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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 12 B 03.14
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 94 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 03.14

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Jugendhilfe;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. November 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2005

am 10. November 2005

folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten einer Maßnahme der Jugendhilfe.

Der Beklagte gewährte ihr für ihren am 26. Mai 1988 geborenen Sohn, der seit dem Tod seines Vaters eine Halbwaisenrente bezieht, Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung. Bereits im Bewilligungsbescheid und im nachfolgenden Schriftverkehr über ihre Einkommensverhältnisse wurde die Klägerin auf ihre Kostenbeitragspflicht hingewiesen. Nachdem ihr Sohn das Kinderheim vom 15. Juni bis zum 4. Dezember 2001 besucht hatte, forderte der Beklagte, der auch die Halbwaisenrente des Sohnes zur Kostendeckung heranzog, von der Klägerin mit Bescheid vom 10. Januar 2002 einen Kostenbeitrag von 2.622 DM (entspricht 1.340,61 €) für die Zeit vom 15. Juni bis zum 23. November 2001. Nach § 94 Abs. 2 SGB VIII ergebe sich der Beitrag aus den durch die auswärtige Unterbringung ihres Sohnes ersparten Aufwendungen. Die Ersparnis wurde mit 80 % des nach der "Düsseldorfer Tabelle" ermittelten Unterhaltsbedarfs des Kindes angesetzt.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 5. November 2002 den Kostenbeitragsbescheid aufgehoben. Die pauschal ermittelte Ersparnis berücksichtige nicht, dass der Wohnkostenanteil des Sohnes, der im Unterhaltsbedarf der "Düsseldorfer Tabelle" enthalten sei, durch die auswärtige Unterbringung nicht entfalle. Der vom Beklagten gemachte pauschale Abschlag von 20 % decke allein die Mehraufwendungen, die der Klägerin durch die Kontaktpflege mit dem auswärts untergebrachten Kind entstünden. Die maßgeblichen Belastungen der Klägerin seien noch aufzuklären.

Mit der zugelassenen Berufung verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Da die Darlehenszinsen für das Eigenheim der Klägerin in voller Höhe von ihrem Einkommen abgezogen worden seien, sei eine weitergehende Berücksichtigung von anteiligen Unterkunftskosten nicht veranlasst. Im übrigen sei die Klägerin dadurch begünstigt worden, dass sie trotz der Volljährigkeit ihres weiteren Sohnes und dessen damit verbundener nachrangigen Unterhaltsberechtigung entgegen der Anmerkung 1 der "Düsseldorfer Tabelle" nicht in eine höhere Einkommensgruppe eingestuft worden sei.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Berufung entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung ist nicht begründet, weil der Beklagte bei der Festsetzung des von der Klägerin geforderten Kostenbeitrags die durch die auswärtige Unterbringung ihres Sohnes ersparten Aufwendungen unzutreffend ermittelt hat.

Nach § 91 Abs. 1 SGB VIII ist die Klägerin, der für ihren jüngsten Sohn Hilfe zur Erziehung in einem Heim (§ 34 SGB VIII) gewährt worden ist, zu den Kosten der Maßnahme heranzuziehen. Da die Klägerin vor Beginn der Hilfe mit ihrem Sohn zusammengelebt hat, ist sie nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen zu den Kosten heranzuziehen. Für diese ersparten Aufwendungen sollen nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden (§ 94 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII), was eine Berücksichtigung der im Einzelfall tatsächlich ersparten Aufwendungen ausschließt.

