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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.02.2008
Aktenzeichen: 15 ZB 05.433
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BImSchG, GG


Vorschriften:

VwGO § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
BImSchG § 3 Abs. 1
BImSchG § 3 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

15 ZB 05.433

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baugenehmigung;

hier: Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Dezember 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Ebersperger,

ohne mündliche Verhandlung am 15. Februar 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist zur Begründung ihres Zulassungsantrags hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

a) Die Klägerin rügt, dass das Verwaltungsgericht die Studie "Untersuchungen zur Schallimmission durch Windenergieanlagen im Erzgebirgsvorland" des Prof. Dr. K. von der Hochschule für Technik und Wirtschaft M. nicht berücksichtigt habe, nach der die Schallausbreitung in Mittelgebirgslagen signifikant durch die orographischen Verhältnisse (das Landschaftsrelief) beeinflusst werde, was erhebliche Abweichungen von den Prognosemodellen der TA Lärm zur Folge habe. Da der TÜV Süddeutschland (TÜV) im Rahmen der Abnahmemessung der Anlage am 4. Februar 2003 nur an einem anderen Immissionsort gemessen habe, hätte das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen dürfen, dass die darauf beruhende Berechnung der Geräuschimmissionen am Anwesen der Klägerin zutreffend sei.

Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Offenbleiben kann insoweit, ob die Aussagen in den Untersuchungen von Prof. Dr. K. auf einer Fehlinterpretation der Messdaten durch die Fachhochschule M. beruhen, wie das der Beklagte unter Hinweis auf die von ihm vorgelegten "Sachinformationen des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen zu Geräuschemissionen und -immissionen von Windenergieanlagen" annimmt. Entscheidend ist bereits, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts über die Einhaltung der in der Baugenehmigung festgesetzten Immissionsrichtwerte von tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) nicht nur auf der vom TÜV auf der Grundlage einer Ersatzmessung (TA Lärm A.3.4) durchgeführten Schallausbreitungsberechnung, sondern auch auf einer Lärmmessung des Landratsamtes am Anwesen der Klägerin beruht. Das Landratsamt hat am 22. September 2004 um 15.45 Uhr eine Lärmmessung unmittelbar an dem 850 m von den beiden Windenergieanlagen entfernten Anwesen der Klägerin vorgenommen. Die Messung ergab bei sehr starkem Wind und einer Anlagenleistung von 95 % der Nennleistung einen Lärmpegel von 46,2 dB(A). Da Anlagengeräusch und Windgeräusch messtechnisch nicht voneinander getrennt werden konnten und das Anlagengeräusch deutlich geringer war als das Windgeräusch, hat das Landratsamt angenommen, dass das Anlagengeräusch deutlich unter 43 dB(A) liegt und somit - mangels einer relevanten Vorbelastung - auch der Immissionsrichtwert für die Nachtzeit von 45 dB(A) eingehalten wird. Selbst wenn man Wind- und Anlagengeräusch als gleich laut quantifizieren würde, ergebe deren Addition einen um 3 dB(A) höheren Lärmpegel. Das bedeute bei dem gemessenen Summenpegel von 46 dB(A), dass das Anlagengeräusch nur 43 dB(A) betragen haben könne und damit unter dem Nachtrichtwert gelegen habe. Diese Annahme ist nicht zweifelhaft.

b) Ob die vom TÜV bei Nennlast der Anlagen vorgenommene Lärmabnahmemessung nach Nr. A. 1.3 der TA Lärm auf den Immissionsort 1 (Hohentann) beschränkt werden und für die Immissionsorte 2 bis 4, zu denen das klägerische Anwesen gehört (Immissionsort 3), rechnerisch, beruhend auf den am Immissionsort 1 ermittelten Messergebnissen, ermittelt werden konnte, kann letztlich auf sich beruhen, schon weil es für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht darauf ankommt, wie die Abnahmemessung durchgeführt wird. Bereits aus den nicht ernstlich zweifelhaften Ergebnissen der Messungen des Landratsamts (vgl. a) ergibt sich, dass die Windkraftanlagen keine schädlichen Lärmimmissionen verursachen. Die im Weg der Ersatzmessung gewonnenen Ergebnisse des TÜV haben nichts Gegenteiliges erbracht.

