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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 20.05.2009
Aktenzeichen: 12 B 08.2007
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X, SGB I


Vorschriften:

SGB VIII § 86 Abs. 2 Satz 2
SGB VIII § 86d
SGB VIII § 89c Abs. 1 Satz 1
SGB VIII § 89c Abs. 1 Satz 2
SGB X § 105 Abs. 1 Satz 1
SGB I § 37 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 08.2007

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilferechts (Erstattung von Jugendhilfeleistungen);

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Juli 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

ohne mündliche Verhandlung am 20. Mai 2009

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch um eine Kostenerstattung für Jugendhilfeleistungen, die die Klägerin in der Zeit vom 17. Januar 2004 bis 1. August 2005 an den K. erbracht hat.

Die Mutter des am *** ****** **** geborenen K. beantragte am 31. Juli 2002 beim Stadtjugendamt der Klägerin gemäß §§ 27 ff. Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) die Gewährung von Hilfe zur Erziehung. Bei K. handle es sich um ihr nichteheliches Kind. Die Vaterschaft sei nicht festgestellt. In einem am 8. August 2002 gefertigten "Protokoll über Hilfeteam" beim Stadtjugendamt der Klägerin ist festgehalten, dass K. von seinem zweiten Lebensjahr an bei seiner Oma in Memmingen wohne. Die Familie des K. gehöre zum "Roma/Sinti-Kreis". K. benötige eine männliche Bezugsperson, die auch sein Freizeitverhalten anrege. Die Oma müsse unterstützt werden, was die schulische Förderung betreffe. Im Ergebnis werde eine Erziehungsbeistandschaft mit sechs Stunden wöchentlich sowie Hort- oder Hausaufgabenbetreuung befürwortet.

Die Mutter des K. gab an, sie selbst lebe in der Justizvollzugsanstalt Würzburg. Sie habe im Raum Würzburg/Kitzingen seit Jahren wechselnde Wohnorte innegehabt und habe sich vor ihrer Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt Würzburg vom 5. Juni 2000 bis 18. März 2002 bei ihrer Schwester in der ******straße in Kitzingen aufgehalten. Von Oktober bis November 2001 wohnte sie in der *********straße ** in Kitzingen in einer eigenen Wohnung.

Mit Bescheid vom 8. August 2002 bewilligte die Klägerin der Mutter ab dem 8. August 2002 Hilfe zur Erziehung im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft für K. (§ 27 i.V.m. § 30 SGB VIII). Umfang und Dauer der Hilfemaßnahme richte sich nach den jeweiligen Festlegungen im Hilfeplan. Bis auf Weiteres sei von einer Betreuungszeit von sechs Stunden wöchentlich auszugehen.

Mit Schreiben vom 8. August 2002 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Kostenerstattung gemäß § 89a SGB VIII geltend. Das Stadtjugendamt sei gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII für die Gewährung von Jugendhilfe örtlich zuständig. K. lebe seit 1. Mai 1998 ständig bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Memmingen. Da die Großeltern nicht die Anforderungen an eine Pflegestelle im Sinne des Jugendhilferechts erfüllten, erhielten die Pflegeeltern eine finanzielle Unterstützung durch pauschaliertes Pflegegeld über die Sozialhilfeverwaltung. Ohne die Aufwendungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII würde das Kreisjugendamt Kitzingen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für die Maßnahme örtlich zuständig sein, weil die Mutter ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Kitzingen bei ihrer Schwester gehabt habe. Am 11. September 2002 teilte das Einwohnermeldeamt der Stadt Kitzingen dem Landratsamt Kitzingen mit, dass die Mutter des K. vom 28. Juli 2000 bis 20. Februar 2001 in der ******straße ** in Kitzingen gemeldet gewesen sei. Sie sei von Amts wegen abgemeldet worden.

