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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: 12 BV 04.2223
Rechtsgebiete: BSHG, DVO


Vorschriften:

BSHG § 3 Abs. 4
BSHG § 3 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 a
BSHG § 11
BSHG § 15 b
BSHG § 23 Abs. 2
BSHG § 76 Abs. 2 Nr. 3
BSHG § 76 Abs. 2 Nr. 4
BSHG § 92 a
DVO zu § 76
Für die Erzielung des Einkommens notwendige Fahrtkosten, die nicht für Fahrten auf der kürzesten Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehen, können nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG (§ 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII) vom Einkommen abgesetzt werden.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 BV 04.2223

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Februar 2006

am 20. Februar 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 1. September 2003 bis 30. November 2003 Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten von der Wohnung der Kläger zur Arbeitsstätte der Klägerin zu 1 über die Wohnung der Großmutter ohne die bereits abgegoltene Fahrstrecke zu gewähren.

II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2004 und der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2003 werden abgeändert, soweit sie der Verpflichtung in Nr. I entgegenstehen.

III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Beteiligten streiten über die Frage, ob den Klägern für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2003 Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss unter Berücksichtigung eines Viertels der Jahresprämie für die Kfz-Haftpflichtversicherung sowie eines Pauschbetrags für den Weg zur Arbeitsstätte von 13 km gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der Verordnung zu § 76 BSHG zusteht.

Die Klägerin zu 1 beantragte am 28. August 2003 beim Beklagten für sich und ihre beiden Kinder, die Kläger zu 2 und 3, Hilfe zum Lebensunterhalt, weil ihr Ehemann für ein Jahr und drei Monate inhaftiert worden war. Die Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 3. September 2003 für September 2003 darlehensweise Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 198,15 € sowie einen besonderen Mietzuschuss in Höhe vom monatlich 166 €. Die darlehensweise Hilfegewährung sei gemäß § 92 a BSHG aufgrund der Inhaftierung des Ehemannes erfolgt. Für Oktober 2003 belief sich die Hilfe zum Lebensunterhalt auf 203,96 €, für November auf 53,10 € zuzüglich jeweils 166 € besonderen Mietzuschuss.

Mit Schreiben vom 4. September und 4. November 2003 machte die Klägerin zu 1 geltend, auf ein Auto angewiesen zu sein, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Nur so könne sie neben der Kindererziehung ihre Teilzeitbeschäftigung von derzeit 8 Stunden pro Woche ausüben. Deshalb müssten die Kfz-Haftpflichtversicherungskosten berücksichtigt werden. Am 26. September 2003 erhob sie gegen den Bescheid vom 3. September 2003 Widerspruch, mit dem sie u.a. die Nichtberücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung und die darlehensweise Hilfegewährung rügte.

Über den Widerspruch der Klägerin zu 1 wurde bisher nicht entschieden.

2. Am 24. März 2004 erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, den Klägern unter Berücksichtigung des Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrags sowie eines Pauschbetrags für einen Weg zur Arbeitsstätte von 16 km gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der Verordnung zu § 76 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. September 2003 bis 30. November 2003 zu gewähren und den Bescheid des Beklagten vom 3. September 2003 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2004 erkannte der Beklagte eine Kilometerpauschale aufgrund der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der Klägerin zu 1 von 3 km an. Demgegenüber wies die Klägerin zu 1 darauf hin, dass die Kilometerpauschale den tatsächlichen Weg von 16 km berücksichtigen müsse, den sie von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte zurücklege. Wenn der notwendigerweise zurückzulegende Weg zur Tagesmutter unberücksichtigt bleibe, werde sie gegenüber berufstätigen Männern, die - weil mit der Kinderbetreuung nicht belastet - einen derartigen Umweg nicht fahren müssten, diskriminiert.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 15. Juli 2004 ab. Den Klägern stehe weder eine höhere Pauschale gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO als vom Beklagten zugestanden noch ein Anspruch auf Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung zu. Bei der Berechnung der Pauschale sei von der kürzesten Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auszugehen. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift. Diese Bemessung der maßgeblichen Wegstrecke sei nicht wegen mittelbarer Diskriminierung der Klägerin zu 1 als derzeit alleinerziehender Mutter rechtswidrig. Dem Gesetzgeber stehe bei der Bemessung der zu gewährenden Hilfen grundsätzlich ein weites Ermessen zu. Erschwernissen alleinerziehender Elternteile habe der Gesetzgeber durch Zuerkennung eines Mehrbedarfs im Sinne von § 23 Abs. 2 BSHG Rechnung getragen, der der Klägerin zu 1 gewährt werde.

