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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 11 CS 05.1677
Rechtsgebiete: VwGO, StVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 1 Satz 2
StVG § 4 Abs. 2 Satz 3
StVG § 4 Abs. 2 Satz 4
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 5 Satz 2
StVG § 4 Abs. 7 Satz 1
1. Für die Rechtsfolgen, die § 4 Abs. 3 und 5 StVG an das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punktestände knüpfen, kommt es auf den Tag der Begehung der zugrunde liegenden verkehrsrechtlichen Verstöße an (sog. Tattagsprinzip).

2. Eine Reduzierung des Punktestandes im Verkehrszentralregister gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte kann auch mehrmals erfolgen, wenn der Betroffene die 18-Punkte-Grenze mehrmals überschreitet, ohne dass die Behörde eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat.

3. Ob eine Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG auf der Nichtteilnahme an einem gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG angeordneten Aufbauseminar beruht, beurteilt sich nach objektiven Kriterien.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

11 CS 05.1677

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Entziehung der Fahrerlaubnis (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Juni 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 11. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Festl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ertl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit

ohne mündliche Verhandlung am 14. Dezember 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Juni 2005 wird aufgehoben.

II. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 20. April 2005 wird angeordnet.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.

IV. Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 6. April 1974 geborene Antragsteller ist von Beruf Kraftfahrer. Mit Bescheid vom 1. August 2000 hat die Fahrerlaubnisbehörde ihn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen. Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 2. Oktober 2002 über einen Stand von 17 Punkten im Verkehrszentralregister wurde mit Bescheid 18. Oktober 2002, dem Antragsteller zugestellt am 19. Oktober 2002, gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG seine Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet und die Vorlage einer Bescheinigung über die Teilnahme hieran bei der Fahrschule H. in Würzburg bis 18. Dezember 2002 gefordert. Unter dem 7. November 2002 legten die damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers hiergegen einen als Einspruch bezeichneten Rechtsbehelf ein. Mit Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 17. Dezember 2002 wurden die damaligen Antragstellerbevollmächtigten aufgefordert, bis spätestens 10. Januar 2003 mitzuteilen, ob der Widerspruch gegen die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar aufrechterhalten werde und gegebenenfalls eine Widerspruchsbegründung vorzulegen. Unter dem 16. Dezember 2002 baten die damaligen Antragstellerbevollmächtigten um weitere Zurückstellung der Angelegenheit. Auf Blatt 56 der Behördenakte findet sich ein handschriftlicher Vermerk über einen Anruf des Rechtsanwalts. Dieser hat folgenden Wortlaut: "Rücknahme Widerspruch kommt schriftlich. Aufbauseminar wird durchgeführt. Mitteilung über Zeitraum soll durch Herrn Krämer erfolgen." Der Vermerk trägt das Datum 13. Januar 2003. Unter dem gleichen Datum wurde die "Rücknahme des Einspruchs" gegen den Bescheid des Landratsamtes Würzburg vom 7. November 2002 erklärt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller werde sich hinsichtlich des Termins des Aufbauseminars mit dem Sachbearbeiter der Fahrerlaubnisbehörde in Verbindung setzen. Auf Blatt 69 der Behördenakte findet sich ein handschriftlicher Vermerk, der Antragsteller habe mitgeteilt, dass er sich heute für das Aufbauseminar angemeldet habe. Der Vermerk trägt das Datum 14. Januar 2003. Mit Schreiben vom 26. Februar 2003 wurde der Antragsteller an die Vorlage einer Bescheinigung über die Teilnahme an dem Aufbauseminar unter Fristsetzung bis zum 14. März 2003 erinnert. Auf Blatt 71 der Behördenakte findet sich ein weiterer handschriftlicher Vermerk mit dem Datum 12. März 2003, der folgenden Wortlaut hat: "Bescheinigung wird bis 10.4. vorgelegt. Anruf von heute." Mit Schreiben vom 22. April 2003, zugestellt am 23. April 2003, erfolgte die Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 7 StVG. Gemäß einem handschriftlichen Vermerk auf Blatt 72 der Behördenakte hat der Antragsteller daraufhin am 23. April 2003 telefonisch mitgeteilt, er habe heute bei der Fahrschule angerufen, es sei ihm mitgeteilt worden, dass das nächste Aufbauseminar erst in vier Wochen beginne und er dann verbindlich daran teilnehmen werde. Ferner ist hier vermerkt, dass dem Antragsteller eine Fristverlängerung bis Ende Mai für die Vorlage der Teilnahmebescheinigung zugesagt worden sei. Es sei ihm auch mitgeteilt worden, wenn dann erneut keine Teilnahme erfolgt sei, werde die Fahrerlaubnis entzogen. An Blatt 72 der Behördenakte angeheftet ist ein blauer Notizzettel, der unter dem Datum 20. Mai 2003 folgende Notiz trägt: "Mitteilung Fahrschule Hackl Krämer Heiko nicht erschienen zum Aufbauseminar." Mit Bescheid vom 22. Mai 2003 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen 3 und 1 (alte Einteilung) entzogen. Die Fahrerlaubnisentziehung wurde ausdrücklich auf die Nichtteilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar gestützt. Der dem Antragsteller persönlich am 30. Mai 2003 zugestellte Bescheid wurde nicht angefochten.

