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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: 15 B 01.30114
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG


Vorschriften:

AsylVfG § 77 Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

15 B 01.30114

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Verfahrens nach dem AsylVfG;

hier: Berufungen der Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Dezember 2000,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jerger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. November 2003

am 13. November 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufungen werden zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beigeladenen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beigeladenen können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 von Hundert des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Eltern reisten mit den Beigeladenen, ihren am 1. Oktober 1990 und am 7. April 1993 in Bagdad geborenen Kindern, am 25. Juli 2000 in das Bundesgebiet ein. Für die Beigeladenen und deren Eltern stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - mit Bescheid vom 7. August 2000 das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak fest.

Der Kläger erhob daraufhin am 18. August 2000 Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 7. August 2000 aufzuheben, soweit zu Gunsten der Beigeladenen Feststellungen gemäß § 51 Abs. 1 AuslG getroffen worden sind. Wegen der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts drohte ihnen aufgrund ihres Alters keine Verfolgung.

Mit Urteil vom 19. Dezember 2002 hob das Verwaltungsgericht Ansbach den Bescheid des Bundesamtes vom 7. August 2000 "hinsichtlich der Beigeladenen" auf. Die Beigeladenen hätten keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG. Es sei davon auszugehen, dass der von den Eltern gestellte Asylantrag nicht als ausdrückliche Willenserklärung den Kindern zugerechnet werde. Auch unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft seien die Beigeladenen nicht bedroht.

2. Die Berufung ließen die Beigeladenen unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Antragsschriftsatz vom 11. Januar 2001 sowie dem Schriftsatz vom 26. Januar 2001 begründen.

Die Beigeladenen beantragen sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Dezember 2000 die Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten abzuweisen.

Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13. November 2003 sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind unbegründet.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Dezember 2000 ist unter Berücksichtigung der nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgebenden gegenwärtigen Sachlage im Ergebnis zutreffend. Aufgrund der politischen Verhältnisse droht den Beigeladenen derzeit und in absehbarer Zeit keine politische staatliche Verfolgung im Irak, so dass die Beigeladenen Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht beanspruchen können.

1. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Begriff des Verfolgten im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG ist, was die Verfolgungsmaßnahmen, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung angeht, mit dem entsprechenden Begriff in Art. 16 a Abs. 1 GG identisch (vgl. BVerwG vom 18.2.1992 DÖV 1992, 582). Politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung durch Zufügung gezielter Rechtsverletzungen, die den Betroffenen ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt (vgl. BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, 315/345). Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG greift - weitergehend - auch dann ein, wenn politische Verfolgung wegen eines asylrechtlich nicht beachtlichen Nachfluchtgrundes droht.

2. Den Beigeladenen droht bei einer Rückkehr in den Irak keine politische Verfolgung.

Die politische Situation im Irak hat sich durch die am 20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Das Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Macht über den Irak verloren. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen und Institutionen dieses Regimes wie beispielsweise der Baath Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Saddam Hussein und seine Familie und die Angehörigen der früheren Staatsführung werden von den USA weltweit gesucht. Über 30 von ihnen sind bereits festgenommen worden oder haben sich gestellt. Damit ist der größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger staatlicher Gewalt getötet, verhaftet, untergetaucht oder geflohen (Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2003, Stand: Oktober 2003, - LB - , S. 2 f.).

Der Irak steht landesweit unter Besatzungsrecht und wird derzeit von einer "Zivilverwaltung" der Koalition (Coalition Provisional Authority), der CPA, regiert, die sich vor allem auf 170.000 Soldaten aus den USA und Großbritannien stützen kann. Hinzu kommen Militär- und Polizeikontingente aus 36 weiteren Staaten (vgl. LB, S. 2). Der Neuaufbau der Verwaltungsstrukturen wird maßgebend vom Leiter der CPA bestimmt (vgl. LB, S. 3). Als erster Schritt zum Aufbau einer Übergangsregierung wurde ein provisorischer 25-köpfiger Regierungsrat ("Transistory Governing Council") berufen, der sich aus Vertretern aller Bevölkerungsschichten, Ethnien und Glaubensrichtungen zusammensetzt und von einer unter den Ratsmitgliedern rotierenden Präsidentschaft geführt wird. Der US-Zivilverwalter hat sich bei allen Entscheidungen dieses Gremiums ein Veto-Recht vorbehalten. Der Übergangsrat hat u. a. die Aufgabe, eine neue Verfassung auszuarbeiten sowie allgemeine und freie Wahlen vorzubereiten (vgl. LB, S. 4). Er ernannte Anfang September 2003 ein 25-köpfiges Interimskabinett, das den politischen und konfessionellen Proporz des Übergangsrates widerspiegelt. Die Ministerien werden faktisch von einem "senior advisor" geleitet, den die CPA stellt (vgl. LB, S. 5). Es gibt keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein oder Angehörige seines früheren Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen (vgl. auch NdsOVG vom 14.8.2003 -20 A 430/02.A-; SächsOVG vom 28.8.2003 AuAS 2003, 250; OVG SH vom 28.10.2003 -1 LB 41/03).

Für minderjährige Kinder von Eltern, die in Deutschland Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG erhalten haben, besteht bei einer Rückkehr in den Irak keine Gefahr politischer Verfolgung, insbesondere auch nicht mehr in der Form, dass sie als Geiseln genommen werden, um die Rückkehr ihrer ungenehmigt ausgereisten Eltern zu erzwingen (Sippenhaft; vgl. dazu die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 12.10.2000 -23 B 32816-, 14. März 2002 -20 B 00.32480- und 27.8.2002 -15 ZB 01.30210-). Derartige früher gefahrbegründende Umstände haben ihre Bedeutung verloren, weil ihr gefährdender Charakter entscheidend auf dem Unrechtsregime Saddam Husseins beruhte (vgl. Urteile des Senats vom 22.5.2000 15 B 98.31916 und vom 9.10.2002 15 B 99.32230).

3. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

4. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. mit §§ 708 ff. ZPO.

5. Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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