Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.08.2003
Aktenzeichen: 1 C 03.950
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO
Vorschriften:
VwGO § 54 | |
VwGO § 98 | |
VwGO § 146 | |
ZPO § 406 |
2. Ein Fehlverhalten eines Sachverständigen begründet nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn es bei Würdigung aller Umstände den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Anfechtung einer Baugenehmigung für Fl.Nr. 1 Gemarkung A********, Gemeinde D********* (Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen);
hier: Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 13. März 2003,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Waltinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Vonnahme
ohne mündliche Verhandlung am 4. August 2003
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich mit der Beschwerde dagegen, dass das Verwaltungsgericht ihren Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen abgelehnt hat
Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist die Klage gegen eine den Beigeladenen zu 1 und 2 (E******** und F**** B*******) erteilte Baugenehmigung zum Umbau einer landwirtschaftlichen Maschinenhalle in einen Schweinestall. Durch die Baumaßnahme soll der Tierbestand von ca. 760 Schweinen um ca. 220 Schweine erhöht werden. Die Kläger machen insbesondere Beeinträchtigungen durch zusätzliche Geruchsimmissionen geltend. Das Verwaltungsgericht beauftragte den Sachverständigen Dr. Z***** mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, welche Geruchsbelästigung für das Grundstück der Kläger durch den genehmigten Schweinestall zu erwarten ist.
Das schriftliche Gutachten vom 29. Mai 2002 wurde vom Gericht (u.a.) den Prozessbevollmächtigten der Kläger mit der Bitte zugeleitet, bis zum 31. August 2002 Stellung zu nehmen. Am 29. August 2002 ging beim Verwaltungsgericht ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten ein, mit welchem der Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Die Kläger machen geltend, dass ihr Grundstücksnachbar H******* B******* am 27. Juni 2002 beim Sachverständigen angerufen habe, um ihn zu den dem Gutachten zu Grunde gelegten meteorologischen Daten zu befragen. Der Sachverständige habe den Anrufer fälschlicherweise für den Bauherrn F**** B******* gehalten und durch seine Äußerungen zu erkennen gegeben, dass er "seine Stellung als neutraler Gutachter parteiisch missbraucht" habe. Zur Glaubhaftmachung legten die Kläger eine handschriftliche Telefonnotiz vom 27. Juni 2002 und eine eidesstattliche Versicherung vom 29. August 2002 von H******* B******* vor.
Der Sachverständige räumte in seiner Stellungnahme vom 8. Januar 2003 ein, dass er den Anrufer anfangs mit dem Bauherrn F**** B******* verwechselt habe. Im Übrigen stellte er den Ablauf des fraglichen Telefongesprächs aus seiner Sicht dar.
Das Verwaltungsgericht lehnte das Ablehnungsgesuch der Kläger durch Beschluss vom 13. März 2003 ab. Das Gesuch sei zwar innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist und daher rechtzeitig eingegangen. Der Antrag sei jedoch unbegründet. Der Gutachter habe seine Antworten auf die Fragen des Anrufers als Erläuterung des schriftlichen Gutachtens verstanden. Auch aus einzelnen Antworten könne eine Voreingenommenheit des Sachverständigen nicht abgeleitet werden.
Gegen den ihnen am 24. März 2003 zugestellten Beschluss legten die Kläger am 7. April 2003 Beschwerde ein, die sie mit Schriftsätzen vom 8. April und 15. Mai 2003 begründeten.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Beigeladenen äußerten sich nicht.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist nicht durch § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen. Danach können u.a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Die Vorschrift findet auf die Ablehnung von Sachverständigen keine Anwendung. Sachverständige sind zwar "Gehilfen" des Gerichts; sie sind aber keine Gerichtspersonen im Sinn von § 54 Abs. 1 und § 146 Abs. 2 VwGO. Unter Gerichtspersonen sind gemäß § 54 Abs. 1 VwGO, §§ 41 bis 49 ZPO nur Richter und die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu verstehen (vgl. Meissner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 54 RdNr. 12; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 54, RdNr. 1).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Es kann offen bleiben, ob die Kläger ihren Ablehnungsantrag rechtzeitig gestellt haben (2.1). Jedenfalls liegen keine Gründe vor, die zur Ablehnung des Sachverständigen berechtigen (2.2).
