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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.04.2004
Aktenzeichen: 14 B 03.3293
Rechtsgebiete: BRAGO, BayVwVfG
Vorschriften:
BRAGO § 12 Abs. 1 | |
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 1 | |
BayVwVfG Art. 80 Abs. 1 Satz 1 | |
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 Satz 1 | |
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 Satz 3 | |
BayVwVfG Art. 80 Abs. 3 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Rechtsanwaltsgebühren für das Vorverfahren;
hier: Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. November 2003,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 14. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zimniok, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Häring, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese
ohne mündliche Verhandlung am 20. April 2004
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. November 2003 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 22. Januar 2003 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 4. Dezember 2002 zu ändern und die zu erstattenden Aufwendungen auf der Grundlage von 8,5 Zehntel der vollen Gebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO festzusetzen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger wandte sich erfolgreich mit einem Widerspruch gegen eine Baueinstellungsverfügung des Landratsamts Fürth vom 28. Juni 2001. In dem Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2002 erklärte die Regierung von Mittelfranken die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren für notwendig. Abweichend vom Kostenfestsetzungsgesuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. August 2002 setzte die Regierung von Mittelfranken die zu erstattenden Aufwendungen mit Bescheid vom 4. Dezember 2002 unter Anerkennung einer Geschäftsgebühr von 7,5 Zehntel der vollen Gebühr fest und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2003 zurück.
Am 4. Februar 2003 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte,
den Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 4. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2003 dahingehend abzuändern, dass mit der Vergütungsfestsetzung Rechtsanwaltskosten unter Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr von 8,5 Zehntel der vollen Gebühr festgesetzt werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. November 2003 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Festsetzung der Geschäftsgebühr sei rechtmäßig. Die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für das Vorverfahren ergebe sich aus § 118 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. Danach erhalte der Rechtsanwalt für die in § 118 Abs. 1 BRAGO genannten Tätigkeiten 5 Zehntel bis 10 Zehntel der vollen Gebühr. Er bestimme selbst die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Diese Gebührenbestimmung sei gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig und - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen sei. Die Behörde habe zutreffend den Mittelwert der Rahmengebühr festgesetzt. Umstände, die eine Abweichung vom Mittelwert rechtfertigen könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. November 2003 sowie den Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 4. Dezember 2002, soweit darin die Ablehnung einer über 7,5 Zehntel liegenden Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 BRAGO verfügt werde, und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 22. Januar 2003 aufzuheben und
2. den Beklagten zu verurteilen, die Kostenfestsetzung im Bescheid vom 4. Dezember 2002 dahingehend zu ergänzen, dass eine Vergütung auf Grundlage von 8,5 Zehntel nach § 118 Abs. 1 BRAGO berechnet wird.
Das Erstgericht verkenne die Autonomie des Rechtsanwalts bei der Bestimmung von Rahmengebühren sowie die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Frage einer unbilligen Gebührenbestimmung. Es prüfe fälschlicherweise das Vorliegen einer Rechtfertigung für das Abweichen vom Mittelwert anstatt eine Billigkeitsüberprüfung aus dem Blickwinkel des Erstattungspflichtigen vorzunehmen. Die begehrte Gebühr sei angemessen. Neben dem Betreiben des Widerspruchsverfahrens sei auch eine Antragstellung nach § 80 Abs. 4 VwGO erfolgt, die zwar gemäß § 119 Abs. 3 BRAGO keinen gesonderten Vergütungsanspruch auslöse, die aber im Hinblick auf den damit verbundenen Aufwand für die Bemessung der Gebühr von Einfluss sei. Die Angemessenheit einer im Vergleich zur Mittelgebühr leicht erhöhten Gebühr ergebe sich auch aus dem Rechtsgedanken des Art. 9 Abs. 1 S. 1 KG.
Die Landesanwaltschaft Bayern hat eine Stellungnahme des Bayer. Staatsministeriums der Justiz vom 2. März 2004 vorgelegt.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
A. Die Berufung des Klägers, über die der Senat - nach entsprechender Anhörung der Beteiligten (§ 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) - gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss entscheiden konnte, ist zulässig und begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts war aufzuheben und der Klage stattzugeben, weil der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Kostenfestsetzung hat.
