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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: 14 N 00.227
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
14 N 00.227

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

In der Normenkontrollsache

wegen

Gültigkeit der 5. Änderung des Bebauungsplans S-6-62 der Stadt S**********;

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 14. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zimniok, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Häring

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2002

am 14. November 2002 folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Der Bebauungsplan S-6-62 5. Änderung für das Gebiet Hochgericht-Ost, Grundstück Fl.Nr. 802/1 der Gemarkung S********, Am Hochgericht Ecke Limbacher Straße der Stadt S********, beschlossen am 25. Juni 1999 und bekannt gemacht am 8. Januar 2000, ist nichtig.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen die 5. Änderung des Bebauungsplans S-6-62 der Antragsgegnerin. Die Bebauungsplanänderung wurde in ihrer Fassung vom 25. Mai 1999 am 25. Juni 1999 als Satzung beschlossen und am 8. Januar 2000 in Kraft gesetzt.

Mit der Änderung wurde das der Beigeladenen gehörende Grundstück Fl.Nr. 802/1 der Gemarkung S********, für das bisher ebenso wie für das Grundstück der Antragsteller (Fl.Nr. 800/7) ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt war, als eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe) festgesetzt. Dabei wurden folgende Nutzungen ausgeschlossen: Einzelhandelsnutzungen, Lagerplätze, transportbezogene Nutzungen, Tankstellen, Anlagen für sportliche Zwecke und Vergnügungsstätten. Lagerplätze können ausnahmsweise zugelassen werden, wenn sie Teil eines sonst zulässigen Betriebs sind. Außerdem wurde "folgender immissionswirksame Schallleistungspegel bzw. flächenbezogener Schallleistungspegel je m² im eingeschränkten Gewerbegebiet" festgesetzt: "- Beurteilungszeitraum "tags" (6.00 - 22.00 Uhr) Lw= max. 53,5 dB(A), "nachts" (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) Lw= max. 38,5 dB(A)". Ferner dürfen "die Immissionswerte gemäß Abschnitt 6.1 TA Lärm 1998 nicht überschritten werden".

Den Antragstellern gehört das Grundstück Fl.Nr. 800/7 der Gemarkung S********. Es liegt nördlich der bereits auf dem Grundstück Fl.Nr. 802/2 bestehenden Produktionshalle der Beigeladenen. Zu dem von der Bebauungsplanänderung betroffenen Grundstück Fl.Nr. 802/1 besteht eine Punktnachbarschaft an der Süd-Ost-Ecke des Grundstücks der Antragsteller bzw. der Nord-West-Ecke des Grundstücks Fl.Nr. 802/1. Das Grundstück der Antragsteller ist mit einem von ihnen genutzten Wohnhaus bebaut. Es ist nach Süden geneigt. Das Gelände der Beigeladenen liegt etwa 1,60 m tiefer.

Die Grundstücke Fl.Nrn. 802 und 802/2 sowie weitere der Beigeladenen gehörende Flächen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans S-25-67 RV der Antragsgegnerin, der insoweit als zulässige Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet (GE) vorsieht. Fl.Nr. 802/2 ist mit einer zur Maschinenfabrik der Beigeladenen gehörenden großen Prüfstandhalle bebaut, die mit weiteren Betriebsgebäuden unmittelbar verbunden ist.

Diese Halle soll im Bereich der Bebauungsplanänderung erweitert werden. Hierzu wurde in Verlängerung der Nordwand der bestehenden Prüfstandhalle eine Baugrenze als nördliche Begrenzung eines Bauraums festgesetzt, der ca. 21 m nach Osten reicht und im Süden durch die Südgrenze des Grundstücks Fl.Nr. 802/1 begrenzt wird. Die Traufhöhe ist auf 8,50 m begrenzt. Das von der Änderung betroffene Grundstück wird gegenwärtig als Wendeplatte sowie Abstell- und Stellplatzfläche gewerblich genutzt. Das Betriebsgelände der Beigeladenen wird von der Fürther Straße aus erschlossen. Auf dem Grundstück Fl.Nr. 802/1 wird lediglich eine Ausfahrt auf die Straße Am Hochgericht zugelassen. Die der Bebauungsplanänderung entsprechende Teiländerung des Flächennutzungsplans wurde am 9. Oktober 1999 bekannt gemacht.