Mit am 19. Dezember 2003 bei der Behörde eingegangenem Antrag begehrte der Antragsteller die erneute Erteilung einer Fahrerlaubnis. Vorgelegt wurde eine Teilnahmebescheinigung über ein Aufbauseminar gemäß § 4 Abs. 8 StVG vom 17. Dezember 2003. Auf entsprechende behördliche Anordnung wurde das medizinisch-psychologische Gutachten des TÜV Service-Center Würzburg vom 3. Februar 2004 vorgelegt, welches zu dem Ergebnis kommt, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Die Verhaltensprognose könne jedoch durch die Teilnahme an einem nach § 70 FeV anerkannten Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung günstig beeinflusst werden. Unter dem 2. April 2004 wird dem Antragsteller die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung nach § 70 FeV bescheinigt. Nach den Behördenakten wurde dem Antragsteller am 5. April 2004 eine neue Fahrerlaubnis ausgehändigt. Dieses Datum ist handschriftlich in Feld 14 auf der Rückseite des in Kopie vorliegenden Kartenführerscheins eingetragen.

Eine erneute Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 13. Januar 2005 weist auf einen Stand von 22 Punkten im Verkehrszentralregister für den Antragsteller hin. Mit Schreiben vom 8. März 2005 hörte ihn deshalb die Fahrerlaubnisbehörde erneut zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis an. Aus einem Aktenvermerk auf der Rückseite von Blatt 167 der Behördenakte vom 10. März 2005 ergibt sich, dass sowohl der Antragsteller als auch seine Ehefrau telefonisch durch die Fahrerlaubnisbehörde darüber belehrt wurden, dass wegen des damals fehlenden Aufbauseminars ein Punkteabbau durch die erstmalige Fahrerlaubnisentziehung vom 22. Mai 2003 nicht stattgefunden habe. Mit Bescheid vom 20. April 2005, zugestellt am 26. April 2005 entzog schließlich die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller erneut die Fahrerlaubnis (Nr. 1), verfügte, dass der Führerschein der Klassen B, C und CE, "ausgestellt vom Landratsamt Würzburg, Außenstelle Ochsenfurt am 05.04.2004", spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheids im Landratsamt abzugeben sei (Nr. 2) und ordnete unter Nr. 3 die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1 und 2 an. Die Fahrerlaubnisentziehung wurde auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützt. Dem Bescheid war eine Aufstellung über die durch die Behörde mit 19 Punkten bewerteten, im Verkehrszentralregister verzeichneten Verkehrsverstöße des Antragstellers beigefügt. Der Widerspruch des Antragstellers, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, ging am 10. Mai 2005 bei dem Landratsamt ein.

Mit Telefax vom 18. Mai 2005 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Würzburg die Wiederherstellung seines Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 20. April 2005 beantragen. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2005 trat das Landratsamt Würzburg diesem Antrag entgegen und teilte unter anderem mit, der Antragsteller habe am 6. April 2004, also bereits einen Tag nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, erneut einen Rotlichtverstoß begangen.

Mit Beschluss vom 9. Juni 2005, auf den Bezug genommen wird, wurde der Antrag abgelehnt.

