Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 10.03.2009
Aktenzeichen: 11 B 06.1051
Rechtsgebiete: StVG, FeV


Vorschriften:

StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1
FeV Nr. 8.1 der Anlage 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

11 B 06.1051

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Entziehung der Fahrerlaubnis;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. März 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 11. Senat,

durch die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Beck als Vorsitzende, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ertl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit

ohne mündliche Verhandlung am 10. März 2009

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 4. März 1967 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alte Einteilung).

Am 7. August 2004 kündigte der Kläger telefonisch Selbstmordabsichten an und fuhr mit seinem Motorrad weg. Zwei Tage später konnte er von der Polizei ausfindig gemacht werden. Gegenüber der eingeschalteten Amtsärztin dementierte er seine Selbstmordabsichten und erklärte, dass er sich umgehend bei einem Psychiater einfinden werde, um dort behandelt zu werden, u.a. auch wegen seiner Alkoholabhängigkeit.

Das von der Fahrerlaubnisbehörde auf Grund dieses Vorfalls angeforderte neurologisch-psychiatrische Gutachten stellte fest, dass sich keine Hinweise für eine akute suizidale Gefährdung des Klägers fänden. Bei Berücksichtigung des signifikant erhöhten CDT-Wertes müsse aber zumindest von einem Alkoholmissbrauch in den letzten Wochen ausgegangen werden. Der Kläger räume hingegen nur einen mäßigen Alkoholkonsum ein. Eine Alkoholproblematik, die die Fahreignung in Frage stelle, könne nicht ausgeschlossen werden. Das daraufhin eingeholte medizinisch-psychologische Gutachten vom 2. März 2005 kam zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein Alkoholmissbrauch vorliege, der die Fahreignung beeinflusse.

Nach Anhörung entzog der Beklagte dem Kläger mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 2. Juni 2005 die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein spätestens drei Tage nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, dass aus dem negativen Fahreignungsgutachten, an dessen inhaltlicher Richtigkeit auch nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme keine Zweifel bestünden, die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen folge.

Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 5. September 2005 zurückgewiesen.

Die erhobene Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 14. März 2006 ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Weiter hatte sich der Kläger gegen den Sofortvollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis gewandt. Mit Beschluss vom 4. Januar 2006 (Az. 11 CS 05.1878) stellte der Senat die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wieder her. In dem Beschluss wird ausgeführt, dass bislang nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststehe, dass der Kläger zwischen einem übermäßigen Alkoholgenuss und dem Führen von Kraftfahrzeugen nicht hinreichend trennen könne. Eine naheliegende zweite gutachterliche Stellungnahme sei nicht eingeholt worden.

Mit der zugelassenen Berufung beantragt der Kläger, das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. März 2006 und weiter den Bescheid des Landratsamts ********* vom 2. Juni 2005 sowie den Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 5. September 2005 aufzuheben.

Es wird geltend gemacht, dass auch nach Anhörung der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die erforderlichen Feststellungen zum Trennungsvermögen des Klägers zwischen Führen eines Kraftfahrzeuges und einem möglicherweise übermäßigen Alkoholgenuss fehlten. Ein ergänzendes Gutachten sei nicht eingeholt worden.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf Hinweis des Gerichts zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt im Berufungsverfahren erklärte sich der Kläger zunächst vergleichweise bereit, ein aktuelles medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Eine entsprechende Einwilligungserklärung wurde trotz wiederholter Aufforderung aber nicht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 11. November 2008 ordnete das Gericht eine Beweiserhebung über die Frage, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2005 das Führen eines Kraftfahrzeuges und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum hinreichend sicher trennen konnte, durch Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens an. Das Gutachten konnte nicht erstellt werden, da der Kläger zum festgelegten Untersuchungstermin nicht erschienen ist und auch die Vereinbarung eines anderen Untersuchungstermins nicht möglich war.

Die Parteien erklärten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Bescheid des Landratsamts ********* vom 2. Juni 2005 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 5. September 2005 rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen, weil er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat.

Maßgebend für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist regelmäßig die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. BVerwGE 99, 249/250). Es kommt daher vorliegend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides an.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Voraussetzung der Entziehung ist, dass die Nichteignung positiv festgestellt wird. Aufgrund der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen und der Weigerung des Klägers, sich einer ergänzenden psychologischen Begutachtung zu unterziehen, steht die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zur Überzeugung des Senats fest.

In Nr. 8 der Anlage 4 zur FeV werden Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit als die Fahreignung ausschließende Krankheiten und Mängel benannt. Alkoholmissbrauch ist nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV anzunehmen, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Die der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Zusammenhang obliegende Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist eine Prognose. Die in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV enthaltene Definition ist deshalb sinngemäß dahingehend zu ergänzen, dass Alkoholmissbrauch vorliegt, wenn zu erwarten ist, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Voraussetzung für eine negative Prognose ist nicht, dass es in der Vergangenheit bereits zu einer Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug gekommen ist (vgl. BVerwG vom 21.5.2008 NJW 2008, 2601 f.).