In der Begründung zur Bebauungsplanänderung wird ausgeführt, dass sie durch einen Bauantrag zur Nutzungserweiterung auf dem Grundstück Fl.Nr. 802/1 veranlasst wurde, wonach als Anbau an das bestehende Gebäude eine Produktions- und Lagerhallenerweiterung vorgenommen werden sollte. Ziel des Änderungsverfahrens sei die Gewährleistung eines verträglichen Nutzungsgefüges zwischen der bestehenden Wohnbebauung und der geplanten Erweiterung des Betriebs der Firma Niehoff. Um das störungsfreie Nebeneinander dieser Nutzungen zu gewährleisten, sei es erforderlich, die Bauflächen hinsichtlich des Immissionsverhaltens durch sogenannte immissionswirksame flächenbezogene Schallleistungspegel zu beschränken. Dem selben Zweck diene die Einschränkung der in einem Gewerbegebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Zur Klärung der Lärmschutzproblematik sei ein schallschutztechnisches Gutachten erstellt worden. Zum optischen Schutz der im Norden der Erweiterungsfläche angrenzenden Wohnbebauung werde in dem Grünstreifen entlang der nördlichen Grenze des Gewerbegebiets eine 1,80 m hohe Sichtschutzwand integriert. Schließlich werde die bestehende Wohnbebauung nördlich der Erweiterungsfläche durch die abschirmende Wirkung des Neubaus vor Verkehrslärmimmissionen der Limbacher Straße und des Abfahrtverkehrs des Betriebsgeländes zusätzlich geschützt.

Die Antragsteller erhoben während des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplans Einwendungen. Die Süd-Ost-Seite ihres Grundstücks werde verbaut. Insbesondere werde die Sonneneinstrahlung in bestimmte Grundstücksteile verhindert. Statt der bisher zulässigen zweigeschossigen Wohnbebauung werde nunmehr eine viergeschossige Gewerbebebauung zugelassen, die zudem noch näher an ihrem Grundstück liege. Durch die künftige Bebauung fühlten sie sich eingemauert. Der Wert der Nachbargrundstücke werde erheblich beeinträchtigt, insbesondere hinsichtlich des Freizeit- und Erholungswerts ihres Familienheims. Der neue Bebauungsplan lasse eine Verletzung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften der Bayerischen Bauordnung zu. Hinsichtlich des Lärmschutzes werde die schon bestehende Belästigung durch den Straßenverkehr auf der Limbacher Straße nicht mit angesetzt. Die Einhaltung der Grenzwerte sei nicht sichergestellt. Außerdem verstoße die Erschließung über die Straße Am Hochgericht gegen fundamentale Prinzipien der Verkehrssicherheit.

Der Stadtrat der Antragsgegnerin nahm zu diesen Einwendungen im Wesentlichen wie folgt Stellung: Mit der Bebauungsplanänderung solle im Hinblick auf die schon bestehende und künftige gewerbliche Nutzung des Grundstücks Fl.Nr. 802/1 Fehlentwicklungen vorgebeugt werden. Es solle ein verträgliches Nutzungsgefüge gewährleistet werden. Hinsichtlich des Lärmschutzes würden sehr strenge Maßstäbe angelegt. Die festgesetzten maximalen Schalldruckpegel von 53,5 dB(A) tagsüber und 38,5 dB(A) nachts lägen erheblich unter den Orientierungswerten der DIN 18005 "Schallschutz im Städtebau". Die nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen würden nahezu um das Dreifache überschritten. Den Einwendungen hinsichtlich der Erschließung sei dadurch Rechnung getragen worden, dass auf die Straße Am Hochgericht nur eine Ausfahrt zugelassen worden sei.