In seiner Beschwerdeschrift vom 20. Juni 2005, eingegangen bei Gericht am 21. Juni 2005, nimmt der Bevollmächtigte des Antragstellers zunächst auf die Darlegungen in der Begründung des erstinstanzlichen Antrags vom 18. Mai 2005 Bezug. Ergänzend wird vorgetragen, mit der Erteilung der Fahrerlaubnis vom 5. April 2004 hätten die bis dahin vorhandenen Punkte getilgt werden müssen. Die gegenteilige Auffassung sei widersinnig. Die von der ersten Instanz übernommene Behauptung des Antragsgegners, der Antragsteller habe sich nach Mitteilung des Standes von 18 Punkten einem Aufbaukurs entzogen, sei unrichtig. Vor der erstmaligen Entziehung der Fahrerlaubnis am 22. Mai 2003 habe ein Telefont der damaligen Antragstellerbevollmächtigten mit der Behörde ergeben, der Antragsteller könne sich den Aufbaukurs sparen, weil ihm die Fahrerlaubnis ohnehin entzogen werde, da er schon 18 Punkte angesammelt habe. Das Verwaltungsgericht sei daher in der angegriffenen Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, die Nichtteilnahme an dem Aufbauseminar könne dem Antragsteller vorgeworfen werden. Der angegriffene Beschluss sei auch insoweit unzutreffend, als darin von einem Rotlichtverstoß des Antragstellers einen Tag nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ausgegangen werde. Im Verkehrszentralregister finde sich kein Tatdatum "06.04.2004". Die Mitteilung des Verkehrszentralregisters weise eine Tat vom 14. Mai 2003 und die nächste vom 16. November 2004 auf, nicht aber eine Tat vom 6. April 2004. Das Verwaltungsgericht Würzburg sei in seiner Entscheidung somit von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Es wird beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Juni 2005 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 10. Mai 2005 und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamtes Würzburg vom 20. April 2005 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Insbesondere wird ausdrücklich bestritten, dass ein Mitarbeiter des Antragsgegners vor der ersten Fahrerlaubnisentziehung dem damaligen Bevollmächtigten gegenüber geäußert habe, der Antragsteller könne sich das Aufbauseminar wegen seines Punktestandes sparen. Auf den Schriftsatz vom 20. Juli 2005 nebst Anlage wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 22. August 2005 äußerten sich die Antragstellerbevollmächtigten nochmals hierzu. Der Antragsteller habe vor der ersten Fahrerlaubnisentziehung 21 Punkte gehabt (letzter Tattag 14. Mai 2003). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG sei daher die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen gewesen. § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG habe deshalb gar nicht gegriffen.

Wegen des Verfahrensgangs und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Vorgang des Landratsamts Main-Spessart verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat in der Sache Erfolg. Auf der Grundlage seines Beschwerdevorbringens kann der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamtes Würzburg Zweigstelle Ochsenfurt, vom 20. April 2005 beanspruchen. Dadurch, dass der Antragsteller in der Beschwerdebegründung auf die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Antragsschriftsatz vom 18. Mai 2005 verweist und die dortigen Darlegungen "ausdrücklich auch zum Gegenstand dieser Beschwerdeschrift" macht, sind diese Ausführungen nicht in rechtswirksamer Weise zum Bestandteil des Beschwerdevorbringens im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO geworden (vgl. VGH Baden-Württemberg vom 11.4.2002 NVwZ-RR 2002, 797, Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 13 c zu § 146; Kopp/Schenke, VwGO; 14. Auflage 2005, RdNr. 41 zu § 146; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Auflage 2004, RdNr. 21 zu § 146). Das in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO normierte Darlegungserfordernis dient dem Zweck, die Oberverwaltungsgerichte durch ein strukturiertes, auf den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts aufbauendes Beschwerdevorbringen zu entlasten und so eine beschleunigte Abwicklung einstweiliger Rechtsschutzverfahren zu ermöglichen (vgl. OVG Hamburg vom 1.10.2002 NVwZ 2003, 1529). Diese Intention des Gesetzgebers liefe leer, würde es zur Erfüllung der Voraussetzungen der Vorschrift ausreichen, das erstinstanzliche Vorbringen nur zu wiederholen oder - wie vorliegend - sogar lediglich darauf Bezug zu nehmen.

Zu berücksichtigen war daher nur das in den Schriftsätzen der Antragstellerbevollmächtigten vom 20. Juni und vom 22. August 2005 unmittelbar enthaltene Beschwerdevorbringen. Die Ausführungen in letzterem Schriftsatz erfolgten zwar nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist, mussten aber nicht außer Betracht bleiben, da mit Ihnen das rechtszeitige Vorbringen lediglich ergänzt wurde.

1.

