Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.2005
Aktenzeichen: 12 B 03.1068
Rechtsgebiete: BSHG, EinglhV, SGB IX, SGB VIII, SGB X


Vorschriften:

BSHG § 39
BSHG § 40
BSHG § 100 Abs. 1 Nr. 1
EinglhV § 1
EinglhV § 3
SGB IX § 2 Abs. 1
SGB VIII § 10 Abs. 2 Satz 1
SGB VIII § 35 a
SGB X § 104
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 03.1068

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilferechts;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. März 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12. Oktober 2005

am 12. Oktober 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beklagte ihm die Kosten der Unterbringung des am 16. Mai 1988 geborenen B. E. im Internat des Wichernhauses Altdorf ab 13. Dezember 1999 zuzüglich Prozesszinsen zu erstatten hat.

Unter dem 28. Juli 1999 teilte der Leiter des Wichernhauses Altdorf dem Kläger und dem Beklagten mit, dass B. E. wegen einer vorliegenden Körperbehinderung in die dortige Schule für Körperbehinderte mit Internat aufgenommen werden solle. Dem Schreiben lag ein sozialpädagogisch-psychologisches Gutachten der Sonderschullehrerin S. anlässlich der Untersuchung des B. E. am 15. Juli 1999 bei. Danach sei bei B. E. seit März 1992 eine Epilepsie-Erkrankung diagnostiziert. Er sei medikamentös eingestellt und weitgehend anfallsfrei. Er könne sich über weite Strecken fortbewegen. Eine gemäß § 7 SVSO diagnostizierte Körperbehinderung mache eine sonderpädagogische, den individuellen Möglichkeiten entsprechende schulische wie therapeutische Betreuung notwendig. Beigefügt war weiter ein ärztlicher Befund vom Facharzt für Allgemeinmedizin im Wichernhaus vom 26. Juli 1999, nach dem B. E. durch seine Grunderkrankung von Behinderung bedroht sei. Das Wichernhaus stelle eine geeignete Einrichtung dar.

Auf Anfrage des Klägers attestierte Dr. H. vom Gesundheitsamt des Landratsamtes Amberg-Sulzbach am 13. August 1999, dass bei B. E. diagnostisch eine seelische Störung als Folge eines Anfallsleidens bei Epilepsie vom Grand Mal Typ vorliege. Er gehöre zum Personenkreis des seelisch nicht nur vorübergehend wesentlich Behinderten oder von einer solchen Behinderung bedrohten. Die Hilfe in der Schule für Körperbehinderte Wichernhaus sollte vollstationär durchgeführt werden.

Mit Schreiben vom 20. August 1999 bat der Kläger den Beklagten unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Gesundheitsamtes, den Hilfefall zu übernehmen. Das lehnte der Beklagte unter dem 10. September 1999 mit der Begründung ab, dass die Behauptung des Gesundheitsamtes den weiteren vorliegenden Feststellungen widerspreche.

Am 13. September 1999 wurde B. E. im Internat Wichernhaus zum Besuch der Schule für Körperbehinderte aufgenommen. Mit Bescheid vom 15. September 1999 übernahm der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß § 44 BSHG vorläufig die Unterbringungskosten im Internat des Wichernhauses vom 13. September 1999 bis 31. Juli 2000. Mit Schreiben vom gleichen Tage beantragte er beim Beklagten Kostenerstattung nach § 102 SGB X. In der Folgezeit gewährte er B. E. Eingliederungshilfe durch Übernahme der Unterbringungskosten im Internat des Wichernhauses. An der Forderung nach Kostenerstattung hielt er fest.

Auf die Anfrage des Klägers, ob die Unterbringung des B. E. im Internat nur aufgrund der seelischen Behinderung habe erfolgen müssen bzw. ob eine Mehrfachbehinderung vorliege, die die Aufnahme in das Internat erforderlich gemacht habe, konnte Dr. L., Chefarzt der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Bezirks Oberpfalz, in seiner Stellungnahme vom 27. September 1999 eine Körperbehinderung des B. E. nicht erkennen. Die beschriebene psychische Störung sei als seelische Behinderung beschrieben und als Anlass und Hintergrund für die Internatsunterbringung dargestellt. Es könne deshalb nicht von einer Mehrfachbehinderung ausgegangen werden, sondern von einer seelischen Behinderung.