Die Antragsteller machen geltend, sie seien in ihren Rechten verletzt, weil ihr Grundstück nunmehr von dem Bebauungsplangebiet aus erhöhten Immissionen, insbesondere Lärmimmissionen, ausgesetzt sein werde. Die planerische Festsetzung ermögliche darüber hinaus, dass sich eines Tages auf dem Grundstück andere Gewerbebetriebe ansiedeln könnten und mit anderen gewerblichen Immissionen zu rechnen sei, die bei der Festsetzung eines Wohngebiets nicht entstehen würden. Die Festsetzung eines Gewerbegebiets bedeute, dass hier geringere Grenzabstände einzuhalten seien (Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO) und wegen der stärkeren Bebaubarkeit ihr Grundstück in den Vormittagsstunden stärker verschattet werde. Bei einer Realisierung der Festsetzungen des Bebauungsplans würden die Antragsteller komplett hinter einer fensterlosen Hallenmauer leben, da ihr Haus zur südlich gelegenen Talaue des Flusses Schwabach ausgerichtet sei.

Die Bebauungsplanänderung sei fehlerhaft ausgefertigt worden.

Die hier angegriffene 5. Änderung des Bebauungsplans S-6-62 bilde eine Einheit mit dem Verfahren zu seiner 4. Änderung, mit der im Plangebiet aus dem selben Anlass ein Mischgebiet festgesetzt werden sollte und das nie abgeschlossen worden sei. Das verfahrensgegenständliche Aufstellungsverfahren hätte deshalb gemäß § 233 Abs. 1 BauGB nach den vor 1998 geltenden Vorschriften durchgeführt werden müssen.

Materiell leide die Bebauungsplanänderung an einem Verstoß gegen das Gebot der planerischen Konfliktbewältigung. Das Plangebiet werde im Norden, Osten und Süden jeweils von Wohnbebauung umgeben. Jegliche Erweiterung des Betriebs der Beigeladenen führe zwangsläufig zu Konflikten damit. Diese könnten nicht einseitig zu Lasten des Wohnens gelöst werden. Es werde keine bestehende Gemengelage bewältigt, sondern eine neue Gemengelage im Osten geschaffen. Verletzt werde auch das Gebot der Trennung widerstreitender Nutzungen.

Die Bebauungsplanänderung bewältige nicht die Lärmproblematik. Die in den Bebauungsplan aufgenommenen Vorschriften zum Lärmschutz beruhten auf einem von der Beigeladenen in Auftrag gegebenen Privatgutachten, auf das die Antragsgegnerin nur bedingt habe Einfluss nehmen können und das schon deshalb nicht ausreiche, weil es allein das konkrete Vorhaben der Firma Niehoff zum Gegenstand habe. Außerdem lägen ihm unrealistische Annahmen zu Grunde.

Die Festsetzung des immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels sei unbestimmt, weil mit der Festsetzung eines "immissionswirksamen Schallleistungspegels bzw. flächenbezogenen Schallleistungspegels je Quadratmeter" nicht deutlich werde, ob nun ein flächenbezogener Schallleistungspegel oder ein immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel festgesetzt sei. Auch fehle der Festsetzung des Schallleistungspegels je Quadratmeter der Bezug, damit klargestellt sei, ob die Bodenfläche oder die bebaute Fläche gemeint sei.

Nicht berücksichtigt sei, dass gemäß Nr. 6.5 der TA Lärm 1998 ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit einzurechnen sei. Die Verweisung auf Nr. 6.1 der TA Lärm 1998 ließe schließlich auch offen, ob die für die Antragsteller günstige Bestimmung der Nr. 6.5 oder die ihr eher nachteilige Bestimmung der Nr. 6.7 anwendbar sei.

Luftschadstoffe hätten bei der Abwägung für die Antragsgegnerin im Hinblick auf das Vorhaben der Beigeladenen offenbar keine Rolle gespielt. Dabei sei übersehen worden, dass bei der planerischen Festsetzung eines eingeschränkten Gewerbegebiets auch Nutzungen erlaubt seien, die mit einer Emission von Luftschadstoffen verbunden sein könnten.

Die Satzung sei ferner insoweit unbestimmt, als sie festlege, dass mit ihrem Inkrafttreten gleichzeitig die früheren bauplanungsrechtlichen Festsetzungen und örtlichen Bauvorschriften, die der 5. Änderung widersprechen, außer Kraft treten. Diese hätten im Einzelnen aufgeführt werden müssen.

