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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.08.2003
Aktenzeichen: 14 N 99.1156
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 3
BauGB § 1 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

14 N 99.1156 In der Normenkontrollsache

wegen Gültigkeit der Änderung des Bebauungsplans Nr. 288 der Antragsgegnerin vom 14. November 1998;

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 14. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zimniok, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Häring

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. August 2003

am 14. August 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die erste Änderung des Bebauungsplans Nr. 288 - mit Grünordnung - "W*********** Straße" der Stadt F***, beschlossen am 8. Juli 1998 und bekannt gemacht am 14. November 1998, ist nichtig.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen die Umwandlung des größten Teils ihres Grundstücks, soweit es bisher als reines Wohngebiet ausgewiesen war, in eine Aufforstungsfläche durch die Änderung des Bebauungsplans Nr. 288 der Antragsgegnerin im Gebiet zwischen der geplanten Westumgehung U******** - der Straße "Am K********", der bisherigen Wohnsiedlung an der K**** Straße und der W******* Straße (B 8). Der Änderungsbebauungsplan ist in seiner Fassung vom 16. Januar 1997 am 8. Juli 1998 als Satzung beschlossen und am 14. November 1998 in Kraft gesetzt worden.

Der seit dem 30. August 1974 rechtsverbindliche Bebauungsplan hatte südlich der W*********** Straße eine Fläche für Gemeinbedarf ausgewiesen mit der Zweckbestimmung, hier eine Schule zu errichten. Nördlich davon war auf dem Grundstück der Antragsteller ein reines Wohngebiet in offener Bauweise in Form von Hausgruppen festgesetzt. Die Erschließung dieses Teils des Geltungsbereichs wurde im Gegensatz zum Rest bisher nicht so wie im Bebauungsplan vorgesehen hergestellt. Die W*********** Straße ist im Bereich des Grundstücks der Antragsteller nicht ausgebaut. Die Erschließung des Änderungsbereichs durch die Westumgehung U******** ist geplant. Gegenwärtig besteht dort ein befestigter Weg. Der damals als reines Wohngebiet ausgewiesene Teil nördlich der W*********** Straße wird derzeit landwirtschaftlich genutzt. Soweit der Bebauungsplan unverändert blieb, war er bereits verwirklicht.

Es wurden im Wesentlichen folgende Änderungen vorgenommen:

Südlich der W*********** Straße wurde der südwestliche Teil der Fläche für Gemeinbedarf als öffentliche Grünfläche ausgewiesen, innerhalb der ein Kinderspielplatz festgesetzt und ein geschützter Landschaftsbestandteil nachrichtlich übernommen worden ist. Nordöstlich daran anschließend wurde südlich der W*********** Straße ein allgemeines Wohngebiet ausgewiesen, das inzwischen bebaut ist. Das reine Wohngebiet auf dem Grundstück der Antragsteller wurde bis auf eine Bauzeile in seiner Südostecke in eine Fläche umgewandelt, auf der nach der Legende ein Aufforstungsgebot besteht.

In der Begründung zur Änderung wird ausgeführt, dass sie der Vermeidung eines Normwiderspruchs dienen solle, weil der durch Verordnung geschützte Landschaftsbestandteil durch die für die Schule vorgesehenen Bauflächen verlaufe. Die Gemeinbedarfsfläche für die Schule werde wegen einer anderen als der 1974 prognostizierten Entwicklung, nämlich des Freiwerdens von Militärwohnungen und Gewerbeansiedlungen auf der westlichen Hardhöhe, nicht mehr benötigt. Ziel der Änderungen sei die Schaffung eines allgemeinen Wohngebiets, welches sowohl der Ortsrandlage, den in der Nachbarschaft vorhandenen Baustrukturen und der Immissionsbelastung durch die Bundesstraße 8 Rechnung trage.

Vor dem Hintergrund, den Bereich des F********tals in seiner ökologisch wertvollen Freiraumfunktion weitgehend unbebaut zu lassen, solle deshalb das nördlich der W*********** Straße vorgesehene Wohngebiet auf eine Bauzeile reduziert werden. Für die dadurch entstehenden Freiraumbereiche sei Aufforstung - Wald - vorgesehen, womit eine Vernetzung des Landschaftsschutzgebiets des F********talraums mit dem relativ isolierten geschützten Landschaftsbestandteil erreicht werde. Zugleich solle die großflächige Aufforstungsfläche die mit der vorgesehenen Bebauung einhergehende Bodenversiegelung ausgleichen.

