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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.11.2009
Aktenzeichen: 12 CS 09.2221
Rechtsgebiete: SGB VIII, AGSG, SGB X, VwGO
Vorschriften:
SGB VIII § 43 | |
SGB VIII § 44 Abs. 3 Satz 2 | |
AGSG Art. 35 | |
AGSG Art. 36 Abs. 1 Satz 1 | |
AGSG Art. 40 | |
SGB X §§ 44 ff. | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
VwGO § 146 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Kinder- und Jugendhilfe- sowie Jugendförderungsrechts (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO)
hier: Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. Juli 2009,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat, durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert
ohne mündliche Verhandlung am 23. November 2009
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 15. Juli 2009 wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Antragstellerin die Personensorgeberechtigten der Kinder, die sie aufgrund der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 künftig in Kindertagespflege nimmt, vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit über ihre Mitgliedschaft in der Scientology Kirche Deutschland e. V. informiert und der Antragsgegnerin hierüber einen Nachweis vorlegt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 12. Juni 2009, mit dem die Antragsgegnerin ihre vorausgegangene mündliche Rücknahme der der Antragstellerin erteilten Erlaubnis zur Kindertagespflege und die mündliche Untersagung, ein Kind oder einen Jugendlichen in ihrer Familie regelmäßig zu betreuen oder ihm Unterkunft zu gewähren, bestätigt hat.
Die Antragsgegnerin erteilte der am 24. Oktober 1971 geborenen Antragstellerin mit Bescheid vom 14. Juli 2006 eine auf fünf Jahre befristete Erlaubnis zur Kindertagespflege für fünf Kinder gemäß § 43 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), wobei nur drei Kinder gleichzeitig zur Tagespflege anwesend sein dürfen.
Anlässlich einer Vorsprache im Sozialbürgerhaus Sendling teilte der geschiedene Ehemann der Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin sowie ihre Mutter "Scientologinnen" seien.
Nachdem die Antragstellerin diesen Sachverhalt auf telefonische Nachfrage bestätigt hatte, hob die Antragsgegnerin anlässlich eines Hausbesuches am 29. Mai 2009 durch mündliche Verfügung gegenüber der Antragstellerin die Erlaubnis zur Kindertagespflege auf und untersagte mit sofortiger Wirkung die Fortsetzung der Tätigkeit.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Klage vom 29. Mai 2009 und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen. Es fehle bereits an den formellen Voraussetzungen für die Anordnung des Sofortvollzuges. Im Übrigen habe die Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Scientology Kirche Deutschland e. V. keinen Einfluss auf ihre Tätigkeit als Tagesmutter.
Daraufhin erließ die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bescheid vom 12. Juni 2009, mit dem sie die der Antragstellerin mit Bescheid vom 14. Juli 2006 erteilte Erlaubnis zur Kindertagespflege zurücknahm und ihr ab sofort untersagte, ein Kind oder eine/n Jugendliche/n in ihrer Familie regelmäßig zu betreuen oder ihr/ihm Unterkunft zu gewähren (Art. 40 BayAGSG). Unter Nr. 3 dieses Bescheides erklärte sie "die Entscheidung" für sofort vollziehbar. Die Antragstellerin sei aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der Scientology Kirche Deutschland e. V. für die Ausübung der Kindertagespflege ungeeignet. Es läge aufgrund der von "Scientology" vertretenen Prinzipien eine Gefährdung des Wohles der von ihr betreuten Kinder vor. Mit weiterem Schreiben vom 17. Juni 2009 an das Verwaltungsgericht München erklärte die Antragsgegnerin, sie anerkenne die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 29. Mai 2009 ausschließlich im Falle der am 29. Mai 2009 erfolgten Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Unter dem 9. Juli 2009 erweiterte die Antragstellerin ihre Klage auch auf den (schriftlichen) Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2009. Die Untersagung der Betreuung von Kindern oder Jugendlichen gegenüber der Antragstellerin sei erstmals in diesem Bescheid, nicht jedoch bereits in der mündlichen Verfügung vom 29. Mai 2009 verfügt worden. Es sei fraglich, ob bezüglich der Untersagungsverfügung auch der Sofortvollzug angeordnet worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2009 erhob das Verwaltungsgericht über die Art und Weise der Betreuung der Kinder durch die Antragstellerin Beweis durch Einvernahme von vier Müttern, deren Kinder die Antragstellerin aufgrund der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 betreut hatte.