Diese Erziehungsbeistandschaft wurde ausweislich des "Protokolls über Hilfeteam" beim Stadtjugendamt der Klägerin vom 26. Januar 2004 ohne formellen Bescheid am 4. April 2003 beendet, nachdem K. zur Mutter nach Kitzingen verzogen sei. Die Mutter habe die Wohnung in Kitzingen (****** **** Gasse *) vermutlich schon im Dezember 2003 aufgelöst und habe sich mit K. in einer Pension in ********** aufgehalten. Von dort habe sie laut K. nach Amerika gewollt. Nach einem telefonischen Hilferuf von K. habe die Großmutter diesen am 17. Januar 2004 wieder nach Memmingen geholt. Die Mutter sei von der Großmutter in ********** nicht mehr angetroffen worden, ihr Aufenthaltsort sei zurzeit nicht bekannt. Die Großmutter und K. wünschten sich wieder eine Unterstützung. Im Ergebnis werde Erziehungsbeistandschaft 6 Stunden wöchentlich durch Herrn N. vorgeschlagen.

Mit Schreiben vom 27. Januar 2004 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sich K. seit 17. Januar 2004 wieder in Memmingen bei der Großmutter aufhalte. Es werde für unumgänglich gehalten, dass die Familie wieder durch einen Erziehungsbeistand unterstützt werde. Da der Aufenthalt der Mutter derzeit nicht feststellbar sei, richte sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung gemäß § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt von K. in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Leistung sei eindeutig in Kitzingen, ****** **** Gasse, in der gemeinsamen Wohnung von Kindesmutter und K. gelegen. Es werde daher um bald mögliche Übernahme des Hilfefalls in eigener Zuständigkeit und Erstattung der bis dahin entstandenen Kosten nach § 89c SGB VIII gebeten.

Durch Beschluss des Amtsgerichtes Memmingen vom 28. Januar 2004 wurde der Mutter des K. im Wege der einstweiligen Anordnung das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, zur Regelung der ärztlichen Versorgung, zur Regelung schulischer Angelegenheiten und zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII für K. vorläufig entzogen. Soweit die Rechte der Mutter entzogen worden waren, wurde Pflegschaft angeordnet und die entzogenen Rechte auf das Stadtjugendamt Memmingen übertragen.

Unter dem 3. Februar 2004 stellte der Ergänzungspfleger beim Stadtjugendamt der Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 SGB VIII. Mit Bescheid vom 11. Januar 2004 gewährte die Klägerin dem Ergänzungspfleger antragsgemäß ab 17. Januar 2004 Hilfe zur Erziehung im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft für K. gemäß § 27 i.V.m. § 30 SGB VIII. Umfang und Dauer der Hilfemaßnahme richteten sich wiederum nach den jeweiligen Festlegungen im Hilfeplan, bis auf Weiteres sei von einer Betreuungszeit von sechs bis acht Stunden wöchentlich auszugehen.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2004 und 19. Februar 2004 bat die Klägerin den Beklagten nochmals um Übernahme des Hilfefalles und um Kostenzusage im Rahmen des § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. K. habe weder am 17. noch am 19. Januar 2004 einen gewöhnlichen Aufenthalt in Memmingen begründen können, weil er ohne Erlaubnis oder gar Kenntnis seiner Mutter hier verweilt habe und sein weiterer Verbleib völlig ungeklärt gewesen sei.

Am 5. April 2004 beantragte der Ergänzungspfleger beim Stadtjugendamt der Klägerin Gewährung von Hilfe zur Erziehung durch Heimerziehung des K. ab 24. April 2004 im Kinderhaus ******* in ***** ***********. Mit Bescheid vom 27. Mai 2004 gewährte die Klägerin ab 27. April 2004 Hilfe zur Erziehung durch Heimerziehung für K.

Im Hilfeplan vom 28. September 2004 ist festgestellt, dass die Mutter des K. wieder in der Justizvollzugsanstalt Würzburg einsitze. In der Hilfeplanfortschreibung vom 16. Juni 2005 wurde unter anderem festgehalten, die Kindsmutter sitze mittlerweile in der Justizvollzugsanstalt Aichach ein. Sie werde voraussichtlich im August 2005 entlassen. Laut Aktenvermerk vom 3. Mai 2006 ist die Kindsmutter am 20. April 2006 aus der Haft entlassen worden. Sie lebe derzeit im Haushalt der älteren Schwester in Kitzingen.

Mit Schreiben vom 11. August 2005 teilte die Klägerin der Mutter mit, dass die Jugendhilfemaßnahme für K. gemäß Beschluss des Amtsgerichtes Memmingen zum 1. August 2005 eingestellt worden sei.

