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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 15 ZB 06.1638
Rechtsgebiete: BayBO, BauGB, BauNVO, VwGO
Vorschriften:
BayBO Art. 70 Abs. 3 | |
BayBO Art. 74 | |
BauGB § 31 Abs. 1 | |
BauGB § 34 Abs. 2 | |
BauGB § 36 Abs. 1 | |
BauNVO § 1 Abs. 3 Satz 2 | |
BauNVO § 3 | |
BauNVO § 14 Abs. 2 Satz 2 | |
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1 | |
VwGO § 42 Abs. 2 |
2. Den Ausnahmefall macht tatbestandlich die Zulässigkeit des Vorhabens trotz seiner grundsätzlich gebietsfremden Charakteristik aus, weil es nach den Verhältnissen des Einzelfalls nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets (ausnahmsweise) nicht widerspricht.
3. Zur Frage planerischer Gestaltungsfreiheit bei der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu einer tatbestandlichen Ausnahme.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Nachbarklage;
hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 09. Mai 2006,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Herrmann
ohne mündliche Verhandlung am 22. Februar 2007
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung vorgetragen hat (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Danach ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BauNVO können in den Baugebieten fernmeldetechnische Nebenanlagen als Ausnahme zugelassen werden. Der Begriff der Nebenanlage erfordert eine dienende Funktion der Anlage. Sie "dient" einer - nicht notwendig im Baugebiet selbst gelegenen - "Hauptanlage" (vgl. im Einzelnen BayVGH vom 1.7.2005 NVwZ-RR 2006, 234 = BayVBl 2006, 469). Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juli 1999 (NVwZ 2000, 694), auf den sich der Kläger bezieht, befasst sich mit dem Begriff der fernmeldetechnischen Nebenanlage nicht näher.
Die dienende Funktion sieht der Kläger infolge der Größe der konkreten Anlage nicht gewahrt. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Begriff der Nebenanlage auch eine solche räumlich-gegenständliche Komponente umfasst (vgl. in diesem Sinn HessVGH vom 6.12.2004 ZfBR 2005, 278; amtliche Begründung zum Entwurf der BauNVO 1990, BR-Drs. 354/89, Anwendungsbeispiele S. 57). Vieles spricht dafür, dass sich die Frage der Größe und optischen Wirkung der Anlage nicht beim Begriff der Nebenanlage selbst, sondern im Zusammenhang damit stellt, ob sie, da im reinen Wohngebiet nicht nach § 3 Abs. 2 BauNVO gebietstypisch, im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als Ausnahme zugelassen werden kann. Jedenfalls hat die konkrete Anlage, wie die Photographien in den Akten zeigen, keine Größe und/oder optische Dominanz, die den Begriff der Nebenanlage selbst in Frage stellen könnte. Dass die Anlage aus gewissen Perspektiven ins Auge fällt, ist für bauliche Anlagen nahezu jeder Art typisch.
Den Charakter einer Nebenanlage im Sinn des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO besitzt das streitgegenständliche Vorhaben auch dann, wenn die Antennenanlage nicht nur die Gemeinde Tegernheim, sondern auch den unmittelbar benachbarten Regensburger Ortsteil Schwabelweis erfasst. Es entspricht nahezu allgemeiner Auffassung, dass nur die in § 14 Abs. 1 BauNVO genannten Nebenanlagen auf den Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst beschränkt sein müssen. Bezugspunkt für den untergeordneten Charakter der Anlage ist im Fall des § 14 Abs. 1 BauNVO die bauliche (Haupt-)Nutzung im Baugebiet. In § 14 Abs. 2 BauNVO dagegen bezieht sich der Begriff "Nebenanlage" nicht (nur) auf die bauliche Nutzung des Baugebiets, sondern auf die Gesamtheit des die "Hauptanlage" bildenden jeweiligen Versorgungs- oder Entsorgungssystems (vgl. BayVGH vom 1.7.2005 a.a.O.; König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, RdNr. 30 zu § 14).
b) Der Zulässigkeit der Mobilfunkantenne steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem Vorhaben um eine "emittierende Anlage (handelt), die generell zu einer Wertminderung der Umgebungsbebauung führen kann". Die Anlage genügt den Vorschriften der 26. BImSchV zum Schutz von Personen in elektromagnetischen Feldern (Standortbescheinigung vom 16. 11. 2004). Die Wertminderung, die bei Baugrundstücken in der Nachbarschaft von Infrastruktureinrichtungen eintreten kann, realisiert die Situationsgebundenheit des Eigentums und rechtfertigt es nicht, dem Vorhaben die "dienende Funktion" und den Charakter einer "Nebenanlage" im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO abzusprechen. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 2006 (NJW 2006, 2187) befasst sich mit den privaten Rechtsverhältnissen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft und gibt für die bauplanungsrechtliche Bewertung des Vorhabens nichts her.
c) Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BauNVO können fernmeldetechnische Nebenanlagen nur "als Ausnahme" zugelassen werden. Die Zulassung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB (i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB) ist nicht von einer atypischen Situation abhängig (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, RdNr. 25 zu § 31; Dürr in Brügelmann, BauGB, RdNr. 19 f. zu § 31; VGH BW vom 25.1.1995 ZfBR 1995, 219; a.A. wohl noch Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 1. Auflage 1995, § 8 RdNr. 19). Die Ausnahme ist in den planungsrechtlichen Vorschriften bereits angelegt (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 1 Abs. 3 Satz 2, § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO). Was den Ausnahmefall tatbestandlich ausmacht und ihn rechtfertigt, ist die Zulässigkeit des Vorhabens trotz seiner grundsätzlich gebietsfremden Charakteristik, weil es nach den Verhältnissen des Einzelfalls nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets (ausnahmsweise) nicht widerspricht (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO; a.A. Roeser in Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Auflage 2002, RdNr. 7 zu § 31, der insoweit von einer Ermessensfrage ausgeht). Einen solchen Widerspruch löst das Vorhaben nicht aus. Es handelt sich um die einzige Mobilfunkanlage in dem Baugebiet, die auch in ihrem Umfang den städtebaulichen Rahmen des Ausnahmefalls noch nicht sprengt.
d) Es kann offen bleiben, ob das Landratsamt befugt war, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, dessen die Erteilung einer Ausnahme bedarf (§ 36 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB). Es spricht Manches dafür, dass der Gemeinde bei der Erteilung des Einvernehmens zu einer (tatbestandlichen) Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB noch eine planerische Gestaltungsfreiheit verbleibt (Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, 4. Auflage 2005, RdNr. 28 zu § 31 BauGB; im Ergebnis auch Roeser a.a.O.). Allerdings kann diese Gestaltungsfreiheit nicht dazu genutzt werden, die Zulässigkeit des Ausnahmevorhabens mit im Baugebiet generell wirkenden Gründen abzulehnen. Der Kläger könnte sich jedoch nur auf eine Verletzung seiner eigenen Rechte, nicht aber auf eine etwaige Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde Tegernheim berufen (§ 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Gemeinde hat die Ersetzung ihres Einvernehmens durch das Landratsamt hingenommen. Damit ist die planerische Entscheidung für das Vorhaben jedenfalls gefallen.
e) Nach § 31 Abs. 1 BauGB kann die Ausnahme zugelassen werden. Es bleibt dahingestellt, ob die Bauaufsichtsbehörde (neben einer eventuellen planerischen Entscheidung der Gemeinde nach § 36 BauGB) noch einen Spielraum hat. Der Kläger erörtert im Zulassungsantrag wiederum die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO und hält eine andere Ausübung des Ausnahmeermessens für richtiger. Das begründet keine ernstlichen Zweifel. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht städtebauliche Gesichtspunkte sowie den durch den Versorgungszweck vorgegebenen Standortbezug als abwägungserheblich angesehen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a. a. O., RdNr. 30). Die vom Kläger bestrittene "privilegierende Tendenz" der Vorschrift ergibt sich bereits aus der infrastrukturellen Zweckbestimmung der von ihr erfassten Anlagen. Im Übrigen wendet sich der Kläger gegen zahlreiche Ausführungen und Argumente des Verwaltungsgerichts und der Beklagten, ohne aber eine Fehlgewichtung oder sonstige Ermessensfehler darzulegen.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Auch insoweit kommt es darauf an, was der Kläger innerhalb offener Frist zur Begründung seines Zulassungsantrags hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die diesbezüglichen Ausführungen im Zulassungsantrag decken sich mit dem, was zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorgetragen wird, ohne dass sich insoweit besondere Schwierigkeiten ergeben hätten.
3. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel, der der Beurteilung des Verwaltungsgerichtshofs unterliegt (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
a) Der gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, jedes Vorbringen des Klägers in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (Eyermann/Schmidt, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 17 zu § 138 m. w. N.). Auf den vom Kläger hervorgehobenen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juli 1999 musste das Verwaltungsgericht nicht gesondert eingehen. Diese Entscheidung lehnt es zwar ab, § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO auf eine Mobilfunk-Antennenanlage anzuwenden, geht aber nicht näher auf die unterschiedliche Bedeutung ein, in der der Begriff "Nebenanlage" in § 14 BauNVO Verwendung findet.
b) Die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) greift ebenfalls nicht durch. Den mit den Antragsunterlagen vorgelegten technischen Zeichnungen ist zu entnehmen, dass sich die Antennenanlage zwar von den üblichen Hausantennen abhebt, aber dennoch optisch nur untergeordnet in Erscheinung tritt. Bei dieser Sachlage musste sich dem Verwaltungsgericht die Einnahme eines Augenscheins nicht aufdrängen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Beigeladene hat sich am Zulassungsverfahren nicht beteiligt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Ende der Entscheidung
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