Nachdem der Beklagte ein erneutes Erstattungsverlangen mit Schreiben vom 14. Februar 2002 abgelehnt hatte, erhob der Kläger am 14. März 2000 beim Verwaltungsgericht Klage auf Feststellung der Erstattungspflicht des Beklagten ab 13. September 1999.

Das Verwaltungsgericht holte ein Gutachten des Landesarztes für Körperbehinderte der Regierungsbezirke Ober- und Mittelfranken, Dr. W., ein. Der Sachverständige verneinte im Gutachten vom 4. Oktober 2001 das Vorliegen einer körperlichen Behinderung bei B. E.. Auch drohe derzeit keine wesentliche körperliche Behinderung. Eine Unterbringung in behindertengerechter Umgebung sei nicht indiziert. Die Unterbringung in der Körperbehindertenschule mit Internat des Wichernhauses sei ausschließlich durch die seelische Behinderung erforderlich. Die therapeutischen Maßnahmen hätten zweifelsohne die seelischen Probleme von B. E. nachhaltig gebessert.

Ein weiteres vom Gericht eingeholtes Gutachten der Chefärztin der Klinik für Sucht und Psychotherapeutische Medizin in Erlangen, Dr. M., vom 28. Oktober 2002 kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterbringung des Kindes im Internat aufgrund seiner körperlichen Behinderung (Epilepsie) notwendig gewesen sei. Die Epilepsie habe zumindest zu einer Funktionsstörung des Gehirns geführt, die sich in den mehrfach beschriebenen Symptomen (Aufmerksamkeitsstörung, Konzentrationsstörung und Verlangsamung) zeige. Diese Auswirkungen einer körperlichen Schädigung könnten durchaus als drohende seelische Behinderung interpretiert werden, insbesondere dann, wenn dieselben nicht intensiv behandelt würden. Da die beschriebenen Beeinträchtigungen als Ursache eine einzige Erkrankung hätten, könne bei B. E. nicht von einer Mehrfachbehinderung gesprochen werden.

Mit Urteil vom 13. März 2003 stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Beklagte dem Kläger die Kosten der Unterbringung von B. E. im Internat des Wichernhauses Altdorf ab 13. September 1999 zuzüglich Prozesszinsen über die angefallenen Aufwendungen bis 30. April 2000 in Höhe von 4 %, ab 1. Mai 2000 in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz zu erstatten hat. Dem Kläger stehe gegen den Beklagten ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X i.V.m. § 44 BSHG zu. In keiner der zahlreichen Stellungnahmen und ärztlichen Atteste, die sich mit dem Hilfebedarf von B. E. befassten, sei ausgeführte, dass für die Behandlung der Epilepsie eine stationäre Unterbringung des Kindes erforderlich gewesen wäre. Soweit hierin von Körperbehinderung die Rede sei, werde diese als Anknüpfungspunkt für die gewählte Unterbringung gesehen, was aber nicht bedeute, dass die Epilepsie selbst den Betreuungsbedarf bestimmte. Nach den eingeholten Gutachten sei die Internatsunterbringung ausschließlich durch die seelische Behinderung inzidiert gewesen. Danach sei gerade nicht die Epilepsie behandlungsbedürftig gewesen, sondern deren Auswirkungen auf die seelische Verfassung von B. E.. Seine vom Kläger gewählte stationäre Unterbringung im Internat des Wichernhauses sei nach den vorliegenden fachlichen Äußerungen notwendig und geeignet gewesen und sei das auch weiterhin. Möge angesichts der zu therapierenden Defizite des Kindes, die nicht im Bereich der Körperbehinderung, sondern der seelischen Behinderung lägen, die Unterbringung in einer Einrichtung für Körperbehinderte auch ungewöhnlich erscheinen, so habe das Gericht mangels konkreter Angaben des Beklagten, in welcher Einrichtung das Kind besser untergebracht wäre, aufgrund der Einschätzung des Dr. L. und der Ausführungen der Diplom-Sozialpädagogin S. in der mündlichen Verhandlung und der Bestätigung dieser Einschätzungen durch die vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. M., keine Zweifel daran, dass die Unterbringung im Wichernhaus mit Internatsaufenthalt erforderlich und sachgerecht gewesen war und ist.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung beantragt der Beklagte,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. März 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das Gutachten der Sachverständigen Dr. M. vom 28.10.2002 beschreibe einen Sachverhalt, der für eine Mehrfachbehinderung des B. E. im Sinne des Art. 53 Abs. 1 BayKJHG spreche. Dann sei aber der Beklagte sachlich zuständig. Das Resultat einer seelischen Behinderung als Folge eines Anfallleidens bedeute nicht, dass die Grunderkrankung nicht mehr existent ist. Im vorliegenden Fall sei die körperliche Behinderung klar diagnostiziert. Jetzt zu erkennen, dass eine Körperbehinderung nicht mehr gegeben sei, sich dafür eine seelische Behinderung im Sinne des § 35 a SGB VIII entwickelt habe, erscheine doch hinterfragbar.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts. Nach dem orthopädischen Gutachten des Landesarztes für Körperbehinderte Dr. W. vom 4. Oktober 2001 liege bei B. E. keine wesentliche körperliche Behinderung im Sinne von § 1 der VO zu § 47 BSHG vor. Statt dessen liege bei ihm eine seelische Störung als Folge eines Anfallsleidens im Sinne von § 3 Nr. 2 der VO zu § 47 BSHG vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger ab 13. September 1999 erstattungspflichtig ist. Der Kläger kann als nachrangig verpflichteter Leistungsträger nach § 104 Abs. 1 SGB X Erstattung seiner Aufwendungen verlangen.

