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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 1 CS 08.2770
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BayBO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 a Abs. 3
VwGO § 146
BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
BayBO Art. 6 Abs. 1 Satz 3
BayBO Art. 59 Satz 1 Nr. 2
BayBO Art. 63 Abs. 1 Satz 1
BayBO Art. 68 Abs. 1 Satz 1
Zu den Voraussetzungen, unter denen nach planungsrechtlichen Vorschriften an die vordere Grundstücksgrenze gebaut werden darf.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 CS 08.2770

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung für ein Wohn- und Geschäftshaus (Fl.Nr. *** u.a. Gemarkung ********), Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage;

hier: Beschwerde des Beigeladenen zu 1 gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Priegl

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9. Dezember 2008

am 10. Dezember 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Nrn. I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2008 werden geändert.

Der Antrag wird in vollem Umfang abgelehnt. II. Die Antragssteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 in beiden Rechtszügen und der Beigeladenen zu 2 im Beschwerdeverfahren.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine dem Beigeladenen zu 1 erteilte, nachträglich um eine Abweichung ergänzte Baugenehmigung.

1. Der Beigeladene zu 1 ist Eigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. ***, ***/2, ***/3 und ***/4 Gemarkung ******. Die Grundstücke, die bisher - mit Ausnahme des Grundstücks Fl.Nr. ***/3, auf dem ein Wohngebäude stand - nur mit Nebengebäuden bebaut waren, liegen am westlichen Rand der Altstadt von ****** i. ** zwischen der ********gasse im Norden, der *****gasse im Süden und der unmittelbar angrenzenden ******-*********-Straße im Osten. Mit ihrer Westseite grenzen die Grundstücke an das Grundstück Fl.Nr. ***, auf dem ein Teil der 6,50 m hohen historischen Stadtmauer steht. Die Grundstücke auf der gegenüberliegenden Seite der ******-*********-Straße sind geschlossen bebaut. Zu diesen gehört das circa 5 m breite Grundstück Fl.Nr. *** der Antragsteller, das im östlichen Teil mit einem zum ******platz ausgerichteten Wohn- und Geschäftshaus und im rückwärtigen, der ******-*********-Straße zugewandten westlichen Teil mit einer bis an die Grundstücksgrenze heranreichenden, circa 3 m hohen Garage mit einem als Dachterrasse genutzten Flachdach bebaut ist.

Mit Bescheid vom 6. August 2008 erteilte das Landratsamt ******-******** dem Beigeladenen zu 1 im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Baugenehmigung für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf den Grundstücken Fl.Nrn. ***, ***/2, ***/3 und ***/4. Nach den genehmigten Bauvorlagen soll der größte Teil der rund 54 m langen Ostseite des Gebäudes nicht unmittelbar an der Straße, sondern mit einem geringen, bis zu etwa 2 m tiefen Abstand von dieser errichtet werden. Im Bereich des dem Grundstück der Antragsteller gegenüberliegenden Bauteils "C" weist das Gebäude eine Wandhöhe von circa 8,10 m und eine Dachhöhe von 5,20 m auf. Im Erdgeschoss sind Ladengeschäfte, Büroräume und ein "Seniorencafe", im Obergeschoss Praxisräume, Büroräume und Wohnräume vorgesehen. Das zweite Obergeschoss und das Dachgeschoss sollen ausschließlich zum Wohnen genutzt werden. Im Untergeschoss ist eine Tiefgarage mit insgesamt 37 Stellplätzen genehmigt. 20 weitere Stellplätze sind auf dem Baugrundstück im Innenhof vorgesehen. In Nr. II. 13. des Bescheids ist zum Immissionsschutz bestimmt: "Auflagen zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen und zur Sicherstellung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse werden vorbehalten und mit gesondertem Bescheid festgesetzt." Mit Bescheid vom 10. September 2008 ergänzte das Landratsamt die Baugenehmigung und ließ auf Antrag des Beigeladenen zu 1 für die auf der Ostseite des Gebäudes anfallenden Abstandsflächen, soweit diese die Mitte der ******-*********-Straße überschreiten, eine Abweichung zu.

