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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 29.09.2003
Aktenzeichen: 1 B 03.30247
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6 Satz 1
Der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist ein Individualrecht, das nur mit Umständen begründet werden kann, die den Ausländer selbst betreffen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

1 B 03.30247

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anerkennung als Asylberechtigte;

hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Waltinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Vonnahme,

ohne mündliche Verhandlung am 29. September 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2003 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die im Jahre 1971 geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige. Sie gibt an, am 25. Januar 2002 auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein. Mit Bescheid vom 19. Februar 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag der Klägerin als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht gegeben sind und dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Nigeria an.

Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 13. Januar 2003, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der Klägerin sei wegen ihrer am 11. Oktober 2002 in Deutschland geborenen Tochter Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren. Zwar sei die Tochter nicht Partei des Verfahrens. Die Klägerin und ihre Tochter seien im Hinblick auf die Gewährung von Abschiebungsschutz aber als Einheit anzusehen. Anderenfalls wäre die Klägerin genötigt, für ihre Tochter einen Asylantrag zu stellen, der letztendlich zum gleichen Ergebnis führen müsste. Angesichts der schwierigen Verhältnisse, denen allein stehende Frauen in Nigeria ausgesetzt seien, erscheine es zur Vermeidung einer "verfassungswidrigen Schutzlücke" gerechtfertigt, der Klägerin - und damit auch ihrer Tochter - Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren. Es lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass die Tochter als hilfloses kleines Kind schwersten, insbesondere gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt würde, wenn sie mit ihrer Mutter nach Nigeria zurückkehren müsste.

Zur Begründung der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage des Abschiebungsschutzes zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, § 53 Abs. 6 AuslG betreffe ein höchstpersönliches Recht. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene ganzheitliche Betrachtung laufe dem Schutzzweck des Ausländer- bzw. Asylrechts zuwider. Eine "Schutzlücke" liege nicht vor, da es der Klägerin unbenommen sei, auch für ihre Tochter einen Asylantrag und einen Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und die übrigen Beteiligten haben sich zur Sache nicht geäußert. Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage in vollem Umfang abweisen müssen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, weil ihr selbst bei einer Abschiebung nach Nigeria keine Gefahren drohen und sie wegen der Gefahren, denen ihr Kind möglicherweise ausgesetzt wäre, keinen Abschiebungsschutz beanspruchen kann.

Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG hat das Bundesamt in Entscheidungen über Asylanträge auch festzustellen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit besteht. Gefahren, die nicht nur dem Einzelnen, sondern einer Bevölkerungsgruppe oder der gesamten Bevölkerung drohen, werden allerdings bei der Entscheidung über das Aussetzen von Abschiebungen berücksichtigt (§ 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG). Nur wenn solche allgemeinen Gefahren den Grad einer "extremen Gefahrensituation" erreichen, ist dem Ausländer in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG trotz der "Sperrwirkung" von Satz 2 Abschiebungsschutz nach Satz 1 der Vorschrift zu gewähren (BVerwG vom 17.10.1995 BVerwGE 99, 324/328; vom 12.7.2001 BVerwGE 115, 1).

Die zur Gruppe der allein stehenden Frauen gehörende Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, denn es ist nicht zu befürchten, dass sie persönlich bei einer Rückkehr in ihr Heimatland einer extremen Gefahrensituation ausgesetzt sein wird. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass bei der Klägerin selbst keine Gründe vorliegen, die einer Abschiebung entgegenstehen. Gegen diese zutreffende Beurteilung sind im Berufungsverfahren keine Einwände erhoben worden.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann die Klägerin nicht für sich Abschiebungsschutz aus Gründen erhalten, die ihr Kind betreffen. Damit kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bei der Tochter, für die bisher keinen Antrag gestellt wurde, erfüllt wären.

Der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist ein Individualrecht, das nur mit Umständen begründet werden kann, die den Ausländer selbst betreffen. Die Abschiebungshindernisse des § 53 AuslG erfassen ausschließlich Gefahren, die dem Ausländer selbst im Zielland der Abschiebung drohen (vgl. BVerwG vom 11.11.1997 BVerwGE 105, 322/325; vom 27.4.2000 - 9 B 153.00; Marx, AsylVfG, 5. Aufl., § 26 RdNr. 146). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden kann, wenn dort "für diesen Ausländer" eine konkrete erhebliche Gefahr besteht. Bestätigt wird diese Auslegung durch einen Vergleich mit dem Anspruch auf Asyl. Für das Asylrecht ist anerkannt, dass es ein Individualrecht ist, das nur derjenige in Anspruch nehmen kann, der selbst - in seiner Person - politische Verfolgung erlitten hat oder von politischer Verfolgung unmittelbar bedroht ist (BVerfG vom 23.1.1991 BVerfGE 83, 217/230; BVerwG vom 23.7.1991 BVerwGE 88, 367/375 f.; vgl. auch BVerwG vom 26.2.2003 InfAuslR 2003, 252/253). Auch das Rechtsinstitut des Familienasyls (§ 26 AsylVfG), das hauptsächlich der Verwaltungsvereinfachung dient (BVerwG vom 28.4.1998 E 106, 339/343), geht hiervon aus. Es ist auf die Abschiebungshindernisse des § 53 AuslG nicht entsprechend anwendbar. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene "Gesamtbetrachtung" widerspricht dem Gesetz. Sie lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründen, weil Ansprüche nach 53 AuslG auch einem Kind zustehen können.

Die Klägerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, § 708 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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