Was den von Antragsgegnerseite in erster Instanz behaupteten und vom Antragsgegner bestrittenen Rotlichtverstoß am 6. April 2004 angeht, handelt es sich offenkundig um ein Versehen. Mit der Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 26. April 2005 wurde dem Landratsamt Würzburg ein vollständiger aktueller Auszug aus dem Verkehrszentralregister übersandt. Hierbei findet sich eine Eintragung über einen Rotlichtverstoß des Antragstellers am 6. Juni 2004, welcher mit 3 Punkten bewertet wurde (Bl. 224 der Behördenakte). Das Gericht geht davon aus, dass von der Fahrerlaubnisbehörde schlicht das Datum falsch bezeichnet wurde ("06.04.2004" statt richtig "06.06.2004") und das Erstgericht diese falsche Bezeichnung versehentlich übernommen hat. Der Verstoß und die hieran von der Behörde in ihrer erstinstanzlichen Antragserwiderung vom 3. Juni 2005 offenbar geknüpfte Wertung, der Antragsteller sei auch deshalb als fahrungeeignet anzusehen, weil er bereits einen Tag nach Aushändigung seiner neuen Fahrerlaubnis am 5. April 2004 erneut einen Verkehrsverstoß begangen habe, wurden vom Verwaltungsgericht Würzburg aber nicht in der rechtlichen Würdigung des Falles unter Nr. II der Gründe seines Beschlusses vom 9. Juni 2005 verwertet, sondern es wurde lediglich unter Nr. I der Beschlussgründe bei der Sachverhaltsdarstellung die Äußerung des Antragsgegners zitiert.

2.

Der zweite Teil des Beschwerdevorbringens wirft zunächst die Frage auf, ob die bis zum Wirksamwerden der ersten Fahrerlaubnisentziehung vom 22. Mai 2003 angefallenen Punkte des Antragstellers mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 5. April 2004 (Aushändigungsdatum) gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG hätten gelöscht werden müssen. Dies ist im Ergebnis zu bejahen. Die Beschwerde ist deshalb begründet, weil der der streitgegenständlichen Fahrerlaubnisentziehung vom 20. April 2005 zugrunde gelegte Punktestand unzutreffend ist. Der Punktestand des Antragstellers bei der hier streitgegenständlichen Fahrerlaubnisentziehung vom 20. April 2005 betrug weniger als 18 Punkte, so dass diese nicht gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gerechtfertigt war. Im Einzelnen gilt folgendes:

Der Antragsteller wurde bei einem Stand von 8 Punkten im Verkehrszentralregister mit Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde vom 1. August 2000 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen. Eine Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG scheidet daher aus.

Folgende Zuwiderhandlungen waren hierbei zu berücksichtigen:

 TattagPunkte
9.12.19975
12.1.20003
30.7.20001
 9

Auch die Tat vom 9. Dezember 1997 war gemäß § 65 Abs. 4 StVG n.F. im Rahmen des § 4 StVG n.F. zu berücksichtigen, obwohl sie vor dem 1. Januar 1999 begangen worden ist. Die Tat vom 30. Juli 2000 und deren Bewertung nach dem Mehrfachtäter-Punktesystem mit einem Punkt waren der Fahrerlaubnisbehörde zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 1. August 2000 nicht bekannt. Als maßgeblich im Rahmen von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG ist jedoch nicht der Tag der Rechtskraft der Ahndung eines Verkehrsverstoßes und auch nicht der Tag der Eintragung in das Verkehrszentralregister anzusehen, sondern gemäß dem so genannten Tattagsprinzip der Tag der Zuwiderhandlung (für das Tattagsprinzip OVG Thüringen vom 12.3.2003, Az. 2 EO 688/03; für das Rechtskraftprinzip VG Halle vom 14.5.2004, Az. 1 B 31/04).

