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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 1 ZB 06.30678
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 28 Abs. 2 a. F.
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 ZB 06.30678

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anerkennung als Asylberechtigte und Abschiebungsschutzes;

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 12. Juni 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Häberlein

ohne mündliche Verhandlung am 26. Mai 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen. Der Einwand der Beklagten, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 6 VwGO), ist nicht berechtigt. Das Verwaltungsgericht musste nicht deswegen auf § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. eingehen, weil sich die Beklagte in Sinne eines "erheblichen Verteidigungsmittels" auf diese Vorschrift berufen hatte.

Einem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein in einer Streitsache nach dem Asylverfahrensgesetz ergangenes Urteil, der sich auf den groben Formmangel der fehlenden Entscheidungsgründe stützt, ist nicht schon dann stattzugeben, wenn die Ausführungen zum Anspruch des Klägers auf Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG inhaltlich unvollständig sind, weil sie sich nicht mit einem Ausschlussgrund gemäß den §§ 26 a ff. AsylVfG auseinandersetzen. Ein auf einen solchen Mangel gestützter Zulassungsantrag macht der Sache nach vielmehr vor allem geltend, dass die angefochtene Entscheidung inhaltlich fehlerhaft sei, weil eine entscheidungserhebliche Rechtsvorschrift nicht oder jedenfalls nicht erkennbar in die Prüfung einbezogen worden sei. Ein Verfahrensmangel gemäß § 138 Nr. 6 VwGO lässt sich mit diesem Einwand allenfalls dann begründen, wenn der Rechtsmittelführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erhebliche Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht hat, welche das Verwaltungsgericht zu einer ins Einzelne gehenden Auseinandersetzung mit dem Ausschlussgrund zwangen (vgl. BVerwG vom 5.6.1998 NJW 1998, 3290 = DVBl 1998, 1085).

Nach diesem Maßstab ergibt sich aus den Darlegungen im Zulassungsantrag (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) nicht, dass der Verfahrensfehler vorliegt. Zwar trifft es zu, dass das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht auf die auf Art. 3 Nr. 18 Buchst. b des Zuwanderungsgesetzes (ZuwandG) vom 30.07.2004 (BGBl I 2004, 1950) beruhende, gemäß Art. 15 Abs. 3 ZuwandG am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. (die durch Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 [BGBl I S. 1970] mit Wirkung ab 28. August 2008 geändert wurde) eingegangen ist. Auch hatte die Beklagte am Ende ihres letzten Schriftsatzes an das Verwaltungsgericht (Schreiben vom 21.4.2006) geltend gemacht, dass "Gründe, die ein Abweichen vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylVfG gebieten" nicht ersichtlich seien. In Anbetracht der Regel-Ausnahme-Struktur der Vorschrift und der Vorgeschichte des Verwaltungsstreitverfahrens ist in diesem allgemeinen Hinweis aber kein "erhebliches Verteidigungsmittel" zu sehen, welches das Verwaltungsgericht im Sinn des zitierten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts "gezwungen" hätte, § 28 Abs. 2 AslyVfG a. F. in seinem Urteil abzuhandeln, um dem formalen Erfordernis vollständiger Entscheidungsgründe zu genügen.

Bei § 28 Abs. 2 AslyVfG a. F. handelte es sich nicht um eine zwingende Regelung, sondern um einen Regel-Ausnahme-Tatbestand. In einem Folgeverfahren durfte die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn der Ausländer sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG gestützt hat, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind. Die Vorschrift wurde - jedenfalls auch - so verstanden, dass der Ausnahmefall - wie bei § 28 Abs. 1 AsylVfG ("es sein denn ...") - vorliegt, wenn sich die Nachfluchtaktivitäten als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten Überzeugung darstellen (OVG Bremen vom 20.7.2006 - Juris [RdNr. 19]). Vor diesem Hintergrund hätte es im Hinblick auf die im Vorprozess festgestellte (einfache) Mitgliedschaft des Klägers in der Yekiti-Partei weiterer Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. bedurft, um dem Einwand der Beklagten die Qualität eines "erheblichen", formale Begründungspflichten auslösenden Verteidigungsmittels zu verleihen.

Davon abgesehen kommt, wie die Kläger in der Erwiderung auf den Zulassungsantrag mit Recht geltend machen, in Betracht, dass das Urteil deswegen keine Ausführungen zu § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. enthält, weil das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die im Vorprozess festgestellte (einfache) Mitgliedschaft des Klägers in der Yekiti-Partei ohne weiteres angenommen hat, dass eine Ausnahme von der in Vorschrift normierten Regel vorliegt. Ein weiterer Grund dafür, dass § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. nicht erwähnt wird, könnte im Übrigen darin zu sehen sein, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Vorschrift sei auf das schon vor deren Inkrafttreten eingeleitete Verfahren nicht anwendbar. Diese Rechtsauffassung widerspräche zwar der - auch schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden - herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NRW vom 12.7.2005 InfAuslR 2005, 489; OVG RhPf vom 5.1.2006 AuAS 2006, 102 f.; OVG Bremen vom 20.7.2006 Az. 2 A 215/05.A Juris RdNrn. 11 ff.; NdsOVG vom 16.6.2006 InfAuslR 2006, 421 f.). Da die Frage, ob es sich bei der Anwendung des § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. auf vor dem 1. Januar 2005 eingeleitete Folgeverfahren um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rückanknüpfung handelt oder um eine unzulässige Rückwirkung, in den genannten obergerichtlichen Entscheidungen zum Teil eingehend erörtert wird (vgl. OVG RhPf vom 5.1.2006 a. a. O.), erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass sich das Verwaltungsgericht ohne weitere Ausführungen auf den (unzutreffenden) Standpunkt gestellt hat, dass § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. auf das Verfahren der Kläger nicht anzuwenden sei.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Die Beklagte hat keine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert, sondern die allgemeine Frage aufgeworfen, bei welchen Fallgestaltungen ein Abweichen von der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. in Betracht kommt. Das genügt zur Darlegung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) einer grundsätzlichen Bedeutung nicht. Der Beklagten ist zwar zugute zu halten, dass dem angefochtenen Urteil letztlich nicht entnommen werden kann, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht nicht auf § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F. eingegangen ist. Das entbindet die Beklagte aber nicht von den Verpflichtungen, eine auf den zu entscheidenden Sachverhalt bezogene, konkrete Frage herauszuarbeiten sowie darzulegen, weshalb diese Frage klärungsbedürftig und für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist und worin ihre allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BVerwG vom 17.4.1998 InfAuslR 1998, 381; vom 31.7.1984 BVerwGE 70, 24).

Davon abgesehen dürfte der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG auch deswegen nicht vorliegen, weil § 28 Abs. 2 AsylVfG a. F., wie bereits erwähnt wurde, durch Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 [BGBl I S. 1970] mit Wirkung ab 28. August 2008 geändert wurde und die neue Fassung des § 28 AsylVfG auch auf Folgeverfahren anzuwenden ist, die vor ihrem Inkrafttreten am 28. August 2007 bereits eingeleitet waren (zu Letzterem: BayVGH vom 5.9.2007 - 14 B 05.31261 - Juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Alternative 1 RVG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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