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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 16.07.2004
Aktenzeichen: 12 B 00.2520
Rechtsgebiete: BSHG, BGB
Vorschriften:
BSHG § 11 Abs. 1 Satz 2 | |
BSHG § 16 Satz 1 | |
BSHG § 18 | |
BSHG § 19 | |
BSHG § 76 Abs. 1 | |
BSHG § 77 | |
BGB § 1603 Abs. 2 | |
BGB § 1612 b |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Sozialhilfe;
hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Juni 2000,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau
ohne mündliche Verhandlung am 16. Juli 2004
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bei der Gewährung ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate November 1999 bis Februar 2000 das der bezugsberechtigten Klägerin zu 1 gewährte Kindergeld als deren Einkommen oder als Einkommen ihres minderjährigen Kindes, der Klägerin zu 2, anzurechnen ist.
1. Die 1964 geborene Klägerin zu 1 und ihre 1987 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, erhielten seit Juni 1988 vom Beklagten ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von laufenden und einmaligen Leistungen. Bei den Bedarfsberechnungen wurde das Kindergeld jeweils als Einkommen der Tochter angesetzt.
Nachdem die Klägerin zu 1 die vom Beklagten geforderten Nachweise über Bewerbungen um einen Arbeitsstelle nicht vorgelegt hatte, wurde mit Bescheid vom 18. September 1998 ihr Regelsatz um 25 vom Hundert gekürzt. Den nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klagen beider Klägerinnen gab das Verwaltungsgericht mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 29. Juni 2000 (RO 8 K 99.294) insoweit statt, als es den Beklagten verpflichtete, der Klägerin zu 2 für die Monate September 1998 bis Januar 1999 einen Betrag von 665 DM als ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren.
Mit Bescheid vom 12. Juli 1999 stellte der Beklagte der Klägerin zu 1 eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung von 3 DM pro Stunde zur Verfügung. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin zu 1 Widerspruch, weil das Angebot nicht zumutbar sei.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 1999 verfügte der Beklagte die Einstellung der Hilfe zum Lebensunterhalt für die "Bedarfsgemeinschaft S." zum 1. November 1999. Nach der Erhöhung des Regelunterhaltsbetrags für die Tochter und Kürzung des Regelsatzes für die Klägerin zu 1 um nunmehr 50 % übersteige das Einkommen den errechneten Bedarf. Die Klägerin zu 1 habe die gemeinnützige Arbeit auch nach Erneuerung der Zuweisung mit Schreiben vom 13. September 1999 nicht angetreten. Um die Verpflichtung zur Selbsthilfe durch Arbeitsaufnahme zu aktivieren, erscheine daher allein eine weitere Kürzung des Regelsatzes als das geeignete Mittel.
Nach der Beteiligung sozial erfahrener Personen wies die Regierung von O. mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2000 die Widersprüche gegen die Bescheide vom 12. Juli 1999 und 8. Oktober 1999 als unbegründet zurück.
2. Daraufhin erhoben die Klägerinnen Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag,
die Bescheide des Beklagten vom 12. Juli 1999 und 8. Oktober 1999 sowie den Widerspruchsbescheid der Regierung der O. vom 4. Februar 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägerinnen ab November 1999 bis auf weiteres laufende Hilfe zum Lebensunterhalt auf der Grundlage des ungekürzten Regelsatzes zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 29. Juni 2000, der Klägerin zu 2 für die Monate November 1999 bis Februar 2000 einen Betrag von 413 DM als ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Außerdem hob es den Bescheid vom 12. Juli 1999 auf. Ferner wurden die Bescheide vom 8. Oktober 1999 und der Widerspruchsbescheid der Regierung der O. vom 4. Februar 2000 insoweit aufgehoben, als sie der ausgesprochenen Verpflichtung zur Hilfeleistung entgegenstehen. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Klage sei unzulässig, soweit mit ihr eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Sozialhilfeleistungen über den Monat Februar 2000 hinaus angestrebt werde. Für den anschließenden Zeitraum fehle es an dem gemäß § 114 Abs. 2 BSHG mit Beteiligung sozial erfahrener Personen durchzuführenden Vorverfahren.
Unbegründet sei die Klage insoweit, als sie auf höhere Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Klägerin zu 1 gerichtet sei. Ihr hätten nämlich in dem fraglichen Zeitraum überhaupt keine laufenden Leistungen zugestanden, so dass sich die Frage einer Kürzung ihres Regelsatzes gar nicht stelle.
