer Grundschule. Hierauf beschränkt sich der Streitgegenstand. Die Frage, ob sie Befreiung von der Pflicht zum Besuch einer auf dieser aufbauenden Schule - der Hauptschule, der Realschule oder des Gymnasiums - verlangen können, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Berufungen bleiben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Recht abgewiesen. Zwar sind sowohl die Kinder (Kläger Ziff. 3 und 4) als auch die Eltern (Kläger Ziff. 1 und 2) aus jeweils eigenem Recht klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO); denn die Kinder begehren Befreiung von der Schulpflicht (§ 72 SchG) und die Eltern Befreiung von der sie persönlich treffenden Pflicht, für die Erfüllung der Schulpflicht durch ihre Kinder Sorge zu tragen (§ 85 Abs. 1 SchG). Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Die Kläger Ziff. 3 und 4 unterliegen der Schulpflicht (I.). Die Voraussetzungen für die Gestattung von Heimunterricht liegen nicht vor (II.). Durch diese Gesetzeslage werden Grundrechte der Kläger nicht verletzt (III.).

I.

Die Kläger Ziff. 3 und 4 unterliegen der Schulpflicht. Das ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 der Verfassung für das Land Baden-Württemberg - LV - vom 11.11.1953 (GBl. S. 173, m.sp.Änd.) und aus § 72 Abs. 1 Satz 1 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg - SchG - i.d.F. vom 01.08.1983 (GBl. S. 397, m.sp.Änd.). Diese Schulpflicht gilt innerhalb des durch die §§ 73 ff. SchG gezogenen zeitlichen Rahmens ausnahmslos. Sie ist in diesem Sinne, wie Art. 14 Abs. 1 LV ausdrücklich hervorhebt, "allgemein".

Die Schulpflicht muss durch den Besuch einer Schule erfüllt werden; Heimunterricht genügt nicht. Das ergibt sich schon aus dem Begriff der "Schul"-Pflicht. Schule in diesem Sinne ist eine organisierte, auf Dauer angelegte Einrichtung, in der eine im Laufe der Zeit wechselnde Mehrzahl von Schülern zur Erreichung allgemein festgelegter Erziehungs- und Bildungsziele planmäßig durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte gemeinsam unterrichtet wird (vgl. Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Aufl. 2000, Tz. 1.21; Oppermann, in Isensee/Kirchhof <Hrsg.>, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 1989, § 135, Rdnr. 2). Die Unterrichtung der eigenen Kinder durch die Eltern im familiären Umkreis kann daher niemals Schule sein, und zwar auch dann nicht, wenn die Kinder zahlreich und die Eltern selbst ausgebildete Lehrer sind; es fehlt an der organisatorischen Verselbständigung und Verstetigung und an der gemeinsamen Unterrichtung eines im Laufe der Zeit wechselnden Schülerbestandes. Aus demselben Grunde genügt auch die Unterrichtung durch einen Hauslehrer nicht. Schule tritt schon begrifflich der Familie gegenüber.

Das zeigt auch die Geschichte. Vor 1919 hatte in den meisten deutschen Ländern eine bloße Unterrichtspflicht bestanden, der die Eltern entweder durch Heimunterricht oder dadurch genügen konnten, dass sie ihre Kinder in die Schule schickten. Von der Möglichkeit des Heimunterrichts - vor allem durch Hauslehrer - machten vornehmlich begüterte Eltern Gebrauch. Die damit verbundene soziale Absonderung materiell besser gestellter Bevölkerungsschichten wollte die Deutsche Nationalversammlung 1919/1920 beenden. An die Stelle der bloßen Unterrichtspflicht trat die "allgemeine" Schulpflicht (vgl. Art. 145 Satz 1 Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.08.1919, RGBl. I S. 1383); Heimunterricht wurde nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen (§ 4 des Gesetzes betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen - Reichsgrundschulgesetz - vom 28.04.1920, RGBl. I S. 851; dazu noch unten II.). Das hat die Verfassung des Landes Baden-Württemberg übernommen (Art. 14 Abs. 1 LV); es liegt - unausgesprochen - auch dem Grundgesetz zugrunde (Art. 7 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG <Kammer>, Beschluss vom 05.09.1986 - 1 BvR 794/86 -, NJW 1987, 180; Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, Tz. 25.1 m.w.N.).