2. Bereits am 28. August 2008 hatten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben und beantragt, deren aufschiebende Wirkung gegen den Bescheid vom 6. August 2008 anzuordnen sowie dem Antragsgegner aufzugeben, die Bauarbeiten vorläufig einzustellen. Im weiteren Verfahren bezogen die Antragsteller den Bescheid vom 10. September 2008 in das Klageverfahren und in das vorläufige Rechtschutzverfahren ein. Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 6. Oktober 2008 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6. August 2008 in der Fassung vom 10. September 2008 an; den weiteren Antrag auf vorläufiges Einschreiten gegen die Bauarbeiten lehnte es ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der Rechtsbehelf der Antragsteller werde im Wesentlichen Erfolg haben. Die Abweichung verletze aller Voraussicht nach zu Lasten der Antragsteller Abstandsflächenvorschriften. Das Bauvorhaben halte auf seiner Ostseite die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein, weil diese über die Straßenmitte hinaus reichten. Planungsrechtliche Vorschriften, denen zufolge auf der Ostseite keine Abstandsflächen erforderlich seien, gebe es nicht. Insbesondere lasse sich der Bebauung der näheren Umgebung keine die Baugrundstücke prägende "faktische" Baulinie oder -grenze entnehmen, die dem Beigeladenen zu 1 ermögliche, bis an die östlichen Grundstücksgrenzen heranzubauen. Die nähere Umgebung sei nicht nur durch die östlich der ******-*********-Straße gelegene, zum ******platz ausgerichtete Altstadtbebauung, sondern auch durch die westlich des Baugrundstücks gelegenen unbebauten Grundstücke geprägt. Die Antragsteller könnten sich auf die Verletzung der Abstandsflächen berufen, weil die Garage auf ihrem eigenen Grundstück die erforderlichen Abstandsflächen einhalte. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung lägen nicht vor; es sei keine atypische Grundstückssituation gegeben. Der Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, die Bauarbeiten vorläufig einzustellen, sei dagegen nicht begründet. Es sei nicht anzunehmen, dass der Antragsgegner den Beigeladenen zu 1 trotz der Anordnung der aufschiebenden Wirkung weiterbauen lasse.

3. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beigeladene zu 1 mit der Beschwerde. Er macht geltend: Die Antragsteller seien durch das Bauvorhaben nicht in ihren Rechten verletzt. Vor dem geplanten Gebäude fielen keine Abstandsflächen an, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grundstücksgrenze gebaut werden müsse oder zumindest dürfe. Das Bauvorhaben halte sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche, die für die Zulässigkeit einer Bebauung an der vorderen Grundstücksgrenze maßgeblich sei, und hinsichtlich des Nutzungsmaßes innerhalb des durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogenen Rahmens. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Grundstücke westlich der Stadtmauer nicht zur näheren Umgebung zählten, weil die Stadtmauer eine trennende Wirkung habe. Innerhalb der Stadtmauer fielen Abstandsflächen regelmäßig auf die gegenüberliegende Straßenseite. Auch südlich des Baugrundstücks schlössen sich Grundstücke mit Gebäuden an, die an der vorderen Grundstücksgrenze errichtet worden seien. Ebenso wenig überschreite das Bauvorhaben hinsichtlich der Höhenentwicklung den Rahmen der Umgebungsbebauung. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt. Nach einer Verschattungsstudie werde die Dachterrasse der Antragsteller allenfalls im Frühjahr und im Herbst geringfügig verschattet; dies sei hinzunehmen. Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung gehe von dem Bauvorhaben nicht aus. Durch die Zufahrt zu den 37 Tiefgaragenstellplätzen würden die Antragsteller nicht unzumutbar mit Lärm belästigt. Selbst wenn Abstandsflächen einzuhalten wären, wäre der Verstoß durch die zugelassene Abweichung ausgeräumt. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts liege eine atypische Fallgestaltung vor; im dicht bebauten Bereich der Innenstadt sei die Einhaltung der Abstandsflächen städtebaulich nicht erwünscht. Die Zulassung der Abweichung sei auch mit den öffentlichen Belangen und den Belangen der Antragsteller vereinbar. Ihre Dachterrasse werde nicht unzumutbar verschattet. Im Übrigen planten die Antragsteller auf ihrem Grundstück ein ähnlich hohes Gebäude, so dass sie sich auf eine Verletzung von Abstandsflächenvorschriften nicht berufen könnten.