Der Senat macht sich im Übrigen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Tatbestand des angefochtenen Urteils in vollem Umfang zu Eigen und nimmt darauf Bezug (§ 130b Satz 1 VwGO).

Am 27. Dezember 2006 erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.898,71 Euro als Erstattung der für K. aufgewendeten Kosten der Jugendhilfeleistung für die Zeit vom 8. August 2002 bis einschließlich 1. Dezember 2002 zuzüglich 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und den Beklagten weiter zu verurteilen, an sie 57.829,97 Euro als Erstattung der für K. aufgewendeten Kosten für Jugendhilfeleistungen in der Zeit vom 17. Januar 2004 bis einschließlich 1. August 2005 zuzüglich 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Für die Jugendhilfeleistungen in der Zeit vom 8. August 2002 bis 4. April 2003 seien Aufwendungen in Höhe von 6.001,53 Euro entstanden, wovon der Beklagte aber nur 3.102,82 Euro bezahlt habe. Der Kostenerstattungsanspruch stütze sich auf § 89a Abs. 1 SGB VIII. Der weitere Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 17. Januar 2004 bis einschließlich 1. August 2005 stütze sich auf § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Die Klägerin habe diese Aufwendungen im Rahmen ihrer Verpflichtungen nach § 86d SGB VIII aufgewendet. Zum maßgeblich Zeitpunkt sei die örtliche Zuständigkeit für die Hilfeleistung nicht festgestanden. Der Aufenthalt der Mutter des K. sei unbekannt gewesen und die vormalige örtliche Zuständigkeit der Klägerin nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII habe mit dem Wegzug des K. zu seiner Mutter am 4. April 2003 geendet (§ 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII).

Das Verwaltungsgericht Würzburg verurteilte den Beklagten daraufhin am 4. Juli 2004, an die Klägerin 57.829,97 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit (27.12.2006) zu zahlen. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Klägerin stehe für die Zeit vom 17. Januar 2004 bis 1. August 2005 der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch zur Seite. Sie sei nach § 86d SGB VIII zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet gewesen. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich aus § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, der auf den vorausgehenden Satz 1 aufbaue. Ausschlaggebend sei es deshalb, wo K. während der letzten sechs Monate vor Beginn der Leistungen seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Für die Zeit vom 8. August 2002 bis 1. Dezember 2002 stehe der Klägerin hingegen kein Kostenerstattungsanspruch zur Seite, denn die Voraussetzungen nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII seien nicht erfüllt und es ergebe sich auch keine anderweitige Rechtsgrundlage für eine Kostenerstattungspflicht.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Kostenerstattung in Höhe von 57.829,97 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit. Das Verwaltungsgericht sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, wenn es annehme, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Kindsmutter nicht feststellbar gewesen sei. Aus den Akten sei bekannt, dass die Kindsmutter inhaftiert gewesen sei. Auch die vorausgehenden Aufenthaltszeiten ergäben sich zumindest aus einem Vermerk der Bezirkssozialarbeiterin vom 17. Januar 2007. Könne der gewöhnliche Aufenthalt zu Beginn der Leistung nicht festgestellt werden, dann aber dennoch ermittelt werden, lebe sofort - und zwar rückwirkend - § 86 Abs. 1 bis 3 SGB VIII wieder auf, d. h., die Zuständigkeit sei nach § 86 Abs. 1 bis 3 SGB VIII neu zu prüfen. Gemäß § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII seien die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86d SGB VIII aufgewendet habe, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86a und 86b SGB VIII begründet werde. Stehe der örtliche Aufenthalt hingegen nicht fest und werde der zuständige örtliche Träger nicht tätig, so sei der örtliche Träger vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhalte (§ 86d SGB VIII). Da sich K. vor Beginn der Leistung in Memmingen aufgehalten habe, sei die Klägerin zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet. Auch eine Kostenerstattungspflicht gemäß § 89e Abs. 1 SGB VIII bestehe nicht. Selbst wenn man aber der Ansicht des Verwaltungsgerichts folgen würde, lebte mit der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter in die Justizvollzugsanstalt § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII auf und damit die Kostenerstattungspflicht der Stadt Würzburg bzw. des Landkreises Aichach-Friedberg.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Juli 2007 insoweit aufzuheben, als er darin verurteilt werde, an die Klägerin 57.829,97 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Klägerin hat sich im Berufungsverfahren nicht mehr geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Kostenerstattung gegenüber der Klägerin verpflichtet. Die Klägerin kann vom Beklagten für den Zeitraum vom 17. Januar 2004 bis 1. August 2005 Erstattung der an K. erbrachten Aufwendungen für Maßnahmen der Jugendhilfe beanspruchen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein noch der Kostenerstattungsanspruch, den die Klägerin für die im Zeitraum vom 17. Januar 2004 bis 1. August 2005 erbrachten Jugendhilfeleistungen begehrt. Ihr weiteres Begehren auf Erstattung der Aufwendungen für Jugendhilfeleistungen im Zeitraum vom 8. August 2002 bis einschließlich 1. Dezember 2002 hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Urteil vom 4. Juli 2007 ist insoweit rechtskräftig geworden, denn die Klägerin hat ihrerseits hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt.