Die Antragsgegnerin habe sich weiter unzureichend damit auseinandergesetzt, dass durch die Festsetzung eines Gewerbegebiets die einzuhaltende Abstandsflächentiefe nicht wie im Wohngebiet die Wandhöhe (H), sondern nur ein viertel H betrüge.

Aus der Gesamtheit der Planunterlagen spreche der eindeutige Wille der Antragsgegnerin, die Erweiterungsabsichten der Beigeladenen an einem ungeeigneten Standort zu verwirklichen. Dies stelle eine fehlerhafte Abwägung der privaten Belange dar. Letztendlich stelle sich die Bebauungsplanänderung als unzulässige Einzelfallplanung zu Gunsten eines Anlagenbetreibers dar und sei daher auch im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB nicht erforderlich und damit nichtig.

Die Antragsteller beantragen festzustellen,

die 5. Änderung des Bebauungsplans S-6-62 der Antragsgegnerin ist nichtig.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Sie bezweifelt die Antragsbefugnis der Antragsteller. Deren Grundstück liege nicht innerhalb des Bereichs, der von der 5. Änderung des Bebauungsplans S-6-62 betroffen sei. Ihre Rechtsposition dürfte sich mit der Feststellung der Nichtigkeit der 5. Änderung dieses Bebauungsplans im Hinblick auf das Verwaltungsstreitverfahren gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht verbessern.

Durch die Aufhebung aller im Verfahren zur 4. Änderung des Bebauungsplans gefassten Beschlüsse in der Sitzung des Stadtrats vom 25. Juni 1998 erübrigten sich von vornherein alle im Antragsschriftsatz aufgestellten Spekulationen. Die 5. Änderung des Bebauungsplans sei im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 8. Januar 2000 berichtigt und nochmals bekannt gemacht worden. Ausfertigungsfehler seien damit geheilt.

Die Bebauungsplanänderung sei auch materiell rechtmäßig. Es stehe weder den Antragstellern noch der Antragsgegnerin zu, für die Beigeladene die unternehmerische Entscheidung zu treffen, ob sie ihren Betrieb verlagern wolle oder am angestammten Standort erweitern möchte. Ein so striktes Trennungsgebot, wie die Antragsteller ihrem Normenkontrollantrag zu Grunde legten, kenne jedenfalls die Vorschrift des § 50 BImSchG nicht. Die bloße Behauptung, die Antragstellerin habe im vorliegenden Fall bestehende Spannungszustände lediglich zementiert und verschärft, sei unzutreffend. Sie habe sehr wohl entsprechende Überlegungen angestellt, was beispielsweise zur Festsetzung des eingeschränkten Gewerbegebiets geführt habe. Sie habe sich auch auf das schallschutztechnische Gutachten der Landesgewerbeanstalt vom 18. Februar 1999, eines renommierten Büros, stützen dürfen, es komme dabei nicht darauf an, wer das Gutachten in Auftrag gegeben habe. Die Antragstellerin sei auch von zutreffenden Orientierungswerten ausgegangen.

Die Festsetzung eines immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels sei nicht unbestimmt. Das ergebe sich aus der in der Begründung des Bebauungsplans mehrfach enthaltenen Verweisung auf eben den immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel und das Lärmschutzgutachten der LGA vom 18. Februar 1999, in dem dieser zutreffend definiert worden sei. Daraus ergebe sich ebenfalls, dass mit der Formulierung "je Quadratmeter" die Bodenfläche des gesamten Plangebiets gemeint sei. Die Verweisung auf Nr. 6.1 der TA Lärm 1998 solle lediglich darstellen, dass nicht von den Betreiberpflichten nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz dispensiert werde.

Die Regelung von möglicherweise auftretenden Luftschadstoffen habe den erforderlichen Einzelgenehmigungsverfahren vorbehalten werden dürfen. Die von der Antragstellerin getroffene Regelung zum Außerkrafttreten früherer Vorschriften entspreche dem allgemeinen Grundsatz, dass die neuere Norm die ältere bei inhaltlichem Widerspruch außer Kraft setze. Die Abstandsflächenproblematik spiele unter dem Blickwinkel der städtebaulichen Planung nur eine untergeordnete Rolle. Die Antragsgegnerin habe dem dadurch Rechnung getragen, dass sie der im Plan festgesetzten nördlichen Baugrenze ausdrücklich eine nachbarschützende Wirkung zuerkannt habe.