Der Beigeladene zu 1 beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2008 zu ändern und die Anträge der Antragsteller in vollem Umfang abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie machen im Wesentlichen geltend, die Baugenehmigung verletze sie in ihren Rechten, weil das Bauvorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte. Weder müsse noch dürfe nach planungsrechtlichen Vorschriften an die vordere Grundstücksgrenze gebaut werden. Die Behauptung, dass innerhalb der Stadtmauer in der maßgeblichen Umgebung des Baugrundstücks die Abstandsflächen regelmäßig auf die gegenüberliegende Straßenseite fielen, sei unzutreffend. Auch hinsichtlich der Höhenentwicklung sowie hinsichtlich der Kubatur und Ausrichtung sei das geplante Gebäude mit der in der Umgebung vorhandenen Bebauung nicht vergleichbar. Auch die städtebaulichen Vorstellungen der Beigeladenen zu 2 verlangten keine Bebauung an der vorderen Grundstücksgrenze. Weder auf dem Baugrundstück noch in der näheren Umgebung seien die Gebäude ausschließlich an der vorderen Grundstücksgrenze errichtet worden. Die Abweichung sei rechtswidrig. Städtebauliche Vorgaben und Planungen der Beigeladenen zu 2, die eine Verkürzung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Die Antragsteller könnten sich auch auf die Verletzung der Abstandsflächenvorschriften berufen. Einen Bauantrag für ein Vorhaben, das seinerseits die Abstandsflächen nicht einhalte, hätten sie bisher nicht gestellt; ein solcher Antrag sei auch nicht beabsichtigt. Das Bauvorhaben verletze wegen der mit der Nutzung der Tiefgarage einhergehenden Lärmbeeinträchtigungen auch das Gebot der Rücksichtnahme.

Der Antragsgegner stellt keinen Antrag, hält die Beschwerde aber aus den vom Beigeladenen zu 1 genannten Gründen für begründet.

Die Beigeladene zu 2 beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2008 zu ändern und die Anträge der Antragsteller in vollem Umfang abzulehnen.

Sie schließt sich zur Begründung ihres Antrags im Wesentlichen den Ausführungen des Beigeladenen zu 1 an.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur das Rechtsmittel des Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2 hat zwar in der mündlichen Verhandlung denselben Antrag wie der Beigeladene zu 1 gestellt. Dieser Antrag ist aber nicht als eigenes Rechtsmittel, sondern als die Beschwerde des Beigeladenen zu 1 unterstützender Sachantrag der Beigeladenen zu 2 (vgl. § 66 VwGO) auszulegen (§ 88, § 86 Abs. 3 VwGO).

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts muss geändert und auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung abgelehnt werden, weil die Klage der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ist überwiegend wahrscheinlich, dass durch die im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung sowie durch die Abweichung von den Abstandsflächen Rechte der Antragsteller nicht verletzt werden (Art. 59 Satz 1 Nr. 2, 63 Abs. 1 Satz 1, Art. 68 Abs. 1 BayBO, § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Interesse des Beigeladenen zu 1, möglichst bald von der Genehmigung Gebrauch machen zu können, überwiegt deshalb das Interesse der Antragsteller, dass vor Eintritt der Bestandskraft der angegriffenen Bescheide durch die Errichtung des genehmigten Vorhabens keine zu ihren Lasten gehenden vollendeten Tatsachen geschaffen werden.