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, der Klägerin die in der Zeit vom 17.Januar 2004 bis 1. August 2005 im Rahmen der Jugendhilfe zur Erziehung für K. entstandenen Aufwendungen in Höhe von 57.829,97 Euro zuzüglich der entsprechend §§ 291, 288 BGB ab Klageerhebung (27. Dezember 2006) anfallenden Zinsen zu erstatten, denn der Klägerin steht aus § 105 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ein Kostenerstattungsanspruch zu.

1.1 Der vom Verwaltungsgericht herangezogene § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, der die Kostenerstattung unter den örtlich zuständigen Trägern bei vorläufiger Leistungsgewährung regelt, scheidet als Rechtsgrundlage allerdings aus. Nach dieser Vorschrift sind vom örtlichen Träger, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86a und 86b SGB VIII begründet wird, dem örtlichen Träger die Kosten zu erstatten, der mit der Hilfeleistung seiner Verpflichtung nach § 86d SGB VIII nachgekommen ist.

Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Aufwendungen für Erziehungsbeistandschaft (§§ 27, 30 SGB VIII) ab dem 17. Januar 2004 und für die sich hieran ab dem 27. April 2004 anschließende Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung (§§ 27, 34 SGB VIII) im Rahmen einer Verpflichtung nach § 86d SGB VIII erbracht hat.

§ 86d SGB VIII verpflichtet den örtlichen Träger vorläufig zum Tätigwerden, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche, der junge Volljährige oder bei Leistungen nach § 19 SGB VIII der Leistungsberechtigte vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält, wenn die örtliche Zuständigkeit nicht feststeht oder der zuständige örtliche Träger nicht tätig wird.

Zwar stand die örtliche Zuständigkeit seinerzeit nicht fest; jedenfalls hat der Beklagte nicht geleistet. Der K. hat sich aber vor Beginn der Leistung nicht im Zuständigkeitsbereich der Klägerin (tatsächlich) aufgehalten, sondern in ********** im Landkreis Würzburg. Für den Begriff "vor Beginn der Leistung" in § 86d SGB VIII kann dabei nichts anderes gelten als für denselben Begriff in § 86 Abs. 2 und 4 SGB VIII. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass bei der Anwendung dieses Tatbestandsmerkmales zwar nicht auf die Einzelmaßnahme, sondern auf die ununterbrochen andauernde Jugendhilfemaßnahme in ihrer Gesamtheit abzustellen ist (vgl. zuletzt BayVGH vom 3.3.2009 Az. 12 B 08.1384 und ausführlich BayVGH vom 13.8.1999 VGHE n.F. 52, 103 = FEVS 51, 370 = BayVBl 2000, 212; Kunkel in LPK-SGBVIII, 3. Aufl. 2006, § 86d RdNr. 7 i. V. mit § 86 RdNr. 7; Wiesner in Wieser, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 86 RdNr. 18). Maßgeblich ist im Falle des K. aber, dass die frühere Hilfe zur Erziehung im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft nach §§ 27, 30 SGB VIII nach dem 4. April 2003 eingestellt worden ist, nachdem K. seinerzeit zu seiner Mutter nach Kitzingen gezogen war. Dass eine solche Unterbrechung einer zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahme eine neue Anknüpfung für die örtliche Zuständigkeit erfordert, hat das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits entschieden (BVerwG vom 29.1.2004 Az. 5 C 9/03). Begonnen hat die streitgegenständliche Leistung, auf die § 86d SGB VIII abstellt, demzufolge erst mit der ab dem 17. Januar 2004 neu bewilligten Hilfe zur Erziehung im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft, also mit dem telefonischen Hilferuf des K. an seine Großmutter und seinem Umzug zu ihr nach Memmingen am selben Tag. Denn der Begriff "vor Beginn der Leistung" umschreibt den Zeitpunkt der Antragstellung bzw. des Herantragens des Hilfebedarfs an den Leistungsträger und nicht erst das Tätigwerden der helfenden Person (ausführlich dazu Wiesner, a. a. O., unter Hinweis auf BVerwG ZfJ 2001, 210). Unmittelbar vor dem 17. Januar 2004 hielt sich K. tatsächlich in einer Pension in ********** bei seiner Mutter auf, von wo ihn seine Großmutter auch abholte.

