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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 28.06.2005
Aktenzeichen: 15 BV 04.2876
Rechtsgebiete: BayBO


Vorschriften:

BayBO Art. 6 Abs. 9
BayBO Art. 70 Abs. 1
Von einer in der Höhe von 1,30 m an der Grundstücksgrenze montierten Werbetafel im so genannten Euroformat gehen Wirkungen wie von einem Gebäude aus.

Zur Frage der Abweichung in einem solchen Fall.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

15 BV 04.2876

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baugenehmigung (Werbetafel);

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 31. August 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ganzer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann

ohne mündliche Verhandlung am 28. Juni 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Klägerin geht es in dem Rechtsstreit um die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage (Plakatanschlagtafel im sog. Euroformat). Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu Eigen und nimmt auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug (§ 130b Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie wendet sich gegen die Ansicht des Verwaltungsgerichts, von der Anlage gingen Wirkungen wie von einem Gebäude aus. Die Werbeanlage habe nur eine "Tiefe" von wenigen Zentimetern und sei in ihrer Wirkung auf Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstücks mit einem Gebäude nicht vergleichbar. Auch sei sie aus anderen Materialien erstellt. Eine gebäudegleiche Wirkung werde eher erzielt, wenn die Werbeanlage eine schon bestehende Mauer verlängere oder vergrößere. In anderen Bundesländern seien Werbeanlagen der beantragten Art innerhalb der Abstandsflächen zulässig. Das zeige, dass eine gebäudeähnliche Wirkung von einer Werbetafel der vorgesehenen Größe nicht ausgehe. Es sei fraglich, ob die Einschätzung des Verwaltungsgerichts noch mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang stehe. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 31. August 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Baugenehmigung zur Errichtung der nördlichen Werbetafel auf dem Grundstück FlNr. 1033/2 der Gemarkung Landau a.d. Isar (Bauantrag vom 17.1.2003) zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. August 1997 lasse sich kein allgemeiner Rechtssatz entnehmen, dass von Werbetafeln im Euroformat keine Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen. Die Wirkungen seien zwar geringer, jedoch vorhanden. Hinzu komme die erhebliche Größe der konkreten Werbeanlage.

Die beigeladene Stadt beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die gebäudeähnliche Wirkung der Werbeanlage müsse auf Grund der konkreten örtlichen Situation beurteilt werden. Das habe das Verwaltungsgericht getan. In der Verschattungswirkung unterscheide sich die Werbetafel nur unwesentlich von einem Gebäude. Die Aufständerung ändere daran nichts. Zu Recht weise das Verwaltungsgericht auf die vergleichbare Rechtsprechung zu Einfriedungen hin.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins. Auf die Niederschrift und die dabei gefertigten Photographien wird verwiesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Akten des Beklagten und der Beigeladenen wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 2 VwGO) erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Das Vorhaben der Klägerin widerspricht Art. 6 Abs. 1, 3, 4, 9 BayBO und damit öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt darauf Bezug (§ 130b Satz 2 VwGO).

Dass von vergleichbar auf der Grundstücksgrenze situierten Plakatwänden im Euroformat Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, entspricht der Rechtsprechung des 14. Senats des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 29.10.2001 Az. 14 ZB 00.2798 n.v.; ferner Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, 4. Auflage 1998, S. 29; Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr. 157 zu Art. 6, die von einem Bedürfnis nach Abstandsflächen ab einer Anlagenhöhe von 2 m ausgehen; für Einfriedungen ähnlich Schwarzer/König, BayBO, 3. Auflage 2000, RdNr. 14 zu Art. 6). Diese Auffassung wird auch in der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte vertreten (vgl. SächsOVG vom 16.4.1999 NVwZ-RR 1999, 560; NdsOVG vom 18.2.1999 NVwZ-RR 1999, 560). Ein allgemeiner Rechtssatz, dass vor Werbetafeln im Euroformat keine Abstandsflächen einzuhalten sind, ist dem Urteil des 2. Senats des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. August 1997 (NVwZ-RR 1998, 620) nicht zu entnehmen. Über die Bewertung eines anders gelagerten Einzelfalls geht das Urteil nicht hinaus.

