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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.04.2005
Aktenzeichen: 12 AE 05.671
Rechtsgebiete: VwGO, SGB VIII


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 123 Abs. 3
SGB VIII § 27 Abs. 1
SGB VIII § 27 Abs. 2
SGB VIII § 33
SGB VIII § 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

12 AE 05.671

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilferechts (Antrag nach § 123 VwGO);

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

ohne mündliche Verhandlung am 1. April 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin ab sofort vorläufig Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der ergänzenden Leistungen zum notwendigen Unterhalt des Kindes W.J. zu gewähren.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung von Jugendhilfe in Form der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege für die Erziehung des Kindes W.J.

1. Die 1988 geborene W.J. ist die Tochter der Beigeladenen, die thailändische Staatsangehörige ist, und des ebenfalls thailändischen Staatsangehörigen S.K., der sich in Thailand an einem unbekannten Ort aufhält. Die Beigeladene heiratete im Jahre 1993 B.D., den Sohn der Antragstellerin, und brachte ihre Tochter 1994 mit nach Deutschland. Seit dem 15. Januar 1996 lebt W.J. im Haushalt der Antragstellerin, die auch ihren Unterhalt bestreitet. Mit Formularantrag vom 5. März 2001 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner Jugendhilfe in Form der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege ab dem 1. Januar 2001. Anlass hierfür war die Trennung der Beigeladenen vom Sohn der Antragstellerin, von dem sie mittlerweile geschieden ist.

Vor dem Amtsgericht B. - Familiengericht - schlossen die Antragstellerin und die Beigeladene am 21. Mai 2001 eine Vereinbarung mit dem Inhalt, dass der Aufenthalt von W.J. bei der Antragstellerin sein solle. Die Antragstellerin solle als Pflegerin für den Aufenthalt, die Besorgung schulischer Angelegenheiten und die Gesundheitsfürsorge bestellt werden.

Mit Beschluss vom 21. Mai 2001 bestellte das Amtsgericht B. - Familiengericht - die Antragstellerin für W.J. als Pfleger für die Angelegenheiten des Aufenthalts, der Gesundheitsfürsorge und der schulischen Angelegenheiten.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2001 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege ab. W.J. lebe seit 1996 bei der Antragstellerin. Der erzieherische Bedarf sei bisher sichergestellt gewesen, ohne dass es öffentlicher Hilfe bedurft habe. Erziehungsprobleme lägen auch derzeit nicht vor, so dass Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nicht gewährt werden könne. Auch sei die Antragstellerin nicht antragsberechtigt, da sie nicht voll personensorgeberechtigt sei. Die ihr mit Beschluss des Amtsgerichts B. übertragenen Teile des Personensorgerechts beinhalteten nicht das Recht zur Antragstellung für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Regierung von O. mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2002 zurück.

2. Am 24. Juli 2002 erhob die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage mit dem Antrag, den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Juli 2001 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 2002 zu verpflichten, ihr ab 5. März 2001 Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der sie ergänzenden Leistungen zum Unterhalt nebst den Kosten der Erziehung des Kindes W.J. zu gewähren.

Am 25. September 2002 erhob auch die Beigeladene Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth, mit der sie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung ab dem 24. September 2002 beantragte. Diese Klage hat die Beigeladene am 23. März 2005 wieder zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 30. April 2004 wurde die Beigeladene zum Klageverfahren der Antragstellerin beigeladen.

3. Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Antragstellerin mit Urteil vom 7. Juni 2004 ab. Die Antragstellerin könne sich nicht auf § 27 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 27 Abs. 2 Satz 1, §§ 33, 39 SGB VIII berufen, weil sie nicht personensorgeberechtigt im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB VIII für W.J. sei. Personensorgeberechtigt sei auch nach der Übertragung der Pflege für die Angelegenheiten des Aufenthaltes, der Gesundheitsfürsorge und der schulischen Angelegenheiten auf die Antragstellerin weiterhin die Beigeladene als Mutter des Kindes. Eine Anspruchsberechtigung der Antragstellerin ergebe sich nicht aus der Übertragung der Pflege für bestimmte Aufgabenbereiche durch den Beschluss des Amtsgerichtes B. vom 21. Mai 2001. Zwar sei es möglich, durch familiengerichtliche Entscheidung Sorgerechtsbereiche dergestalt auf eine dritte Person zu übertragen, dass diese das Recht erhalte, öffentliche Jugendhilfe (§ 27 SGB VIII) in Anspruch zu nehmen und Leistungen zum Unterhalt und zur Erziehung (§ 39 SGB VIII) geltend zu machen. Eine derartige familiengerichtliche Entscheidung müsste jedoch ausdrücklich und in unmissverständlicher Weise ergehen. Sie liege hier nicht vor.

