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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.05.2005
Aktenzeichen: 12 C 05.288
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BSHG, SGB X


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 115
BSHG § 12
SGB X § 45 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

12 CS 05.287 12 C 05.288

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilferechts (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Dezember 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

ohne mündliche Verhandlung am 19. Mai 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Verfahren 12 CE 05.287 und 12 C 05.288 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren 12 CE 05.287 Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt B, Erlangen, beigeordnet.

III. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Dezember 2004 wird abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragstellerinnen gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20. Juli 2004 wird wieder hergestellt.

Den Antragstellerinnen wird für das Verfahren auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz und für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B, Erlangen, gewährt.

IV. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen wenden sich gegen die sofortige Vollziehung eines Bescheids, mit dem der Antragsgegner die Bewilligung von Sozialhilfe teilweise zurückgenommen hat und von ihnen Geldleistungen der Sozialhilfe in Höhe von 1.232,25 Euro zurückfordert.

1. Die Antragstellerinnen erhielten vom Antragsgegner ab dem 8. November 2001 (Antragstellerin zu 1) bzw. dem 17. April 2002 (Geburt der Antragstellerin zu 2) laufende Hilfe zum Lebensunterhalt durch Regelsatzleistungen und Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten. Nachdem dem Antragsgegner am 3. März 2004 durch die ehemalige Vermieterin der Antragstellerin zu 1 mitgeteilt worden war, dass diese lediglich von Januar 2002 bis Mai 2002 und im November 2002 für die damals bewohnte Mietwohnung Miete gezahlt hatte, obgleich der Antragsgegner auch für die übrigen Monate im Jahre 2002 die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin zu 1 ausbezahlt hatte, nahm er nach vorheriger Anhörung mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 20. Juli 2004 den Bewilligungsbescheid vom 13. August 2002 für den Hilfezeitraum 1. August 2002 bis 31. Oktober 2002 und Dezember 2002 zurück, berechnete die Hilfeleistungen für diese Zeiträume unter Außerachtlassung von Mietkosten neu und forderte die Erstattung zu Unrecht gewährter Sozialhilfe in Höhe von 1.232,25 Euro zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass bei Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse der Antragstellerin zu 1 nur eine weit geringere Sozialhilfe gezahlt worden wäre, weil ohne Berücksichtigung von Unterkunftskosten die monatliche Hilfe erheblich geringer gewesen wäre. Der Bescheid vom 13. August 2002 sei daher rechtswidrig und könne gemäß §45 Abs. 1 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

2. Hiergegen erhoben die Antragstellerinnen am 18. August 2004 beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und beantragten gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung der Klagen wieder herzustellen.

Weiterhin beantragten sie, ihnen für das Klage- und Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Das Verwaltungsgericht Ansbach lehnte mit Beschluss vom 23. Dezember 2004 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes für Klage- und Eilantrag ab. Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sei unbegründet. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen, weil alles dafür spreche, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 20. Juli 2004 rechtmäßig sei. Auf die Gründe des angefochtenen Bescheides wurde Bezug genommen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei gemäß § 80 Abs. 3 VwGO nicht nur formelhaft, sondern hinreichend individualisiert begründet worden. Die Hilfebewilligung für die strittigen Zeiträume sei rechtswidrig erfolgt. Wer bewilligte und ausbezahlte Hilfeleistungen zweckwidrig einsetze bzw. unwirtschaftlich handele, bewirke damit, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid als rechtswidrig ergangen anzusehen sei, weil die Hilfeleistungen für einen aus sozialhilferechtlichen Gründen nicht zu befriedigenden Bedarf erfolgt seien. Die Antragstellerinnen müssten sich diesen selbst herbeigeführten Umstand zurechnen lassen. Dies gelte unbeschadet des sozialhilferechtlichen Grundsatzes, dass trotz zweckwidrigen Verbrauchs der Hilfeleistungen der ursprünglich sozialhilferechtlich zu befriedigende Bedarf nach wie vor bestehen könne und der Sozialhilfeträger unter Umständen verpflichtet sei, diesen Bedarf "nochmals" zu decken. Aus diesem Grundsatz folge aber nicht, dass die "fiktiven" Unterkunftskosten bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Bewilligung für den nicht zu deckenden Bedarf zu berücksichtigen seien. Vielmehr sei insoweit von einer "neuen" Bedarfslage auszugehen, die lediglich unter eingeschränkten Voraussetzungen eine erneute Hilfebewilligung bedinge. Nach § 45 SGB X sei der Antragsgegner deshalb berechtigt gewesen, im Ermessenswege über die Rücknahme und die geforderte Erstattung zu entscheiden. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei mangels hinreichender Erfolgsaussichten ebenfalls abzulehnen.

3. Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden der Antragstellerinnen. Sie tragen vor, dass die bewilligte und ausbezahlte Hilfeleistung nicht zweckwidrig eingesetzt worden sei. Sie hätten aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Antragsgegners nicht über genügend Mittel zur Deckung ihres Unterhalts verfügt, so dass sie sozialhilfebedürftig gewesen seien. Es gebe keinen Rechtsgrundsatz, dass Sozialhilfeempfänger die an sie ausgezahlte Hilfe in einer bestimmten Art und Weise zu verbrauchen hätten. Insofern mangle es an einem Grund für die Zurücknahme des angefochtenen Bescheides.

Die Antragstellerinnen beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Dezember 2004 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der Klagen wiederherzustellen und ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B, Erlangen, für das Klage- und Antragsverfahren vor dem Verwaltungsgericht und für das Beschwerdeverfahren zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

II.

1. Den Antragstellerinnen ist für das Beschwerdeverfahren 12 CE 05.287 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt B, Erlangen, beizuordnen, weil ihre Beschwerden aus den unter Nr. 2 dargelegten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorliegen (§ 166 VwGO, §§ 114, 115 ZPO).

2. Die zulässigen Beschwerden gegen die Versagung von vorläufigem Rechtsschutz sind begründet, weil an der Rechtmäßigkeit des Rücknahme- und Erstattungsbescheids des Antragsgegners vom 20. Juli 2004 ernstliche Zweifel bestehen. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hatte (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bewilligungsbescheid des Antragsgegners vom 13. August 2002 war jedoch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Antragstellerin zu 1 die ihr gewährten Hilfeleistungen für die Unterkunft in Höhe von monatlich 410,75 Euro für die Monate August, Oktober und Dezember 2002 nicht an ihre Vermieterin weitergegeben hat. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG (nunmehr § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die Kosten der Unterkunft. Die Nichtbezahlung der Miete durch die Antragstellerinnen für die Monate August, Oktober und Dezember 2002 änderte nichts an dem in dieser Zeit fortbestehenden Hilfebedarf für die Unterkunft. Die Antragstellerinnen haben diesen Bedarf auch gedeckt, weil sie die fragliche Wohnung auch in diesen Monaten tatsächlich bewohnten. Sie hatten insofern auch Aufwendungen, weil die Antragsteller zu 1 nach dem Mietvertrag zur Bezahlung der Miete verpflichtet ist (vgl. BVerwGE 100, 136/139). Da der Bewilligungsbescheid vom 13. August 2002 jedenfalls aus diesen Gründen auch bezüglich der Hilfegewährung für die Unterkunftskosten in dem fraglichen Zeitraum nicht rechtswidrig war, durfte er nicht nach § 45 Abs. 1 SGBX zurückgenommen werden. Im Übrigen hätte das Verwaltungsgericht bei seiner Argumentation, der Bescheid über die Bewilligung der Übernahme der Unterkunftskosten sei infolge der Nichtbezahlung der Miete an die Vermieterin rechtswidrig geworden im Sinne des § 45 SGB X, bedenken müssen, dass die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass der zurückgenommene Verwaltungsakt bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen ist (vgl. Wiesner in Wulfen/Wiesner, SGBX, 4. Aufl. 2001, RdNr. 10 zu §45; Rothkegel/Grieger in Rothkegel, Sozialhilferecht, LAufl. 2005, S. 678; sog. "ursprüngliche Rechtswidrigkeit"). Die aufschiebende Wirkung der gegen den Rücknahmebescheid vom 20. Juli 2004 erhobenen Klagen ist deshalb nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wieder herzustellen.

3. Den Antragstellerinnen ist unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Dezember 2004 auch für das Verfahren auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz und das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt B, Erlangen, beizuordnen, weil die von den Antragstellerinnen eingelegten Rechtsbehelfe im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Erfolgsaussicht boten, wie oben unter Nr. 2 dargelegt wurde, und auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe bei ihnen vorliegen (§ 166 VwGO, §§ 114, 115 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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