Insbesondere die Ortseinsicht hat anhand des dort errichteten Modells der Werbeanlage die Auffassung des Verwaltungsgerichts bestätigt, dass von der konkreten Werbeanlage Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen (Art. 6 Abs. 9 BayBO). Entsprechend den Zielen des Abstandsflächenrechts geht es bei diesen Wirkungen um die Belichtung und Lüftung des Nachbargrundstücks (vgl. VerfGH vom 12.5.2004 VerfGH 57, 48/54; BayVGH vom 14.12.1994 VGH n.F. 48, 24/25). Vor allem im Hinblick auf die Belichtung ist die Wirkung der Plakattafel mit der eines Gebäudes nahezu identisch. Die Beigeladene weist zu Recht darauf hin, dass sich aus der Tiefe eines Gebäudes im Vergleich zu derjenigen der Werbeanlage im Allgemeinen allenfalls kleinere und daher zu vernachlässigende Unterschiede auf die Belichtung ergeben. Infolge ihrer Höhe und Breite ist die Werbeanlage auch keine unbedeutende bauliche Anlage im Sinn des Art. 6 Abs. 8 BayBO. Sie weist insbesondere die für ein Garagen- oder Nebengebäude an der Grundstücksgrenze von vornherein unzulässige Höhe von 4,05 m auf (vgl. Art. 7 Abs. 4 BayBO).

Auch die Eigentumsgarantie gebietet die Genehmigung des Vorhabens der Klägerin nicht. Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts bestimmen den Inhalt des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Sie tun das im Interesse einer möglichst uneingeschränkten Versorgung der Grundstücke mit Licht und Luft und beschränken das Eigentum deshalb und auch im Hinblick auf die Abweichungsregel des Art. 70 BayBO nicht unverhältnismäßig.

2. Der Beklagte war auch nicht gehalten, für das Vorhaben eine Abweichung von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts zuzulassen (Art. 70 Abs. 1 BayBO). Eine Abweichung kann zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Für die Anforderungen des Abstandsflächenrechts ist typisch, dass ihnen nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann (BayVGH VGH n.F. 48, 24/25). Abweichungen von Art. 6 BayBO haben daher regelmäßig zur Folge, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nicht verwirklicht werden. Die Abweichung lässt sich dann nur rechtfertigen, wenn Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und wegen derer die Einbuße an Belichtung und Lüftung zu vernachlässigen ist. Solche Gründe gibt es nicht.

Das Vorhaben der Klägerin benötigte eine vollständige Befreiung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO. Allgemein gilt der Grundsatz, dass die Abweichung umso weniger in Betracht kommt, je weiter die Abweichung gehen soll (Schwarzer/König, a.a.O., RdNr. 7 zu Art. 70). Das Abstandsflächenrecht sichert Belichtung und Lüftung des Nachbargrundstücks nicht nur dann, wenn es gilt, sicherheitsrechtlich relevante Zustände zu verhindern. Die auf dem Nachbargrundstück FlNr. 1034 östlich des Vorhabens sich anschließende Fläche ist derzeit als Grünfläche genutzt; sie ist auf eine möglichst gute Belichtung angewiesen. Zudem ist die Fläche außerhalb der Abstandsfläche grundsätzlich bebaubar. Gebäude an der Grundstücksgrenze lässt die Bayerische Bauordnung nur nach Maßgabe ihres Art. 7 Abs. 2, 4 zu, lediglich in den Fällen des Absatzes 2 mit einer über das Vorhaben noch hinausgehenden Höhenentwicklung. Dem liegt eine besondere, Ausnahmecharakter tragende gesetzliche Abwägung zugrunde. Vergleichbar Gewichtiges trägt das Begehren der Klägerin nicht.

3. Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO

Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO)

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2500 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 G KG).

Ende der Entscheidung

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