Die Antragstellerin sei auch nicht dadurch Inhaberin des Anspruchs auf Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen geworden, dass die Beigeladene mit Schreiben vom 4. Juli 2002 ihr Einverständnis mit der Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung auf die Antragstellerin erklärt habe. Eine lediglich privatrechtliche Vereinbarung über die Berechtigung zur Geltendmachung von Rechtspositionen nach §§ 27 ff. SGB VIII müsse sich der Träger der Jugendhilfe nicht entgegenhalten lassen, weil er nur an die sich für ihn aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtungen gebunden sei. Da die Antragstellerin weder Inhaberin des Personensorgerechts für W.J. sei noch ihr durch das Familiengericht die für die Inanspruchnahme der Hilfe zur Erziehung notwendigen Teile der Personensorge übertragen worden seien, stehe ihr der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

4. Das Amtsgericht B. übertrug mit Beschluss vom 13. Dezember 2004 auch das Recht zur Geltendmachung von Sozialleistungen auf die Antragstellerin. In der Begründung dieses Beschlusses ist ausgeführt, zwar sei kein Raum für die im Hauptantrag begehrte Klarstellung des Beschlusses vom 21. Mai 2001 durch eine weitere gerichtliche Entscheidung, weil die Antragstellerin gemäß § 1688 Abs. 1 Satz 2 BGB als Pflegeperson befugt sei, Sozialleistungen für W.J. geltend zu machen. Jedoch sei die hilfsweise beantragte weitere Übertragung der elterlichen Sorge hinsichtlich der Geltendmachung von Sozialleistungen gemäß § 1630 Abs. 2 BGB auszusprechen, weil nunmehr entsprechende übereinstimmende Erklärungen der Antragstellerin und der Beigeladenen vorliegen.

Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Senat mit Beschluss vom 1. April 2005 zugelassen (Az. 12 B 02.2024).

5. Am 10. März 2005 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgerichtshof beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab sofort Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der sie ergänzenden Leistungen zum notwendigen Unterhalt nebst den Kosten der Erziehung des Kindes W.J. zu gewähren.

Sie trägt vor, durch die Entscheidung des Amtsgerichts B. vom 13. Dezember 2004 sei nunmehr klargestellt, dass sie zur Geltendmachung von Sozialleistungen für W.J. berechtigt sei. Die Beigeladene sei mit der Geltendmachung von Hilfe zur Erziehung durch sie einverstanden. Es sei ihr nicht länger zuzumuten, die Kosten für die Pflege, Unterbringung und Erziehung von W.J. zu tragen, mit der sie nicht verwandt sei. Indem sie die Pflege und Erziehung übernommen habe, erfülle sie Aufgaben und Pflichten, die zunächst den Eltern, danach aber dem Staat zukommen würden. Der Vater von W.J. sei unbekannten Aufenthalts, die Mutter könne die Erziehung des Kindes nicht leisten. Für die Antragsbefugnis im Sinn des § 27 SGB VIII reiche es aus, wenn der Sorgeberechtigte mit der Antragstellung durch die Pflegeperson einverstanden sei. Eine endgültige Entscheidung der Sache sei bislang nicht absehbar.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Ein erzieherischer Bedarf für W.J. liege unverändert nicht vor. Deren Aufnahme in die Wohnung der Antragstellerin im Jahr 1996 sei ohne Beteiligung des Jugendamts u.a. wegen der beengten Wohnverhältnisse bei den Eltern erfolgt und weil die Antragstellerin W.J. im schulischen Bereich besser habe fördern können. Der Antragstellerin sei es bei dem Hilfeantrag nicht darum gegangen, Unterstützung für die Erziehung von W.J. zu erhalten, sondern ausschließlich um eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für ihren Lebensunterhalt. W.J. erhalte vom Sozialamt des Antragsgegners Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch in Höhe von insgesamt 157,77 € monatlich, so dass der Antragstellerin mit dem Kindergeld von 154 € insgesamt 311,77 € monatlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts von W.J. zur Verfügung stünden. Deshalb bestehe für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis.