Die Frage, ob neben der Kilometerpauschale Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vom Einkommen abzusetzen seien, sei umstritten und bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Das Gericht schließe sich den Ausführungen des OVG NRW im Urteil vom 20. Juni 2000 (FEVS 52, 167 ff.) an, das eine gesonderte Absetzbarkeit der Kfz-Haftpflichtversicherungsprämien neben den in § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO bestimmten Pauschbeträgen verneint habe. Dieser Entscheidung liege ein mit dem vorliegenden Fall vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Berücksichtige man den Umstand, dass die Klägerin zu 1 nicht an 20 Tagen monatlich ihrer Arbeitstätigkeit nachgehe, sondern nur zweimal wöchentlich, errechne sich zudem ein wesentlich höherer Kilometersatz von 0,32 € bei 8 Tagen Arbeitstätigkeit im Monat.

3. Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Kläger. Sie führen aus, dass § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO gegen die Richtlinie 76/207/EWG des Rats der Europäischen Gemeinschaft verstoße, die zum Ziel habe, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung verwirklicht werde. Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie solle eine mittelbare Diskriminierung von Frauen verhindert werden. Wenn der eindeutige Wortlaut des § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO nur die Berücksichtigung der kürzesten Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zulasse und es unmöglich mache, den tatsächlichen Weg einer alleinerziehenden Frau von der Wohnung zur Arbeitsstätte zu berücksichtigen, dann stelle diese Regelung eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie dar. Von dieser Vorschrift werde die Gruppe von Frauen, die in der überwiegenden Anzahl die Kinderbetreuung übernehme, schlechter gestellt als die Gruppe der Männer, die in der Regel ohne für die Betreuung der Kinder sorgen zu müssen, direkt von der Wohnung zur Arbeitsstätte fahren könnten. Auch wenn dem Gesetzgeber ein weites Ermessen zur Seite stehe, wenn es um die Bemessung der zu gewährenden Hilfen gehe, so habe er doch die Richtlinie 76/207/EWG umzusetzen und dafür zu sorgen, dass eine mittelbare Diskriminierung von Frauen nicht stattfinde. Die Zuerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende gemäß § 23 Abs. 2 BSHG hebe die mittelbare Diskriminierung von Frauen gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO nicht auf.

Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Entscheidung des OVG NRW vom 20. Juni 2000 sei unrichtig. Wenn Frauen eine Arbeit annehmen und nicht von der Sozialhilfe leben wollten, müssten sie für eine Beaufsichtigung der Kinder sorgen. Im vorliegenden Fall sei wegen der ungünstigen Arbeitszeiten als kostengünstigste Betreuungsmöglichkeit die Großmutter in Anspruch genommen worden, zu der die Klägerin zu 1 mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht fahren könne. Die Tatsache, dass die Klägerin zu 1 zur Arbeit gehe, sei sowohl für die Entstehung der Pflicht zur Entrichtung der Versicherungsbeiträge und Steuern als auch für die notwendige Kinderbetreuung ursächlich. Da der Pauschbetrag in der Durchführungsverordnung seit Jahren nicht mehr angehoben worden sei, seien die Haftpflichtversicherungsbeträge schon aus diesem Grund gesondert zu berücksichtigen.

Die Kläger beantragen:

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2004 wird abgeändert.

2. Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern unter Berücksichtigung eines Viertels der Jahresprämie für die Kfz-Haftpflichtversicherung sowie eines Pauschbetrags für den Weg zur Arbeitsstätte von 13 km gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der Verordnung zu § 76 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2003 als Zuschuss zu gewähren.

3. Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2003 i.d.F. der Neuberechnung vom 12. August 2004 wird aufgehoben, soweit er der Verpflichtung entgegensteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger hätten keinen Anspruch auf eine höhere Pauschale gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO als vom Beklagten anerkannt. Der Berechnung der Pauschale sei nur die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zugrunde zu legen. Eine Diskriminierung der Klägerin zu 1 als derzeit alleinerziehender Mutter liege nicht vor. Erschwernisse eines alleinerziehenden Elternteils würden vom Gesetzgeber durch Zuerkennung eines Mehrbedarfs gemäß § 23 Abs. 2 BSHG ausgeglichen. Ein Verstoß des § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO gegen die Richtlinie 76/207/EWG sei nicht zu erkennen.