Dass im Rahmen von § 4 Abs. 3 StVG auf den Tattag und nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung abzustellen ist, durch die der jeweilige Verkehrsverstoß geahndet wurde, folgt aus dem Sinn und Zweck des neu gefassten Punktsystems, wie er sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzes zur Änderung des StVG und anderer Gesetze (VkBl 1998, 770 ff) ergibt. Danach dient die Regelung mit dem in § 4 Abs. 3 StVG enthaltenen Maßnahmenkatalog in besonderer Weise dem Ziel, einen Anreiz zu einem möglichst frühzeitigen, freiwilligen Abbau von Defiziten zu schaffen und dem Betroffenen zu helfen, die Ursachen seines Fehlverhaltens herauszufinden, d.h. Mängel in seiner Einstellung zu erkennen und zu beheben. Dementsprechend dient das seit dem 1. Januar 1999 geltende Punktsystem nicht mehr nur der Feststellung von Defiziten, sondern enthält auch Angebote und Hilfestellungen, diese Defizite zu beheben, und zwar insbesondere durch das Aufbauseminar sowie die verkehrspsychologische Beratung. Der geänderte Maßnahmenkatalog ist ein verhältnismäßiger Ausgleich dafür, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten nunmehr generell und unwiderleglich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird. Ein solcher Punktestand rechtfertigt die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung nur deshalb, weil nach der Wertung des Gesetzgebers von der Uneinsichtigkeit eines Mehrfachtäters auszugehen ist, der sämtliche Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von vorhandenen Defiziten und auch die Möglichkeit, durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung einen Punktebonus zu erhalten, nicht oder nicht hinreichend genutzt hat (vgl. BayVGH vom 20.9.2004, Az. 11 CS 04.2277; OVG Münster vom 21.3.2003 Az. 19 B 337/03 - DAR 2003, 433). Aus der Formulierung von § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber sich im Rahmen des § 4 Abs. 3 StVG gegen das Tattagsprinzip entschieden hätte. Hiernach ist die Fahrerlaubnisbehörde bei den Maßnahmen nach den Nrn. 1 bis 3 an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden. Diese Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG zielt darauf ab, klarzustellen, dass die Fahrerlaubnisbehörde in der Begründung bzw. Bewertung eines Verkehrsverstoßes nicht von einer bereits vorliegenden rechtskräftigen Entscheidung abweichen darf. Weder aus ihrem Wortlaut noch aus ihrem Sinn und Zweck kann aber entnommen werden, dass für die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorgesehenen Maßnahmen jeweils nur solche Zuwiderhandlungen herangezogen werden dürften, über die bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Auch die Registrierung rechtskräftiger Entscheidungen im Verkehrszentralregister kann nicht der maßgebliche Zeitpunkt sein, da sie nicht zu einer verbindlichen Punktebewertung durch das Kraftfahrt-Bundesamt führt, sondern diese Punktebewertung durch die Fahrerlaubnisbehörde selbständig und anlassbezogen gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 40 FeV vorzunehmen ist (vgl. OVG Thüringen a.a.O.; gegen die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Eintragung in das Verkehrszentralregister auch OVG Frankfurt/Oder vom 16.7.2003, Az. 4 B 145/03, DAR 2004, 46 ff.). Einzuräumen ist, dass das Tattagsprinzip im Einzelfall zu Unsicherheiten führen kann, weil bei seiner Anwendung nicht sichergestellt ist, dass die Fahrerlaubnisbehörde von allen durch den Betreffenden begangenen und damit rechtlich relevanten Verkehrsverstößen im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auch Kenntnis hat. Dies ist jedoch hinzunehmen vor dem Hintergrund, dass nur mit dem Tattagsprinzip die objektiv im Zeitpunkt der Entscheidung über eine Maßnahme im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorliegenden Verstöße berücksichtigt werden können, welche das tatsächliche Defizit des Betroffenen abbilden, auf dessen Bekämpfung der Maßnahmenkatalog abzielt und an dessen Vorliegen er anknüpft.

Der Verkehrsverstoß vom 30. Juli 2000 ist somit nach der hier vertretenen Auffassung dem Bescheid vom 1. August 2000 mit zugrunde zu legen. Die Fahrerlaubnisbehörde ging bei ihrer Verwarnung danach zwar fälschlich, aber unschädlich, von 8 Punkten und damit von einem Punkt zu wenig aus.

In der Folge kamen zu den 9 Punkten folgende weitere Punktebewertungen infolge von Verkehrsverstößen des Antragstellers hinzu:

 TattagPunkte
12.2.20011
20.7.20011
30.7.20015

Mit der Tat vom 30. Juli 2001 erreichte das Konto des Antragstellers 16 Punkte und überschritt somit die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gezogene Grenze für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar; diese erfolgte jedoch nicht.

Mit dem folgenden Verkehrsverstoß erreichte der Antragsteller 18 Punkte:

 TattagPunkte
6.11.20012

Nachdem die Anordnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG nicht erfolgt ist, griff mit der Tat vom 6.November 2001 zugunsten des Antragstellers § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG ein, wonach sich sein Punktestand von 18 auf 17 Punkte reduzierte.

Vor dem Hintergrund des Tattagsprinzips ist der Regelung des § 4 Abs. 5 StVG die gesetzliche Wertung zu entnehmen, dass die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG der Entziehung vorgeschalteten Verwarnungen und Angebote den Betreffenden so rechtzeitig erreicht haben müssen, dass sie bei ihm überhaupt noch eine Verhaltens- und Einstellungsänderung bewirken konnten, bevor er durch weitere Verkehrsverstöße bereits die nächste Eingriffsstufe erreicht hatte. Das Tattagprinzip dient mithin im Rahmen des § 4 Abs. 5 StVG dem Zweck, die nach dem Punktsystem erforderliche Warnung an den Mehrfachtäter und die Möglichkeit einer sich daran anschließenden Verhaltensänderung sicherzustellen (vgl. BayVGH vom 20.9.2004 a.a.O.). Dieser Auslegung des § 4 Abs. 5 StVG steht nicht entgegen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt nach § 28 Abs. 3 StVG nur Daten über rechtskräftige bzw. unanfechtbare Entscheidungen im Verkehrszentralregister speichert und den Fahrerlaubnisbehörden nach § 4 Abs. 6 StVG mitteilt und deshalb im Einzelfall die Fahrerlaubnisbehörde nicht immer zeitnah über den tatsächlichen Stand der Verkehrsverstöße eines Betroffenen informiert ist, da insoweit die Warnfunktion des Maßnahmenkatalogs von § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG im Vordergrund steht.