6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

1. Der Antrag ist zulässig.

1.1 Der Verwaltungsgerichtshof ist für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 123 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO), weil die Klage der Antragstellerin bereits im Berufungsverfahren bei ihm anhängig ist.

1.2 Für den Antrag besteht entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar erhält W.J. mittlerweile Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch in Höhe von 157,77 € monatlich, so dass der Antragstellerin, an die diese Leistungen ausbezahlt werden, mit dem Kindergeld in Höhe von 154 € monatlich insgesamt 311,77 € zur Bestreitung des Lebensunterhalts von W.J. zur Verfügung stehen. Das von der Antragstellerin begehrte Pflegegeld nach §§ 33, 39 SGB VIII beträgt aber 774 € monatlich. Da von diesem Betrag nur der hälftige Kindergeldanteil in Höhe von 77,50 € (154 : 2) abgezogen wird, würde der Antragstellerin auch bei Anrechnung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für W.J. ein erheblicher monatlicher Mehrbetrag verbleiben, was die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses rechtfertigt.

1.3 Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), weil sie durch die Ablehnung der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich von Leistungen zur Sicherstellung des Unterhalts von W.J. möglicherweise in ihren Rechten verletzt wird. Aufgrund der Übertragung der elterlichen Sorge für W.J. in Angelegenheiten des Aufenthalts, der Gesundheitsfürsorge, der schulischen Angelegenheiten und des Rechts zur Geltendmachung von Sozialleistungen auf die Antragstellerin erscheint ein entsprechender Jugendhilfeanspruch der Antragstellerin nicht als von vornherein ausgeschlossen.

2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist auch begründet.

2.1 Die Antragstellerin hat den für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Da die Antragstellerin die Kosten für den Unterhalt und die Erziehung ihres Pflegekindes laufend zu tragen hat und der Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache derzeit noch nicht absehbar ist, liegt die erforderliche Dringlichkeit der Sache vor.

2.2 Die Antragstellerin hat auch den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihr steht der geltend gemachte Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der Leistungen zur Sicherstellung des Unterhalts von W.J. gemäß §§ 27, 33, 39 SGB VIII zu. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Personensorgeberechtigter ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII, wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Personensorge zusteht. Die Personensorge für W.J. steht nicht der Antragstellerin, sondern der Beigeladenen als ihrer Mutter zu. Allerdings wurde der Antragstellerin die elterliche Sorge für die Angelegenheiten des Aufenthalts, der Gesundheitsfürsorge, der schulischen Angelegenheiten und das Recht zur Geltendmachung von Sozialleistungen übertragen. Ob die Übertragung einzelner Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson die Anspruchsberechtigung im Sinn des § 27 Abs. 1 SGB VIII begründen kann, ist sehr strittig. Nach überwiegender Auffassung besitzt ein Pfleger, dem allein das Recht zur Aufenthaltsbestimmung übertragen wurde, nicht das Recht, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen (BVerwG ZfJ 2002, 30; Münder u.a. FK-SGB VIII, § 27 RdNr. 24; Kunkel, LPK-SGB VIII, § 27 RdNr. 9; Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, vor § 27 RdNr. 42; a.A. W. Schellhorn, SGB VIII/KJHG, § 27 RdNr. 15). Dagegen genügt es für die Annahme einer Anspruchsberechtigung gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII, wenn das Familiengericht die für die Inanspruchnahme der Hilfe zur Erziehung notwendigen Teile der Personensorge auf einen Personensorgerechtspfleger überträgt (Kunkel, a.a.O., m.w.N.). Zu den danach zu übertragenden Teilen der Personensorge werden im allgemeinen das Recht, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen, die Mitwirkungsrechte im Hilfeplanverfahren und das Aufenthaltsbestimmungsrecht gerechnet (Kunkel, a.a.O.; Jans/Happe/Saurbier/Maas, KJHG, 3. Aufl., § 27 RdNr. 22 a).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist im vorliegenden Fall von einer Anspruchsberechtigung der Antragstellerin im Sinn des § 27 Abs. 1 SGB VIII auszugehen, weil ihr vom Familiengericht zum einen die vier genannten Wirkungskreise übertragen wurden, die für eine Wahrnehmung der Erziehungsaufgaben notwendig, aber auch ausreichend sind, und zum anderen die Beigeladene sowohl mit der Erziehung ihrer Tochter durch die Antragstellerin als auch der Beantragung von Hilfe zur Erziehung durch die Antragstellerin ausdrücklich einverstanden ist.