Das Bauvorhaben verletzt aller Voraussicht nach weder das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (1.) noch bauordnungsrechtliche Abstandsflächenvorschriften (2.).

1. Das bauplanungsrechtlich nach der Innenbereichsvorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben verstößt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu Lasten der Antragsteller gegen das im Begriff des "Einfügens" im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme (vgl. BVerwG vom 11.1.1999 NVwZ 1999, 879).

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich dieser vier Zulässigkeitskriterien innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Auch ein den Rahmen wahrendes Vorhaben ist aber ausnahmsweise unzulässig, wenn es nicht die gebotene Rücksicht auf die Bebauung in der Nachbarschaft nimmt. Umgekehrt ist ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ausnahmsweise zulässig, wenn es trotz der Überschreitung keine "städtebauliche Spannungen" hervorruft (vgl. BVerwG vom 26.5.1978 BVerwGE 55, 369 f.). Das Einfügungsgebot dient grundsätzlich nur allgemein der städtebaulichen Ordnung und nicht auch dem Schutz der Nachbarn (BVerwG vom 23.6.1995 NVwZ 1996, 170; vom 28.4.2004 NVwZ 2004, 1244). Nachbarrechte werden durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann verletzt, wenn die ausnahmsweise Unzulässigkeit eines hinsichtlich aller vier Zulässigkeitskriterien den Rahmen einhaltenden Vorhabens darauf beruht, dass es unzumutbare Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück hat oder wenn die von einem den Rahmen überschreitenden Vorhaben hervorgerufenen "städtebaulichen Spannungen" gerade auf solchen Auswirkungen beruhen (BVerwG vom 23.5.1986 NVwZ 1987, 34; vom 6.12.1996 NVwZ-RR 1997, 516). Auswirkungen sind unzumutbar, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss, überschritten wird (BayVGH vom 21.1.2008 - 1 ZB 06.2304 - juris mit weiteren Nachweisen).

Nach diesem Maßstab sind Rechte der Antragsteller voraussichtlich nicht verletzt.

a) Das Bauvorhaben hat auf das Anwesen der Antragsteller keine unzumutbare "abriegelnde" oder "erdrückende" Wirkung. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen "übergroßen" Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG vom 13.3.1981 DVBl 1981, 928: zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus; vom 23.5.1986 DVBl 1986, 1271: 11,50 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen). Von solchen Auswirkungen kann bei dem Gebäude, das im Bereich des dem Grundstück der Antragsteller gegenüberliegenden Bauteils "C" eine Wandhöhe von circa 8,10 m (gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO gemessen von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut) und eine Firsthöhe von circa 13,30 m aufweist und von der gegenüberliegenden Garage der Antragsteller etwa 11 m entfernt ist, nicht gesprochen werden. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass das sich über mehrere Grundstücke erstreckende Gebäude eine Gesamtlänge von circa 54 m haben wird. Das Entstehen einer geschlossen wirkenden Gebäudefront auf bisher nur teilweise bebauten Grundstücken führt in dem verhältnismäßig dicht und überwiegend in geschlossener Bauweise (§ 22 Abs. 3 BauNVO) bebauten Altstadtgebiet nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung. Gerade im innerstädtischen Bereich hat ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten oder bislang nur geringfügig beeinträchtigten Sicht von seinem Wohngebäude oder - wie hier - von der Dachterrasse seiner Garage aus (vgl. BVerwG vom 28.10.1993 NVwZ 1994, 686; VGH BW vom 12.9.1991 BRS 52 Nr. 187).