Mit Beschluss vom 15. Juli 2009 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29. Mai 2009 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom selben Tage in Gestalt des Bescheids der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2009 wieder her. Hinsichtlich der Begründung des Sofortvollzuges verwies die Kammer auf ihr Urteil vom selben Tage im Hauptsacheverfahren.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 4. September 2009. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Klage in der Hauptsache unbegründet. Die Erlaubnis zur Kindertagespflege gemäß § 43 SGB VIII sei nach wohl unstreitiger allgemeiner Rechtsauffassung als begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren. Sie sei kraft Gesetzes auf fünf Jahre befristet. Sollte, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, für die Rücknahme oder den Widerruf einer solchen Erlaubnis lediglich Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) genommen werden können, hätte das in bestimmten Fallkonstellationen zur Folge, dass eine einmal erteilte Erlaubnis zur Kindertagespflege nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrer Erteilung selbst bei einer objektiv gegebenen latenten Kindeswohlgefährdung bis zum Ende der gesetzlich vorgegebenen fünfjährigen Laufzeit zwingend bestehen bliebe. Das vorliegende Verfahren mache deutlich, dass der Gesetzgeber im Bereich der Erlaubnis der Kindertagespflege in der Systematik der Aufhebungsgründe eine planwidrige Regelungslücke entstehen lassen habe, die der rechtsfortbildenden Ausfüllung kraft analoger Rechtsanwendung bedürfe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Landesgesetzgeber mit den Art. 35 und 36 Ausführungsgesetz Sozialgesetzbuch (AGSG) nicht bewusst eine Regelung ausschließlich für die umfassendere Vollzeitpflege geschaffen, vielmehr seien die Tagespflege und die Vollzeitpflege ursprünglich gemeinsam in § 44 SGB VIII geregelt gewesen. Die Vorschriften des Abschnittes 3 im AGSG seien im Wesentlichen aus dem bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Bayerischen Kinder- und Jugendhilfegesetz (BayKJHG) übernommen. Insbesondere die Art. 34 bis 36 AGSG entsprächen den langjährig im Wortlaut unveränderten Art. 21 bis 23 BayKJHG, die auf § 44 SGB VIII Bezug genommen hätten, als dieser noch den Bereich der Vollzeitpflege und den Bereich der Tagespflege umfasst habe. Angesichts dessen sei § 44 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII hier in Verbindung mit Art. 36 AGSG entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entsprechend anzuwenden (vgl. dazu auch Krug in Grüner/Dalichau, SGB VIII, Bd. 1, Stand: März 2007, § 43 RdNr. 6). Die Antragsgegnerin gehe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts davon aus, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Scientology Kirche Deutschland e. V. und der sich daraus für ihre tägliche Lebensführung ergebenden zwingenden Vorgaben, deren mögliche kindeswohlgefährdende Auswirkung im Rahmen ihrer Tätigkeit als Tagesbetreuungsperson nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, ungeeignet für die Tätigkeit als Tagespflegeperson im Sinne des § 43 SGB VIII sei. Allein auf der Grundlage der Einlassung der Antragstellerin sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass diese noch kein "Auditing" durchlaufen habe. Es seien auch keine tatsächlichen Beweise darüber erhoben worden, wann die Antragstellerin Kurse tatsächlich belegt und wahrgenommen habe. Ebenso fehle es an konkreten Feststellungen darüber, dass die Antragstellerin besondere Funktionsstellungen in der Scientology Organisation inne habe. Die Vorschrift des § 43 SGB VIII sehe für die Tagespflegeerlaubnis außer der Befristung keine Nebenbestimmungen vor, so dass bezüglich der Zulässigkeit von Nebenbestimmungen auf allgemeine Vorschriften zurückzugreifen sei. In der Kindertagespflege würden regelmäßig Auflagen dahingehend gemacht, die dazu dienten, die Wohnung der Tagesbetreuungsperson kindersicher zu gestalten. Ergäben sich aber keinerlei Zweifel an der Geeignetheit an der Tagesbetreuungsperson trotz Zugehörigkeit zur Scientology Organisation, wie das Verwaltungsgericht meine, dann sei die vom Verwaltungsgericht vorgeschlagene Auffassung gemäß § 32 Abs. 1 SGB X unzulässig.