Aus § 76 Abs. 1 Satz 1 SchG ergibt sich nichts anderes. Allerdings ist der Wortlaut dieser Vorschrift missverständlich. Nach ihr sind zum Besuch der in § 72 Abs. 2 Nr. 1 SchG bezeichneten Schulen - also der Grundschule und einer auf ihr aufbauenden Schule - alle Kinder und Jugendlichen verpflichtet, soweit nicht für ihre Erziehung und Unterrichtung in anderer Weise ausreichend gesorgt ist. Der Soweit-Satz enthält jedoch keine gesetzliche Einschränkung der Schulpflicht als solcher; namentlich lässt er die Schulpflicht nicht dann zurücktreten, wenn für die Erziehung und Unterrichtung des Kindes durch Heimunterricht gesorgt ist. Ein solches Verständnis der Vorschrift wäre mit dem Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht unvereinbar. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt, dass sie so auch nicht gemeint war. Der Satz findet sich bereits in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes zur Vereinheitlichung und Ordnung des Schulwesens - SchVOG - vom 05.05.1964 (GBl. S. 235), dort als § 45 Abs. 1 Satz 1. Der Landesgesetzgeber von 1964 hat die Vorschrift seinerseits unverändert aus dem Reichsschulpflichtgesetz - RSchPflG - vom 06.07.1938 (RGBl. I S. 799) übernehmen wollen. § 5 Abs. 1 RSchPflG bestimmte jedoch, dass zum Besuch der Volksschule alle Kinder verpflichtet seien, soweit nicht für ihre Erziehung und Unterrichtung in anderer Weise ausreichend gesorgt ist. Die Volksschule umfasste damals acht Jahre; an ihrer Stelle durfte ab der fünften Klasse auch eine mittlere oder höhere Schule - also eine Realschule oder ein Gymnasium - besucht werden, weil dort für die Erziehung und Unterrichtung des Kindes ausreichend gesorgt war. Ebenfalls war eine Erfüllung der Schulpflicht durch den Besuch einer öffentlichen Bekenntnisschule an Stelle der Volksschule möglich (vgl. Art. 146 Abs. 2 WRV). Indem der Landesgesetzgeber von 1964 den Satz, statt auf die Volksschule, auf die in § 72 Abs. 2 Nr. 1 SchG (§ 41 Abs. 2 Buchstabe a SchVOG) bezeichneten Schulen bezog, hat er den Soweit-Satz seines ursprünglichen Sinnes entkleidet. Ob ihm ein neuer Sinn beigelegt werden kann, etwa indem der Bezug zum Besuch einer privaten Ersatzschule hergestellt wird (vgl. § 4 Abs. 2 des Privatschulgesetzes i.d.F. vom 01.01.1990, GBl. S. 105, m.sp.Änd.), bedarf keiner Entscheidung. Keinesfalls kann die Vorschrift dahin interpretiert werden, dass die allgemeine Pflicht zum Besuch einer (öffentlichen oder privaten) Schule schon von Gesetzes wegen eingeschränkt wäre.

II.

Die Kläger haben - jedenfalls während ihrer Grundschulzeit - keinen Anspruch auf Befreiung von der Schulpflicht oder auf die Gestattung anderweitigen Unterrichts.

1. Eine Möglichkeit zur - ersatzlosen - Befreiung von der Schulpflicht besteht lediglich für ausländische Jugendliche, die mindestens vierzehn Jahre alt sind, in besonderen Härtefällen (§ 72 Abs. 1 Satz 2 SchG). Hierauf können die Kläger sich von vornherein nicht berufen: Die Kläger Ziff. 3 und 4 sind - ungeachtet ihrer Schweizer Staatsbürgerschaft - keine ausländischen Jugendlichen, da sie zugleich deutsche Staatsangehörige sind, und sie sind noch nicht vierzehn Jahre alt.

§ 72 Abs. 4 SchG erlaubt nicht die Befreiung von der Schulpflicht unter Ersetzung durch Heimunterricht. Nach dieser Vorschrift ist die Schulpflicht grundsätzlich durch den Besuch einer deutschen Schule zu erfüllen; ausnahmsweise kann der Besuch einer ausländischen Schule - etwa einer Schule der ausländischen Streitkräfte in Deutschland - gestattet werden. Stets aber geht es um den Besuch einer Schule, nicht um die Gestattung von Heimunterricht an Stelle des Schulunterrichts.

Völkerrechtliche Abkommen oder zwischenstaatliche Vereinbarungen, aus denen die Kläger für sich etwas herleiten könnten (vgl. § 72 Abs. 6 SchG), sind nicht ersichtlich. Auch Europarecht steht der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland nicht entgegen, zumal ein europarechtsrelevanter Fall nicht vorliegt.

2. Die Kläger können sich auch nicht auf § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG berufen.

a) Nach dieser Vorschrift kann anstelle des Besuchs der Grundschule anderweitiger Unterricht nur ausnahmsweise in besonderen Fällen von der Schulaufsichtsbehörde gestattet werden.