Die Antragsteller erhoben während des Verfahrens zur Aufstellung des Änderungsbebauungsplans u.a. folgende Einwendungen:

Durch die Änderung trete eine wesentliche Verschlechterung ihrer Rechtsposition ein. Ihr Grundstück verliere erheblich an Wert, was einer Enteignung gleichkomme. Sie hätten einem Bauträger ein unwiderrufliches und unbefristetes Verkaufsangebot zu einem Gesamtpreis von 2.486.000 DM eingeräumt, das voraussichtlich nicht mehr angenommen werde. Sie müssten gegebenenfalls Schadensersatz in großer Höhe geltend machen.

Der Stadtrat der Antragsgegnerin nahm dazu im Wesentlichen wie folgt Stellung:

Die Nutzung entsprechend dem Bebauungsplan sei nur zulässig, wenn die Erschließung gesichert sei. Auch wenn eine Erschließungsstraße tatsächlich vorhanden sei, sei dies jedoch nur dann der Fall, wenn diese den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspreche oder seine Verwirklichung nicht erschwere. Der alte Bebauungsplan sehe aber deutliche Abweichungen der Verkehrsführung und der Ausbauqualität gegenüber dem tatsächlichen Zustand vor. Nachdem weder die W*********** Straße noch die Straße Am K******** ausgebaut sei, sei das Grundstück der Antragsteller wegemäßig nicht erschlossen. Die Nutzung als reines Wohngebiet sei daher nicht zulässig. Damit fehle es zugleich an einer durch Art. 14 GG geschützten Rechtsstellung der Antragsteller, so dass bei Entziehung der Bauerwartung (auch bei Rohbaulandqualität) kein enteignender Eingriff vorliege.

Die Antragsteller machen in der Normenkontrolle neben Verfahrensfehlern insbesondere geltend, die Änderung sei städtebaulich nicht erforderlich. Der Landschaftsbestandteil hätte nicht mittels einer Verordnung unter Schutz gestellt werden dürfen, ohne gleichzeitig den Bebauungsplan zu ändern. Die Normenkollision sei für die Antragsgegnerin daher vermeidbar gewesen. Sie könne sich jetzt also nicht darauf berufen.

Die Verlegung des Baugebiets nach Süden sei ebenfalls nicht erforderlich.

Das Wohngebiet grenze nun unmittelbar an den geschützten Landschaftsbestandteil an und beeinträchtige diesen. Es wäre sinnvoller gewesen, hier Wald festzusetzen.

Die öffentlichen Belange, nämlich die Unterschutzstellung des Landschaftsbestandteils und der Wegfall der Notwendigkeit des Schulhausneubaus hätten mit dem Grundstück der Antragsteller, deren Interessen in der Beibehaltung der durch Art. 14 GG geschützten Baulandqualität lägen, nichts zu tun. Die Festsetzung als Aufforstungsfläche bedeute eine erhebliche Vermögenseinbuße und stelle praktisch eine Enteignung dar, da nicht einmal mehr landwirtschaftliche Nutzung möglich sei.

Es läge weiter eine Abwägungsfehleinschätzung vor, weil die betroffenen öffentlichen und privaten Belange in ihrer Bedeutung nicht richtig erkannt worden seien. Die ursprüngliche Ausweisung des Grundstücks der Antragsteller als Bauland beeinträchtigte die öffentlichen Belange nicht. Die Änderung der Grundstücksqualität sei nicht gerechtfertigt. Es handle sich hauptsächlich um eine Gefälligkeitsplanung der Antragsgegnerin, nämlich sich selbst Bauland zu verschaffen, um die Stadtkasse zu füllen und die Konkurrenz zu unterdrücken. Die Zielsetzung, Wohnraum zu schaffen, rechtfertige die Änderung ebenfalls nicht, denn die für Wohnraum vorgesehene Fläche bleibe dem Umfang nach vor und nach der Änderung im Wesentlichen gleich.