Neben der Kilometerpauschale seien Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge nicht gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vom Einkommen abzusetzen. Für eine gesonderte Absetzung der Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge bliebe nur Raum, wenn der maßgebliche Pauschbetrag die Kosten nicht decke. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Kfz auch für private Zwecke, wie auch von der Klägerin zu 1 vorgetragen, genutzt werde, sei dies nicht der Fall.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält die Berufung für unbegründet. Er führt aus, dass sowohl die Kfz-Steuer wie auch die Haftpflichtversicherungsbeiträge von dem Pauschbetrag nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO mitumfasst sein sollten. Die Regelung könne nur in der Weise verstanden werden, dass mit dem pauschalierten Entgelt alle anfallenden Kosten einschließlich der Haftpflichtversicherung abgedeckt seien. Auch die Richtlinie 76/207/EWG erfordere nicht, den wegen der Kinderbeaufsichtigung erforderlich werdenden Umweg in den Pauschbetrag für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzubeziehen. Mit Zugang zur Beschäftigung sei nicht der Weg zur Arbeit gemeint, sondern die Zulassung zu einem bestimmten Beruf oder einer bestimmten Beschäftigung. Der Streit um die Kosten für die Kfz-Haftpflichtversicherung und dem Umweg zur Großmutter habe nichts damit zu tun, ob die Klägerin zu 1 an der von ihr selbst gewählten Arbeitsstätte arbeiten dürfe oder nicht. Ihr werde auch nicht in Form einer mittelbaren Diskriminierung die Möglichkeit genommen, die von ihr gewählte Beschäftigung auszuüben. Der Gesetzgeber habe die Kosten für zusätzliche Fahrten mit anderen erhöhten Aufwendungen der alleinerziehenden Mütter und Väter zusammenfassen und im Pauschbetrag des § 23 Abs. 2 BSHG berücksichtigen dürfen.

Das Argument, dass die Kfz-Kosten extra ersetzt werden müssten, weil den Mehrbedarf auch zuerkannt bekomme, wer keine Fahrten zur Arbeit bewältigen müsse, überzeuge nicht. Die darlehensweise Bewilligung der Hilfe sei möglicherweise bereits bestandskräftig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

1.1 Die Kläger haben Anspruch darauf, dass ihnen für den Zeitraum vom 1. September 2003 bis 30. November 2003 Hilfe zum Lebensunterhalt nicht als Darlehen, sondern als Zuschuss gewährt wird. Diesem Anspruch steht nicht entgegen, dass die darlehensweise Bewilligung der Hilfe bestandskräftig geworden wäre, wie der Vertreter des öffentlichen Interesses meint. Die Kläger haben sich mit ihrem Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 3. September 2003 ausdrücklich auch dagegen gewandt, dass die Hilfe in Form eines Darlehens gewährt wurde. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellte Klageantrag spricht die darlehensweise Hilfegewährung zwar nicht ausdrücklich an. Da aber in der Klagebegründung vom 23. März 2004 das Widerspruchsvorbringen bezüglich der darlehensweise Hilfegewährung wiederholt wurde, ist als Klagebegehren die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss anzunehmen, zumal das Gericht nach § 88 VwGO an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist. Denn es würde für die Kläger keinen Sinn machen, die Verpflichtung des Beklagten zur Hilfegewährung unter Berücksichtigung des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsbeitrags sowie eines Pauschbetrages für einen Weg zur Arbeitsstätte von 16 km zu erstreiten, wenn dies nur im Rahmen eines von ihnen zurückzuzahlenden Darlehens erfolgen würde.

Die im Bescheid vom 3. September 2003 ausgesprochene Bewilligung der Hilfe in Form eines Darlehens war rechtswidrig. Auf die im Bescheid genannte Vorschrift des § 92 a BSHG konnte sie nicht gestützt werden, weil die Klägerin zu 1 die Inhaftierung ihres Ehemannes nicht durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten verschuldet und dadurch die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe herbeigeführt hat.

Als Rechtsgrundlage für die Gewährung der Hilfe als Darlehen kommt hier nur § 15 b BSHG in Betracht, wonach Geldleistungen als Darlehen gewährt werden können, wenn laufende Leistungen zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer zu gewähren sind. Die Entscheidung des Sozialhilfeträgers, dass Sozialhilfe nach dieser Vorschrift in Form eines Darlehens zu gewähren ist, stellt einen Verwaltungsakt dar, der in seinem pflichtgemäßen Ermessen liegt. Eine ohne Ausübung des Ermessens erfolgte Darlehensvergabe ist allein deshalb rechtswidrig (OVG Bremen FEVS 35, 56/59). Da der Beklagte im Bescheid vom 3. September 2003 keine Ermessenserwägungen hinsichtlich der Gewährung der Sozialhilfe als Darlehen angestellt hat und ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist die darlehensweise Hilfegewährung schon deshalb rechtswidrig. Im Übrigen liegen schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 b BSHG nicht vor, weil es sich wegen der Inhaftierung des Ehemannes der Klägerin zu 1 für 1 Jahr und 3 Monate um eine nicht nur vorübergehende Notlage handelte. Die Kläger haben somit Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss.