Als nächstes kam es zu dem Verkehrsverstoß vom 6. Mai 2002, durch den sich das Punktekonto des Antragstellers von 17 um 4 auf nunmehr 21 Punkte erhöhte:

 TattagPunkte
6.5.20024

Nachdem auch infolge der Tat vom 06. Mai 2002 keine Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar erfolgte, stellt sich die Frage, ob sich der Punktestand erneut gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte reduzierte. Das OVG Koblenz hat in seinem Beschluss vom 18. Juli 2003 (Az. 7 B 10921/03, DAR 2003, 576 f) entschieden, dass eine erneute Reduzierung des Punktestandes gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG nicht in Betracht kommt, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber zum wiederholten Male 14 oder 18 Punkte überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG ergriffen hat (ihm folgend wohl Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, RdNr. 13 a.E. zu § 4 StVG). Der Entscheidung des OVG Koblenz lag die Überlegung zugrunde, § 4 Abs. 5 StVG sei teleologisch zu reduzieren. Mit der einmaligen Reduzierung der Punktzahl infolge fehlender Verwarnung durch die Fahrerlaubnisbehörde sei das Versäumnis ausgeglichen. Würde eine erneute Reduzierung zugelassen, hätte das zur Folge, dass der sicherheitsrechtliche Zweck des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG der Gefahrenabwehr allein wegen der zeitweiligen Untätigkeit der zuständigen Behörde nicht erreicht werden könnte (OVG Koblenz a.a.O). Diesem Gedanken schließt sich der erkennende Senat jedenfalls insoweit nicht an, als es die Fälle von § 4 Abs.5 Satz 2 StVG angeht, sondern folgt der Auffassung des OVG Frankfurt/Oder (Beschluss vom 16.7.2003 a.a.O.). Zwar ist nicht davon auszugehen, dass mit der Einführungen des Maßnahmenkatalogs im Rahmen des Mehrfachtäter-Punktesystems zum 1. Januar 1999 die Erfüllung des sicherheitsrechtlichen Zwecks durch Entziehung der Fahrerlaubnis in Frage gestellt werden sollte. Jedoch wird durch die Einführung des Maßnahmenkatalogs ganz klar dessen Warnfunktion in den Mittelpunkt der Regelung gerückt. Der Gesetzgeber wollte mit den der Entziehung vorgeschalteten Warnungen und Angeboten ein stärkeres Gewicht auf die Prävention legen. Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck der im Zusammenhang zu sehenden Regelung des § 4 StVG, die nach dem neuen Recht unwiderlegliche Vermutung der Fahrungeeignetheit gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG eingreifen zu lassen, bevor der Betroffene die Möglichkeit hatte, davon Kenntnis zu erhalten, dass seine Defizite als Kraftfahrer einen Grad erreicht haben, bei dem eine Fahrerlaubnisentziehung droht. Bevor der Betroffene nicht zumindest die Möglichkeit hatte, auf eine Warnung durch die erwünschte Änderung seines Verhaltens im Straßenverkehr zu reagieren, ist eine Fahrerlaubnisentziehung gemäß dem Automatismus des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG nicht gerechtfertigt (so auch OVG Münster vom 11.12.2003, Az. 19 B 2526/03, DAR 2004, 286). Wenn aber die Fahrerlaubnisentziehung aufgrund der Ungeeignetheitsvermutung nicht zulässig ist, muss wegen des sonst eingreifenden Automatismus von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG eine auch mehrmalige Reduzierung des Punktekontos nach § 4 Abs. 5 StVG möglich sein. Hierbei hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass der sicherheitsrechtliche Aspekt des § 4 StVG insoweit nachrangig ist. Dies muss auch nicht zu unerwünschten Ergebnissen führen, da § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG darauf hinweist, dass das Punktesystem die Möglichkeit einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 3 Abs. 1 StVG unberührt lässt. Es ist somit davon auszugehen, dass im Falle eines akuten sicherheitsrechtlichen Bedürfnisses eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch vor dem Erreichen der 18-Punkte-Grenze nach den allgemeinen Bestimmungen erfolgen kann (vgl. hierzu auch BayVGH vom 2.6.2003, Az. 11 CS 03.743).

Als am 18. Oktober 2002 die bestandskräftige Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar erging, hatte der Antragsteller demnach infolge der Reduzierung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG nicht 21, sondern nur 17 Punkte im Verkehrszentralregister.

