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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: 12 B 03.1957
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 56
VwGO § 57
VwGO § 60
VwGO § 124 a Abs. 3
VwGO § 124 a Abs. 6
VwGO § 125 Abs. 2
ZPO § 189
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

12 B 03.1957

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilfesrechts;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 2. Juni 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

ohne mündliche Verhandlung am 13. Dezember 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird verworfen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 2. Juni 2003 die auf Kostenerstattung für die der Hilfeempfängerin R.A. ab 13. Juni 2001 gewährte Hilfe für junge Volljährige gerichtete Klage des Klägers abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 4. November 2003 die Berufung des Klägers gegen das Urteil vom 2. Juni 2003 zugelassen. Nach Aktenlage wurde der Beschluss dem Kläger formlos übersandt und dem Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 6. November 2003 zugestellt. Auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes bestätigte Frau S., eine Beamtin des Amtes für Jugend und Familie des Klägers, mit Faxschreiben vom 17. November 2003, dass der Beschluss am 6. November 2003 dort eingegangen sei.

Mit Schreiben vom 5. September 2005 teilte der Verwaltungsgerichtshof den Beteiligten seine Absicht mit, die Berufung durch Beschluss zu verwerfen. Daraufhin beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, stellte die Anträge und nahm zu deren Begründung auf die Begründung des Zulassungsantrags Bezug. Wiedereinsetzung sei zu gewähren, weil ein Verschulden eines Bediensteten des Landratsamtes an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht vorliege. Nach Eingang des Schreibens des Verwaltungsgerichtshofes sei die Suche nach der Prozessakte des Amtes begonnen worden. Die Suche sei erfolglos geblieben. Bevollmächtigt in dieser Sache sei Frau Regierungsrätin R.-D. gewesen. Zwar habe Frau S., eine Beamtin des mittleren Dienstes, den Eingang des Beschlusses vom 4. November 2003 am 6. November 2003 bestätigt. Seine, des Klägers, Ermittlungen ließen aber den Schluss zu, dass der Beschluss der bevollmächtigten Regierungsrätin R.-D. nicht zugegangen sei. Die Zustellung sei erst vollständig bewirkt, wenn der Nachweis der Zustellung, also das ausgefüllte und von der Bevollmächtigten unterschriebene Empfangsbekenntnis zur Gerichtsakte genommen werde. Die bevollmächtigte Regierungsrätin sei im Juni 2004 Mutter geworden und vorher für sicher insgesamt 7 Monate dienstunfähig oder in Urlaub gewesen. Selbst wenn sie den Beschluss erhalten haben sollte, wäre sie gesundheitlich daran gehindert gewesen, Akten zu bearbeiten und zu überprüfen, um einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu stellen. Es sei auch kein Verschulden darin zu sehen, dass sie nach der Entbindung nicht mehr ins Amt zurückkehrte, um sich nach der Erledigung von Fristsachen zu erkundigen. Zu diesem späten Zeitpunkt habe sie ohne Schuldvorwurf davon ausgehen können, dass der Vertreter auf die Fristsache aufmerksam geworden wäre und diese erledigt habe. Tatsächlich sei diesem aber diese Streitsache bis zum Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. September 2005 unbekannt geblieben.

Der Beklagte hat sich nicht geäußert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Die Berufung war zu verwerfen, weil sie mangels fristgerechter Begründung unzulässig ist (§ 124 a Abs. 6 Sätze 1, 3, Abs. 3 Satz 5 entsprechend). Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen (§ 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist war nicht zu gewähren, weil der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO), die Frist für die Begründung der Berufung einzuhalten.