Auch die weiteren Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs liegen vor. Insbesondere ist eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen, hier von W.J., entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für ihre Entwicklung geeignet und notwendig (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII). Maßgeblich für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung ist dabei die Erziehungssituation in der Herkunftsfamilie (Wiesner, a.a.O., § 33 RdNr. 44), hier also der Familie der Beigeladenen. Deshalb steht dem Anspruch der Antragstellerin auf Hilfe zur Erziehung nicht entgegen, dass sie selbst eine dem Wohl von W.J. entsprechende Erziehung gewährleistet, was der Antragsgegner ausdrücklich bestätigt hat.

Für die Richtigkeit des Vortrags der Antragstellerin, dass die Beigeladene die Erziehung von W.J. nicht (hinreichend) leisten könne, ergeben sich gewichtige Anhaltspunkte aus dem im familiengerichtlichen Verfahren erstellten psychologischen Sachverständigengutachten der Diplom-Psychologin G.D. vom 6. November 2001. Danach wurde ein mangelnder erzieherischer Einfluss der Beigeladenen auf den bei ihr lebenden Sohn D. festgestellt, auf den die Beigeladene selbst bereits mehrfach im Explorationsgespräch hingewiesen habe. Auch falle es ihr schwer, die Erziehungssituation mit D. zu strukturieren, das Kind zu sinnvoller Beschäftigung anzuregen und ihm Hilfen zu geben, seine Unruhe und seine Aufmerksamkeitsdefizite zu überwinden. Aus der häuslichen Umgebung der Mutter sei ebenfalls deutlich geworden, dass sie wohl eher wenig Struktur vorgebe. Die Beigeladene sei hier, schon allein aufgrund ihrer sprachlichen Barrieren und ihres Analphabetentums, kaum dazu in der Lage, dem Kind Unterstützungen zu geben. In der aktuellen Konstellation im Zusammenleben mit einem Kind - dem älteren Sohn D. - seien Erziehungsschwierigkeiten festzustellen, beispielsweise bezüglich eines Gegensteuerns zu seiner motorischen Unruhe und Unaufmerksamkeit, vor allem aber einer ausreichenden Förderung und Unterstützung des Kindes im schulischen Bereich, die die Beigeladene nicht leisten könne. Es sei der Eindruck entstanden, dass sie bereits jetzt mit der Strukturierung der Lebenssituation für sich und D. gefordert sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie als allein erziehende Mutter eine Übernahme zusätzlicher erzieherischer und pflegerischer Aufgaben in einer gedeihlichen Art und Weise bewältigen könnte. Aus kinderpsychologischer Sicht erscheine es dringend notwendig, dass die Beigeladene erzieherisch stabil unterstützt werde und hierfür Hilfe zur Erziehung in Anspruch nehme.

Aus der Tatsache, dass die Beigeladene bereits Schwierigkeiten mit der Erziehung ihres älteren Sohnes D. hat, muss geschlossen werden, dass sie mit einer von ihr daneben zusätzlich zu leistenden Erziehung ihrer Tochter W.J. überfordert wäre und deshalb die Antragstellerin den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege hat.

Dem Antragsgegner ist zwar zuzugeben, dass sich die Fähigkeiten der Beigeladenen zur Erziehung ihrer Kinder seit der Erstellung dieses Gutachtens durchaus verbessert haben könnten. Entsprechende Belege hierfür gibt es aber nicht, zumal das Kreisjugendamt des Antragsgegners bei der Beigeladenen offenbar seit einiger Zeit keinen Hausbesuch mehr durchgeführt hat, wie aus einem Aktenvermerk vom 4. September 2003 gefolgert werden muss. Hinzu kommt, dass W.J. eine Rückkehr in den Haushalt ihrer Mutter ausdrücklich ablehnt, was die Möglichkeit einer dem Kindeswohl entsprechenden Erziehung durch die Mutter ebenfalls in Frage stellt. Ein die Gewährung von Hilfe zur Erziehung rechtfertigender erzieherischer Bedarf ist deshalb bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 123 RdNr. 48) anzunehmen. Die begehrte Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege ist aus den dargelegten Gründen auch für die Entwicklung von W.J. geeignet und notwendig, so dass dem Antrag zu entsprechen war.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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