b) Das Bauvorhaben hat auch keine unzumutbare Beeinträchtigung der (im Hinblick auf § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB auch bauplanungsrechtlich erheblichen) Belichtung und Besonnung des Grundstücks der Antragsteller zur Folge. Wie sich aus der vom Landratsamt im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten "3D-Darstellung über den tatsächlichen Sonnenstand", deren Richtigkeit auch von den Antragstellern nicht in Frage gestellt wird, ergibt, sind auf der Dachterrasse der Antragsteller allenfalls im Frühjahr und im Herbst in den Morgen- und Abendstunden geringfügige Beeinträchtigungen durch Schattenwurf zu erwarten. Dies ist von den Antragstellern hinzunehmen. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Grundstückseigentümern nicht das Recht, von jeglicher Schattenwirkung eines Gebäudes auf einem benachbarten Grundstück verschont zu bleiben. Dies gilt erst Recht in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen.

c) Schließlich kann nicht angenommen werden, dass die Antragsteller infolge des Bauvorhabens mit unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen, insbesondere durch die von der Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage herrührenden Verkehrsgeräusche, rechnen müssen. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet insoweit wohl schon deswegen aus, weil die Frage des Immissionsschutzes durch den Auflagenvorbehalt in Nr. II. 13 des Baugenehmigungsbescheids geregelt sein dürfte. Eine Baugenehmigung kann mit einem Auflagenvorbehalt (Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG) versehen werden, wenn sich die Auswirkungen eines Vorhabens zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde noch nicht verlässlich abschätzen lassen oder noch keine Aussage darüber getroffen werden kann, welche Maßnahmen zur Abwehr von Immissionen angezeigt sind (vgl. HessVGH vom 29.7.2005 BRS 69 Nr. 152; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 36 RdNr. 43; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 36 RdNr. 38). Konkrete, die Nutzung des Bauvorhabens einschränkende Regelungen zum Schutz der Nachbarn muss die Baugenehmigung in einem solchen Fall grundsätzlich noch nicht enthalten. Diese Voraussetzungen eines Auflagenvorbehalts waren bei Erteilung der Baugenehmigung wohl erfüllt, wie sich aus der von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Begründung des Baugenehmigungsbescheids ergibt. Anhaltspunkte dafür, dass es im Fall einer unzumutbaren Beeinträchtigung nicht mehr möglich sein wird, die Geräuschimmissionen wirkungsvoll auf ein den Antragstellern zumutbares Maß zu begrenzen, bestehen nicht. Die auf überschlägigen Berechnungen beruhende Stellungnahme des für den Immissionsschutz zuständigen Sachgebiets des Landratsamts vom 8. Dezember 2008 (Blatt 110 ff. der Gerichtsakte), die dessen Vertreter in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, setzt für das Anwesen der Antragsteller als Zumutbarkeitsgrenze tags den Richtwert für ein Mischgebiet von 60 dB(A) und nachts den Richtwert für ein (allgemeines) Wohngebiet von 40 dB(A) an. Diese Bewertungen erscheinen angesichts dessen, dass die Umgebung des Baugrundstücks wohl als Gemengelage (Nr. 6.7 TA Lärm) einzustufen ist, sachgerecht. Nach der Stellungnahme werden die dem Bauvorhaben (einschließlich der Tiefgarage) zuzurechnenden Geräusche diese Grenzen einhalten, wenn die vorgeschlagenen Lärmschutzmaßnahmen (unter anderem schallabsorbierende Verkleidung der Durchfahrt zu den Parkplätzen im Innenhof sowie der Tiefgaragenrampe, lärmarme Ausführung der Regenrinnen im Durchfahrts- beziehungsweise Rampenbereich) durchgeführt werden. Letzteres kann durch entsprechende nachträgliche Auflagen sichergestellt werden.

2. Durch die vom Beigeladenen zu 1 nachträglich beantragte, mit Bescheid vom 10. September 2008 zugelassene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften, über die nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu entscheiden war, dürften Rechte der Antragsteller schon deswegen nicht verletzt werden, weil vor der östlichen Außenwand des Gebäudes nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO wohl keine Abstandsfläche erforderlich ist. Die Abweichung dürfte somit ins Leere gehen.