Die Bedenken und Anregungen der Antragsteller seien überhaupt nicht berücksichtigt worden: der Wertverlust des Grundstücks, die Entziehung von Baurecht und dass die forstwirtschaftliche Nutzung für die Antragsteller als Landwirte sinnlos sei, sie vielmehr Flächen für ihren landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb benötigten. Der Änderungsbebauungsplan enthalte keine Entschädigungsregelung, insbesondere im Hinblick auf das Aufforstungsgebot (§ 41 Abs. 2 BauGB). Die Antragsgegnerin könne genauso gut auf städtischen Flächen aufforsten. Wegen der Begrenzung der Fläche durch die Straßen könne ohnehin kein richtiger Wald geschaffen werden, sondern nur eine Baumgruppe ohne ökologische Bedeutung. Eine Aufforstung südlich der W*********** Straße im Anschluss an den geschützten Landschaftsbestandteil sei sinnvoller.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß festzustellen,

die Änderung des Bebauungsplans Nr. 288 der Antragsgegnerin ist nichtig.

hilfsweise beantragen sie festzustellen,

die Änderung ist teilnichtig hinsichtlich der Festsetzungen für das Grundstück FlNr. 552 der Gemarkung U********.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es handle sich um keine "Verlegung" des Wohngebiets, sondern die Festsetzungen resultierten vielmehr aus einer Einzelbetrachtung der Flächen. Die vorgesehene Wohnbebauung beeinträchtige den Landschaftsbestandteil nicht. Die gewählte Bebauung runde die bestehende vielmehr ab und bilde einen einwandfrei definierten Ortsrand.

Das Grundstück der Antragsteller sei noch kein Bauland gewesen, weil die Erschießung nicht gesichert gewesen sei. Die W*********** Straße sei im Bereich dieses Grundstücks nicht befestigt und mit einem Balken für den Verkehr abgesperrt. Außerdem sei das Grundstück nicht an das Entwässerungssystem angebunden.

Der Gesichtspunkt des Wertverlusts sei durchaus in die Abwägung eingebracht worden. Hierbei komme es jedoch auf die ausgeübte Nutzung, nämlich Landwirtschaft an. Die Entziehung der Bauerwartung sei kein enteignender Eingriff.

Die Antragsteller hätten auch nie den Einwand erhoben, die Fläche für ihren landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb zu benötigen, sondern immer darauf abgezielt, die "Baulandqualität" zu erhalten.

Das Forstamt habe gegen die Aufforstung keine Einwendungen. Die landwirtschaftliche Nutzung der Fläche sei auch weiterhin möglich. Es sei kein Pflanzgebot beabsichtigt. Vielmehr solle lediglich langfristig auf eine Aufforstung hingewirkt werden. Es sei eine Festsetzung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 18 lit. c BauGB, nämlich Fläche für Wald, beabsichtigt gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, insbesondere die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 13. August 2003, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Auf eine Beiladung der Eigentümer von den neu als allgemeines Wohngebiet ausgewiesenen Grundstücken gemäß § 47 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 65 Abs. 1 VwGO konnte verzichtet werden. Die Bebauungsplanänderung ist insoweit bereits verwirklicht. Die nunmehr bestehende Bebauung ist nicht allein in ihrem Bestand geschützt. Auf den Grundstücken besteht vielmehr im Fall der Nichtigkeit der Bebauungsplanänderung ein Baurecht gemäß § 34 Abs. 1 und 2 BauGB, weil die Festsetzungen des ursprünglichen Bebauungsplans insoweit funktionslos geworden sind. Die rechtlichen Interessen der Eigentümer werden daher allenfalls geringfügig berührt.

Der zulässige Normenkontrollantrag ist auch begründet.

Formelle Fehler des Aufstellungsverfahrens, wie sie die Antragsteller rügen, bestehen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht. Angesichts der im Folgenden zu erläuternden Abwägungsfehler können die damit aufgeworfenen Fragen jedoch dahinstehen.

