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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 12 B 04.3551
Rechtsgebiete: BSHG
Vorschriften:
BSHG § 88 Abs. 1 | |
BSHG § 88 Abs. 3 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
Verkündet am 18. Januar 2006
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Sozialhilfe;
hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Oktober 2004
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. Januar 2005
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Oktober 2004 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1955 geborene Kläger, der wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen sein Reisegewerbe und seine künstlerischen Tätigkeiten in seinem Atelier in S. in Baden-Württemberg einschränken musste und im Juni 2001 im Haus seiner Cousine im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ein Zimmer anmietete, begehrt von der Beklagten für die Zeit vom 29. Juni bis zum 12. Dezember 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt.
Im schriftlichen Antrag vom 11. Juli 2001 gab der Kläger an, über eine Lebensversicherung in Höhe von 1.900 DM und über ein Sparguthaben zu verfügen, das für eine Zahnbehandlung verwendet werden solle. Auf Aufforderung des Sozialamtes legte der Kläger u.a. ein Gutachten über eine 1996 durchgeführte, fehlerhafte Zahnbehandlung, ein Schreiben seiner Krankenkasse mit Hinweisen auf die Rechte der Patienten bei fehlerhaftem Zahnersatz und die Abrechnung der Krankenkasse vom 23. Mai 1997 vor, wonach dem Kläger 2.987,49 DM für zahnärztliche Behandlungen im November 1996 gezahlt wurden. Nach den ebenfalls vorgelegten Kopien eines Sparbuches bei der Postbank (Nr. 267.820.4473) betrug das Guthaben am 6. Februar 2001 3.762,44 DM. Am 21. August 2001 legte der Kläger persönlich ein Schreiben der Versicherung vor, nach dem der Rückkaufswert seiner Lebensversicherung zum 1. September 2001 4.051,29 DM betrug. Im Aktenvermerk des Sozialamts vom selben Tag wurde festgehalten, dass der Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt benötige. Er halte sich in den nächsten Tagen/Wochen in seinem Atelier in S. auf, weil er etwas für eine Ausschreibung vorbereiten müsse. Er melde sich, sobald er wieder in E. sei. Mit Schreiben vom 7. September 2001 teilte ein Zahnarzt in S. dem Sozialamt mit, dass beabsichtigt sei, die fehlerhafte Brücke im Oberkiefer des Klägers zu ersetzen. Die Beklagte lehnte den Heil- und Kostenplan des Zahnarztes ab, weil der Kläger in S. wohne und daher das Sozialamt nicht mehr zuständig sei.
In mehreren Schreiben vom Oktober und November 2001 mahnte der Kläger die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an. Er halte sich nur durch den Verkauf der noch vorhandenen Waren über Wasser. Das Geld der Krankenversicherung werde er nicht privat verbrauchen, sondern damit die zahnärztliche Behandlung finanzieren, die bereits begonnen habe. Als freiberuflicher Künstler müsse er in seinem Atelier in S. für eine Ausstellung arbeiten. Nach Auskunft der Stadt S. erhielt der Kläger, der sich seit Ende August 2001 in S. aufhalte, vom dortigen Sozialamt seit dem 13. Dezember 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Schreiben vom 10. Januar 2002 wies der Kläger darauf hin, dass er vom Geld der Krankenversicherung inzwischen 600 DM verbraucht habe. Dem Schreiben lag eine Auszahlungsquittung der Deutschen Post vom 14. Dezember 2001 über 200 DM bei. Nach der Auszahlung wies das Sparkonto Nr. 3057154660 bei der Postbank, das das o.g. Sparbuch ersetzte, ein Guthaben von 2.341,63 DM auf.
Auf Aufforderung des Bevollmächtigten des Kläger lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2003 die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 29. Juni 2001 ab. Über den rechtzeitig eingelegten Widerspruch wurde nicht entschieden.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2004 hat das Verwaltungsgericht Ansbach die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 29. Juni bis zum 12. Dezember 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Kläger habe seinen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt nicht zurückgenommen. Der Kläger sei bedürftig gewesen, weil das Sparguthaben für die erforderliche Zahnbehandlung zweckgebunden gewesen sei. Daher habe er einen Anspruch auf die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, der sich nach § 2 Abs. 3 SGB X bis zur Fortsetzung der Leistung durch die Stadt S. gegen die Beklagte richte.
Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verweist die Beklagte insbesondere darauf, dass der Kläger zunächst sein Sparguthaben und seine Lebensversicherung zur Deckung seines Lebensunterhalts habe einsetzen müssen. Nach dem Umzug des Klägers nach S. Ende August 2001 sei die Beklagte nicht mehr zuständig gewesen. Eine Verpflichtung nach § 2 Abs. 3 SGB X scheide aus, weil der Beklagte bis zum Umzug keine Leistungen erbracht habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die zulässige Berufung hat Erfolg, weil dem Kläger in der Zeit vom 29. Juni bis zum 12. Dezember 2001 kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt zusteht.