1. Die Berufung ist nach § 124 a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 5 VwGO entsprechend unzulässig, weil sie nicht gemäß § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats begründet wurde. Die Monatsfrist endete mit Ablauf des 8. Dezember 2003, einem Montag. Die Begründungsfrist ist am 6. November 2003 gemäß § 57 Abs. 1 VwGO in Lauf gesetzt worden. Der Umstand, dass der Zulassungsbeschluss entgegen § 56 Abs. 1 VwGO dem Kläger nicht förmlich zugestellt, sondern versehentlich - dem Beklagten wurde der Beschluss gegen Empfangsbekenntnis zugestellt - formlos übermittelt worden ist, steht weder der Wirksamkeit der Zustellung noch dem Fristablauf entgegen. Dieser Zustellungsmangel ist mit dem tatsächlich erfolgten Zugang im Amt für Jugend und Familie des Klägers am 6. November 2003 gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO geheilt worden. Denn nach dem am 1. Juli 2002 in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001 (BGBl I 1206, 1213) in Kraft getretenen § 189 ZPO gilt der Beschluss in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem er dem Adressaten tatsächlich zugegangen ist. Das war hier nach der Bestätigung des Amtes für Jugend und Familie vom 17. November 2003 am 6. November 2003 der Fall. Dass mit der Zustellung eine Frist ausgelöst wird, ändert hieran nichts. Die diesbezügliche Einschränkung in den früheren Heilungsvorschriften nach § 187 Satz 2 ZPO a.F. und § 9 Abs. 2 VwZG a.F. enthält der heutige § 189 ZPO nicht mehr. Nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO werden Fehler, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, geheilt, wenn der Zustellungszweck erreicht wird (vgl. BFH vom 20.1.2003 BSH-NV 2003, 788; OVG MV vom 13.8.2003 Az. 1 M 102/03 - juris). Das ist hier gegeben. Der Zulassungsbeschluss, der einen Kostenerstattungsstreit aus dem Kinder- und Jugendhilferecht betrifft, ist ausweislich der vorliegenden schriftlichen Bestätigung vom 17. November 2003 nicht etwa nur bei der Posteinlaufstelle des Klägers, sondern am 6. November 2003 beim Amt für Jugend und Familie des Klägers, also dem für den Rechtsstreit zuständigen Amt eingegangen. Das wird vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt. Auch wenn die Beamtin des mittleren Dienstes S. nicht die Befähigung zum Richteramt hat, so trägt der Kläger in diesem Zusammenhang doch vor, dass Frau S. als Beamtin des mittleren Dienstes auch gar nicht angehalten gewesen wäre, die Rechtsbehelfsbelehrung zu studieren und die Erledigung zu überwachen. Sie erfülle ihre Pflicht mit der Weitergabe des Beschlusses an die Juristin, falls der Beschluss nicht ohnehin dort unmittelbar von der Poststelle vorgelegt worden sei. Damit war für den Empfänger objektiv die Möglichkeit gegeben, den Zustellungsbeschluss zur Kenntnis zu nehmen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden. Der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Organisationsverschulden einer Behörde liegt vor, wenn nicht durch allgemeine Anweisungen dafür Sorge getragen wurde, dass der Ablauf von Rechtsmittel- und Begründungsfristen zuverlässig rechtzeitig bemerkt wird (vgl. von Aldedyll in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Aldebyll, VwGO, 3. Aufl. 2005, RdNr. 13 zu § 60). Wenn die mit der Streitsache betraute Regierungsrätin R.-D. während der Zeit des Laufs der Berufungsbegründungsfrist und auch danach krankheitsbedingt nicht im Dienst war, so liegt es doch in der Sphäre des Klägers, wenn er nicht dafür gesorgt hat, dass sich ein Vertreter der Angelegenheit annimmt. Das ist offensichtlich nicht geschehen. Der insoweit vorliegende Organisationsmangel ist dem Kläger anzulasten. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Rechtsmittelfristen notfalls durch Vertretung überwacht werden. Das hat auch dann zu gelten, wenn die Sachbearbeiterin, wie der Kläger vorträgt, wohl davon ausging, die Berufungsbegründung noch selbst fertigen, unterzeichnen und versenden zu können, ihr das aber dann nicht mehr möglich war. Es kann nicht sein, dass eine Fristsache dem Vertreter unbekannt bleibt, wenn der Sachbearbeiter krankheitsbedingt ausfällt.

Die ablehnende Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch kann wie die Entscheidung über die Berufung durch Beschluss und zugleich mit dieser ergehen (vgl. BVerwGE 74, 289).

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Der Senat hat davon abgesehen, die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Beklagte seine außergerichtlichen Aufwendungen schon vor Rechtskraft dieser Entscheidung vollstrecken wird.

3. Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 92.117,26 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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