Mit Beschluss vom 12. Juni 2002 hat der Verwaltungsgerichtshof die Firma N****** GmbH & Co. KG beigeladen, weil deren Interessen als Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 802/1 der Gemarkung S******** durch die Entscheidung über den Normenkontrollantrag berührt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat am 1. August 2002 einen Augenschein durchgeführt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, insbesondere die Niederschriften über den Augenschein und die mündliche Verhandlung am 11. November 2002 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Die Antragsteller sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt und haben auch im Übrigen ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse (vgl. den Beschluss des Senats vom 5. Oktober 2001 Az. 14 CS 01.1364, S. 8 f. BA). Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. Juli 2000 ist noch nicht bestandskräftig. Der Erfolg der dagegen erhobenen Rechtsbehelfe hängt voraussichtlich entscheidend davon ab, ob der angegriffene Bebauungsplan Bestand hat.

Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.

Der Antrag ist erfolgreich, weil die Abwägung nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Gebot gerechter Abwägung dann verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit) oder wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt und dadurch die Gewichtung verschiedener Belange in ihrem Verhältnis zueinander in einer Weise vorgenommen wird, durch die die objektive Gewichtigkeit eines dieser Belange völlig verfehlt wird (Abwägungsfehleinschätzung). Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen dafür entscheidet, den einen zu bevorzugen und damit notwendig den anderen zurückzustellen (BVerwGE 34,301/309; 45, 309/315). Die Anforderungen richten sich - abgesehen von der Notwendigkeit einer Abwägung überhaupt, die allein im Hinblick auf den Abwägungsvorgang praktisch werden kann - sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis. Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB).

Im vorliegenden Fall stehen sich an abzuwägenden Belangen auf der einen Seite insbesondere die Erweiterungsabsicht der Beigeladenen, die aus deren Sicht ein privater Belang ist, aber wegen der Bedeutung der Betriebserweiterung für die Sicherung und möglicherweise Schaffung von Arbeitsplätzen wie auch die Sicherung und mögliche Steigerung der Gewerbesteuereinnahmen für die Antragsgegnerin einen öffentlichen Belang darstellt, und andererseits die Belange der Nachbarn im allgemeinen Wohngebiet gegenüber. Als solche sind nicht nur Gesichtspunkte des Lärmschutzes, denen mit der Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel Rechnung getragen werden sollte und des Schutzes vor sonstigen Immissionen, der durch den Ausschluss emissionsintensiver Nutzungen berücksichtigt werden sollte, sondern auch sonstige aus der Eigenart der gewerblichen Bebauung folgende Belastungen einzustellen. Es ist dabei Aufgabe der planenden Gemeinde, durch die Bauleitplanung und die ihr zu Grunde liegende Abwägung die Einhaltung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme zu gewährleisten (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, RdNr. 210 zu § 1).

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Riegelwirkung oder ein Einmauerungseffekt, wie im vorliegenden Fall von den Antragstellern geltend gemacht, das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme verletzen kann (vgl. BVerwG vom 13.3.1981 DVBl 1991, 928 und vom 23.5.1986 NVwZ 1997, 34; OVG NW vom 14.1.1994 NVwZ-RR 1995, 187). Dieses entspringt nicht allgemein übergeordneten Aspekten. Ein - möglicherweise auch drittschützendes - Rücksichtnahmegebot gibt es nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze (Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, BauNVO, 3. Aufl. 2002, RdNr. 80 zu § 29). So ist das Rücksichtnahmegebot für den Geltungsbereich eines Bebauungsplans § 15 Abs. 1 BauNVO zu entnehmen, im Bereich des unbeplanten Innenbereichs dem Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 BauGB und im Außenbereich den möglicherweise gemäß § 35 Abs. 1 oder § 35 Abs. 2 BauGB einer Bebauung entgegenstehenden oder durch diese beeinträchtigten öffentlichen Belangen. In der Bauleitplanung selbst stellt sich das Gebot der Rücksichtnahme als Teil des Abwägungsgebots des § 1 Abs. 6 BauGB dar.