Die Vorschrift stellt die einzige Rechtsgrundlage für die Schulbehörden dar, von der allgemeinen Schulpflicht zu dem Zwecke zu dispensieren, dass Heimunterricht oder sonstiger Unterricht außerhalb einer Schule an die Stelle des Schulunterrichts tritt. Das macht ihre Herkunft zusätzlich deutlich: Sie geht über § 45 Abs. 1 Satz 2 SchVOG 1964 und § 5 Abs. 2 RSchPflG 1938 zurück auf § 4 des Reichsgrundschulgesetzes vom 28.04.1920 (RGBl. I S. 851), wonach "Privatunterricht für einzelne Kinder oder gemeinsamer Privatunterricht für Kinder mehrerer Familien, die sich zu diesem Zwecke zusammenschließen, ... an Stelle des Besuchs der Grundschule nur ausnahmsweise in besonderen Fällen zugelassen werden (darf)". Ihrem Wortlaut nach gilt die Vorschrift nur für die Pflicht zum Besuch der Grundschule, nicht auch für diejenige zum Besuch einer auf ihr aufbauenden Schule (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 1 SchG). Es bedarf keiner Entscheidung, ob auch insoweit eine entsprechende Gestattungsmöglichkeit anzunehmen ist und ob für diese dieselben oder aber weniger strenge Anforderungen zu stellen sind.

Jedenfalls vom Besuch der Grundschule kann nicht in beliebigen Sonderfällen dispensiert werden. Die Besonderheit des Falles muss darin bestehen, dass der Besuch einer Schule gerade als solcher - als einer besonderen Organisation zur gemeinschaftlichen Unterrichtung eines wechselnden Schülerbestandes - im konkreten Einzelfall unmöglich oder nicht mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen ist. Das Gesetz will jedenfalls in der Primarstufe die Pflicht zum Besuch der Schule möglichst ausnahmslos durchführen und Heimunterricht daher nur in zwingenden Ausnahmefällen zulassen. Dies zeigt bereits die doppelte Hervorhebung der Ausnahmelage ("ausnahmsweise" - "in besonderen Fällen"); schon der Gesetzgeber des Reichsgrundschulgesetzes 1920 hat mit dieser Doppelung ausdrücklich die Absicht einer engen Begrenzung der möglichen Ausnahmegestattungen verbunden (Deutsche Nationalversammlung, Band 332, S. 5200, 5205, 5220 ff., 5441, 5443). Es folgt vor allem aus der überragenden Bedeutung, welche sowohl der Verfassungs- und Gesetzgeber von 1919/1920 als auch der Bundes- und der baden-württembergische Landesverfassungs- und Gesetzgeber nach 1945 der Grundschule beigemessen haben. Gerade die Grundschule sollte für alle gemeinsame Volksschule sein (Art. 146 Abs. 1 Satz 2 WRV 1919). Jedenfalls während der ersten vier Klassen sollten die Kinder sämtlicher Volksschichten, sämtlicher sozialer Klassen und sämtlicher religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse zusammengeführt und gemeinsam unterrichtet werden (vgl. Art. 146 Abs. 1 Satz 3 WRV), um die verschiedenen sozialen Bevölkerungsgruppen unter eine gemeinsame Bildungsidee zu bringen und gleiche Bildungschancen für alle Kinder herzustellen. Damit zählt die für alle gemeinsame Grundschule zu den Grundlagen der Demokratie. Das hat das Grundgesetz aufgegriffen. Zwar wurden die Schulartikel der Weimarer Reichsverfassung nicht ausdrücklich ins Grundgesetz übernommen. Damit wollte der Verfassunggeber jedoch nicht etwa dem Schulwesen eine ganz neue Richtung geben. Dass auch das Grundgesetz von der für alle gemeinsamen öffentlichen Grundschule ausgeht, zeigen das in Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG für das Privatschulwesen besonders hervorgehobene Bestreben des Verfassunggebers, eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen zu vermeiden, die Bevorzugung der öffentlichen Volksschule vor der privaten Volksschule in Art. 7 Abs. 5 GG und die Bestimmung in Art. 7 Abs. 6 GG, dass Vorschulen aufgehoben bleiben. Auch für das Grundgesetz ausschlaggebend ist unverändert der sozialstaatliche und egalitär-demokratische Gehalt der Idee einer allgemeinen Volksschule gerade im Grundschulalter der Kinder (vgl. BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE 34, 165 <186>; Beschluss vom 16.12.1992 - 1 BvR 167/87 -, BVerfGE 88, 40 <49 f.>). Diese Idee liegt auch der Landesverfassung (Art. 11 Abs. 1 und 2, Art. 15 LV) und dem Schulgesetz (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SchG) von Baden-Württemberg zugrunde.

