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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.10.2009
Aktenzeichen: 15 CS 09.2130
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, UVPG, TA Lärm, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 2 Abs. 4
BauGB § 12
BauGB § 13 a
BauNVO § 11 Abs. 2
BauNVO § 11 Abs. 3
BauNVO § 20 Abs. 2
UVPG § 3
UVPG § 3 c
UVPG § 17
TA Lärm Nr. 6.5
VwGO § 80 a
VwGO § 80 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

15 CS 09.2130

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Nachbarbaugenehmigung (Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO)

hier: Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3. August 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat, durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Linder

ohne mündliche Verhandlung am 27. Oktober 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Den Antragstellern geht es darum, dass die Baugenehmigung des Landratsamts D*********-L***** vom 28. April 2009 für den Bau eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs (Edeka-Markt) in der Stadt L***** ** ** **** außer Vollzug gesetzt wird. Sie sind Miteigentümer eines dem Vorhaben benachbarten Grundstücks. Das Verwaltungsgericht hat den Anträgen mit Beschluss vom 3. August 2009 stattgegeben. Wegen der näheren tatsächlichen Umstände nimmt der Senat auf diesen Beschluss Bezug (§ 130 b Satz 1 VwGO analog).

Die Beigeladene hat Beschwerde eingelegt. Sie wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Baugenehmigung sei schon deshalb außer Vollzug zu setzen, weil die Baugenehmigung auf der Grundlage des vorhabenbezogenen Bebauungsplans "Sondergebiet Verbrauchermarkt Hochstraße" ergangen, dieser Bebauungsplan aber Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sei (Az. 15 N 09.1105), in dem auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden werde. Eine inzidente Prüfung der Wirksamkeit dieses Plans nehme das Verwaltungsgericht nicht vor. Eine solche Prüfung hätte auch keine Unwirksamkeitsgründe ergeben. Im Übrigen gehe es in dem Verfahren nicht um den Bebauungsplan, sondern um die Baugenehmigung. Die Beigeladene beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. August 2009 aufzuheben und die Anträge abzulehnen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt, hält die Beschwerde aber für begründet.

Die Antragsteller halten die Beschwerde für unbegründet. Sie verweisen darauf, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entspreche (Beschluss vom 15.10.2001 Az. 14 CS 01.1364), und erneuern ihre Einwände gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans "Sondergebiet Verbrauchermarkt Hochstraße".

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Anträgen im Ergebnis zu Recht stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Baugenehmigung angeordnet.

1. Allerdings lässt sich die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung nicht allein damit begründen, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage der Antragsteller infolge des anhängigen Normenkontrollverfahrens offen seien. Soweit in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des 14. Senats vom 5. Oktober 2001 (Az. 14 CS 01.1364) eine gegenteilige Auffassung zum Ausdruck kommen sollte, schließt sich der beschließende Senat dem nicht an. Weder die Erforderlichkeit einer Prognose über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens noch der Inhalt der Prognose selbst hängen davon ab, ob ein Normenkontrollverfahren wegen eines für das Verfahren wesentlichen Bebauungsplans anhängig ist oder nicht. Es würde zudem das gesetzlich angeordnete Entfallen der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung (§ 212 a Abs. 1 BauGB) nahezu entwerten, wenn bereits die Erhebung einer Normenkontrollklage gegen einen für die Hauptsacheklage wesentlichen Bebauungsplan faktisch genügen würde, um den Suspensiveffekt der Klage im Wege eines Antrags nach § 80 a i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO gerichtlich anordnen zu lassen.

Entscheidendes Element der im Verfahren nach § 80 a i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Ermessensentscheidung über die Aussetzung des Vollzugs der Baugenehmigung ist regelmäßig eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache (vgl. Beschluss des Senats vom 21.12.2001 NVwZ-RR 2003, 9). Die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Baugenehmigung vom 28. April 2009 hängen wesentlich von der Wirksamkeit des Bebauungsplans "Sondergebiet Verbrauchermarkt Hochstraße" ab und machen im vorläufigen Rechtsschutz eine zumindest summarische Prüfung seiner Wirksamkeit notwendig. Das lediglich das Grundstück Fl.Nr. 715 Gemarkung L***** ** ** **** umfassende Plangebiet liegt jedenfalls zu einem größeren Teil inmitten einer Umgebung, die durch ihre Eigenart als faktisches Mischgebiet oder - was in diesem Zusammenhang offen bleiben kann - allgemeines Wohngebiet geprägt ist. Dort wäre das Vorhaben, auf das die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zutrifft, seiner Art nach unzulässig (§ 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO). Ein gebietsfremdes Vorhaben würde die Antragsteller in ihren Rechten verletzen.

2. Summarisch geprüft ist die Gültigkeit des Bebauungsplans "Sondergebiet Verbrauchermarkt Hochstraße" zweifelhaft.

a) Der Bebauungsplan ist als vorhabenbezogener Bebauungsplan erlassen worden (§ 12 BauGB). Einen Vorhaben- und Erschließungsplan (VEP; § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB) gibt es nach Lage der Akten aber nicht. In den Planmaterialien ist abwechselnd und teilweise synonym vom VEP oder vom vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Rede (vgl. etwa die amtl. Bekanntmachung der Satzung). Möglicherweise sollten der VEP und der vorhabenbezogene Bebauungsplan identisch sein. Allerdings heißt es unter 3. der Planbegründung "Der Vorhaben- und Erschließungsplan ist Bestandteil des Bebauungsplans", und der Durchführungsvertrag regelt in Teil A. § 1 Abs. 1, "Gegenstand des Vorhaben- und Erschließungsplans und des vorhabenbezogenen Bebauungsplans" sei der Betrieb eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs. An anderer Stelle (in der amtl. Bekanntmachung zur Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB; Bl. 491 der Planungsakten) heißt es dagegen wiederum: "Der VEP ist ein sog. Bebauungsplan der Innenentwicklung nach § 13a BauGB."