Zu dem Einkommen der Klägerin zu 1 zähle auch das an sie als Berechtigte ausgezahlte Kindergeld. Dieses werde nicht etwa bereits dadurch zum Einkommen des Kindes, der Klägerin zu 2, dass es im Haushalt der Mutter allgemeine Leistungen wie Unterkunft, Ernährung und Bekleidung erhalte. Nur bei einer gezielten Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind sei es im Rahmen der sozialhilferechtlichen Bedarfsberechnung als dessen Einkommen einzusetzen. Für eine derartige qualifizierte Zuwendung seien hier keine Anhaltspunkte gegeben. Dafür spreche umso weniger, als der betreffende Betrag für die eigene Existenzsicherung der Klägerin zu 1 benötigt werde. Somit errechne sich für die Monate November 1999 bis Februar 2000 ein Einkommen der Klägerin zu 1 von jeweils 991,04 DM, nämlich 741,04 DM Arbeitslosenhilfe plus 250 DM Kindergeld. Ziehe man hiervon ihren jeweiligen Bedarf ab, bestehend aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand in Höhe von 530 DM zuzüglich der halben anrechenbaren Unterkunftskosten entsprechend den Berechnungen des Beklagten (302,04 DM), so ergebe sich ein übersteigendes Einkommen der Klägerin zu 1 in Höhe von 159 DM monatlich. Die Klägerin zu 1 habe also in diesem Zeitraum keinen Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gehabt.
Auf der anderen Seite verbleibe aber wegen der falschen Zuordnung des Kindergeldes ein ungedeckter Bedarf der Klägerin zu 2 in Höhe von insgesamt 413 DM. Ihr Einkommen setze sich aus den Unterhaltsleistungen des Vaters von 385 DM monatlich und dem ihr gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zuzurechnenden Einkommensüberschuss der Mutter von 159 DM im Monat zusammen. Diesem Betrag (544 DM) stehe die vom Beklagten errechnete Bedarfssumme von 647,04 DM aus Regelsatz (345 DM) und den halben anrechenbaren Unterkunftskosten (302,04 DM) gegenüber. Sonach verbleibe ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 103,04 DM im Monat. Das ergebe für den Zeitraum vom November 1999 bis Februar 2000 die Summe von 413 DM.
Schließlich sei auch der Bescheid vom 12. Juli 1999 aufzuheben, mit dem die Klägerin zu 1 aufgefordert worden sei, eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung wahrzunehmen. Da ihr in eigener Person keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zustehe, könnten ihr gegenüber auch keine Maßnahmen der Hilfe zur Arbeit ergriffen werden.
3. Der Beklagte beantragt mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung, das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Juni 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, das Kindergeld sei im angefochtenen Urteil zu Unrecht als Einkommen der Klägerin zu 1 statt als Einkommen der Klägerin zu 2 angesetzt worden. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen nach dem Bundessozialhilfegesetz sei uneinheitlich und inkonsequent. Seit der Neuregelung des Kindergeldrechts im Einkommenssteuergesetz und der unterhaltsrechtlich vorgeschriebenen hälftigen Anrechnung des Kindergelds auf den Regelbedarf des Kindes gemäß § 1612 b BGB müsse von einer generellen Zuwendung des Kindergelds an das Kind ausgegangen werden. Das ergebe sich bereits aus § 31 Satz 1 EStG, wonach das Existenzminimum eines Kindes steuerlich freizustellen sei entweder durch den Steuerfreibetrag oder das Kindergeld.
Eine Nichtanrechnung des Kindergelds auf das Einkommen des Kindes verstoße gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 - 2 BvL 42/93 (NJW 1999, 561), in dem eindeutig zum Ausdruck komme, dass das Kindergeld zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum eines Kindes zähle. Werde dem Kind das Kindergeld bei einem Sozialhilfebezug des Kindergeldberechtigten ganz oder teilweise dadurch entzogen, dass dieser es für seinen eigenen Lebensunterhalt verwenden müsse, sei das verfassungsmäßige Existenzminimum des Kindes nicht mehr gewährleistet. Verfassungsgemäß sei deshalb nur, das Kindergeld gerade im Sozialhilferecht als Einkommen des Kindes anzusehen.