Die Antragsgegnerin beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 15. Juli 2009 den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 29. Mai 2009 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29. Mai 2009 in der Gestalt des Bescheides der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2009 abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
Die Beschwerdebegründung entspreche nicht dem Begründungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass Rücknahme oder Widerruf der Erlaubnis zur Kindertagespflege nicht auf Art. 36 Abs. 1 Satz 1 AGSG i.V.m. § 44 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII analog, sondern nur auf die §§ 44 ff. SGB X gestützt werden könnten.
Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligt sich mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 als Vertreter des öffentlichen Interesses, stellt aber im Beschwerdeverfahren keinen eigenen Antrag. Sie bejaht eine Kindeswohlgefährdung am Maßstab des § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Ein Schadenseintritt sei dazu nicht gefordert. Eine latente Gefährdung sei hier wegen der Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Scientology Kirche Deutschland e. V. nicht ohne weiteres auszuschließen. Im Einzelnen bezieht sie sich auf den Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2008 (Az. 12 CS 08.1417) und meint, die Anwendung von "scientologischen Verfahren" auf Kinder stelle ein erhebliches Risikopotential für das Kindeswohl dar. Nach einer Beweiserhebung im Berufungsverfahren könne die Anwendung solcher "scientologischen Methoden und Techniken" durch die Antragstellerin nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Dementgegen sei allein die Offenbarung der Mitgliedschaft bei Scientology kein geeignetes Instrument, einer möglichen Gefahrenlage zu begegnen. Die Interessensabwägung spreche deshalb für die sofortige Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides der Antragsgegnerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowohl im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als auch im Hauptsacheverfahren verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Juli 2009 ist statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO).
Lediglich zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes allein die Vollziehungsanordnung unter Nummer 3 im Bescheid vom 12. Juni 2009 ist, denn hinsichtlich der mündlich erteilten Vollziehungsanordnung vom 29. Mai 2009 hat die Antragsgegnerin bereits klargestellt, dass sie die aufschiebenden Wirkung der Klage anerkenne. Für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt es insoweit an einem Rechtsschutzinteresse. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei einer schriftlichen Bestätigung einer vorausgehend mündlich erteilten Anordnung regelmäßig nicht um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. dazu Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 33 RdNr. 15). Das schließt es nämlich nicht aus, dass die Behörde eine bislang formell unzureichende (mündliche) Vollziehungsanordnung durch eine schriftliche ersetzt. Diese Vollziehungsanordnung in Nummer 3 des Bescheides umfasst die beiden vorausgehenden Verfügungen in den Nummern 1 und 2, wie bereits der Wortlaut zeigt, denn die Antragsgegnerin ordnet nicht die sofortige Vollziehung für eine einzelne Verfügung, sondern für die (gesamte) "Entscheidung" an.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch zulässig. Insbesondere erfüllt sie das Begründungserfordernis nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Anders als es die Antragstellerin in der Antragserwiderung vom 9. Oktober 2009 darstellt, setzt sich die Antragsgegnerin mit der "Abwägung der widerstreitenden Interessen" auseinander, die zur Anordnung der sofortigen Vollziehung führte. Sie verweist dabei nicht nur auf ihre eigene Interessensabwägung im Bescheid vom 12. Juni 2009 und die notwendige Sicherstellung des Wohles der in Kindertagespflege betreuten Kinder, weswegen die Einlassung der Antragstellerin, zur Interessensabwägung fehle seitens der Antragsgegnerin "jeder Vortrag", schlichtweg ins Leere geht.
Die Beschwerde hat aber nur zu einem geringen Teil Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zurecht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 29. Mai 2009 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom selben Tage in Gestalt deren Bescheides vom 12. Juni 2009 wieder hergestellt. Es hat dabei in seinem Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf den Widerruf der Pflegeerlaubnis die Interessen der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage und die Interessen der Antragsgegnerin am Sofortvollzug der angeordneten Maßnahmen sowie die Interessen der betroffenen Kinder berücksichtigt und gegeneinander abgewogen, wie sich aus der Verweisung auf die Urteilsbegründung entnehmen lässt.