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Anbaus an die vordere Grundstücksgrenze richtet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans in erster Linie nach den Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche (vgl. BayVGH vom 27.1.1984 BayVBl 1984, 214 zu einer mit der vorderen Grenze zusammenfallenden Baulinie [§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO]). Dass an die vordere Grundstücksgrenze gebaut werden darf, kann sich aus der Festsetzung von Baugrenzen (§ 23 Abs. 3 BauNVO) oder der Festsetzung einer abweichenden Bauweise (§ 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO) ergeben (vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung, LT-Drs. 15/7161, Seite 41; Molodovsky in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 6 RdNr. 84; a.A. Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 6 RdNr. 48 und Dhom in Simon/Busse, BayBO, Art. 6 a.F. RdNr. 46, die sich allerdings auf eine seitliche Grenzanbauten betreffende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs berufen). Entsprechendes gilt im nicht beplanten Innenbereich nach § 34 BauGB (vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung, a.a.O.). Stehen die Gebäude in der für die Beurteilung maßgeblichen Umgebung mit der vorderen Außenwand teilweise auf der vorderen Grundstücksgrenze und halten sie teilweise einen Abstand von dieser Grenze ein, dann darf aus planungsrechtlichen Gründen grundsätzlich sowohl ohne Abstandsflächen an die Grenze als auch mit einem nach Abstandsflächenrecht zu bestimmenden Abstand von dieser Grenze gebaut werden (vgl. BVerwG vom 11.3.1994 NVwZ 1994, 1008 zur entsprechenden Frage der Zulässigkeit eines Anbaus an seitliche Grundstückgrenzen bei einer teils in offener und teils in geschlossener Bauweise errichteten Bebauung).

Nach diesen Maßstäben scheidet ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht von vorneherein aus. Infolge einer Änderung der Grundstücksverhältnisse wird das Gebäude an der vorderen Grundstücksgrenze errichtet (a). Es darf dort auch nach planungsrechtlichen Vorschriften errichtet werden (b).

a) Das Gebäude wird mit seiner Vorderseite an der vorderen (östlichen) Grundstücksgrenze errichtet. Dem steht nicht entgegen, dass die vordere Außenwand nach den genehmigten Bauvorlagen nicht unmittelbar an der Grenze zur ******-*********-Straße steht, sondern von dieser um bis zu circa 2 m zurückversetzt ist. Nach den von der Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung bestätigten und von den übrigen Beteiligten nicht in Frage gestellten Angaben des Beigeladenen zu 1 wird dieser Grundstücksstreifen zur Verbreiterung der Straße in absehbarer Zeit dem Straßengrundstück zugemessen und als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet werden. Zur Vorbereitung dieser Rechtsänderung hat der Beigeladene zu 1 diese Fläche mit notariellem Vertrag vom 1. September 2008 an die Beigeladene zu 2 abgetreten; die Beigeladene zu 2 wurde am 22. Oktober 2008 als neue Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Diese somit in nächster Zeit zu erwartende Änderung der Grundstücksverhältnisse ist zu berücksichtigen, weil sie sich zugunsten des Beigeladenen zu 1 auswirkt (vgl. BVerwG vom 23.4.1998 NVwZ 1998, 1179).

b) Die Errichtung des Gebäudes an der zukünftigen vorderen Grundstücksgrenze ist im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO bauplanungsrechtlich zulässig, weil es sich an diesem Standort nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

Nähere Umgebung ist der Bereich, auf den sich das geplante Vorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wieweit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalles (BVerwG vom 26.5.1978 BVerwGE 55, 369; vom 3.4.1981 BVerwGE 62, 151). "Prägen" können grundsätzlich nur solche Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG vom 9.7.2002 ZfBR 2002, 805). Die Bebauung auf dem Baugrundstück selbst gehört regelmäßig zu der den Maßstab bildenden Bebauung (BVerwG vom 17.6.1993 BRS 55 Nr. 72; vom 21.6.2007 ZfBR 2007, 687). Topographische Gegebenheiten können für die Abgrenzung der näheren Umgebung eine Rolle spielen; insoweit kann die Rechtsprechung zur Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich sinngemäß herangezogen werden (BVerwG vom 20.8.1998 BauR 1999, 32).