Werde das Kindergeld dem Kindergeldberechtigten zugerechnet, komme es außerdem zu einer gesetzlich unzulässigen Doppelanrechnung im Wege der Anwendung von § 1612 b BGB. In dieser Vorschrift werde das Kindergeld einer Unterhaltszahlung für das Kind gleichgestellt. Eine Unterhaltsleistung für das Kind sei aber sozialhilferechtlich bei diesem selbst als Einkommen anzurechnen. Folge man der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung, so würde das Kindergeld im zivilen Unterhaltsrecht einerseits und im öffentlichen Unterhaltsrecht andererseits 1,5-fach für den gleichen Zweck, nämlich die Bestreitung des Lebensunterhalts einer Person, verwendet. Dies sei denkgesetzlich nicht möglich und daher rechtswidrig.
Dem minderjährigen Kind müsse das Recht zugestanden werden, seinen Lebensunterhalt primär durch Unterhalt der Eltern und Kindergeld sicherstellen zu können, weil es in der Regel keine ausreichende Erwerbsmöglichkeit habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass auch unterhaltsrechtlich der geschiedenen Ehefrau die Aufnahme einer Halbtagstätigkeit zugemutet werde, sobald das von ihr betreute Kind mit der 3. Grundschulklasse beginne. Die Mutter als betreuender Elternteil, dem eine gewisse Erwerbstätigkeit zugemutet werden könne, dürfe sich nicht auf Kosten der Sozialhilfe ihrer Unterhaltspflicht entziehen.
Selbst wenn man das Kindergeld der Klägerin zu 1 als Einkommen anrechne, wäre es nicht unzulässig, ihr gegenüber Maßnahmen der Hilfe zur Arbeit vorzusehen. In § 18 Abs. 1 BSHG sei zwar von der Arbeitspflicht eines Hilfeempfängers die Rede. In diesem Sinne sei dies jedoch jede unterhaltspflichtige Person innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft nach § 11 Abs. 1 BSHG. Andernfalls wäre der Zusatz "und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen" in § 18 Abs. 1 BSHG völlig überflüssig, wenn nur eine Person, die selbst bedürftig sei, die Arbeitskraft für den eigenen Lebensunterhalt einsetzen müsste.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht habe das Kindergeld zu Recht als Einkommen der Klägerin zu 1 angesetzt, die als Mutter des Kindes Anspruchsberechtigte sei. Das Kindergeld sei demjenigen zuzurechnen, dem es tatsächlich zur Befriedigung des Sozialhilfebedarfs diene. Es könne nicht angenommen werden, dass die Mutter das Kindergeld dem Kind zuwende, so lange nicht ihr eigener sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt sei. Der Hinweis auf § 31 Abs. 1 EStG sei unbehelflich. In dieser Vorschrift gehe es lediglich um die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums des Kindes. Unrichtig sei die Auslegung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998. In ihm komme nicht eindeutig zum Ausdruck, dass das Kindergeld zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum eines Kindes zähle.
Eine gezielte Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind als qualifizierte Zuwendung liege nicht vor. Auch ein Vergleich mit den zivilrechtlichen Vorschriften schütze die Anrechnung des Kindergeldes bei der Klägerin zu 1. So sei das Kindergeld bei der Berechnung von Ehegattenunterhalt wie sonstiges Einkommen zur Bedarfsberechnung gemäß § 1578 BGB heranzuziehen. Die zivilrechtlichen Bestimmungen seien mit den hier vorliegenden Leistungsbestimmungen des Sozialhilferechts nicht vergleichbar. In § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG sei eindeutig geregelt, dass der Betrag für minderjährige unverheiratete Kinder in der dort angegebenen Höhe abzusetzen sei, wobei vom Einkommen des Kindes ausdrücklich keine Rede sei.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe:
1. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zu Recht verpflichtet, der Klägerin zu 2 für die Monate November 1999 bis Februar 2000 einen Betrag von 413 DM als ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Auch die Aufhebung des Arbeitszuweisungsbescheides des Beklagten vom 12. Juli 1999 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Der Beklagte hat das an die Klägerin zu 1 als Kindergeldberechtigte ausgezahlte Kindergeld zu Unrecht als Einkommen ihrer minderjährigen Tochter, der Klägerin zu 2, angesehen und auf deren Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angerechnet. Kindergeld ist sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG, weil es sich um eine mit der Hilfe zum Lebensunterhalt zweckidentische Leistung im Sinn des § 77 BSHG handelt (BVerwGE 94, 326, 328; 114, 339, 314). Das Kindergeld als solches ist abgesehen vom Fall des Vollwaisen (vgl. § 1 Abs. 2 BKGG), grundsätzlich nicht Einkommen des Kindes, sondern des Kindergeldberechtigten (BVerwGE 60, 6, 9).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.; ferner BVerwGE 20, 188; 25, 307; 32, 141; 39, 314; 47, 120; 60, 18, 21), der der Verwaltungsgerichtshof gefolgt ist (z.B. Urteil vom 9.2.2004 Az. 12 B 03.2299), hängt die Möglichkeit, Kindergeld als Einkommen des Kindes auf die ihm gewährte Sozialleistung anrechnen zu können, davon ab, ob im Einzelfall die zweckorientierte, mit Rücksicht auf das Kind dem jeweils Anspruchsberechtigten gewährte Sozialleistung an das Kind weitergereicht, ihm also zugewendet wird. Diese Feststellung lässt sich nicht durch eine "Vermutung der Vorteilszuwendung" ersetzen (BVerwGE 60, 6, 11).