Der Augenschein hat ergeben, dass sich die bestehende Halle mit einer Traufhöhe von 8,50 m entlang der gesamten Südgrenze der Grundstücke der Antragsteller und ihrer westlichen Nachbarn auf eine Länge von ca. 70 m erstreckt und im westlichen Bereich weiter etwa 30 m nach Norden verläuft. Bei Verwirklichung der angegriffenen Festsetzungen würde sich die Gebäudefront um weitere 20 m nach Osten verlängern und damit die einzige noch verbliebene Ausblicksmöglichkeit vom Grundstück der Antragsteller aus verbauen. Dass das Grundstück der Antragsteller 1,60 m höher liegt, als die als eingeschränktes Gewerbegebiet festgesetzte Fläche, ändert daran nichts. Wegen seiner Hanglage - das Gelände steigt nach Norden an - ist das Grundstück der Antragsteller wie auch dessen Nachbargrundstücke im Westen und Osten nach Süden orientiert. Dies ergibt sich auch daraus, dass das Haus der Antragsteller im Süden viergeschossig und im Norden nur zweigeschossig in Erscheinung tritt. In den unteren Ebenen des Wohnhauses der Antragsteller und im Garten ist der Blick nach Süden durch die vom Haus etwa 15 m entfernte Hallenwand verstellt. Nach Norden ist der Blick durch den Hang eingeschränkt, nach Westen und Osten jeweils durch die Gebäude auf den Nachbargrundstücken. Im Westen zusätzlich durch die hier in nördlicher Richtung verlaufende Hallenwand.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Problematik der sich ergebenden Riegelwirkung als Belang der Antragsteller und ihrer Nachbarn erkannt worden ist, dafür sprechen deren Einwendungen während des Aufstellungsverfahrens, und ob sie mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung Eingang gefunden hat, wogegen spricht, dass sie in der Begründung nicht erwähnt wird und die Belastung allenfalls dadurch gemildert wird, dass die Begrünung großer Fassadenflächen durch Festsetzung in dem Bebauungsplan gefordert wird. Dadurch, dass die Verwirklichung des Bebauungsplans in seiner jetzigen Gestalt das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber den Antragstellern verletzen würde, ist jedenfalls das Abwägungsergebnis fehlerhaft.

Bei der Frage, ob der Eingriff durch die angegriffene Bauleitplanung die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreitet, ist neben dem neu hinzukommenden Bauteil auch die vorhandene Gebäudewand in die notwendige Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. BayVGH vom 29.1.1991 BayVBl 1991, 369). Es kann offen bleiben, ob der bisherige Zustand als zumutbar hinzunehmen ist. Mit der Erweiterung der Halle der Beigeladenen wird die Schwelle der Unzumutbarkeit dadurch überschritten, dass auch die einzig verbliebene Möglichkeit einer weiterreichenden Blickbeziehung im Südosten des Grundstücks der Antragsteller verstellt wird. Insoweit braucht nicht entschieden zu werden, ob die Festsetzung einer niedrigeren Traufhöhe oder eine Gestaltung der Bauräume, die einen Durchblick zwischen einzelnen Gebäuden zuließe, noch zumutbar wäre. Bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsschwelle spielt auch eine wesentliche Rolle, dass der Beigeladenen eine Nutzung ihres Grundstücks ermöglicht werden soll, die bisher unzulässig war und mit der die Nachbarn auf Grund der planungsrechtlichen Situation nicht rechnen mussten (vgl. Jäde, a.a.O., RdNr. 75 f.). Zur Frage, ob die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets für den von der Änderung betroffenen Bereich funktionslos geworden ist, wird auf den Beschluss vom 5. Oktober 2001, Az. 14 CS 01.1364 (s. 8 f. BA), verwiesen.

Angesichts der gegebenen Verhältnisse kann die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots auch nicht dem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren überlassen werden, denn die in Frage stehende Bauleitplanung ist auf die bereits (noch nicht bestandskräftig) genehmigte Hallenerweiterung der Beigeladenen ausgerichtet, die die überbaubaren Flächen, die zulässige Traufhöhe und auch die sonstigen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung voll ausnützt. Die spezifische Ausrichtung der Bauleitplanung auf dieses Vorhaben bewirkt, dass der entstehende Konflikt mit der Nachbarbebauung insoweit bereits im Bebauungsplan zu lösen ist (vgl. Ernst/ Zinkahn/Bielenberg a.a.O., RdNr. 219 ff.).