Nach diesen Maßstäben gehören nicht nur die frühere Bebauung auf den vier das Baugrundstück bildenden Grundstücken, soweit diese, wie das Wohngebäude auf Fl.Nr. ***/3, als nachwirkender Bestand relevant ist, und die Bebauung auf dem südlich anschließenden Grundstück Fl.Nr. *** zu der näheren Umgebung. Angesichts der geringen Breite der ******-*********-Straße gilt dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Bebauung auf der Ostseite dieser Straße von der *****gasse im Süden bis zur ********gasse im Norden. Die Flächen unmittelbar westlich der Stadtmauer (Grundstück Fl.Nr. ***) sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens hingegen schon deswegen ohne Bedeutung, weil sie unbebaut sind. Eine unbebaute Fläche im Innenbereich wird zwar durch die in ihrer Umgebung vorhandene Bebauung in dem dargelegten Sinn geprägt; von ihr geht aber (mangels Bebauung) keine prägende Wirkung aus. Auf die Frage einer "trennenden Wirkung" der Stadtmauer kommt es somit nicht an. Offen bleiben kann ferner, ob auch die Bebauung südlich der *****gasse und nördlich der ********gasse noch zur Umgebung zählt. Die im Folgenden näher darzulegende bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens würde sich hierdurch nicht ändern.

Nach den vorliegenden Luftbildern und Plänen stehen die Gebäude in der so umgrenzten Umgebung überwiegend an der vorderen Grundstücksgrenze (Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. *** und Bebauung auf der Ostseite der ******-*********-Straße); es war aber auch ein noch zu berücksichtigendes Gebäude mit einem (geringen) Abstand von der vorderen Grenze vorhanden (Grundstück Fl.Nr. ***/3). Hinsichtlich des für die allgemeine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Anbaus an die vordere Grundstücksgrenze maßgeblichen Kriteriums der überbaubaren Grundstücksfläche hält sich der Anbau an die (zukünftige) Grenze der ******-*********-Straße somit im Rahmen des Vorhandenen. Ob allein das genügt, um nach der Neufassung von Art. 6 BayBO durch das Gesetz vom 24. Juli 2007 (GVBl S. 499) die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zu bejahen, oder ob die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nur erfüllt sind, wenn sich der Grenzanbau nicht nur hinsichtlich des für die betroffene Grundstücksgrenze maßgeblichen Kriteriums im Rahmen der vorhandenen Bebauung hält, sondern das Gebäude an dem geplanten Standort in jeder Hinsicht § 34 Abs. 1 BauGB entspricht (vgl. hierzu Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/ Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 6 RdNr. 50; Molodovsky in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 6 RdNr. 55 sowie - zu Art. 6 a. F. - BayVGH vom 15.4.1992 BauR 1992, 605), kann offen bleiben. Auch wenn man der zuletzt genannten Auffassung folgt, ist der Grenzanbau bauplanungsrechtlich zulässig, weil sich das genehmigte Gebäude hinsichtlich der Nutzungsart und des Nutzungsmaßes (einschließlich der Gebäudehöhe) sowie der Bauweise offensichtlich im Rahmen der Bebauung in der näheren Umgebung, insbesondere der Bebauung östlich der ******-*********-Straße, hält. Dass das Vorhaben auch insoweit den Anforderungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügt, als es die gebotene Rücksichtnahme auf die Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft nimmt, wurde vorstehend (unter 1.) bereits dargelegt.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Antragsteller sind als Gesamtschuldner (§ 159 Satz 2 VwGO) in beiden Rechtszügen kostenpflichtig, weil sie unterlegen sind. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 als Beschwerdeführer und der (nur im Beschwerdeverfahren beteiligten) Beigeladenen zu 2 werden für erstattungsfähig erklärt, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit dem Risiko ausgesetzt haben, selbst Kosten auferlegt zu bekommen (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Ende der Entscheidung

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