Welche Gründen dem Besuch einer Schule entgegenstehen müssen, um die Annahme eines Ausnahmefalles zu rechtfertigen, legt § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG nicht fest. In Betracht kommen namentlich objektive Hinderungsgründe in der Person des Schülers wie eine länger dauernde oder eine ansteckende Krankheit. Ob auch subjektive Gründe denkbar sind, bedarf keiner abschließenden Erörterung. Jedenfalls müssten sie ebenfalls dazu führen, dass der Besuch einer Schule überhaupt unmöglich oder nicht mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen ist. § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG erlaubt damit keine Ausnahme, wenn die öffentlichen (und die privaten) Schulen, so wie sie ausgestaltet sind und bestehen, lediglich wegen ihrer Unterrichtsinhalte und Erziehungsziele abgelehnt werden, und zwar auch dann nicht, wenn dies aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen geschieht (ebenso für Nordrhein-Westfalen: OVG NRW, Urt. vom 25.07.1975 - V A 1306/73 -, NJW 1976, 341; für Bayern: Bayer. VGH, Beschluss vom 16.03.1992 - 7 CS 92.512 -, NVwZ 1992, 1224). Es ist zwar richtig, dass in der Deutschen Nationalversammlung bei Erlass des Reichsgrundschulgesetzes die Gestattung von Heimunterricht aus Gewissensgründen für möglich gehalten worden ist (Abg. Mumm <DNVP> und Zöphel <DDP>, Deutsche Nationalversammlung, 165. Sitzung, Band 332, S. 5241 ff.). Doch ist dies auf dem historischen Hintergrund des Frühjahres 1920 zu sehen, als noch nicht absehbar war, ob in den öffentlichen Schulen der jungen Republik die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schüler auch in der Praxis respektiert werden würde (vgl. die dahingehende Versicherung des Reichsinnenministers Koch, ebd. 5244). Diese Unklarheit besteht nicht mehr; die öffentliche Schule in Baden-Württemberg ist auf die Einhaltung religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet und hält sich in der Praxis auch daran (vgl. noch unten III. 1.). Damit fehlt der Anlass, dem Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg weiterhin einen derartigen Befreiungsgrund zu unterstellen. Ebensowenig gestattet § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG eine Befreiung von der Pflicht zum Besuch der Grundschule, wenn die Eltern ihr Kind vor den Einflüssen von Mitschülern bewahren wollen, die sie als schädlich erachten. Derartigen Gründen wurde schon in der Deutschen Nationalversammlung eine überaus deutliche Absage erteilt, und zwar auch von Abgeordneten des Zentrums, das dem § 4 Reichsgrundschulgesetz ansonsten eher reserviert gegenüber stand (Abg. Rheinländer <Zentrum> und Abg. Zöphel <DDP>, Deutsche Nationalversammlung, 163. Sitzung, Band 332, S. 5200 und 5220 f.).

Ist der Besuch einer Schule unmöglich oder nicht mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen, so hat die Schulaufsichtsbehörde sicherzustellen, dass das Kind jedenfalls eine ausreichende Erziehung und Unterrichtung erfährt. Für Kinder, die infolge einer längerfristigen Erkrankung die Schule nicht besuchen können, (sowie für Kinder, deren Pflicht zum Besuch einer Sonderschule gemäß § 82 Abs. 3 SchG ruht,) ergibt sich dies aus § 21 SchG; diesen Kindern soll Hausunterricht in angemessenem Umfang erteilt werden. Für andere Kinder folgt dies aus dem allgemeinen Grundsatz, dass auch im Ausnahmefall von der Regel nur so weit wie nötig abgewichen werden darf, und findet einen zusätzlichen Anhaltspunkt in dem Soweit-Satz in § 76 Abs. 1 Satz 1 SchG. Die Unmöglichkeit, eine (öffentliche oder private) Schule zu besuchen, wird regelmäßig dazu zwingen, Heim- oder sonstigen Privatunterricht zu gestatten; dem Verwaltungsgericht könnte nicht zugestimmt werden, sollte es auch in solchen Ausnahmefällen das Erfordernis einer Unterrichtung in einer organisierten Lerngemeinschaft aufrechterhalten wollen. Der Heimunterricht muss jedoch in jedem Falle nach den für die Grundschule allgemein festgelegten Zielen und Methoden sowie durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte erteilt werden. Die Unmöglichkeit, eine Schule zu besuchen, schließt nicht zwingend auch die Unmöglichkeit ein, sich qualifiziert unterrichten zu lassen. Andernfalls müsste jeglicher Unterricht, auch der Heimunterricht, unterbleiben; das mag in den Fällen des § 82 Abs. 3 SchG vorkommen, weshalb § 21 SchG auch lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist.

b) Die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG liegen hier nicht vor.