B.E. stand ein Anspruch auf Eingliederungshilfe wegen seiner seelischen Behinderung nach § 39, § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG gegen den Kläger zu. Er leidet an seelischen Störungen als Folge von Anfallsleiden, die nach § 3 Nr. 2 EinglhV eine wesentliche Einschränkung der Teilhabe im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG zur Folge haben. Das ergibt sich insbesondere aus dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. M. vom 28. Oktober 2002. Die Sachverständige stellte bei B.E. eine Verhaltensstörung aufgrund einer Funktionsstörung des Gehirns (iCD F 07.8) fest. Die Epilepsie habe zumindest zu einer Funktionsstörung des Gehirns geführt, die sich in den mehrfach beschriebenen Symptomen (Aufmerksamkeitsstörung, Konzentrationsstörung und Verlangsamung) zeige. Diese Auswirkungen einer körperlichen Schädigung seien als drohende seelische Behinderung zu interpretieren, besonders dann, wenn dieselben nicht intensiv behandelt würden. Diese Feststellungen der Sachverständigen, die sich ohne weiteres unter die Tatbestandsmerkmale des § 3 Nr. 2 EinglhV subsumieren lassen, zeigen, dass gerade nicht die Epilepsie behandlungsbedürftig gewesen ist, sondern deren Auswirkungen auf die seelische Verfassung des Kindes. Diese Annahme lässt sich auch auf die übrigen fachlichen Stellungnahmen stützen, die sich zwar nicht ausdrücklich mit den Merkmalen des Abschnittes I der Eingliederungshilfeverordnung befassen, mit ihren Feststellungen aber die Merkmale eines körperlich wesentlich behinderten Menschen nach § 1 ausschließen und B.E. dem Personenkreis der seelisch wesentlich behinderten Menschen nach § 3 EinglhV zuordnen lassen.

