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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.2026
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X


Vorschriften:

BSHG § 108
SGB X § 111
SGB X § 113 Abs. 1 Satz 1
§ 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X in seiner vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung ist nur dann auf nicht abgeschlossene Erstattungsverfahren aus der Zeit vor dem 1. Januar 2001 anzuwenden, wenn bei Inkrafttreten der Neuregelung die Verjährungsfrist nicht bereits unter Geltung des § 113 SGB X a. F. abgelaufen war.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.2026

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Juli 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

ohne mündliche Verhandlung am 24. Mai 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Juli 2002 wird in Ziffer II. und III. aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Von den Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht trägt der Beklagte drei Viertel und die Klägerin ein Viertel. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihr die für die Familie K. (Hilfeempfänger) in der Zeit vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 aufgewendeten Sozialhilfeleistungen zu erstatten.

1. Mit Bescheid vom 3.Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 1993 wies das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Hilfeempfänger auf Aufnahme als Deutsche nach dem Bundesvertriebenengesetz bestandskräftig ab. Am 23. Juli 1996 reiste die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende Familie aus Polen nach Deutschland ein und erhielt im Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Juli 1998 von der Klägerin Sozialhilfeleistungen. Als erstattungspflichtiger überörtlicher Träger der Sozialhilfe wurde am 4. September 1996 der Beklagte bestimmt.

Mit Schreiben vom 6. September 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten Kostenerstattung für die von ihr aufgewendeten Sozialhilfeleistungen. Der Beklagte antwortete unter dem 23. September 1996, aus den ihm übersandten Unterlagen gehe hervor, dass die Hilfeempfänger einen Antrag nach dem Bundesvertriebenengesetz gestellt hätten. Eine Entscheidung über die Kostenerstattung könne daher erst nach unanfechtbarem Abschluss dieses Verfahrens erfolgen. Am 12. Dezember 2001 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Aufstellung der im Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Juli 1998 gegenüber den Hilfeempfängern erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 43.914,89 DM und forderte den Beklagten auf, den Betrag innerhalb von sieben Tagen zu überweisen. Dem kam der Beklagte nicht nach.

2. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Juli 1998 Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 43.914,89 DM zu erstatten.

Der Beklagte machte in seiner Klageerwiderung unter anderem geltend, dass die Ansprüche für den Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 verjährt seien.

Mit Schreiben vom 8. April 2002 teilte die Klägerin dem Verwaltungsgericht mit, der Beklagte habe ihr den für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Juli 1998 geltend gemachten Betrag in Höhe von 17.019,14 Euro überwiesen. Insoweit erklärten die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Hinsichtlich des Zeitraumes vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 hielt die Klägerin den geltend gemachten Erstattungsanspruch in Höhe von 10.628,34 DM aufrecht.

3. Das Verwaltungsgericht stellte mit Urteil vom 18. Juli 2002 das Verfahren ein, soweit der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Juli 1998 von den Klageparteien in der Hauptsache für erledigt erklärt worden war. Im übrigen verpflichtete es den Beklagten, der Klägerin für den Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 Kosten in Höhe von 10.628,34 DM (entspricht 5.434,18 Euro) zu erstatten und legte dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Soweit die Klage aufrecht erhalten worden sei, sei sie zulässig und begründet, weil der Klägerin ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 10.628,34 DM für den Zeitraum vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 zustehe. Bei der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 108 BSHG seien die Ausschlussfrist des § 111 SGB X und die Verjährungsfrist des § 113 SGB X zu beachten. Die Klägerin habe ihren Kostenerstattungsanspruch sowohl nach der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung als auch nach der hier maßgeblichen ab 1. Januar 2001 geltenden Neufassung des § 111 SGB X innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht. Der Anspruch sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung auch noch nicht verjährt gewesen. Nach der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung des § 113 SGB X wäre der Anspruch allerdings verjährt gewesen, da nicht innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist, Klage erhoben worden sei. Nach der hier maßgeblichen, ab 1. Januar 2001 gültigen Fassung des § 113 SGB X beginne die vierjährige Verjährungsfrist aber erst nach Ablauf des Kalenderjahres zu laufen, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt habe. Eine solche Entscheidung könne nicht im Schreiben des Beklagten vom 23. September 1996 gesehen werden, in dem er ausdrücklich darauf hinweise, dass ihm eine endgültige Entscheidung über die Kostenerstattung erst nach rechtskräftigem Abschluss des Vertriebenenverfahrens möglich sei. Der Beklagte als erstattungspflichtiger Leistungsträger habe daher im Verwaltungsverfahren keine Entscheidung über seine Leistungspflicht getroffen. Erst im Klageverfahren habe er mit Schriftsatz vom 17. Januar 2002 die Kostenerstattung in einer Form abgelehnt, die es der Klägerin möglich gemacht habe, davon Kenntnis zu nehmen. Frühestens ab diesem Zeitpunkt seien daher die Voraussetzungen für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben gewesen. Der Beklagte könne der Klägerin auch nicht wirksam eine Verwirkung des Anspruchs entgegenhalten.

4. Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung des Beklagten. Er trägt vor, dass die Aufwendungen aus dem Jahr 1996 zum 31. Dezember 2000 und somit bereits vor Inkrafttreten der neuen Fassung des § 113 SGB X nach § 113 SGB X alter Fassung (a.F.) verjährt gewesen seien, weil nicht innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden sei, Klage erhoben wurde. § 113 SGB X neuer Fassung (n.F.) komme somit gar nicht mehr zur Anwendung. Fraglich sei auch, ob im Bereich der Sozialhilfe überhaupt die Verjährungsvorschrift des § 113 SGB X n.F. anwendbar sei, was der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für die von ihrer Intention her vergleichbare Vorschrift des § 111 SGB X verneint habe.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Juli 2002 in Ziffern II. und III. aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Verjährungsfrist habe wegen des erst am 20. März 2002 abgegebenen Kostenanerkenntnisses des Beklagten erst mit Ablauf des Jahres 2002 zu laufen begonnen.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht der für die Zeit vom 7. August 1996 bis 31. Dezember 1996 streitige Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu, weil er bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2000 verjährt gewesen ist.

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass für die Verjährung des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs § 113 Abs. 1 SGB X in der Fassung anzuwenden ist, die diese Regelung durch Art. 10 Nr. 8 des Gesetzes zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften (4. Euro-Einführungsgesetz) vom 21. Dezember 2000 (BGBl I S. 1983) erhalten hat, und nicht in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Das ergibt sich bereits aus der vom Verwaltungsgericht nicht herangezogenen Übergangsvorschrift des § 120 Abs. 2 SGB X, die bestimmt, dass § 111 Satz 2 und § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X in der vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung auf die Erstattungsverfahren anzuwenden sind, die am 1.Juni 2000 noch nicht abschließend entschieden waren.

Über das streitgegenständliche Erstattungsbegehren war zwar am 1. Juli 2000 noch nicht im Sinne des § 120 Abs. 2 SGB X abschließend entschieden. Die danach angeordnete Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung erfasst aber nicht diejenigen Erstattungsfälle, in denen nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Regelung des § 113 Abs. 1 SGB X der Anspruch auf Erstattung schon verjährt war. Hierfür spricht die zu § 111 Satz 2 SGB X ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10.4.2003 - Az. 5 C 18.02), nach der diese Vorschrift in ihrer vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung nur dann auf nicht abgeschlossene Erstattungsverfahren aus der Zeit vor dem 1. Januar 2001 anzuwenden ist, wenn bei Inkrafttreten der Neuregelung die Ausschlussfrist nicht bereits unter Geltung des § 111 SGB a.F. abgelaufen war. Für eine insoweit unterschiedliche Anwendung der beiden mit Wirkung zum 1. Januar 2001 neu gefassten Vorschriften des § 111 Satz 2 und § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X sieht der Verwaltungsgerichtshof keinen Anlass. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 SGB X den Verlust des Erstattungsanspruchs zur Folge hat, während die Verjährung dem zur Erstattung verpflichteten Leistungsträger lediglich das Recht zur Leistungsverweigerung, also eine Einrede gibt. Denn auch die Erhebung der Verjährungseinrede vereitelt die zwangsweise Durchsetzung des Erstattungsanspruchs gegen den Willen des Verpflichteten. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die Tatsache, dass die Übergangsregelung des § 120 Abs. 2 SGB X ihrem Wortlaut nach beide Vorschriften gleich behandelt. Insbesondere spricht für dieses Ergebnis aber, dass sich weder dem Wortlaut des § 120 Abs. 2 SGB X nach dessen Entstehungsgeschichte ein Anhaltspunkt dafür entnehmen lässt, dass die auf eine verwaltungsökonomische Abwicklung noch anhängiger Erstattungsverfahren gerichtete Übergangsregelung materiellrechtliche Wirkung haben sollte (vgl. BVerwG a.a.O.).

Da der Erstattungsanspruch der Klägerin bei Inkrafttreten der Neuregelung des § 113 Abs. 1 SGB X am 1. Januar 2001 bereits verjährt war, wie noch ausgeführt wird, kann es offen bleiben, ob mit dem Beklagten anzunehmen ist, dass die Neufassung des § 113 Abs. 1 SGB X auf Erstattungsfälle der vorliegenden Art insgesamt oder teilweise nicht anzuwenden ist.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin für die von ihr 1996 gegenüber den Hilfeempfängern aufgewendeten Sozialhilfeleistungen war am 1. Januar 2001 bereits verjährt. Die Verjährungsfrist des § 113 Abs. 1 SGB X a.F. begann am 1. Januar 1997 und endete nach vier Jahren mit Ablauf des 31. Dezember 2000, d.h. eine "juristische Sekunde" vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 113 Abs. 1 SGB X. Der Berufung des Beklagten war deshalb stattzugeben.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 161 Abs. 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat keine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung getroffen, weil er davon ausgeht, dass für den Beklagten keine außergerichtlichen Kosten angefallen sind, die er vor Rechtskraft des Urteils vollstrecken könnte.

3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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