Es fehlt schon an einem Ausnahmefall. Den Klägern Ziff. 3 und 4 ist der Besuch einer Schule nicht unmöglich und erfordert auch keinen unvertretbaren Aufwand. Sie sind schulreif und schulfähig, und aufnahmebereite Grundschulen sind in erreichbarer Entfernung ihrer Wohnung vorhanden. Die Kläger behaupten denn auch keinen objektiven Hinderungsgrund. Sie sehen sich freilich wegen ihrer religiösen Überzeugung - subjektiv - gehindert, eine öffentliche Grundschule oder auch die nächstgelegene evangelische Privatschule zu besuchen. Damit haben sie jedoch einen Ausnahmefall im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG nicht dargetan. Wie gezeigt, erlaubt § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG eine Abweichung von der allgemeinen Schulpflicht jedenfalls im Grundschulbereich nur dann, wenn gerade der Besuch einer Schule als einer organisierten Form gemeinschaftlichen Lernens einer beliebigen und wechselnden Mehrzahl von Kindern im Einzelfall unmöglich ist, wenn mit anderen Worten dem jeweiligen Kind unmöglich ist, sich zum Zwecke der Erziehung und Unterrichtung "in Gemeinschaft zu begeben". Die Kläger haben nicht dargetan, dass ihnen dies aus Glaubens- oder Gewissensgründen unmöglich ist. Sie wenden sich nicht gegen das gemeinschaftliche Lernen außerhalb ihrer Familie als solches, sondern nur gegen die Inhalte und Methoden der öffentlichen Schule sowie gegen die Mitschülerpopulation, die sie dort und in der nächstgelegenen evangelischen Privatschule erwartet. Gegen den Besuch einer Schule, die ihren inhaltlichen, methodischen und sozialen Vorstellungen entspräche, haben sie nichts einzuwenden. Dann ist ihnen nicht der Besuch einer jeglichen Grundschule schlechthin unmöglich; vielmehr wenden sie sich nur gegen den Besuch bestimmter Grundschulen. Hierzu kann nach § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG kein Dispens erteilt werden.

Im übrigen könnte anderweitiger Unterricht nach § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG nicht in der von den Klägern vorgestellten Form gestattet werden. Wie gezeigt, muss der Heimunterricht in jedem Falle nach den für die Grundschule allgemein festgelegten Zielen und Methoden sowie durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte erteilt werden. Jedenfalls zu letzterem sind die Kläger nicht bereit. Sie wollen die unmittelbare persönliche Unterrichtung der Kinder den eigenen Eltern vorbehalten. Diese sind weder ausgebildeten Lehrkräfte noch bereit, sich auf die bloße Rolle von Hilfslehrern zurückzunehmen, also sich auf die Ergänzung des Unterrichts durch ausgebildete Lehrkräfte zu beschränken und sich hierbei deren individueller Anleitung und Beaufsichtigung unterzuordnen. Eine solche Bereitschaft kann weder in der Teilnahme am Fernunterrichtsprogramm der "Deutschen Fernschule e.V." noch in der regelmäßigen Leistungsstandkontrolle seitens einer vom Beklagten zu benennenden öffentlichen oder privaten Grundschule zu sehen sein; in beiden Fällen wollen die Kläger Ziff. 1 und 2 die eigene unmittelbare Unterrichtung ihrer Kinder weder aus der Hand geben noch methodisch oder inhaltlich durch andere bestimmen lassen. Auch aus diesem Grunde scheidet eine Gestattung des beabsichtigten Heimunterrichts aus.

Unerheblich ist, ob sich mit Heimunterricht im allgemeinen oder doch mit dem von den Klägern vorgestellten (und praktizierten) Heimunterricht gleiche oder gar bessere Lernerfolge erzielen lassen wie in der öffentlichen Schule. Ebenso unerheblich ist, ob dieser Lernerfolg abhängig ist von der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Eltern. Wie gezeigt, beabsichtigt das Gesetz mit seiner Entscheidung für die möglichst ausnahmslose allgemeine Schulpflicht nicht lediglich einen möglichst guten individuellen Lernerfolg. Vielmehr kommt es ihm gleichermaßen darauf an, in den vier Grundschuljahrgängen möglichst alle Kinder zusammenzuführen und gemeinsam zu unterrichten, um die verschiedenen sozialen Bevölkerungsgruppen unter eine gemeinsame Bildungsidee zu bringen und gleiche Bildungschancen für alle Kinder herzustellen. Daher brauchte der Senat eine Beweiserhebung, wie sie die Kläger im Schriftsatz vom 17.06.2002 nochmals angeregt haben, nicht durchzuführen.

III.

Grundrechte der Kläger werden nicht verletzt.

1. Die allgemeine Schulpflicht ist mit dem Elternrecht der Kläger Ziff. 1 und 2 vereinbar. Zwar gewährleistet Art. 6 Abs. 2 GG den Klägern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder, also auch in weltanschaulich-religiöser Hinsicht. Jedoch enthält diese Vorschrift keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. In der Schule übt der Staat einen eigenen Erziehungsauftrag aus. Dieser staatliche Erziehungsauftrag in der Schule ist eigenständig begründet und tritt gleichrangig neben das Erziehungsrecht der Eltern (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE 34, 165 <183>; Beschlüsse vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 -, BVerfGE 41, 29 <44>; vom 21.12.1977 - 1 BvR 147/75, 1 BvL 1/75 -, BVerfGE 47, 46 <71 f.>; vom 16.10.1979 - 1 BvR 647/70, 1 BvR 7/74 -, BVerfGE 52, 223 <236>; vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1 <21>). Das staatliche Schulgestaltungsrecht steht damit nicht unter dem Vorbehalt, dass das ausgestaltete Schulwesen den elterlichen Erziehungsvorstellungen im Einzelfall nicht widerspricht. Eltern können deshalb keine Befreiung von der Schulpflicht ihrer Kinder verlangen, weil sie mit den schulischen Bildungs- und Erziehungszielen, den einzelnen Unterrichtsinhalten oder -methoden nicht einverstanden sind. Das gilt auch dann, wenn die eigenen Erziehungsvorstellungen der Eltern religiös oder weltanschaulich motiviert sind.