Der nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB offensichtliche, weil von den Antragstellern im Bebauungsplanverfahren eingewandte und von der Antragsgegnerin nicht behandelte Mangel kann nicht gemäß § 215a BauGB durch eine ergänzende Abwägung behoben werden. Wie schon ausgeführt, ist die Bauleitplanung auf das von der Beigeladenen beabsichtigte konkrete Vorhaben ausgerichtet. Dieses Vorhaben war der alleinige Beweggrund für die Änderung des Bebauungsplans. Eine Änderung der Festsetzungen, die allein den Mangel beheben könnte, würde daher die Grundzüge der Planung berühren.

Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob die Festsetzungen des Bebauungsplans zum Lärmschutz in Art. 10 Nr. 1 der Änderungssatzung hinreichend bestimmt sind. Diese Vorschrift lässt sich dahingehend auslegen, dass ein immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel (IFSLP) festgesetzt werden sollte (Art. 10 Nr. 1 Satz 2 der Änderungssatzung). Sie lässt sich weiter dahin auslegen, dass dieser für das gesamte Grundstück FlNr. 802/1, nämlich das neu festgesetzte eingeschränkte Gewerbegebiet gelten soll. Mit der Bestimmung "Beurteilungszeitraum "tags" (6.00 Uhr - 22.00 Uhr) Lw = max. 53,5 dB(A), "nachts" (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) Lw = max. 38,5 dB(A)" hat die Antragsgegnerin aber allenfalls einen flächenbezogenen Schallleistungspegel (FSLP) und nicht einen IFSLP festgesetzt. Dieser dürfte dazu zu niedrige Werte festsetzen, denn in den FSLP fließen für Zusatzdämpfungen geschätzte Erfahrungswerte ein, während beim IFSLP lediglich die zwischen Schallquelle und Immissionsort eintretende Luft- und Bodenabsorption berücksichtigt wird (vgl. BVerwG vom 27.1.1998 NVwZ 1998, 1067; Kraft, DVBl 1998, 1048, Tegeder/ Heppekausen, BauR 1999, 1095). Mit dem Instrument des FSLP, das aus rechtstechnischen Gründen an den durch die Betriebsflächen begrenzten emittierten Schallleistungspegel anknüpft, wird sichergestellt, dass in benachbarten schutzwürdigen Gebieten bestimmte Lärmgrenzwerte nicht überschritten werden. Anders als beim FSLP, der von auf Erfahrung beruhenden Dämpfungswerten zwischen der Schallquelle und dem Immissionsort ausgeht, kommt es beim IFSLP allein darauf an, dass der von einer Anlage herrührende Beurteilungspegel das der Betriebsfläche entsprechende Lärmkontingent am Immissionsort nicht überschreitet. Berücksichtigt wird hierbei die wirkliche Schallausbreitung unter den tatsächlichen Verhältnissen des konkreten Vorhabens und seiner Umgebung im Zeitpunkt seiner Genehmigung. Zur Festsetzung eines IFSLP ist demnach die Angabe eines maßgeblichen Immissionsorts oder wenigstens der Entfernung zu diesem erforderlich, um im Baugenehmigungsverfahren die Rückrechnung zu ermöglichen, ob dort die zulässigen Immissionsrichtwerte eingehalten werden (vgl. Kraft und Tegeder/Heppekausen, jeweils a.a.O.). Allein der Hinweis in der Begründung zur Bebauungsplanänderung auf ein schalltechnisches Gutachten, das zwar zum Bestandteil dieser Begründung erklärt worden ist, ihr jedoch nicht anliegt, dürfte insoweit nicht ausreichen. Weder dem Satzungstext noch der Begründung lässt sich entnehmen, dass Angaben zu den maßgeblichen Immissionsorten diesem Gutachten entnommen werden können. Die Änderungssatzung ist insoweit nicht aus sich heraus verständlich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Nummer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie den Beschluss über den Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 3 BauGB).

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 GKG).

Ende der Entscheidung

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