Im Widerspruchsverfahren erhält der Rechtsanwalt gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine Rahmengebühr in Höhe von fünf Zehntel bis zehn Zehntel der vollen Gebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, des Einreichens, Fertigens oder Unterzeichnens von Schriftsätzen oder Schreiben und des Entwerfens von Urkunden. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Diese Bestimmung ist, wenn die Gebühr von einem Dritten - wie hier dem Freistaat Bayern - zu ersetzen ist, dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO).
Daraus ergibt sich zunächst, dass es in erster Linie Aufgabe des Rechtsanwalts ist, die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen. Es besteht mit anderen Worten ein Vorrang der anwaltlichen Bestimmung (Fraunholz in Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl. 2000, RdNr. 5 zu § 12; Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, RdNr. 4 zu § 12; vgl. auch die Begründung des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften, Bericht und Antrag des Rechtsausschusses, BT-Drs. 7/3243 S. 8). Weiterhin ist allgemein anerkannt, dass in der Praxis für Fälle, die nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit durchschnittlich gelagert sind, die Mittelgebühr zu veranschlagen ist (vgl. nur: BVerwG vom 18.9.2001 NVwZ-RR 2002, 73 f. = DÖV 2002, 83; BayVGH BayVBl 1985, 28; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl. 2004, RdNr. 13 zu § 12 BRAGO; Madert, a.a.O., RdNr. 7 zu § 12). Diese Mittelgebühr beträgt bei der Rahmengebühr des § 118 Abs. 1 BRAGO 7,5 Zehntel der vollen Gebühr (BayVGH a.a.O.). Schließlich trägt nach wohl einhelliger Literaturansicht in den Fällen, in denen - wie hier - ein Dritter die Gebühren erstatten muss, der Dritte die Darlegungs- und Beweislast für die Unbilligkeit (Gebauer/Schneider, BRAGO, 2002, RdNr. 68 zu § 12; Madert, a.a.O., RdNr. 6 zu § 12; Hartmann, a.a.O., RdNr. 25 zu § 12 BRAGO).
Gemessen daran unterliegt die Gebührenbestimmung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dabei kann offen bleiben, ob hier nicht bereits deshalb die Unbilligkeit der Gebührenbestimmung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu verneinen ist, weil sie die nach Ansicht der Behörde und des Verwaltungsgerichts allein angemessene (Mittel-)Gebühr um nicht mehr als 20 v.H. übersteigt. Letztlich bedarf die Frage, ob dem Rechtsanwalt insoweit ein "Toleranzbereich" zusteht (die Frage offen lassend: BVerwG vom 1.9.1997 Buchholz Nr. 362 § 12 BRAGO Nr. 2; ablehnend für einen Antrag, die "zu erstattenden notwendigen Auslagen etwa 20 v.H. über dem Mittelwert der Rahmengebühr" festzusetzen: BVerwG vom 18.9.2001, a.a.O.; vgl. auch: Gebauer/Schneider, a.a.O., RdNr. 63 zu § 12; Hartmann, a.a.O., RdNr. 24 zu § 12 BRAGO), aber keiner abschließenden Klärung. Denn während der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dem Antrag auf Kostenfestsetzung vom 29. August 2002 seinen Ansatz, wonach 8,5 Zehntel der vollen Gebühr zugrunde zu legen sei, zunächst nicht näher darlegt hatte, begründete er in seinem Widerspruchsschreiben vom 27. Dezember 2002 diesen Kostenansatz näher. So wies er ausdrücklich darauf hin, dass neben dem Betreiben des Widerspruchsverfahrens mit verschiedenen schriftsätzlichen Äußerungen zur Sach- und Rechtslage auch eine Antragstellung nach § 80 Abs. 4 VwGO erfolgt sei und dass diese Antragstellung gemäß § 119 Abs. 3 BRAGO keinen gesonderten Vergütungsanspruch auslöse, sondern mit in die Bemessung der Gebühr einfließe. Bei einer solchen Sachlage hält der Senat eine die Mittelgebühr übersteigende Gebührenbestimmung von 8,5 Zehnteln der vollen Gebühr nicht für unbillig.
B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
C. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 33,80 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2GKG).
Ende der Entscheidung
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