1.2 Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII scheidet aus, denn die Klägerin hat für die ab dem 17. Januar 2004 neubewilligten Hilfe zur Erziehung im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft (§§ 27, 30 SGB VIII) und für die sich hieran ab dem 27. April 2004 anschließende Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung (§§ 27, 34 SGB VIII) auch nicht im Rahmen einer Verpflichtung nach § 86c SGB VIII Hilfe geleistet.

1.3 Der § 89c Abs. 3 und § 89 SGB VIII, die eine Kostenerstattung durch den überörtlichen Träger regeln, scheiden ebenfalls aus. Der Beklagte ist wie die Klägerin örtlicher Träger (Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Satz 1 des seinerzeit geltenden Bayerisches Kinder- und Jugendhilfegesetzes - BayKJHG - vom 18. Juni 1993 - GVBl. 1993, 392).

1.4 Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich vielmehr aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Enthält das Achte Buch Sozialgesetzbuch keine einschlägige spezielle Kostenerstattungsregelung, so ist auf die allgemeinen Regelungen im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch über die Erstattungsansprüche von Leistungsträgern untereinander zurückzugreifen (BayVGH vom 3.3.2009 a. a. O. und vom 29.4.2004 FEVS 56, 75; Wiesner, a. a. O., § 89 RdNr. 13). Denn von den §§ 112 ff. SGB X Abweichendes im Sinne von § 37 Satz 1 SGB I ergäbe sich nur dann aus den §§ 89 ff. SGB VIII, wenn diese Vorschriften jeden weiteren Erstattungsanspruch auf der Grundlage anderer Sachverhalte ausschließen würden. Das ist aber nicht der Fall, wie der Senat bereits wiederholt und in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BayVGH vom 13.8.1999 a. a. O.). Es war die erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit den §§ 89 ff. SGB VIII die Lücken des Erstattungsrechts im Jugendhilferecht zu schließen (vgl. dazu BT-Drs. 9/95 S. 1724), nicht war aber beabsichtigt, die allgemeinen Erstattungsregelungen zu verdrängen. Demzufolge bleibt insbesondere § 105 SGB X zum Schutz des unzuständigen Leistungsträgers auch zwischen Jugendhilfeträgern anwendbar (BayVGH vom 1.4.2004 Az. 12 B 99.2510; NdsOVG vom 23.8.1989 FEVS 39, 378).

1.4.1 Der Anspruch auf Kostenerstattung aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheitert nicht an § 102 Abs. 1 SGB X. Denn die Klägerin hat die Jugendhilfeleistungen nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig erbracht". Eine solche vorläufige Leistungserbringung aufgrund gesetzlicher Vorschriften liegt nur dann vor, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers leistet oder sich noch erkennbar im Ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist (Roos in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 102 RdNr. 6 m. w. N.). Das hätte auch vorausgesetzt, dass der Charakter der Erbringung einer vorläufigen Leistung von Anfang an festgestanden hat (BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr. 7).