Der Senat stellt ergänzend dazu fest, dass die hier streitgegenständliche Vollziehungsanordnung keine formellen Mängel enthält, die zu deren Aufhebung hätten führen können. Hinsichtlich der damit zu treffenden originären Interessensabwägung sieht er dann allerdings davon ab, selbst auf die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Bezug zu nehmen, weil die Entscheidung in der Hauptsache offen ist. Weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit der am 12. Juni 2009 schriftlich bestätigten Verfügungen vom 29. Mai 2009 liegt auf der Hand. Auch lässt sich tendenziell keine Aussage über die Erfolgsaussicht der Klage im bereits zugelassenen Berufungsverfahren treffen, der hinreichendes Gewicht für die Abwägungsentscheidung für oder gegen die sofortige Vollziehbarkeit der behördlichen Maßnahmen zukommen könnte. Damit bleibt es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei einer reinen Interessensabwägung (vgl. dazu ausführlich Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 80 RdNrn. 73 ff.; ebenso BayVGH vom 10.1.2008 Az. 12 CS 07.3433 und vom 17.12.2008 JAmt 2009, 392, jeweils m. w. N.).
Losgelöst von der umstrittenen Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung hat eine solche Interessensabwägung davon auszugehen, dass dem Wohl von Kindern, deren Betreuung und Erziehung hier inmitten steht, maßgebliches Gewicht zukommt; zu Recht deshalb der Hinweis der Landesanwaltschaft Bayern auf § 8a SGB VIII. Die Ausübung der Kindertagespflege steht unter Erlaubnisvorbehalt, denn sie hat (auch) die sozialpädagogische Funktion, dafür zu sorgen, dass qualifizierte und den pädagogischen Standards von Jugendhilfe entsprechende Leistungen erbracht werden (vgl. dazu Münder, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl. 2003, RdNr. 2 zu § 44 a. F.; Mann in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 43 RdNrn. 4 und 1 ff.). Weiter sind im Falle solcher besonders schützenswerter Rechtsgüter an den Nachweis einer Gefährdungslage keine überspannten Anforderungen zu stellen. Wie bereits in der Entscheidung vom 17. Dezember 2008 (a. a. O.) ausführlich dargestellt, geben die von der Antragsgegnerin in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse Anlass, die Frage der Kindeswohlgefährdung aufzuwerfen, wenn Organisationen oder Mitglieder der "Scientology-Organisation" im Bereich der erlaubnispflichtigen Pflege oder Erziehung von Kindern oder Jugendlichen tätig werden. Ob sich die "Scientology Organisation" oder ihre Untergliederungen selbst als Kirche sehen oder nicht, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang.
Im Falle der Antragstellerin ist bei der hier gebotenen summarischen Prüfung allerdings festzustellen, dass sie die Schulung des Vereins "Tageseltern München und Umgebung" vom 26. Februar 2005 bis 18. Februar 2006 mit bestandener schriftlicher und mündlicher Prüfung abgeschlossen hat, im Verfahren bei der Erteilung der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 keine unvollständigen oder wahrheitswidrigen Angaben gemacht hat und beim letzten Hausbesuch am 9. März 2009 durch die Antragsgegnerin eine positive Einschätzung ihrer Arbeit getroffen worden ist. Zweifel an ihrer Eignung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII, Art. 35 Satz 2 Nrn. 1, 3, 4 AGSG) drängen sich von daher von vorneherein nicht auf.
Ebenso wenig konnte die Antragsgegnerin auch nur ansatzweise darlegen, dass sich die Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Scientology Kirche Deutschland e. V. bislang auf die Kinderbetreuung ausgewirkt hat. Die Einvernahme von vier Müttern, deren Kinder die Antragstellerin aufgrund der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 betreut hatte, erbrachte hierzu keine näheren Erkenntnisse. Die Zeugin H. gab im Wesentlichen an, sie sei mit der Antragstellerin völlig zufrieden gewesen, sie würde für sie ihre Hand ins Feuer legen. Sie sei überrascht gewesen, dass die Antragstellerin Mitglied bei Scientology sei. Sie habe sich im Nachhinein überlegt, ob bei der Betreuung etwas auffällig gewesen sei. Es sei aber nichts auffällig gewesen und sie würde ihre Kinder wieder in die Betreuung der Antragstellerin geben. Ihre beiden Kinder hätten ein inniges Verhältnis zur Antragstellerin gehabt. Ihr selbst sei nichts aufgefallen. Die Zeugin K. erklärte ebenfalls, sie sei überrascht gewesen, dass die