Ebenso wenig teilt der Senat die Bedenken der Antragsteller gegen die Erforderlichkeit der Bebauungsplanänderung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Auffassung, dass die Antragsgegnerin eine Kollision der Verordnung zur Unterschutzstellung des Landschaftsbestandsteils, der mit LBH 11 bezeichnet wird, einerseits und der alten Fassung des Bebauungsplans andererseits, nicht durch die Änderung des Bebauungsplans hätte bereinigen dürfen. Zum anderen greift auch nicht die Rüge durch, die Verschiebung des Baugebiets nach Süden sei ebenfalls nicht erforderlich, weil die öffentlichen Belange, nämlich der Schutz des Landschaftsbestandteils und der Wegfall des Schulhausneubaus mit dem Grundstück der Antragsteller nichts zu tun hätten. Die Absicht der Antragsgegnerin, den Landschaftsbestandteil mit dem Landschaftsschutzgebiet im Norden des Geltungsbereichs zu vernetzen und den Bereich des F********tals in seiner ökologisch wertvollen Freiraumfunktion weitgehend unbebaut zu lassen, stellt ungeachtet der Frage, wieweit der Ausbau der W*********** Straße im Änderungsbereich trennend wirkt, eine nachvollziehbare Konzeption dar, die auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung zielt. Die Bebauungsplanänderung verstößt damit insoweit nicht gegen § 1 Abs. 3 BauGB (vgl. Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, BauNVO, 3. Aufl. 2002, RdNrn. 15, 24 zu § 1 BauGB).

Der angegriffene Bebauungsplan genügt jedoch nicht den Anforderungen des Abwägungsgebots des § 1 Abs. 6 BauGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Gebot gerechter Abwägung dann verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit) oder wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt und dadurch die Gewichtung verschiedener Belange in ihrem Verhältnis zueinander in einer Weise vorgenommen wird, durch die die objektive Gewichtigkeit eines dieser Belange völlig verfehlt wird (Abwägungsfehleinschätzung). Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen dafür entscheidet, den einen zu bevorzugen und damit notwendig den anderen zurückzustellen (BVerwGE 34,301/309; 45, 309/315). Die Anforderungen richten sich - abgesehen von der Notwendigkeit einer Abwägung überhaupt, die allein im Hinblick auf den Abwägungsvorgang praktisch werden kann - sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis. Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB).

Auf die Interessen der Antragsteller am Weiterbestand der Ausweisung ihres Grundstücks als reines Wohngebiet ist die Antragsgegnerin nur insoweit eingegangen, als es an einer den Festsetzungen des (alten) Bebauungsplans entsprechenden wegemäßigen Erschließung fehle und sie deshalb keine der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterfallende Rechtsstellung hätten, so dass bei einer Entziehung der Bauerwartung - auch bei Rohbaulandqualität - kein enteignender Eingriff vorliege. Sie hat damit außer Acht gelassen, dass einer Festsetzung betreffend die Art der baulichen Nutzung unabhängig davon, ob ihre Änderung die Schwelle der Sozialpflichtigkeit des Eigentums überschreitet und eine Entschädigungspflicht auslöst, als einer Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG regelnden Bestimmung ein eigenes Gewicht zukommt und deshalb die Änderung derartiger Festsetzungen im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung besonders sorgfältig zu prüfen ist (vgl. BVerfG vom 19.12.2002 NVwZ 2003, 727 und vom 16.12.2002 NVwZ 2003, 726; VGH BW vom 22.3.1994, VBlBW 1994, 311). Abgesehen davon, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts planerische Entscheidungen nicht am Maßstab des Enteignungsrechts gemessen werden können (vgl. BVerwG vom 30.4.1969, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 12). Der auf einer Festsetzung des Bebauungsplans beruhende und deshalb offenkundige Belang der Antragsteller wurde damit nicht in die vorzunehmende Abwägung eingestellt. Der Änderungsbebauungsplan leidet insoweit an einem nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB relevanten Abwägungsdefizit. Der alte Bebauungsplan war insoweit auch nicht obsolet geworden. Allein dadurch, dass seine Festsetzungen nicht den marktgängigen Vorstellungen entsprechen, wie die Antragsgegnerin vorgetragen hat, wird ein Bebauungsplan nicht funktionslos, denn die tatsächlichen Verhältnisse schließen seine Verwirklichung nicht aus (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, BauNVO, 3. Aufl. 2002 RdNr. 40 zu § 30). Im Übrigen lassen einerseits die maßgebenden Festsetzungen nicht nur heutigen Vorstellungen nicht mehr entsprechende sog. Gartenhofhäuser zu, während andererseits offenkundig doch ein Interesse an einer Bebauung im Rahmen der Festsetzungen des alten Bebauungsplans besteht, wie sich daran zeigt, dass die Antragsteller einen kaufinteressierten Bauträger gefunden haben.