Soweit die Klägerin einwendet, dass die tagsüber gemessenen Lärmwerte nicht auf die Nachtzeit übertragen werden dürften und während des Nachtzeitraums gesondert gemessen werden müsse, begründet auch dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Richtig ist im Gegenteil, dass der Tagespegel wegen des höheren Umgebungsgeräuschpegels regelmäßig lauter ist als der Nachtpegel. Die Klägerin lässt den vom Landratsamt bei nahezu maximaler Belastung der Windenergieanlagen gemessenen Tageswert außer Acht. Daraus ergibt sich auch die Einhaltung des Nachtrichtwerts (siehe a).

Der Hinweis der Klägerin auf eine Veröffentlichung des zuständigen Sachgebietsleiters des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen, Herrn Detlef P. zu der Frage, ob "Immissionsdaten für die Planung von Quellen, die nachts betrieben werden sollen, auch nachts erhoben werden müssen", kann ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils begründen. Nach dieser Veröffentlichung ist die nächtlich verstärkt auftretende Windrichtungscherung nur im Teillastbereich der Windenergieanlagen akustisch wirksam. Die Abnahmemessung des TÜV am 4. Februar 2003 hat entsprechend der Auflage 1.1.11 der Baugenehmigung bei Nennlastbetrieb, die Messung des Landratsamts bei 95% des Nennlastbetriebs stattgefunden. Auch die Klägerin nimmt nicht an, dass der Teillastbetrieb höhere Schallimmissionen als der Nennlastbetrieb verursacht. Das bedeutet, dass die lärmtechnische Beurteilung aufgrund der während des Tages bei (oder nahezu bei) Nennlastbetrieb durchgeführten Messungen auch für den Nachtzeitraum repräsentativ ist, weil bei Nennlastbetrieb keine akustisch noch wirksame Windrichtungsscherung auftritt. Eine gesonderte Messung der Schallimmissionen zur Nachtzeit ist deshalb auch unter Berücksichtigung der Veröffentlichung von Herrn P. nicht erforderlich.

c) Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, dass das Verwaltungsgericht auf den für die Anlagen festgesetzten maximalen Dauerschallpegel von 105 dB(A) abgestellt habe, der aber ohne nähere Definition maximal zulässiger Windgeschwindigkeiten und genau in der Höhe festzulegender Referenzmesspunkte zur Ermittlung der Windgeschwindigkeit keine Aussagekraft entfalte. Denn in der Auflage 1.1.3 der Baugenehmigung vom 9. Oktober 2001 ist die Angabe des Schallleistungspegels festgelegt auf die Nennleistung der Anlagen bei einer Windgeschwindigkeit von mindestens 12 m/s in Nabenhöhe, d.h. in Höhe von 96,5 m.

d) Die Klägerin wendet weiter ein, das Verwaltungsgericht habe das Verbot der Rücksichtnahme hinsichtlich der Auswirkungen der Windkraftanlagen (u.a. wegen tieffrequenter Geräusche; Infraschall) auf die Epilepsieerkrankung ihres Sohnes nur unzureichend beachtet. Insoweit dürfe nicht auf eine durchschnittliche Empfindlichkeit und Belastbarkeit der Betroffenen abgestellt werden, zumal die Erkrankung ihres Sohnes bereits vor Genehmigung der Anlagen hinlänglich bekannt gewesen sei.

Dieser Einwand greift nicht durch. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt die Aufhebung eines Verwaltungsakts voraus, dass die Klägerin selbst in ihren Rechten verletzt ist, nicht etwa der Sohn der Klägerin. Sie kann sich deshalb nicht auf gesundheitliche Beeinträchtigungen ihres Sohnes berufen, die nach ihrer Behauptung die streitgegenständlichen Windenergieanlagen hervorgerufen haben sollen. Die Berufung auf das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht der Klägerin (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Sohn der Klägerin war bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung volljährig. Soweit eine Rechtsverletzung der Mutter wegen Beeinträchtigung ihres Erziehungsrechts überhaupt in Betracht zu ziehen wäre, dann jedenfalls nur bei minderjährigen Kindern (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2005, RdNr. 424 zu § 42).