Antragstellerin Mitglied der Scientology sei. Über weltanschauliche Fragen hätten sie nicht gesprochen. Sie sei sehr zufrieden mit der Betreuung ihres Kindes gewesen. Auch die Zeugin R. erklärte im Wesentlichen, als sie erfahren habe, dass die Antragstellerin Mitglied bei Scientology sei, sei sie geschockt gewesen. Sie habe dann mit ihr gesprochen, weil sie das nicht erwartet habe. Sie habe immer noch das Gefühl, dass ihr Kind in guten Händen gewesen sei. Sie sei zwischenzeitlich auch privat mit der Antragstellerin befreundet, habe vorher nie mit ihr über Weltanschauung oder Glauben gesprochen. Auch im Nachhinein sei ihr nichts Besonderes hinsichtlich der Kinderbetreuung aufgefallen. Es sei alles ganz normal abgelaufen und die Antragstellerin sei sehr liebevoll zu den Kindern gewesen. Die Zeugin F. erklärte letztlich, auch sie habe sich das gar nicht vorstellen können, dass die Antragstellerin bei Scientology sei. Sie hätte sich dann schon Gedanken gemacht, wenn sie davon gewusst hätte, ob sie ihr Kind in die Betreuung der Antragstellerin gegeben hätte. Aber im Nachhinein würde sie das wieder tun, weil es eine "klasse Betreuung" gewesen sei. Ihr sei auch im Nachhinein nichts Besonderes bei der Betreuung der Kinder aufgefallen. Ihrem Sohn seien genau die Werte vermittelt worden, die auch sie vermittelt hätte. Er wolle nach wie vor immer noch gern die Antragstellerin besuchen. Soweit die Antragsgegnerin im Übrigen das Fehlen konkreter Feststellungen zur Einbindung der Antragstellerin in die Scientology Organisation in der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bemängelt, ist darauf hinzuweisen, dass die erforderliche Sachaufklärung an sich vor Erlass der Widerrufs- und Untersagungsverfügung von der anordnenden Behörde zu leisten ist.
In der Gesamtabwägung hält es der Senat für hinreichend ausgeschlossen, dass unter Beachtung der im Tenor festgesetzten Auflage (vgl. dazu Jörg Schmidt, a. a. O., § 80 RdNrn. 88, 89) die oben beschriebene Gefährdung der der Antragstellerin anvertrauten Kinder bis zur alsbaldigen Entscheidung in der Hauptsache eintreten kann. Die Auflage, dass die Antragstellerin die Personensorgeberechtigten der Kinder, die sie aufgrund der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 künftig in Kindertagespflege nimmt, vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit über ihre Mitgliedschaft in der Scientology Kirche Deutschland e. V. informiert und der Antragsgegnerin hierüber einen Nachweis vorlegt, findet ihre Rechtsgrundlage in § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO. Sie ist veranlasst, um das in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) angelegte Recht von Kindern zu schützen, sich frei von Einflussnahmen zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können, während aufgrund der bereits im Beschluss vom 17. Dezember 2008 ausführlich dargelegten Erkenntnisse zu den Lehren L. Ron Hubbards und zur "Scientology Organisation" eine solche freie Entwicklung der Persönlichkeit im Einflussbereich scientologischer Theorien und Praxis nicht gewährleistet erscheint. Demnach bezeichne sich die in den USA im Jahr 1954 von L. Ron Hubbard gegründete Organisation als "völlig neue Religion" und beruhe auf dem vom Gründer verfassten grundlegenden Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit". Die darauf aufbauende Lehre von "Scientology" gehe davon aus, dass die "Person" beziehungsweise die "Identität" des Menschen nicht sein Körper oder Name, sondern der "Thetan" sei, das unsterbliche Wesen eines Menschen, in seinem Idealzustand der "operierende Thetan". Um diesen Zustand zu erreichen, müsse die Person zunächst durch körperliche und geistige Reinigungsprozesse den Status "Clear" erlangen, in dem sie vom "reaktiven Verstand" befreit sei. Als zentrale Technik zur Erreichung des Zustands "Clear" werde das sogenannte "Auditing" angewandt, durch das angeblich die "Engramme" entdeckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden könnten. Bei diesem Verfahren setze der als "Auditor" bezeichnete Scientologe bei der Befragung des "Pre-Clear" als Hilfsmittel das so genannte "E-Meter" ein, eine Art Lügendetektor. Darüber hinaus führe die Organisation in Deutschland noch weitere Kurse durch. Die Veranstaltungen und entsprechende Publikationen würden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens angeboten; Gewinnerzielung