Zu den 17 Punkten kam ein weiterer Verkehrsverstoß des Antragstellers:

 TattagPunkte
11.2.20031

Der Antragsteller hatte somit am 11. Februar 2003 einen Stand von 18 Punkten erreicht. Die 5 Punkte für die Straftat vom 9. Dezember 1997, mitgeteilt am 16. März 1998, durften gemäß § 65 Abs. 9 StVG n.F., § 29 StVG a.F. i.V.m. § 13 a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 2 a, Abs. 3 StVZO a.F. nicht getilgt werden, da am 30. Juli 2001 eine neue Straftat des Antragstellers hinzu gekommen war, die die Tilgung hinderte. Nach neuem Recht ergäbe sich nichts anderes (§ 29 Abs. 6 Satz 1 StVG).

Infolge des Verstoßes vom 14. Mai 2003 erhöhte sich das Punktekonto erneut:

 TattagPunkte
14.5.20033

Zum Zeitpunkt der erstmaligen Entziehung der Fahrerlaubnis am 22. Mai 2003 waren die Verkehrsverstöße des Antragstellers also mit insgesamt 21 Punkten zu bewerten. Es kam folglich zu diesem Zeitpunkt neben der Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 auch eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG wegen Überschreitung der 18-Punkte-Grenze in Betracht. Infolgedessen ist die Frage klärungsbedürftig, in welchem Verhältnis die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG und die des § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG zueinander stehen, denn die vom Antragsteller behauptete Verpflichtung zur Löschung der bis 22. Mai 2003 angefallenen Punkte entfiele, wenn die Fahrerlaubnisentziehung auf der Nichtteilnahme an dem Aufbauseminar beruhen würde, § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG.

Der streitgegenständliche Bescheid vom 22. Mai 2003 wurde mit der Nichtbefolgung der Anordnung, an einem Aufbauseminar teilzunehmen, begründet. Nach dem Wortlaut der Bestimmung in § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG kommt es darauf an, ob die Entziehung darauf beruht, dass der Betroffene nicht an einem Aufbauseminar teilgenommen hat. Bei der gebotenen Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift kann hierbei nicht die subjektive Willensrichtung der Behörde, sondern allein eine objektive Betrachtungsweise maßgeblich sein. Andernfalls könnte die Behörde in Fällen wie dem vorliegenden wählen, worauf sie die Fahrerlaubnisentziehung stützt, und damit auch bestimmen, ob eine Löschung des Punktekontos nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG erfolgt oder gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG unterbleibt. Entscheidend ist vielmehr, nach welcher Rechtsvorschrift die Fahrerlaubnis vorrangig zu entziehen war. Sind hierbei mehrere Tatbestände nebeneinander erfüllt, so ist derjenige Tatbestand als der die Fahrerlaubnisentziehung tragende zu erachten, der als erstes verwirklicht war, d.h. dessen Tatbestandsvoraussetzungen als erstes erfüllt waren.

Vorliegend war eine Fahrerlaubnisentziehung wegen der Nichtteilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar erst Ende Mai 2003 möglich, da die Behörde die Frist zur Vorlage einer Teilnahmebescheinigung bis dahin verlängert hatte. Dass der Antragsteller an dem angeordneten Seminar bei der Fahrschule H. nicht teilgenommen hatte, stand für die Behörde ausweislich des an Bl. 72 der Behördenakte angehefteten Vermerks erst am 20. Mai 2003 fest. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG war aber bereits seit dem letztmaligen Überschreiten der 18-Punkte-Grenze am 11. Februar 2003 zulässig. Objektiv war also die Möglichkeit der Fahrerlaubnisentziehung wegen des Standes von 18 oder mehr Punkten früher eingetreten, so dass der Bescheid vom 22. Mai 2003 trotz seiner Begründung bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG und nicht auf § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG beruhte.

Für den Antragsteller ergibt sich durch die objektivierende Betrachtung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG eine Löschung der bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis angefallenen Punkte, die im Übrigen nach der amtlichen Begründung, VkBl. 1998, 794, nicht bedeutet, dass auch die eingetragenen Entscheidungen gelöscht werden. Diese bleiben so lange im Verkehrszentralregister, bis sie getilgt werden.