Der Landesarzt für Körperbehinderte Dr. W. konnte nach eigener Untersuchung eine körperliche Behinderung des B.E. nicht feststellen. Eine floride Epilepsie liege nicht vor. Es drohe auch keine wesentliche körperliche Behinderung. Auch eine Mehrfachbehinderung (körperliche und seelische Behinderung) liege bei dem Kind nicht vor. Weiter meint der Landesarzt, die Unterbringung in der Körperbehindertenschule mit Internat des Wichernhauses sei ausschließlich durch die seelische Behinderung von B.E. erforderlich gewesen. Nach diesen Feststellungen hat der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 12. November 2001 an das Verwaltungsgericht selbst nicht mehr an der Feststellung, der Junge sei nicht körperbehindert, gezweifelt. Nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. M. ist B.E. auch nicht geistig behindert. Das ergibt sich aus den von ihr durchgeführten Testverfahren (Konzentrations-Leistungs-Test und HAWIK-R mit Untertests), in dem ein Gesamt-IQ von 111 Punkten festgestellt wurde. Ist bei B.E. aber eine körperliche oder geistige Behinderung nicht feststellbar, kann sich der Beklagte im Hinblick auf die seelische Behinderung des B.E. nicht auf eine Mehrfachbehinderung im Sinne des Art. 53 Abs. 1 BayKJHG und damit die sachliche Zuständigkeit des Klägers für Maßnahmen der Eingliederungshilfe berufen. Auch die Gutachterin Dr. M. schließt eine Mehrfachbehinderung aus, weil die beschriebenen Beeinträchtigungen eine einzige Erkrankung als Ursache hätten.

Der angegangene Kläger war für die Eingliederungshilfe (nachrangig) sachlich auch zuständig. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, u.a., wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. § 39 Abs. 5 BSHG, der den Anspruch des B.E. gegen den Kläger möglicherweise ausgeschlossen hätte, wurde erst mit der Neufassung des § 39 BSHG durch Gesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046) angefügt, also lange nachdem der Kläger angegangen worden war und er Hilfe geleistet hat. Auch danach verblieb es bei der (nachrangigen) Verpflichtung des Klägers, weil es der Beklagte auch weiterhin ablehnte, den Hilfefall zu übernehmen.

Zugleich hatte B.E. aber wegen seiner nicht nur vorübergehenden seelischen Behinderung einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 SGB VIII gegen den Beklagten. Da die vom Kläger und vom Beklagten zu gewährenden Leistungen wegen der seelischen Störung des B.E. kongruent sind, er die Leistung aber nur einmal erhalten kann, bedarf es einer gesetzlichen Regelung des Verhältnisses der beiden Sozialleistungen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen nach diesem Buch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz vor.

Da der Kläger nach § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre, wenn der Beklagte den Anspruch des B.E. rechtzeitig erfüllt hätte (siehe § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X) und die Voraussetzungen des § 103 SGB X nicht vorliegen, hat der Kläger nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X als nachrangig verpflichteter Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den vorrangig verpflichteten Beklagten. Auf die Frage, ob dem Kläger daneben ein Erstattungsanspruch nach § 102 oder 105 SGB X zusteht, kommt es nicht an.

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach § 104 Abs. 3 SGB X allerdings nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Das bedeutet aber nur, dass der erstattungspflichtige Träger nicht mehr erstatten muss, als er bei rechtzeitiger Leistung aufzuwenden gehabt hätte (vgl. Roos in von Wulffen, SGB X, 4. Aufl. 2001, RdNr. 19 zu § 104). Verfahrensvorschriften nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch - wie das in diesem Zusammenhang vom Beklagten angeführte Hilfeplanverfahren - musste der Kläger als nachrangig verpflichteter Leistungsträger nicht beachten. Die Hilfe musste nur den materiellen Anforderungen des Jugendhilferechts entsprechen, d.h. sie musste vor allem erforderlich und geeignet sein. Das ist hier der Fall. Die Unterbringung des B.E. in einer stationären Einrichtung war notwendig. Das ergibt sich ohne weiteres aus den vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten, wonach die Unterbringung im Internat des Wichernhauses erforderlich war, weil B.E. nicht mehr beschulbar war. Die Unterbringung und Betreuung in der Einrichtung für Körperbehinderte des Wichernhauses Altdorf war auch geeignet, die bei B.E. festgestellten seelischen Störungen zu beseitigen und ihn in die Gesellschaft einzugliedern. Nach dem Gutachten des Landesarztes für Körperbehinderte vom 4. Oktober 2001 haben die therapeutischen Maßnahmen im Wichernhaus zweifelsohne die seelischen Probleme B.E. nachhaltig gebessert. Auch die Sachverständige Dr. M. stellt in ihrem Gutachten vom 28. Oktober 2002 fest, dass die weiterhin bestehenden und festgestellten Beeinträchtigungen nach wie vor der besonderen Förderung des B.E. im Wichernhaus in Altdorf bedürften. Dabei sei der Junge auf dem besten Wege, auch diese noch bestehenden Restbeeinträchtigungen erfolgreich zu überwinden. Die Diplom-Sozialpädagogin S. hat bei ihrer Einvernahme durch das Verwaltungsgericht angegeben, dass mit B.E. im Wesentlichen das gleiche wie mit anderen körperbehinderten Kindern gemacht worden sei. Dieser habe anfangs nicht mehr beschult werden können, weil er eine völlige Verweigerungshaltung im Schreiben gezeigt habe. B.E. habe große Probleme im Herstellen sozialer Kontakte gehabt. Gleichartige Probleme gebe es auch bei körperbehinderten Kindern. Die Einordnung der Betreuten in die Bereiche körperlicher - oder seelischer Behinderung spiele dort keine Rolle. Es seien auch Kinder untergebracht, die an einer seelischen Behinderung leiden und bei denen der zuständige Jugendhilfeträger die Kosten trage.