Das medizinisch-psychologische Gutachten vom 2. März 2005 kommt zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein Alkoholmissbrauch vorliegt, der die Fahreignung beeinflusse. Da der Kläger sich der angeordneten medizinisch-psychologischen Begutachtung gestellt und das Gutachten der Behörde vorgelegt hat, ist nicht mehr zu prüfen, ob die zugrunde liegende behördliche Anordnung nach § 13 Nr. 2 a FeV rechtmäßig war. Dabei ist eine auf ein solches Gutachten gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nur dann rechtlich einwandfrei, wenn das Gutachten ohne weiteres die Nichteignung des Betroffenen ergibt. Die Entziehung kann auch dann rechtmäßig sein, wenn das schriftliche Gutachten dem Betroffenen die Eignung abspricht, aber in seiner Begründung nicht ohne weiteres überzeugt, sondern ergänzungs- oder erläuterungsbedürftig erscheint. In diesem Fall muss das Gericht die Tatsache des gegen die Eignung des Betroffenen sprechenden Gutachtens in dem Sinne berücksichtigen, dass es die Eignungsfrage abschließend klärt (vgl. BVerwG vom 19.3.1996 ZfS 1996, 318).

Wie der Senat bereits in seiner Beschwerdeentscheidung vom 4. Januar 2006 ausgeführt hat, ist das medizinisch-psychologische Gutachten vom 2. März 2005 bezüglich der Feststellung, dass der Alkoholkonsum des Klägers seine Fahreignung beeinflusse, ergänzungsbedürftig. Auf die Ausführungen des Senats in dem Beschluss vom 4. Januar 2006 wird Bezug genommen. Die Ergänzungsbedürftigkeit des Gutachtens hat der Senat auch nach Einvernahme der Diplom-Psychologin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bejaht und mit Beweisbeschluss vom 11. November 2008 die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet. Eine Nachbesserung des Gutachtens vom 2. März 2005 im psychologischen Teil hielt der Senat auch im Hinblick auf die inzwischen verstrichene Zeit nicht für geboten. Das psychologische Gutachten konnte aber nicht erstellt werden, da der Kläger sich nicht untersuchen ließ. Er nahm weder den festgelegten Untersuchungstermin wahr noch teilte er auf Bitte des Gutachters mit, ob er zu einem anderen Termin für eine Begutachtung zur Verfügung stehe. Dabei gab er für seine Verweigerung der Begutachtung keine Gründe an, obwohl er im Klage- wie auch im Berufungsverfahren die Einholung eines weiteren Gutachtens angeregt hatte.

Entzieht sich der Betroffene im gerichtlichen Verfahren der Mitwirkung an der Klärung von Zweifeln an seiner Fahreignung, so kann hieraus auf die mangelnde Fahreignung geschlossen werden (vgl. BayVGH vom 30.11.1998 ZfS 1999, 219 f.). Die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht sind in § 11 Abs. 8 FeV nunmehr ausdrücklich geregelt, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber einer behördlichen Gutachtensaufforderung zu Unrecht verweigert. Auch ohne gesetzliche Regelung durfte aber nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 15 b StVZO a.F. die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Kraftfahrers schließen, wenn dieser der berechtigten Anordnung auf Beibringung eines Gutachtens ohne ausreichenden Grund nicht nachkam. Der Grund für den Schluss von der Nichtbefolgung einer Gutachtensanordnung auf die Nichteignung des Kraftfahrers wurde in der Verletzung seiner Mitwirkungspflicht gesehen; denn er hat zur Klärung der Zweifel beizutragen, die an seiner Kraftfahreignung bestehen. Die Weigerung des Fahrerlaubnisinhabers, sich untersuchen zu lassen, konnte im Rahmen der Beweiswürdigung dahin gewertet werden, dass der Betroffene vorwerfbar die Benutzung eines Beweismittels vereitelt und nach dem Rechtsgedanken der §§ 427, 444, 446 ZPO die zu beweisende Tatsache (der Nichteignung) als erwiesen angesehen werden kann. Die Behörde konnte auf Grund der Eignungsbedenken zu der Überzeugung gelangen, dass der Betroffene Mängel verbergen will, die seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen, und seine Nichteignung erwiesen ist (vgl. BVerwG vom 11.6.2008 NJW 2008, 3014 f.; BayVGH vom 7.11.2006 11 ZB 05.3034; OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.7.2002 VRS 105, 76 f., jeweils m.w.Nachw.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen würdigt der Senat die Weigerung des Klägers, sich ergänzend begutachten zu lassen dahin, dass er Eignungsmängel verbergen will, die seine Kraftfahreignung ausschließen, und kommt aufgrund der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen, die jedenfalls Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, und seiner Weigerung zu dem Schluss, dass die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Abschnitt II.46.1, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 - NVwZ 2004, 1327 f. -).

Ende der Entscheidung

Zurück