2.1 Nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag vor der Vernehmung des Sachverständigen, spätestens zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über seine Ernennung, zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 98 VwGO i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Der Ablehnungsantrag ist nicht nach Maßgabe des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO verspätet gestellt worden, weil die Ablehnungsgründe erst geraume Zeit nach der Ernennung des Sachverständigen (8.1.2002) entstanden sind. Das die Ablehnung auslösende Telefongespräch fand erst am 27. Juni 2002 statt.
Es ist aber fraglich, ob der Antrag nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO rechtzeitig gestellt wurde. Die Vorschrift verlangt, dass ein später bekannt gewordener Ablehnungsgrund "unverzüglich" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) geltend gemacht wird (Greger in Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 406 RdNr. 11 unter Hinweis auf OLG Celle NJW-RR 95, 128; BayObLG MDR 95, 412). Hiermit wird dem Antragsteller eine angemessene Überlegungsfrist, die allerdings keinesfalls länger als zwei Wochen sein kann (vgl. § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO), zur ruhigen und vernünftigen Entscheidung eingeräumt (Huber in Musielak, ZPO, § 406 RdNr. 14).
Die Kläger haben den für den Beginn der Überlegungsfrist maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem sie von dem Telefongespräch des H******* B******* Kenntnis erlangt haben, weder im Ablehnungsgesuch noch im Beschwerdevorbringen angegeben. Jedoch spricht mit Blick auf die gleiche Interessenlage viel dafür, dass H******* B******* den Klägern alsbald über das Gespräch berichtet hat. In diesem Fall wäre der Antrag wohl verspätet gestellt worden. Die Kläger durften wohl nicht darauf vertrauen, dass sie mit dem Ablehnungsantrag bis zum Ablauf der für die Äußerung zu dem Gutachten gesetzten Frist warten konnten. Die damit zusammenhängenden Fragen können ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht beantwortet werden. Diese ist jedoch entbehrlich, weil der Befangenheitsantrag unbegründet ist.
2.2 Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die von den Klägern vorgebrachten Gründe die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen.
Nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Somit findet die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Es kommt nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Vielmehr genügt es, wenn vom Standpunkt des Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit zu zweifeln. Dagegen reicht eine rein subjektive Besorgnis, die nicht auf konkreten Tatsachen beruht, oder für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, nicht aus (z.B. Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 98, RdNr. 139; vgl. auch Kopp a.a.O., RdNr. 10; BVerfGE 43, 126, 127 und BVerwGE 50, 36 zur Richterablehnung). Ein Fehlverhalten eines Sachverständigen begründet nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn es den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt. Für die Beurteilung kommt es wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an. Werden mehrere Gründe für die Ablehnung geltend gemacht, so sind sie nicht jeder für sich, sondern in ihrer Gesamtheit darauf zu prüfen, ob sie die Ablehnung rechtfertigen (BGH vom 1.11.1955 NJW 1956, 271). Entscheidend ist, ob nach der "Auffassung des gerecht und billig denkenden Bürgers" die Unparteilichkeit noch ausreichend gewahrt erscheint (Kopp a.a.O. RdNr. 10.; Meissner a.a.O. RdNr. 28).
Nach Ansicht des Senats ist dies beim Sachverständigen Dr. Z***** der Fall. Im Zusammenhang mit dem Telefongespräch sind zwar Ungeschicklichkeiten des Sachverständigen nicht zu übersehen; auch bestehen Zweifel an der Aussagekraft des schriftlichen Gutachtens. Bei einer zusammenfassenden Würdigung des Gutachtens, der Äußerungen anlässlich des fraglichen Telefongesprächs und der Stellungnahme des Sachverständigen genügen diese Umstände aber nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Es ist zweifelhaft, ob der Sachverständige gut beraten war, auf den Anruf eines Dritten telefonisch Erläuterungen zu seinem schriftlichen Gutachten zu geben. Hierbei spielt es keine Rolle, ob sich der Sachverständige über die Person des Anrufenden getäuscht hat. Auch wenn es sich bei diesem um den Beigeladenen F**** B******* gehandelt hätte - wie der Sachverständige ursprünglich annahm -, wäre es zur Vermeidung von Missverständnissen ratsam gewesen, den Anrufer auf die zu erwartende Erläuterung des Gutachtens vor Gericht (vgl. § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO) zu verweisen. Zwar verbietet das Prozessrecht eine Kontaktaufnahme mit den Prozessbeteiligten nicht ausdrücklich, doch sieht es Gespräche zwischen diesen und dem Sachverständigen nur ausnahmsweise vor (vgl. § 404 a Abs. 4 ZPO). Den Gerichtsakten ist auch nichts darüber zu entnehmen, dass der Sachverständige die übrigen Beteiligten in geeigneter Weise von dem Telefongespräch und den erteilten Auskünften in Kenntnis gesetzt hat. Da das Gutachten aber zum Zeitpunkt des Gesprächs bereits schriftlich abgefasst war und sich die Bemerkungen im Rahmen des Gutachtens hielten, kann von diesen Ungeschicklichkeiten bei vernünftiger Betrachtung nicht auf die Parteilichkeit des Sachverständigen geschlossen werden.