Die Schulpflicht ist damit von Verfassungs wegen unausweichlich. Das ist den Eltern grundsätzlich zumutbar. Zum einen erfasst die Schulpflicht die Kinder nicht während des gesamten Tages, sondern lässt - gerade im Grundschulalter - am Nachmittag und Abend sowie an den Wochenenden genügend freie Zeit für die eigene familiäre Kindererziehung. Zum anderen stehen den Eltern politische und administrative Wege offen, um auf die inhaltliche und pädagogische Gestaltung der Schule Einfluss zu nehmen. Schließlich können die Eltern den öffentlichen Schulen ausweichen, indem sie ihre Kinder auf eine private Ersatzschule schicken (§ 4 Abs. 2 PSchG). Ihnen ist auch unbenommen, hierzu gegebenenfalls eine Privatschule zu gründen, die ihren religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen entspricht; die Gründung gerade von Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen ist von Verfassungs wegen geschützt und auch im Grundschulbereich privilegiert (Art. 7 Abs. 5 GG). Damit ist den Klägern nicht verwehrt, im Rahmen einer Privatschule das inhaltliche Konzept der "Philadelphia-Schule" zu verfolgen. Verwehrt ist ihnen lediglich deren organisatorisches Konzept, das nämlich auf eine Schule als Ort gemeinsamen Lernens unter planmäßiger Anleitung durch hierzu ausgebildete Lehrer verzichten und durch elterlichen Heimunterricht ersetzen will. Das aber ist zumutbar (zum Konzept der "Philadelphia-Schule" im Ergebnis ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 16.03.1992 - 7 CS 92.512 -, NVwZ 1992, 1224).

Die Kläger Ziff. 1 und 2 können sich auch nicht auf ihr Elternrecht berufen, um ihre Kinder aus der Schule als solcher fernzuhalten, weil sie sie dort den - für schädlich erachteten - Einflüssen seitens der Mitschüler ausgesetzt sehen. Schule ist Gesellschaft; in ihr begegnen sich alle Teile der Gesellschaft, wie diese eben ist. Es ist gerade die Absicht der allgemeinen Schulpflicht, die Kinder ab einem Alter, in dem es ihnen zuzutrauen ist, in diese Gesellschaft einzufügen, damit sie andere - und andere sie - kennen- und mit ihnen umgehen lernen. Das geschieht gerade auch um des Kindeswohls willen; es liegt im wohlverstandenen Interesse des Kindes selbst, in die Gesellschaft hineinzuwachsen. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann mithin kein Recht der Eltern darauf entnommen werden, ihre Kinder von der Gesellschaft abzusondern und ihnen dieses Hineinwachsen vorzuenthalten. Die Eltern können lediglich verlangen, dass der Staat die Einübung sozialer Verhaltensweisen in der Schule nicht sich selbst überlässt, sondern beaufsichtigt und im Sinne eines zivilisierten Umgangs miteinander kindes- und altersgerecht anleitet und steuert. Erst recht können sie verlangen, dass die Schule ihre Kinder vor Gefährdungen seitens ihrer Mitschüler wirksam in Schutz nimmt. Dass der Beklagte dem nicht Rechnung trüge, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. schon Senat, Urt. vom 08.02.1983 - 9 S 1892/82 -, Holfelder/Bosse, Schulrecht Baden-Württemberg, Rechtsprechung, § 72 Abs. 1 SchG E 3; sowie BVerwG, Beschluss vom 09.04.1975 - VII B 68.74 -, Buchholz 421 Nr. 42).

2. Auch die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind nicht verletzt. Dabei legt der Senat die Bekundungen der Kläger Ziff. 1 und 2 zugrunde und unterstellt, dass die Kläger Ziff. 3 und 4 - trotz ihres noch kindlichen Alters - inhaltsgleiche Glaubensüberzeugungen bereits eigenständig entwickelt haben.

a) Art. 4 GG - insofern in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG - schließt das Recht der Eltern ein, ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln. Daraus entspringt zwar kein Anspruch gegenüber dem Staat, dass die Kinder in der Schule in der gewünschten weltanschaulichen Form erzogen werden; dieses Recht kann aber durch die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten, ihre Kinder einem ihrer Überzeugung widersprechenden weltanschaulich-religiösen Einfluss aussetzen zu müssen, beeinträchtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 -, BVerfGE 41, 29 <47 f.>).