Davon abgesehen kommt es bei der Bestimmung der Erheblichkeit von Immissionen i.S. des § 3 Abs. 1 BImSchG nicht auf das Empfinden des jeweils individuell Betroffenen, sondern auf das eines verständigen durchschnittlich empfindlichen Menschen in vergleichbarer Lage an (BVerwG vom 7.5.1996 BVerwGE 101, 157/162; Landmann/Rohmer, BImSchG, RdNr. 15 a zu § 3). Die persönlichen Verhältnisse einzelner Betroffener, wie z.B. besondere Empfindlichkeit oder der Gesundheitszustand, spielen bei der Bewertung nur dann eine Rolle, wenn das fragliche Gebiet - etwa durch eine Einrichtung - insofern geprägt ist (OVG NW vom 18.11.2002 NVwZ 2003, 756; Jarass, BImSchG, 7. Auflage 2007, RdNr. 53 zu § 3). Die Klägerin bezweifelt das zwar in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, nennt aber keine weiterführenden Gründe.

Auch für die angenommenen optischen Wirkungen der Anlagen auf den Sohn kommt es im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme auf das Empfinden eines verständigen durchschnittlich empfindlichen Menschen in vergleichbarer Lage an. Es gibt kein baurechtliches Gebot der Rücksichtnahme, das dem Verursacher einer Einwirkung mehr an Rücksichtnahme zugunsten von Nachbarn gebieten würde, als das Bundesimmissionsschutzgesetz das vorsieht (vgl. BVerwG vom 3.5.1996 NVwZ 1996, 1001/1002; Urteil des Senats vom 17.9.2007 Az. 15 BV 07.142).

2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.

Dieser Zulassungsgrund liegt nicht schon deshalb vor, weil die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit nicht auf den Einzelrichter übertragen oder durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn die Einschätzung der Schwierigkeit der Sache durch das Verwaltungsgericht im Rahmen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und des § 84 Abs. 1 VwGO erzeugt keine Bindung des Berufungsgerichts bei der Entscheidung über den Zulassungsantrag (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 31 zu § 124).

Die Berufung der Klägerin auf ihre Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründet ebenfalls keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten. Aus den unter 1. genannten Gründen sind die Erfolgsaussichten der Klage zu verneinen, ohne dass dabei besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zu überwinden gewesen wären.

3. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob bei der Bewertung des Gebots der Rücksichtnahme auch in Kenntnis der besonderen Betroffenheit Anfallskranker durch die zu errichtende Anlage auf eine durchschnittliche Empfindlichkeit und Belastbarkeit abgestellt werden darf oder spezifische Betroffenheiten von Anfallskranken (z.B. besondere optische Auswirkungen des Anlagenbetriebs oder spezielle akustische Begleiterscheinungen) mit zu berücksichtigen sind, ist nicht klärungsbedürftig. Denn sie ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG vom 7.5.1996 a.a.O.) bereits geklärt (vgl. 1.d).

Die weitere Frage, ob Lärmbewertungen gemäß der TA Lärm ausreichend geeignet sind, die mit dem Betrieb von Windkraftanlagen einhergehenden tieffrequenten Lärmgeräusche ausreichend zu erfassen und in den Bewertungsprozess über die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen adäquat einzustellen, ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt (vgl. BVerwG vom 29.8.2007 NVwZ 2008, 76). Nach ihr kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB i.V. mit § 3 Abs. 1 BImSchG) konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die TA Lärm sieht die Berücksichtigung tieffrequenter Geräusche in Nr. 7.3 ausdrücklich vor. Zugleich führt sie aus, dass die Frage, ob von tieffrequenten Geräuschen schädliche Umwelteinwirkungen auftreten, im Einzelfall nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen ist. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist somit zu bejahen. Im Übrigen wäre sie auch nicht entscheidungserheblich und deshalb nicht klärungsfähig (vgl. 1.d).

4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Gegen § 86 Abs. 1 VwGO hätte das Verwaltungsgericht nur verstoßen, wenn sich ihm weitere Ermittlungen zur Bedeutung der orographischen Situation für die Bewertung der Lärmimmissionen, zur Akzeptanz der vom TÜV durchgeführten Lärmabnahmemessung und zur Relevanz des festgesetzten Dauerschallleistungspegels hätten aufdrängen müssen. Das ist aber - schon aus den unter 1.a) und 1.b) genannten Gründen - nicht der Fall. Im Übrigen hat die Klägerin selbst im ersten Rechtszug keine Notwendigkeit gesehen, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts entsprechende Beweisanträge zu stellen (vgl. dazu Pietzner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 46 zu § 133 m.w.N.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3 und 1, § 52 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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