Die Klägerin war für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung des K. im Zeitraum vom 17. Januar 2004 bis 1. August 2005 aufgrund gesetzlicher Vorschriften weder vorläufig noch endgültig zuständig. Gleichwohl kann von einer bewusst unzuständigen Leistungserbringung keine Rede sein.

1.4.2 Örtlich zuständiger Leistungsträger im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X war allein der Beklagte. Seine sachliche Zuständigkeit ist nicht streitig.

Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Diese Bestimmung besagt, dass sich dann, wenn für den nach den Absätzen 1 bis 3 des § 86 SGB VIII maßgeblichen Elternteil - hier die Mutter des K. - ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht besteht oder feststellbar ist, die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor der Leistung - also vor dem 17. Januar 2004 (siehe oben) - richtet.

Die seinerzeit noch allein und uneingeschränkt sorgeberechtigte Mutter des K. hielt sich vor dem 17. Januar 2009 in einer oder mehreren Pensionen in ********** auf, um von dort aus zu ihrer Schwester nach Amerika überzusiedeln. Ihre bisherige Wohnung in Kitzingen hatte sie im Dezember 2003 endgültig aufgegeben und damit auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, denn ********** war für sie nur eine kurze vorübergehende Station.

Der vom Verwaltungsgericht herangezogene Satz 2 des § 86 Abs. 2 SGB VIII greift nicht, denn K. hatte während der letzten sechs Monaten zu irgendeinem Zeitpunkt - nämlich bis zum Umzug in die Pensionen in ********** - einen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter in Kitzingen, so dass sich die Zuständigkeit nach diesem (früheren) gewöhnlichen Aufenthalt richtet (Wiesner, a. a. O., § 86 RdNr. 26). Dass K. nach Beendigung der früheren Erziehungsbeistandschaft am 4. April 2003 bis Dezember 2003 bei seiner Mutter in Kitzingen, in der ******* ***** Gasse *, lebte, ist nicht umstritten. Der Senat folgt deshalb der zutreffend Auffassung des Verwaltungsgerichts zum gewöhnlichen Aufenthalt des K. in den letzten sechs Monaten vor der Leistung, nur dass er einen anderen Anknüpfungszeitpunkt zugrunde legt.

1.4.3 Wegen § 86c Satz 1 SGB VIII ist es für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit nicht maßgeblich, dass nach Darstellung des Beklagten in seiner Berufungsbegründung vom 20. August 2008 die Mutter des K. möglicherweise ab dem 1. Februar 2004 einen oder mehrere (neue) gewöhnliche Aufenthalte begründet hat, denn die örtliche Zuständigkeit des Beklagten bestand gleichwohl fort, weil ein anderer Leistungsträger die Leistung bis zum 1. August 2005 nicht fortgesetzt hat (vgl. dazu BVerwG vom 9.12.2004 Az. 5 B 80.04). Ob der Beklagte diesen Teil seiner Aufwendungen für K. nach § 89c Satz 1 SGB VIII i. V. mit § 86c Satz 1 SGB VIII von einem anderen Leistungsträger erstattet bekommen kann (siehe etwa BVerwG vom 5.4.2007 BVerwGE 128, 301 = FEVS 58, 536 = BayVBl 2007, 728 zu § 89a SGB VIII), ist hier nicht entscheidungserheblich. Eine Änderung dieser Zuständigkeit ergibt sich folgerichtig auch nicht aus dem Eintritt des Ergänzungspflegers am 27. Januar 2004.

1.4.4 Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für die Kostenerstattung sind ebenfalls erfüllt. Der Anspruch ist zudem nicht nach § 105 Abs. 2 und 3 SGB X eingeschränkt. Die Klägerin hat ihn auch innerhalb der Frist des § 111 Satz 1 SGB X geltend gemacht.

1.5 Der Anspruch auf die Prozesszinsen leitet sich aus der entsprechenden Anwendung des § 291 BGB (vgl. BVerwG vom 22.2.2001 BVerwGE 114, 61/66) her; die Höhe des Zinssatzes aus Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO.

Von einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat der Senat abgesehen, weil er davon ausgeht, dass die Klägerin nicht beabsichtigt, ihre ohnehin nur in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung zu vollstrecken.

4. Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 57.829,97 Euro (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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