Die Kläger Ziff. 1 und 2 haben jedoch nicht dargetan, dass ihre Kinder in der Schule einem ihrer Überzeugung widersprechenden religiösen Einfluss ausgesetzt seien. Die öffentliche Schule - auch die christliche Gemeinschaftsschule im Sinne von Art. 16 LV - ist auf den Grundsatz religiöser Neutralität und Toleranz verpflichtet. Ungeachtet einer allgemeinen christlich-abendländischen Prägung hat sie sich jeglicher Missionierung und Indoktrination zu enthalten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.12.1975, BVerfGE 41, 29 <S. 48 ff., 57 ff.>; und vom 16.05.1995, BVerfGE 93, 1 <21 ff.>; BVerwG, Urteile vom 17.06.1998 - 6 C 11.97 -, BVerwGE 107, 75 <80 ff.>; und vom 21.04.1999 - 6 C 18.98 -, BVerwGE 109, 40 <46 f.>). So beklagen die Kläger Ziff. 1 und 2 denn auch weniger eine religiöse Ausrichtung der öffentlichen Schule als vielmehr umgekehrt gerade deren Fehlen.

Allerdings meinen sie, der gesamte Schulunterricht vermittle ein menschzentriertes Weltbild, beschränke sich auf eine diesseitige Immanenz und leugne damit jeden göttlichen Einfluss auf die Schöpfung und auf das Weltgeschehen; Gott werde in eine bloß spirituelle Transzendenz verdrängt. Auch damit ist indes ein Eingriff in die Freiheit des Glaubens nicht dargetan. Richtig ist, dass der Schulunterricht wissenschaftlich fundiert ist; er beschränkt sich auf die Vermittlung gesicherten Wissens. Wissenschaft beschränkt sich in der Neuzeit tatsächlich auf die Erkenntnis weltimmanenter Gesetzlichkeiten. Damit wird jedoch keine religiöse Aussage verbunden. Gerade wissenschaftlich fundierter Unterricht verzichtet auf eine (zusätzliche) religiöse Welterklärung. Zu entscheiden, welche Rolle dem Wirken Gottes in dieser Welt zukommt, bleibt jedem selbst überlassen. Auch die Frage, wie sich Wissen und Glauben zueinander verhalten, ob es Glaubensinhalte geben kann, die im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aus der Glaubensfreiheit folgt nicht der Anspruch eines Schülers, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht lernen zu müssen, die mit seinen Glaubensüberzeugungen in Widerspruch stehen. Art. 4 Abs. 1 GG gibt kein Recht dazu, sich der Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Glauben nicht stellen zu müssen.

b) Die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umschließt des weiteren die Freiheit zur Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet. Dem entspricht umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit bezieht sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Der Staat darf auch in der Schule mithin nicht zur Vornahme kultischer Handlungen oder zur zustimmenden Verwendung von Symbolen eines nicht geteilten Glaubens zwingen. Damit übereinstimmend verbietet Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV ausdrücklich, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995, BVerfGE 93, 1 <15 f.>).

Die Kläger sehen sich in dieser Freiheit durch den behaupteten Zwang berührt, im Schulunterricht Mandalas ausmalen und "Phantasie-Reisen" unternehmen zu müssen, worin sie okkulte oder magische Praktiken erblicken. Auch damit dringen sie nicht durch. Weder das Mandala-Malen noch die "Phantasie-Reisen" stellen religiöse Übungen dar. Es werden auch keine Symbole einer von den Klägern abgelehnten Religion oder Weltanschauung zustimmend verwendet. Nach den plausiblen Bekundungen des Beklagten handelt es sich um Konzentrationsübungen, denen weder vom Lehrer noch von den (anderen) Schülern irgendein religiöser oder weltanschaulicher Aussagegehalt beigelegt wird. Dasselbe gilt für die Beschäftigung mit Märchen oder die Verwendung von Märchenfiguren (Riesen, Zwergen, Zauberern und Hexen) in Schulbüchern. Diese Figuren sind Kindern regelmäßig aus der Kinder- und Märchenliteratur bekannt und damit Teil ihrer poetisch-literarischen Erfahrungswelt; sie werden im Unterricht auch nur als poetische, keinesfalls als reale Figuren vorgestellt. Damit wird zweifelsfrei kein Aberglaube amtlich verbreitet. Im Gegenteil wird jeder Lehrer einem bei dem einen oder anderen Schüler etwa vorhandenen Aberglauben entgegenwirken, indem er auf den Unterschied zwischen Realität und literarischer Fiktion hinweist.

c) Schließlich entnimmt die Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insgesamt das Recht darauf, seinem Glauben entsprechend zu leben, also nicht zu einer Lebensführung gezwungen zu werden, die mit den eigenen Glaubensgeboten in Widerspruch steht (BVerfG, Beschlüsse vom 19.10.1971 - 1 BvR 387/65 -, BVerfGE 32, 98 <106>; und vom 16.05.1995, BVerfGE 93, 1 <15>). Auch hierin werden die Kläger durch die allgemeine Schulpflicht nicht berührt:

Die Kläger unterlegen dem bereits angesprochenen Mandala-Malen und dem phantasierenden "Imaginieren" für sich selbst einen religiösen Charakter und sehen darin Handlungen, die ihnen selbst aus Glaubensgründen verboten seien. Ob dieses Glaubensverbot zwingend ist - oder aber eher peripheren Charakter hat -, mag dahinstehen. Eine relevante Pflichtenkollision könnte allenfalls zu dem Anspruch der Kläger Ziff. 3 und 4 führen, sich an derartigen Konzentrationsübungen im Schulunterricht nicht beteiligen zu müssen, oder - bei Unzumutbarkeit einer solchen Sonderstellung - dazu, dass derartige Konzentrationsübungen in ihren Klassen zu unterbleiben haben (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.08.1993 - 6 C 8.91 -, BVerwGE 94, 82). Keinesfalls könnte hieraus ein Anspruch auf Befreiung von der Schulpflicht selbst hergeleitet werden.