b) Die vom Beklagten gegen diese Rechtsprechung erhobenen Einwände hält der Verwaltungsgerichtshof für unbegründet. Es ist nicht erkennbar, inwiefern die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 - 2 BvL 42/93 (NJW 1999, 561 = DVBl 1999, 389) verstoßen sollte. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Art. 6 Abs. 1 GG es gebietet, bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen. Es hat nicht festgestellt, dass das Kindergeld zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum eines Kindes zählt, wie der Beklagte meint. Vielmehr hat es ausgesprochen, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich freigestellt ist, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung des Steuerrechts und durch das Kindergeldrecht miteinander zu kombinieren. Die jeweiligen Ergebnisse aus den verschiedenen Methoden müssen jedoch in ihren Auswirkungen gleichwertig sein.
Durch die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindergeldberechtigten wird das Existenzminimum des Kindes nicht gefährdet. Denn der Kindergeldberechtigte wird durch die Anrechnung nicht daran gehindert, das Existenzminimum seines Kindes durch entsprechende Unterhaltsleistungen zu sichern. Auch wenn Kindergeld, wie anderes Einkommen auch, ohne strikte Zweckbindung verwendet werden darf, ist es sozialhilferechtlich vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzen (BVerwGE 114, 339, 340).
Die gleiche Verpflichtung besteht auch nach dem Unterhaltsrecht. Gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB sind Eltern, die bei Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen außer Stande sind, ohne Gefährdung ihres angemessenen (eigenen) Unterhalts den Unterhalt zu gewähren, ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden.
c) Eine gesetzlich unzulässige Doppelanrechnung des Kindergelds im Wege der Anwendung des § 1612 b BGB liegt nicht vor. Zwar ist das Kindergeld gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall zur Hälfte auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen, weil es nicht an den barunterhaltspflichtigen Vater der Klägerin zu 2, sondern an die Klägerin zu 1 gezahlt wird, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Das ändert jedoch nichts daran, dass es sozialhilferechtlich nach § 11 Abs. 1 Satz 1, §§ 76 ff. BSHG in der damals geltenden Fassung als bei der Berechnung des Hilfeanspruchs der Klägerin zu 1 anzurechnendes Einkommen zu berücksichtigen ist, was sich wiederum im Rahmen der nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG bestehenden Einsatzgemeinschaft auf die Höhe des der Klägerin zu 2 zustehenden Hilfeanspruchs auswirkt (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ein unzulässiger Wertungswiderspruch besteht insoweit nicht, weil die Regelungen in §§ 12, 11 Abs. 1 BSHG nicht unmittelbar an die bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht anknüpfen. Insbesondere kommt es bei ihrer Anwendung nicht auf das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung der in die Bedarfsgemeinschaft einbezogenen Personen und auf deren Umfang an. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob und in welchem Umfang nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Sozialhilfe Bedürftigkeit vorliegt (W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 11 RZ. 19).
Aus der vom Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 (ZFSH-SGB 2003, 549) ergibt sich ebenfalls nicht, dass das dem Kindergeldberechtigten gezahlte Kindergeld als Einkommen des Kindes anzurechnen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass § 1612 b Abs. 5 BGB in der Fassung des Gesetzes vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1749) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Gleichzeitig hat es ausgesprochen, dass die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung dem Grundsatz der Normenklarheit immer weniger entsprechen. Dagegen hat es keine Aussage dahingehend getroffen, dass das Kindergeld von Verfassungs wegen im Sozialhilferecht als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen ist.
d) Eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass die Klägerin zu 1 das ihr ausgezahlte Kindergeld ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, zuwendet, lässt sich auch nicht aus § 16 Satz 1 BSHG ableiten. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass ein Hilfesuchender, der in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten lebt, von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Die Klägerin zu 2 lebt zwar in Haushaltsgemeinschaft mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1. Die allgemeine Vermutungsregelung des § 16 Satz 1 BSHG ist im vorliegenden Fall aber nicht anwendbar, weil ihr die Spezialregelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG vorgeht (vgl. W. Schellhorn, a.a.O., § 16 RZ. 10). Danach sind bei minderjährigen, unverheirateten Kindern, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen, wenn die Kinder den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem (eigenen) Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt, weil die minderjährige unverheiratete Klägerin zu 2 nicht nur im Haushalt ihrer Mutter lebt, sondern auch ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht (vollständig) aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Auf die bezüglich der Auslegung des § 16 Satz 1 BSHG bestehenden Fragen (vgl. VGH Kassel vom 17.2.2000 FEVS 52, 114) kommt es deshalb im streitgegenständlichen Fall nicht an. Eine entsprechende Anwendung des § 16 Satz 1 BSHG auf den Fall der Einsatzgemeinschaft im Sinn des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht möglich, weil die Voraussetzungen einer Analogie nicht gegeben sind.
e) Das Verwaltungsgericht hat bei der Prüfung der von den Klägerinnen geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung weiterer Hilfe zum Lebensunterhalt die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zutreffend angewandt. Insbesondere hat es bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin zu 2 nicht nur die ihr zufließende Unterhaltsleistung ihres Vaters in Höhe von 385 DM monatlich berücksichtigt, sondern auch den ihr gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zuzurechnenden Einkommensüberschuss ihrer Mutter in Höhe von 159 DM monatlich. Die Errechnung dieses Einkommensüberschusses durch das Verwaltungsgericht ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Es hat zutreffend die der Klägerin zu 1 gewährte Arbeitslosenhilfe von 741,04 DM monatlich und das ihr ausgezahlte Kindergeld von 250 DM als Einkommen berücksichtigt und einen Bedarf von 832,04 DM angesetzt, der sich aus dem Regelsatz für einen Haushaltsvorstand (530 DM) und den hälftigen anrechenbaren Unterkunftskosten in Höhe von 302,04 DM monatlich ergab.
f) Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht den Bescheid des Beklagten vom 12. Juli 1999 aufgehoben, mit dem die Klägerin zu 1 aufgefordert worden war, eine Arbeitsgelegenheit bei der C. Werkstätte in N. gegen Zahlung einer Mehraufwandsentschädigung wahrzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass ein Hilfesuchender, dem in eigener Person keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zusteht, nicht zur Wahrnehmung einer ihm zugewiesenen Arbeitsgelegenheit nach § 18, 19 BSHG verpflichtet werden kann. Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 BSHG, nachdem jeder Hilfesuchende seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen muss. Die Erwähnung der unterhaltsberechtigten Angehörigen bedeutet nicht, dass gegenüber einem Unterhaltspflichtigen, der gar keine Hilfe begehrt bzw. dem sie nicht zusteht, ihn belastende Verwaltungsakte nach §§ 18, 19 BSHG erlassen werden könnten. Das würde voraussetzen, dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen hätte. Die §§ 18 ff. BSHG konkretisieren den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG. Wenn, wie hier, der Anspruch auf Sozialhilfe bereits wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ausgeschlossen ist, kann der "Hilfesuchende", hier die Klägerin zu 1, nicht darauf verwiesen werden, sich vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfe selbst zu helfen. Außerdem wird eine Verweigerung zumutbarer Arbeit nur nach § 25 BSHG sanktioniert. Diese Sanktion kann hier aber nicht eintreten, weil die Klägerin zu 1 keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat. Schließlich übersieht der Beklagte, dass Arbeitsaufforderungen nach §§ 18 ff. BSHG nicht nur belastende Verwaltungsakte sind, sondern zugleich auch Sozialhilfeleistungen, nämlich "Hilfe zur Arbeit" entsprechend der Überschrift des Unterabschnitts 2 (§§ 18 ff. BSHG). Die Gewäh-rung von Sozialhilfeleistungen durch den Sozialhilfeträger setzt voraus, dass ein Sozialhilfeanspruch besteht.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten nicht getroffen, weil er davon ausgeht, dass die Klägerinnen ihre ohnehin nicht in nennenswerter Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten nicht vor Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vollstrecken beabsichtigen.
3. Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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