Bei der Festlegung des Pauschalbetrags hat der Beklagte zutreffend die maßgeblichen Unterhaltsrichtwerte der "Düsseldorfer Tabelle" vom 1. Juli 1999 (FamRZ 1999, 766) und vom 1. Juli 2001 (FamRZ 2001, 806) zugrundegelegt. Die Klägerin war nach Anmerkung 1 zur "Düsseldorfer Tabelle" in die nächsthöhere Einkommensgruppe einzustufen, weil sie nur zwei ihrer Söhne zum Unterhalt verpflichtet war. Auch die Ermittlung des Einkommens der Klägerin ist nicht zu beanstanden; insbesondere waren die für das Familienheim anfallenden Zins- und Tilgungsleistungen vom Bruttoeinkommen abzusetzen (s. Nr. 10 Buchst. f der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Bayern, FamRZ 2001, 818).

Allerdings hat der Beklagte die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Wohnkosten unangemessen hoch angesetzt. Die Unterhaltsrichtwerte der "Düsseldorfer Tabelle" enthalten einen vom Barunterhaltspflichtigen zu leistenden Wohnkostenanteil für unterhaltsberechtigte Kinder. Dem steht bei auswärtiger Unterbringung aber keine Ersparnis in gleicher Höhe gegenüber, wenn Kind und Eltern, wie in § 94 Abs. 2 SGB VIII vorausgesetzt, vor Beginn der Hilfe zusammengelebt haben. Denn die für die gemeinsame Wohnung anfallende Miete oder die Zins- und Tilgungsleistungen für das Familienheim ändern sich durch die vorübergehende Unterbringung eines Familienmitglieds nicht. Da § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII den Kostenbeitrag auf die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen begrenzt, ist von den Unterhaltsrichtwerten der "Düsseldorfer Tabelle" ein entsprechender Abschlag für die weiterhin anfallenden Wohnkosten vorzunehmen. Zwar hat der Beklagte von dem maßgeblichen Unterhaltsbedarf nur 80 % als ersparte Aufwendungen angesetzt. Doch wurden mit diesem Abschlag nach Nr. 4.3 der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung zu den Kosten und zur Überleitung von Ansprüchen nach dem SGB VIII (NDV 1993, 46) lediglich die durch die auswärtige Unterbringung zusätzlich entstehenden, sonstigen Aufwendungen, insbesondere die Kosten für die Kontaktpflege, erfasst. Der 20 %ige Abschlag berücksichtigt dagegen nicht, dass die Wohnkosten durch die auswärtige Unterbringung weitgehend unverändert bleiben (vgl. BVerwGE 108, 222). Ebensowenig führt der Abzug der Zins- und Tilgungsleistungen vom Einkommen der Klägerin dazu, dass die ersparten Aufwendungen sachgerecht pauschaliert worden sind. Zwar wird die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch den Abzug der Zins- und Tilgungsleistungen entsprechend gemindert. Doch ändert dies nichts daran, dass in den Unterhaltsrichtwerten auch bei niedrigeren Einkommensgruppen ein Wohnkostenanteil enthalten ist, der in den Fällen des § 94 Abs. 2 SGB VIII nicht erspart wird.

Da § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII den Jugendämtern die pauschalierte Festlegung der ersparten Aufwendungen vorbehält, ist den Verwaltungsgerichten eine Korrektur des Leistungsbescheids verwehrt. Bei der erneuten Festsetzung des Kostenbeitrags wird der Beklagte zu berücksichtigen haben, dass nach Nr. 20 Buchst. g der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Bayern in den Unterhaltsrichtwerten der "Düsseldorfer Tabelle" ein Wohnkostenanteil von 20 % enthalten ist. Da dieser Wohnkostenanteil alle im Zusammenhang mit dem Wohnen anfallenden Kosten erfasst, die verbrauchsabhängigen Kosten wie Heizung, Strom, Wasser usw. bei der auswärtigen Unterbringung eines Kindes aber entsprechend reduziert werden können, hält der Verwaltungsgerichtshof zur Berücksichtigung der trotz der auswärtigen Unterbringung fortlaufenden Wohnkosten einen pauschalierten Abschlag von 15 % auf den jeweiligen Unterhaltsrichtwert der "Düsseldorfer Tabelle" für sachgerecht.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 und 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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