Es ist fraglich, ob ein vorhabenbezogener Bebauungsplan gegebenenfalls ohne VEP wirksam sein könnte (vgl. OVG NW vom 23.1.2006 ZfBR 2006, 490; wohl auch BayVGH vom 27.9.2005 Az. 8 N 03.2750). Zwar scheint die kommunale Praxis nicht selten auf den VEP ganz zu verzichten (vgl. Köster, ZfBR 2005, 147). Das allein würde aber nichts an den in § 12 BauGB genannten gesetzlichen Erfordernissen ändern, insbesondere den Durchführungsvertrag bei nur rahmensetzenden Regelungen des Bebauungsplans weitgehend seines Sinns berauben.

b) Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt der Erlass eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans voraus, dass sich der Vorhabensträger auf der Grundlage des VEP vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB im Durchführungsvertrag zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen verpflichtet. Nach Lage der Akten ist der Satzungsbeschluss am 2. April 2009 gefasst worden. Die Unterschriften unter den Durchführungsvertrag tragen das Datum 3. April 2009. Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs hat unter dem 24. Juli 2001 entschieden, dass das zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt (BayVBl 2002, 114).

Fraglich ist auch, ob der Durchführungsvertrag ohne Mitwirkung des zuständigen Ausschusses des Stadtrats der Antragsgegnerin wirksam abgeschlossen werden konnte. Ein entsprechender Beschluss des zuständigen Ausschusses ist nach Lage der Akten nicht gefasst worden.

c) Näher zu prüfen wird auch sein, ob der Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren nach § 13 a BauGB erlassen werden konnte. Dieses Verfahren wäre ausgeschlossen, wenn die Zulässigkeit von Vorhaben begründet würde, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach dem UVPG unterliegen (§ 13 a Abs. 1 Satz 4 BauGB). Eine Pflicht zur Durchführung einer UVP könnte sich sowohl aus § 3 Abs. 1 Satz 1 UVPG als auch aus § 3 c Satz 1 UVPG ergeben, jeweils i.V.m. Nr. 18.8, Nr. 18.6.1 bzw. Nr. 18.6.2 der Anlage 1 zum UVPG.

In diesem Zusammenhang wird gegebenenfalls zu klären sein, welche Konsequenzen sich aus der Geschossflächenzahl (§ 20 Abs. 2 BauNVO) von 1,0 nach Maßgabe der Nr. 18. 6 i.V.m. Nr. 18.8 der Anlage 1 zum UVPG für die Pflicht zur Durchführung einer UVP ergeben. Soweit nur eine Pflicht zur Vorprüfung im Einzelfall nach § 3 c Satz 1 UVPG besteht, wird zu klären sein, ob die nach Aktenlage nur rudimentär zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der Antragsgegnerin zutreffend oder zumindest nachvollziehbar ist (§ 214 Abs. 2a Nr. 4 BauGB).

d) Näherer Prüfung bedarf auch die Festsetzung der immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel (IFSP) nach Nr. 6.0 der textlichen Festsetzungen. Diese Emissionskontingente beziehen sich der Sache nach in erster Linie auf die Verkehrsflächen (Parkplätze, Zufahrtsflächen). Aus dem zugrundeliegenden Gutachten geht hervor, dass die Werte auf die beabsichtigten Öffnungszeiten des Einkaufsmarktes (7 h - 22 h) zugeschnitten sind. Allerdings ist in den angrenzenden allgemeinen Wohngebieten der Zuschlag nach Nr. 6.5 TA Lärm zu berücksichtigen. Das ist offensichtlich in der Weise geschehen, dass der erhöhte Mittelungspegel auf 16 Stunden verteilt (Nr. 6.4 TA Lärm) wurde. Dadurch ergibt sich de facto eine auf den ganzen Tag bezogene Pegelerhöhung, aber kein besonderer Schutz für die Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit. Es wird gegebenenfalls zu klären sein, ob das gewählte Verfahren den Bestimmungen der TA Lärm entspricht.

e) Auf weitere Fragen der Wirksamkeit des Bebauungsplans, etwa die auf das "Erdgeschoss" beschränkte Festsetzung einer Zweckbestimmung des Sondergebiets (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO), kommt es nicht mehr an.

3. Ist somit die Gültigkeit des Bebauungsplans "Sondergebiet Verbrauchermarkt Hochstraße" zweifelhaft, so bestehen dadurch begründete hinreichende Erfolgsaussichten der Antragsteller im Hauptsacheverfahren. Selbst wenn man die Aussichten als nur offen ansähe, würde auch das zur Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung führen. Denn könnte die Beigeladene das Vorhaben vor Eintritt der Bestandskraft der Baugenehmigung realisieren, so bestünde die ernsthafte Gefahr, dass bereits sogenannte "vollendete Tatsachen" geschaffen sind, wenn die Baugenehmigung in einem Hauptsacheverfahren aufgehoben werden sollte. Die Chancen der Antragsteller, in diesem Fall späteren Obsiegens entweder mit Hilfe des Antragsgegners oder aber auch selbst auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Anspruchs den jetzigen Zustand wiederherstellen zu lassen, reichen nicht aus, das Interesse der Antragsteller an der Verhinderung solcher "vollendeter Tatsachen" zu befriedigen (vgl. näher Beschluss des Senats vom 21.12.2001 a.a.O.; Happ, NVwZ 2005, 282).

4. Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO

Streitwert: § 47, § 52 Abs. 1 GKG

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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