sei eine wesentliche Aufgabe der "Kirchen" oder "Missionen" in Deutschland. Aus einer Vielzahl von Informationsquellen ergebe sich, dass die "Scientology-Organisation" wesentliche Grund- und Menschenrechte, wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft setzen oder einschränken wolle. Sie strebe darüber hinaus eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. Auch wirke sie mit verfassungsfeindlicher Intention auf die politische Willensbildung ihrer Mitglieder ein. Die Schriften Hubbards würden regelmäßig und inhaltlich unverändert neu aufgelegt und seien für die Organisation verbindlich. Sie enthielten Passagen, in denen die Demokratie verunglimpft und die Abschaffung von Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu Gunsten des Aufbaus einer neuen Zivilisation, einer aus "operierenden Thetanen" bestehenden Gesellschaft, gefordert werde. Hubbard habe diese von ihm angestrebte neue scientologische Zivilisation u. a. als Rechtsordnung beschrieben, in der die Existenz des Einzelnen vom willkürlichen Ermessen der "Scientology-Organisation" abhänge. Grundrechte stünden demzufolge nur den Personen zu, die aus Sicht der Organisation erst nach einer Auslese im "Auditing"-Verfahren zu den "Ehrlichen" gehörten, also diejenigen, die entweder bereits "Clear" seien oder sich auf dem Weg dorthin befänden. Die "Scientology Organisation" lehne das demokratische Rechtssystem ab und wolle langfristig ihren - vermeintlich - "überlegenen Gesetzescodex" an dessen Stelle setzen. Sie versuche, sich nach außen als unpolitische und demokratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Sie nehme nicht offen am Prozess der politischen Willensbildung teil. Aus den maßgeblichen Schriften Hubbards ergebe sich jedoch, dass die politischen Fernziele durch eine langfristig ausgerichtete Expansionsstrategie, durch Erhöhung der Einnahmen der Organisation sowie durch die erfolgreiche Bekämpfung ihre Kritiker erreicht werden sollen. Dabei werde sie von der "International Association of Scientologists" (IAS) unterstützt. Teil der Strategie sei dabei die Schaffung "Idealer Orgs", wie zuletzt 2007 in Berlin. Auch andere deutsche "Orgs" sollten nach diesem Konzept expandieren, etwa auch die "Org München". Ein weiterer Beleg für die gegen die Menschenrechte und den Rechtsstaat gerichteten Bestrebungen der "Scientology-Organisation" sei schließlich die Existenz eines weltweit, auch in Deutschland, tätigen organisationseigenen Geheimdienstes, dem "Office of Special Affairs" (OSA). Der totalitäre Charakter der Organisation werde u. a. darin deutlich, dass sie eine weitestgehende Kontrolle über ihre Mitglieder anstrebe. So würden diese z.B. grundsätzlich dazu verpflichtet, selbst für die Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe die Zustimmung des zuständigen "SO-Funktionärs" einzuholen. Dem dienten auch die von jedem Mitglied zu erstellenden "Wissensberichte", in denen ein Fehlverhalten anderer Gruppenmitglieder zu melden sei.
Die vom Senat festgesetzte Maßgabe ist vor diesem Hintergrund auch verhältnismäßig. Die frühzeitige Unterrichtung der Personensorgeberechtigten und Benachrichtigung der Antragsgegnerin erscheint (jedenfalls) in dem bis zur Hauptsacheentscheidung überschaubaren Zeitraum als geeignetes Mittel, die Personensorgeberechtigten in die Lage zu versetzen, darauf zu achten, dass die von ihnen bestimmte Grundrichtung der Erziehung einschließlich der religiösen oder weltanschaulichen Erziehung auch bei Ausübung der Kindertagspflege beachtet wird. Dabei ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin Kenntnis von dem drohenden Widerruf der Erlaubnis vom 14. Juli 2006 und den damit etwa verbundenen wirtschaftlichen Folgen hat. Die Maßgabe ist angemessen, denn von den weiteren in Betracht kommenden Möglichkeiten - bis zum Widerruf der Erlaubnis - greift sie in die Rechtspositionen der Antragstellerin am wenigsten ein. Jedenfalls hat die Antragstellerin bislang nicht geltend gemacht, sie wolle ihre Tätigkeit als Scientologin gegenüber den Personensorgeberechtigten der ihr anvertrauten Kinder nicht offenlegen. Letztlich ist die Maßgabe im Hinblick auf das besonders zu schützende Rechtsgut auch angemessen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3, § 188 Satz 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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