Die objektivierende Betrachtungsweise führt nicht zu einer unbeabsichtigten Privilegierung desjenigen, der, wie der Antragsteller, nach Anordnung des Aufbauseminars weitere Verkehrsverstöße begeht. Vielmehr entspricht es der Gesetzessystematik und ist offenkundig vom Gesetzgeber so gewollt, dass an die Nichtteilnahme an einem Aufbauseminar schärfere Sanktionen geknüpft werden, als an die Überschreitung der 18-Punkte-Grenze, nämlich die Entziehung der Fahrerlaubnis schon mit weniger als 18 Punkten (§ 4 Abs. 7 Satz 1 StVG) und das Nichtlöschen der bis dahin gesammelten Punkte ( § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG).

Eine Löschung der für bis zur Bekanntgabe des Bescheides vom 22. Mai 2003 begangenen Zuwiderhandlungen gesammelten Punkte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG war somit vorzunehmen. Mit Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 5. April 2004 befand sich deshalb der Antragsteller bei einem Stand von 0 Punkten.

Nach Aushändigung der neuen Fahrerlaubnis an den Antragsteller am 5. April 2004 wurden folgende Verkehrsverstöße durch ihn begangen:

 TattagPunkte
6.6.20043
16.11.20041

Die mit 3 Punkten bewertete Verkehrsordnungswidrigkeit vom 12. Januar 2000 wäre gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 3, Abs. 6 Satz 4 StVG fünf Jahre nach Rechtskraft der Ahndung, somit am 9. März 2005 zu tilgen gewesen und hätte gemäß § 29 Abs. 8 StVG seitdem nicht mehr für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG und somit für die Beurteilung der Fahreignung verwertet werden dürfen. Dies muss jedoch vorliegend, ebenso wie die am 2. Dezember 2005 fällige Tilgung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 3, Abs. 6 Satz 4 StVG der mit 1 Punkt bewerteten Ordnungswidrigkeit vom 30. Juli 2000 für den Punktestand des Antragstellers bei Fahrerlaubnisentziehung am 20. April 2005 unberücksichtigt bleiben. Da die bis zur Fahrerlaubnisentziehung vom 22. Mai 2003 angefallenen Punkte, wie oben festgestellt, schon nach § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG zu löschen gewesen waren, scheidet ein erneuter "Punkteabzug" infolge der Tilgung aus.

Bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich somit insgesamt ein Punktestand des Antragstellers von 4 Punkten. Die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 20. April 2005 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG war damit nicht gerechtfertigt.

Die aufschiebende Wirkung ist deshalb bezüglich der in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis ebenso wie bezüglich der aus Nr. 2 des Bescheides folgenden Verpflichtung zur Ablieferung der Fahrerlaubnis gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alternative VwGO anzuordnen, da der Sofortvollzug kraft Gesetzes eingetreten ist, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV. Die Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist unschädlich, aber überflüssig. Auch bezüglich der Pflicht, die entzogene Fahrerlaubnis bei der Behörde abzuliefern, ist von einer sofortigen Vollziehbarkeit kraft Gesetzes auszugehen. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 9. Juni 2005 (Az. 11 CS 05.478, VRS 109, 141 ff.) festgestellt hat, ist die unmittelbar auf eine Fahrerlaubnisentziehung (dort kein Fall des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) aufbauende Anordnung, den Führerschein abzuliefern oder vorzulegen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV unmittelbar kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Wäre diese Bestimmung so zu verstehen, dass die Verpflichtung zur Ablieferung der Fahrerlaubnis für sofort vollziehbar erklärt werden muss, wäre § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV überflüssig; denn dass ein für sofort vollziehbar erklärter Bescheid ungeachtet eingelegter Anfechtungsrechtsbehelfe befolgt werden muss, ergibt sich bereits aus § 80 Abs. 2 VwGO. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV kann deshalb nur so verstanden werden, dass er einen besonderen Fall des gesetzlichen Sofortvollzugs im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO enthält: Hat die Behörde die Entziehung einer Fahrerlaubnis verfügt, so hat die sofortige Vollziehbarkeit dieses "Grundverwaltungsakts" nach § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV zur Folge, dass eine darauf aufbauende Verfügung, die die Ablieferung oder Vorlage des Führerscheins anordnet, nicht mehr gesondert für sofort vollziehbar erklärt werden muss (vgl. Beschluss vom 9.6.2005 a.a.O.). Zu dem selben Ergebnis kann man für den vorliegenden Fall durch die Überlegung gelangen, dass die Ablieferungs- bzw. Vorlagepflicht als zwingende Folge der Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG möglicherweise auch an dem gesetzlichen Sofortvollzug des "Grundverwaltungsaktes" gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG teil hat. Jedenfalls bedarf es keiner gesonderten Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für die Ablieferungspflicht, so dass auch insoweit die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs anzuordnen und nicht wiederherzustellen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG sowie den Empfehlungen in den Abschnitten 1.5 Satz 1 sowie 46.3, 46.4 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Ende der Entscheidung

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