Ungeschickt war auch das Angebot, dem Anrufer eine Diskette mit den meteorologischen Daten unter der Voraussetzung zuzusenden, dass dieser damit nicht "hausieren" gehen würde. Diese Äußerung wirft die Frage auf, ob der Sachverständige dem vermeintlichen Bauherrn eine besondere Information zukommen lassen wollte. Bei vernünftiger Betrachtung rechtfertigt diese Handlungsweise aber nicht die Annahme, der Sachverständige sei befangen. Nach dessen Stellungnahme vom 8. Januar 2002 besteht nämlich kein Zweifel, dass es sich bei den Daten um allgemein zugängliche Informationen handelt und dass der Sachverständige lediglich mit Blick auf seine Obliegenheiten gegenüber dem Deutschen Wetterdienst gebeten hat, von einer Weitergabe abzusehen.
Im Grunde nichts anderes gilt für die Äußerung zur Tierzahl. Zwar ist die Bemerkung "es dürfen nur 250 genannt werden, da bei 300 die Sache anders aussieht" für sich betrachtet problematisch. Sieht man die Äußerung jedoch im Zusammenhang mit den der Baugenehmigung zu Grunde liegenden Bauvorlagen und den nachträglichen Erläuterungen des Sachverständigen, so ergeben sich keine Anhaltspunkte, die auf "deutliche Empfehlungen in Richtung des Bauherrn" (vgl. Beschwerdebegründung) schließen lassen. Eine solche Empfehlung wäre angesichts der Tatsache, dass in dem genehmigten Lageplan ohnehin nur von 220 Tieren die Rede ist, auch nicht sinnvoll. Im Übrigen ist nachvollziehbar, dass der Sachverständige mit seinen Zahlenangaben nur auf die unterschiedlichen Fassungen der Schweinehaltungsverordnung hingewiesen hat.
Die Auskunft des Sachverständigen zu seinen Gutachtenaussagen über die Windrichtungen lässt, so wie sie im Ablehnungsantrag wiedergegeben wurde, eine Parteinahme zugunsten des Bauherrn nicht erkennen.
Die Hinweise zu den Fensteröffnungen zeigen, dass es dem Sachverständigen bei seinen teilweise irritierenden Aussagen nicht um eine Parteinahme zugunsten des Bauherrn ging. Diese Äußerungen zielen erkennbar auf eine Verringerung der Geruchsimmissionen und dienen damit den Interessen der Kläger und der übrigen Nachbarn. Hierdurch kommt klar zum Ausdruck, dass der Sachverständige bei seinen Erwägungen sowohl die Belange des Bauherrn auch als die der Nachbarn berücksichtigt hat.
Soweit die Kläger schließlich im Schriftsatz vom 15. Mai 2003 unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Bayerischen Landesamts für Umweltschutz und der Regierung von Oberbayern Kritik am Gutachten des Sachverständigen äußern, wird im Kern nicht die Frage nach seiner Unparteilichkeit, sondern nach seiner Sachkunde aufgeworfen. Es wird nämlich nur geltend gemacht, dass das Gutachten aufgrund bestimmter tatsächlicher und fachlicher Annahmen zu ungünstigen Ergebnissen für die Kläger kommt. Es wird jedoch nicht anhand konkreter Tatsachen dargelegt, dass der Sachverständige aufgrund einer Parteinahme für den Bauherrn zu seinen Aussagen gekommen ist. Mithin ist auch der Gutachtensinhalt nicht geeignet, die Unparteilichkeit des Sachverständigen in Frage zu stellen. Die Frage, inwieweit das Gutachten wegen inhaltlicher Mängel als Beweismittel tauglich ist, ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Dieser Frage wird im Klageverfahren nachzugehen sein.
Kosten: §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 14 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.