1.1 Der Kläger konnte seinen notwendigen Lebensunterhalt in vollem Umfang aus seinem Vermögen beschaffen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG), so dass ihm nach § 2 Abs. 1 BSHG keine Sozialhilfe zustand. In der Zeit zwischen Juni und Dezember 2001 verfügte er über einen Betrag von mindestens 6.400 DM, den er bis auf den Schonbetrag in Höhe von 2.500 DM (§ 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG) zur Sicherung seiner Existenz einzusetzen hatte. Auch wenn das Sparguthaben im Wesentlichen aus einer Leistung der privaten Krankenversicherung herrührte, war der Kläger nicht gehindert, das Sparguthaben für seinen Lebensunterhalt zu verwenden. Die Krankenversicherung hatte dem Kläger in Kenntnis des Gutachtens über die mangelhafte Leistung für die zahnprothetische Behandlung im Jahr 1996 einen Betrag von 2.987,49 DM ausgezahlt. Weder aus der Abrechnung der Krankenkasse noch aus dem vom Kläger vorgelegten Unterlagen ergibt sich ein Hinweis, dass der Kläger verpflichtet gewesen wäre, den Betrag für die Beseitigung der mangelhaften Leistung einzusetzen. Gegen eine derartige Verpflichtung spricht auch die Tatsache, dass der Kläger die Leistung der Krankenkasse über mehrere Jahre hinweg nicht für den angeblich vorgesehenen Zweck verwendet hat.
Darüber hinaus war der Kläger verpflichtet, seine Lebensversicherung aufzulösen und den Rückkaufswert zur Deckung des Lebensunterhalts einzusetzen. Im Gegensatz zu den der Altersversorgung dienenden Ersparnissen, deren Ansammlung staatlich gefördert wird, und die nach § 88 Abs. 2 Nr. 1a BSHG vom Vermögenseinsatz ausgeschlossen sind, ist die vom Kläger abgeschlossene Kapitallebensversicherung nicht generell als Schonvermögen vor der Verwertung geschützt. Auch die Härteregelung des § 88 Abs. 3 BSHG steht dem Einsatz des Rückkaufswerts nicht entgegen. Dass der Rückkaufswert (4.051,29 DM) um rund 45% hinter den Eigenleistungen des Klägers in Höhe von 7.349,40 DM zurückbleibt, macht den Einsatz dieses Vermögens ebenso wenig unzumutbar (vgl. BVerwGE 106, 105) wie die Absicht des Klägers, die Lebensversicherung zur Altersversorgung einzusetzen (so auch Gröschel-Gundermann in Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII u. AsylbLG, § 9 SGB II RdNrn. 27f). Denn die Kapitallebensversicherung des Klägers dient wie ein Sparvertrag der Bildung von Kapital, das nach Ablauf der Vertragsdauer dem Versicherungsnehmer ohne jede Zweckbindung frei zur Verfügung steht. Bloße Absichten, das freiwerdende Kapital zur Altersversorgung zu verwenden, rechtfertigen es nicht, dieses Kapital aus dem verwertbaren Vermögen herauszunehmen (vgl. BVerwGE 121, 34).
1.2 Im Übrigen stünde einem Anspruch des Klägers auch der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" entgegen (vgl. BVerwG vom 13.11.2003 NVwZ 2004, 1002). Da der Kläger nicht dargelegt hat, wie er den Bedarf in der fraglichen Zeit gedeckt hat, kommt eine Verpflichtung der Beklagten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, nicht in Betracht. Dass der Kläger möglicherweise Forderungen seiner Vermieterin ausgesetzt ist, vermag einen Hilfeanspruch ebenfalls nicht zu begründen. Denn die Übernahme von in der Vergangenheit aufgelaufenen Mietschulden kann mit Mitteln der Sozialhilfe nur gedeckt werden, um den Verlust der Wohnung zu vermeiden (§ 15a Abs. 1 Satz 1 BSHG). Da die Vermieterin aber bereits zum 31. Januar 2002 den Mietvertrag über das Zimmer gekündigt hat, kommt eine Übernahme der Mietschulden nicht in Betracht.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung verzichtet, weil er davon ausgeht, dass die Beklagte nicht beabsichtigt, ihre ohnehin nur in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten vor Ablauf der Rechtskraft der Entscheidung zu vollstrecken.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Ende der Entscheidung
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