Auch daraus ergibt sich für den Senat nachvollziehbar, dass die Einrichtung des Wichernhauses für den Jungen geeignet war, seiner seelischen Behinderung zu begegnen. Nahezu alle fachlichen Stellungnahmen stellen bei B.E. vor allem eine motorische und intellektuelle Verlangsamung und ein daraus erwachsendes geringes Selbstvertrauen fest. Er kann sich deshalb wie die Sozialpädagogin S. feststellte, gegen Jugendliche, die ihre Ansprüche nachdrücklich formulieren, wie z.B. in reinen Jugendhilfeeinrichtungen, nicht durchsetzen. Körperbehinderte Mitbewohner sind nach den Ausführungen der Sozialpädagogin S. dagegen aufgrund ihrer Behinderung in der Regel vorsichtiger. Die Notwendigkeit, Hilfe anzunehmen, sei bei ihnen nicht ungewöhnlich. Die Diplom-Sozialpädagogin hat deshalb nicht von ungefähr befürchtet, dass B.E. in einer Einrichtung für seelisch behinderte Jugendliche große Schwierigkeiten haben würde.

Bei der Frage, ob die Hilfe erforderlich und geeignet ist, hat der Kläger auch eine gewisse Einschätzungsprärogative. Einmal leistete er als sachlich zuständiger, wenn auch nachrangig verpflichteter Leistungsträger. Zum anderen bestimmen sich Aufgabe und Ziel der Hilfe sowie die Art der Leistungen nach § 39 Abs. 3 und 4 Satz 1 BSHG (§ 35 a Abs. 3 SGB VIII). Dass der Kläger mit der geleisteten Hilfe aber die Aufgaben und Ziele der Eingliederungshilfe im Sinne des § 39 Abs. 3 BSHG nicht im Auge gehabt hätte, wird selbst vom Beklagten nicht ernsthaft behauptet.

Im Übrigen hat der Beklagte auch nicht dargelegt, welche konkreten Auswirkungen die von ihm vom Kläger geforderten Verhaltensweisen auf die Höhe der aufgewendeten Kosten gehabt hätten. Der bloße Hinweis auf hypothetische Geschehensabläufe rechtfertigt die Reduzierung oder den Wegfall des Erstattungsanspruchs nicht. Andernfalls würde im Rahmen des § 104 SGB X ein Fehlverhalten eines Leistungsträgers sanktioniert, was - wie § 89 c Abs. 2 SGB VIII zeigt - einer besonderen gesetzlichen Entscheidung bedarf (vgl. BayVGH vom 11.11.2004 Az. 12 B 00.1181).

Auch die Forderung des Klägers nach Prozesszinsen ist in dem vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Umfang nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (§ 130 b Satz 2 VwGO).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 BSHG in der vor dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung (§ 194 Abs. 5 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung getroffen, weil er davon ausgeht, dass der Kläger seine ohnehin nicht in nennenswerter Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten nicht vor Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vollstrecken beabsichtigt.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück