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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 25.10.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.2295
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 93 Abs. 2
BSHG § 93 b Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.2295

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilferechts;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. August 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

ohne mündliche Verhandlung am 25. Oktober 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der vom Beklagten zu zahlenden Vergütung für die Beschäftigung von behinderten Personen, für die der Beklagte Eingliederungshilfe leistet.

Die Klägerin, die eine Behindertenwerkstatt betreibt, rechnet mit dem Beklagten nach Vereinbarungen gemäß § 93 Abs. 2 BSHG ab, die sie mit dem Bezirk Oberbayern abgeschlossen hat. Da die Vergütungsvereinbarung für das Jahr 2001 mit dem gegenüber dem Vorjahr erhöhten Tagessatz vom Bezirk Oberbayern am 1. Juni 2001 und von der Klägerin am 4. Juli 2001 unterschrieben worden war, weigerte sich der Beklagte wegen der aus seiner Sicht unzulässigen Rückwirkung der Vereinbarung die erhöhten Sätze für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2001 zu zahlen.

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem alten und dem neuen Tagessatz gerichtete Klage abgewiesen, weil die Vereinbarung der Klägerin keinen Zahlungsanspruch einräume. Ihre zugelassene Berufung begründet die Klägerin u.a. damit, dass der Beklagte der Klägerin gegenüber zur Zahlung verpflichtet sei. Die im Juni/Juli 2001 unterzeichnete Vereinbarung gelte für das gesamte Jahr 2001, weil sie dem Gebot der prospektiven Pflegesätze nicht widerspreche und § 93 b Abs. 2 BSHG nicht den Fall erfasse, dass die Vereinbarung selbst den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestimme. Im Übrigen habe die Landesentgeltkommission die Erhöhung der Pflegesätze unter Beteiligung des Beklagten am 13. November 2000 beschlossen.

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. August 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin 1.982,44 € zu bezahlen.

Der Beklagte tritt der Berufung entgegen. Die Vereinbarung, aus der kein direkter Zahlungsanspruch der Klägerin folge, verstoße gegen das Rückwirkungsverbot.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht.

1. Der Senat ist zunächst mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die Vergütungsvereinbarung vom 1. Juni/4. Juli 2001 keinen Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers gegen den Sozialhilfeträger begründet, weil ihr mangels inhaltlicher Besonderheiten kein diesbezüglicher Rechtsbindungswille zu entnehmen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 24.11.2004 BayVBl. 2005, 246 und vom 21.3.2005 Az. 12 CE 04.3361 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte). Allerdings ist der Senat der Auffassung (vgl. Beschluss vom 24.11.2004, a.a.O.), dass die Vertragspartner des öffentlich-rechtlichen Vertrags grundsätzlich an die abgeschlossene Vereinbarung entsprechend dem allgemeinen Rechtsgrundsatz "pacta sunt servanda" gebunden sind und sich für den laufenden Pflegesatzzeitraum an die Vereinbarungen halten müssen. Das bedeutet, dass der Sozialhilfeträger die Kosten der Unterbringung von Hilfeempfängern, für die er Sozialhilfeleistung gewährt, gemäß den in den genannten Vereinbarungen festgesetzten Vergütungen übernehmen muss. Diese vertragliche Verpflichtung besteht gegenüber dem Einrichtungsträger und neben seiner Verpflichtung gegenüber den Hilfeempfängern, diesen gemäß den Gesetzen Sozialhilfeleistungen zu gewähren.

Auch eine so verstandene Klage hätte aber keinen Erfolg, weil die Vergütungsvereinbarung vom 1. Juni/4. Juli 2001, auf die die Klägerin ihren Anspruch stützt, nichtig ist, soweit sie für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 3. Juli 2001 abgeschlossen wurde. Insoweit verstößt sie gegen Gesetzesrecht (§ 58 Abs. 1 SGB X, § 134 BGB entsprechend). In seinem Urteil vom 27. April 2005 Az. 12 B 02.2580 u.a., hat der Senat ausgeführt:

"§ 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG erklärt ein rückwirkendes Inkrafttreten von Vereinbarungen oder Festsetzungen ohne Einschränkung für unzulässig. Damit ergibt sich aus § 93 b Abs. 2 Sätze 1 und 3 BSHG eine grundsätzliche Beschränkung des Beginns einer neuen Vereinbarung mit ihrem Abschluss. Zwar obliegt es nach Satz 1 in erster Linie den Vereinbarungsparteien, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Die Regelung ist aber im Zusammenhang mit dem in Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift festgelegen Prinzip des prospektiven Pflegesatzes zu sehen. Diese umfassende Prospektivität der Vereinbarungen wird durch Satz 3 sichergestellt, da hiernach auch durch die Vereinbarung selbst ein rückwirkendes Inkrafttreten der Vereinbarungen nicht möglich ist. Das gilt nach herrschender Meinung (vgl. stellvertretend Münder in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, RdNr. 24 zu § 93 b) generell, d.h. sowohl für die Variante des Satzes 1 wie die des Satzes 2. Die Meinung des Klägers, § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG beziehe sich nur auf dessen Satz 2, ist schon vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und wird abweichend von der herrschenden Meinung nur noch von Fichtner (in Fichtner, BSHG, 1999, RdNr. 8 zu § 93 b) vertreten. Satz 3 nennt u.a. gerade auch ein (zurückwirkendes) Vereinbaren und bezieht sich damit auf den Fall des Satzes 1, nämlich dass ein bestimmter Zeitpunkt des Inkrafttretens vereinbart wird. Bezüglich dieser Alternative kann er sich auf Satz 2 überhaupt nicht beziehen, weil in diesem Falle ein Zeitpunkt ja gerade nicht bestimmt ist. Auch die von den Klägern herangezogene Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2000 (FEVS 52, 390) stützt ihre Auffassung nicht. Das Gericht hat darin nur festgestellt, dass das gesetzliche Verbot rückwirkender Vergütungsvereinbarungen die Schiedsstelle nicht hindere, gemäß § 93 b Abs. 2 Satz 2 BSHG im Schiedsspruch als Zeitpunkt seines Wirksamwerdens den Antragseingang bei der Schiedsstelle festzusetzen.

Das Rückwirkungsverbot des § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG ist umfassend, d.h. die Parteien dürfen rückwirkende Vereinbarungen auch nicht für Zeiträume treffen, hinsichtlich derer zwar eine Vereinbarung nicht (mehr) bestand, die aber durch Verhandlungen ausgefüllt waren (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, Stand: 2005, RdNr. 10 zum wortgleichen § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass die Verfahrensdauer lang sein kann und die Einrichtungsträger die Dauer des Verfahrens nur sehr bedingt beeinflussen können. Diese können aber einem Hinauszögern des Wirksamwerdens der Vereinbarung dadurch begegnen, dass sie eben rechtzeitig die Schiedsstelle anrufen."

Hieran hält der Senat auch für vorliegenden Fall fest.

Die Klägerin kann dem Beklagten auch nicht treuwidriges Verhalten vorwerfen. Denn die Beschlüsse der Landesentgeltkommission, auf die sich die Klägerin insoweit stützt, enthalten lediglich Empfehlungen für eine pauschale Erhöhung der Vergütung. Diese Empfehlungen sind nicht rechtsverbindlich, weil die Landesentgeltkommission für die Festsetzung von Entgelten nicht zuständig ist. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der Beklagte in der Sitzung der Landesentgeltkommission im November 2000 den Empfehlungen zugestimmt hat.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat keine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt getroffen, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte seine außergerichtlichen Kosten nicht vor Rechtskraft des Urteils zu vollstrecken beabsichtigt.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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