Die Kläger Ziff. 1 und 2 führen schließlich das religiöse Gebot an, ihre Kinder vor Schaden zu bewahren. Die allgemeine Schulpflicht beeinträchtigt die Möglichkeit der Kläger Ziff. 1 und 2, nach diesem Gebot zu leben, jedoch nicht. Ihnen ist unbenommen, ihren Kindern ihr eigenes religiöses Weltbild zu vermitteln und sie so gegenüber für negativ erachteten weltanschaulichen Einflüssen zu festigen, denen sie in der Schule begegnen mögen (vgl. oben 1.). Ebenso ist ihnen unbenommen, das Ihre dazu zu tun, um ihre Kinder vor den Gefahren in Schutz zu nehmen, die diesen von einigen Mitschülern (ebenso wie im außerschulischen Leben) drohen mögen. Das Schulrecht gibt Eltern im übrigen genügend Möglichkeiten zur Mitwirkung in der Schule, um so das gemeinsame Leben und Lernen der Kinder in ihrem Sinne zu beeinflussen.

3. Auch der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt.

Die Kläger bemängeln zum einen, dass eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht und die Gestattung von Heimunterricht etwa wegen der Berufstätigkeit der Eltern (namentlich bei Schaustellern oder Binnenschiffern) zugelassen werde, nicht jedoch mit Rücksicht auf die religiöse oder weltanschauliche Überzeugung des Schülers oder seiner Eltern. Damit ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nicht dargetan. Ob von der Schulpflicht dispensiert und Heimunterricht gestattet werden dürfte, weil die Eltern des Schülers berufsbedingt keinen festen Wohnsitz haben, mag dahinstehen; der Beklagte hat vorgetragen, dass in derartigen Fällen in der Praxis von der Schulpflicht keineswegs befreit wird, sondern dass lediglich die Art und Weise des Schulbesuchs der Kinder im Einzelfall an den berufsbedingten Ortswechsel der Eltern angepasst wird. Eine Befreiung könnte in solchen Fällen nur dann erfolgen, wenn die Berufstätigkeit der Eltern den Schulbesuch des Kindes tatsächlich praktisch unmöglich macht; insofern gilt nichts anderes, als wenn der Schulbesuch des Kindes aus Gewissensgründen unmöglich ist. Dass die Berufstätigkeit der Eltern durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt ist, ist hierfür gleichgültig, so dass es auf einen normativ-wertenden Vergleich zwischen der Berufsfreiheit und der Religions- oder Gewissensfreiheit nicht ankommt.

Zum anderen rügen die Kläger, der Beklagte behandele sie strenger als andere Familien, die sich aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gegen die allgemeine Schulpflicht gewandt hätten und nunmehr unbeanstandet Heimunterricht erteilten. Sie haben jedoch keinen Fall namhaft gemacht, der ihrem eigenen gleich gelagert wäre und in dem der Beklagte gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 SchG Befreiung von der Schulpflicht erteilt hätte. Die angeführten Fälle liegen, soweit Näheres vorgetragen wurde, anders. Vor allem aber hat die jeweils zuständige Behörde - soweit ersichtlich - die Nichterfüllung der allgemeinen Schulpflicht in diesen Fällen lediglich geduldet. Daraus können die Kläger für sich nichts herleiten. Geduldetes Verhalten bleibt rechtswidrig; aus der Duldung erwächst kein Anspruch auf Legalisierung. Im übrigen kann die Behörde vielerlei Gründe haben, ein rechtswidriges Verhalten gleichwohl zu dulden. Zwar ist sie grundsätzlich verpflichtet, auf die Herstellung rechtmäßiger Zustände hinzuwirken. Jedoch muss sie dabei auch das Wohl des jeweiligen Kindes beachten. Das kann - je nach Einzelfall - zu einer Hinnahme des rechtswidrigen Zustandes, aber auch dazu führen, dass das Recht mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht; namentlich wirft die Rechtssache klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung von Bundesrecht nicht auf (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Beschluss

vom 18. Juni 2002

Der Streitwert wird - unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Juli 2001 - für beide Instanzen auf jeweils 8.000 Euro (2mal 4.000 Euro) festgesetzt (§ 25 Abs. 2, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, § 5 ZPO entspr.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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