1.2 Dagegen besitzen die Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, bei der Hilfegewährung ein Viertel der Jahresprämie für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen. Dieses Begehren könnte nur auf § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG gestützt werden, dessen Voraussetzungen hier jedoch nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift sind von dem Einkommen u.a. abzusetzen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder öffentlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4.6.1981 FEVS 29, 372 = BVerwGE 62, 261) ist geklärt, dass der Beitrag zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, der an die Kraftfahrzeughaltung als einen Akt freier Entscheidung anknüpft, nicht "gesetzlich vorgeschrieben" im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG ist.

Der Beitrag der Klägerin zu 1 zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ist auch nicht dem Grunde nach angemessen im Sinne dieser Vorschrift. Das könnte nur dann der Fall sein, wenn der Pkw der Klägerin zu 1 außer für die Fahrten zur Arbeit zu einem sozialhilferechtlich anerkennenswerten Zweck gehalten würde (vgl. OVG Niedersachsen vom 15.12.1988 FEVS 39, 419/421). Das hat die Klägerin zu 1 jedoch nicht dargelegt. Insoweit hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass zum einen die Strecken zum Kindergarten, zur Schule und zum Einkauf mit jeweils 0,5 Entfernungskilometer auch ohne Kraftfahrzeug zurückzulegen sind und zum anderen nicht ersichtlich ist, warum die Fahrten zur Schuldnerberatung und zu den Ärzten - deren Häufigkeit zudem nicht dargetan ist - nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden konnten.

1.3 Die Kläger haben jedoch Anspruch darauf, dass bei der Hilfegewährung die tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin zu 1 für die Fahrten von der Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte über die Wohnung der Großmutter berücksichtigt werden, allerdings ohne die bereits vom Beklagten abgegoltene Fahrstrecke von der Wohnung unmittelbar zur Arbeitsstätte und zurück (insgesamt 6 km). Dieser Anspruch folgt aus § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG, der bestimmt, dass vom Einkommen die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen sind. § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG wird durch die Bestimmungen des § 3 Abs. 4 bis 7 der Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG (DVO zu § 76 BSHG) konkretisiert. Nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO zu § 76 BSHG ist dann, wenn für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die Benutzung eines Kraftfahrzeugs notwendig ist, weil ein öffentliches Verkehrsmittel nicht vorhanden oder dessen Benutzung im Einzelfall nicht zumutbar ist, ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 € für jeden vollen Kilometer abzusetzen, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt. Diese Regelung gilt jedoch nur für die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, was sich bereits aus ihrem eindeutigen Wortlaut ergibt (so auch Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, VO zu § 76, RdNr. 19). Sie erfasst also nicht die von der Klägerin zu 1 wegen des Aufsuchens der Wohnung der Großmutter darüber hinaus zurückgelegte Fahrstrecke, die insgesamt 26 km (Hin- und Rückweg) beträgt. Da die Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG keine abschließende Regelung der mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben enthält (OVG Niedersachsen vom 15.12.1988 a.a.O.; Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 76 mit VO Rdz. 74), kann hinsichtlich der tatsächlichen Aufwendungen für die von der Klägerin zu 1 gefahrene zusätzliche Strecke unmittelbar auf § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG zurückgegriffen werden. Die Zurücklegung der zusätzlichen Fahrstrecke über die Wohnung der Großmutter war für die Klägerin zu 1 auch notwendig, um ihrer Erwerbstätigkeit (2 x wöchentlich in der Zeit vom 16.00 Uhr bis 19.00 Uhr bzw. 20.00 Uhr) nachgehen zu können, weil sie ihre damals 6 bzw. 4 Jahre alten Kinder auf dem Weg zur Arbeit zunächst zur Großmutter bringen und nach Beendigung der Arbeit dort wieder abholen musste. Insoweit kann auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil verwiesen werden.

Die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben im Sinn des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG umfassen alle mit der Zurücklegung der zusätzlichen Fahrstrecke verbundenen Betriebskosten des Fahrzeugs, die sich bei Zugrundelegung von 24 Arbeitstagen (8 Tage monatlich) im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 2003 bis 30. November 2003 ergeben.

Der Berücksichtigung dieser mit der Erzielung des Arbeitseinkommens verbundenen notwendigen Ausgaben steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1 im streitgegenständlichen Zeitraum einen Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende nach § 23 Abs. 2 BSHG erhielt. Denn dieser Mehrbedarfszuschlag wird auch Alleinerziehenden gewährt, die keine Ausgaben im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG haben, weil sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.

Eines Rückgriffs auf EU-Recht bedarf es wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG nicht. Anzumerken ist insoweit jedoch, dass die von den Klägern angeführte Richtlinie 76/207/EWG, die den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung betrifft, aus den vom Vertreter des öffentlichen Interesses zutreffend dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen werden kann, im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Verfahrenskosten verzichtet, weil er davon ausgeht, dass die Beteiligten nicht beabsichtigen, ihre ohnehin nur in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten für die Rechtskraft der Entscheidung zu vollstrecken.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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