Die Antragsgegnerin übersieht darüber hinaus, dass in der Änderung der Art der baulichen Nutzung ein entschädigungspflichtiger Eingriff in das Eigentum jedenfalls dann liegt, wenn gegenüber der planenden Gemeinde ein Erschließungsanspruch besteht (vgl. Jäde, a.a.O., RdNr. 2 zu § 42 BauGB). Auch wenn sich mit dem Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans die der Gemeinde obliegende Erschließungslast noch nicht zu einer aktuellen Erschließungspflicht verdichten mag, so kann dies doch der Fall sein, wenn bestimmte weitere Umstände hinzutreten (vgl. BVerwG vom 10.9.1976 DVBl 1977, 41; Dirnberger, a.a.O., RdNr. 12 zu § 123 BauGB). Solche Umstände liegen darin, dass der Geltungsbereich des alten Bebauungsplans im Übrigen von der Gemeinde erschlossen worden ist. Offenkundig wurde selbst der Unterbau der Fortführung der W*********** Straße im Bereich des Grundstücks der Antragsteller bis zur geplanten Einmündung in die künftige Westumgehung U******** hergestellt. Allein daraus, dass die Antragsteller längere Zeit keine aktuellen Bauwünsche geäußert haben, lässt sich kein sachlicher Grund ableiten, dass ihnen im Gegensatz zu den Eigentümern der übrigen Grundstücke im Geltungsbereich des Bebauungsplans die Erschließung verweigert wird. Unterstrichen wird das dadurch, dass die W*********** Straße auch nach der Änderung des Bebauungsplans in etwa denselben Ausbauzustand erhalten soll, wie im alten Bebauungsplan beabsichtigt war. Im Übrigen wäre die Erschließung über die im Unterbau bereits fertig gestellte W*********** Straße wie auch den vorhandenen Weg "Am K********" möglich gewesen, ohne den endgültigen Ausbau der Erschließung entsprechend den Vorgaben des Bebauungsplans zu behindern. Der Herstellung der auf dem Grundstück der Antragsteller geplanten "Stichstraße D" hätte es hierzu nicht bedurft. Die Antragsteller oder ein Rechtsnachfolger hätten jederzeit eine vorläufige Binnenerschließung des Grundstücks herstellen können. Auch insoweit hat die Antragsgegnerin die privaten Belange der Antragsteller nicht zutreffend in ihre Abwägung eingestellt.

Schließlich wurden die Belange der Antragsteller insoweit nicht in der Abwägung berücksichtigt, als ihnen als Vollerwerbslandwirten an der Aufrechterhaltung der tatsächlich ausgeübten landwirtschaftlichen Nutzung mehr gelegen ist, als an einer Aufforstung ihrer Fläche. Auch dieser Belang wäre ohne besondere Geltendmachung seitens der Antragsteller im Aufstellungsverfahren als offenkundig zu berücksichtigen gewesen.

Damit steht die Nichtigkeit des Änderungsbebauungsplans in seiner Gesamtheit fest. Lediglich eine Teilnichtigkeit betreffend das Grundstück der Antragsteller kann nicht angenommen werden, weil die Antragsgegnerin die darauf bezogene Änderung insoweit mit den übrigen Änderungen verknüpft hat, als sie die Aufforstung u.a. als notwendigen Ausgleich für die unumgängliche Bodenversiegelung im neu festgesetzten allgemeinen Wohngebiet angesehen hat. Da die Abwägungsfehler das Zentrum der Planungsentscheidung berühren, kommt ein ergänzendes Verfahren nach § 215 a Abs. 1 BauGB nicht in Betracht.

Nur für den Fall einer neuerlichen Änderungsplanung wird darauf hingewiesen, dass Zweifel bestehen, ob das zeichnerisch dargestellte Aufforstungsgebot eine hinreichende Rechtsgrundlage findet. Soweit § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB Pflanzgebote zulässt, nimmt er davon Flächen für landwirtschaftliche Nutzungen oder für Wald aus. Dementsprechend erscheint die Festsetzung eines Pflanzgebots unzulässig, wenn damit die Schaffung eines Waldes beabsichtigt wird, für den gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 18 lit. b BauGB eine Fläche besonders festgesetzt werden kann. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob die Festsetzung des "Aufforstungsgebots" nicht schon daran krankt, als nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin wohl beabsichtigt war, etwas anderes, nämlich eine Fläche für Wald gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 18 lit. BauGB festzusetzen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Nummer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie den Beschluss über den Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 3 BauGB).

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 50.000 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 GKG).

Ende der Entscheidung

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