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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 04.02.2009
Aktenzeichen: 19 B 08.2774
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 26 Abs. 4 Satz 1 | |
AufenthG § 81 Abs. 4 |
2. § 26 Abs. 4 AufenthG ermöglicht nach Wortlaut und systematischer Stellung sowie Sinn und Zweck die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts unabhängig von den Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen des befristeten Aufenthaltsrechts. Eine bereits in der Lebenswirklichkeit vollzogene innerstaatliche Integration soll auch rechtlich nachvollzogen werden können (im Anschluss an VGH BW, Beschluss vom 29.5.2007 - 11 S 2093/06 -, EZAR-NF 24 Nr. 5).
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Ausländerrechts;
hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2. April 2008,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 19. Senat, durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Krodel, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Kögler, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Mayer
ohne mündliche Verhandlung am 4. Februar 2009
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2. April 2008 und der Bescheid der Stadt Nürnberg vom 2. August 2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG bei der Berechnung der Sieben-Jahres-Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG.
1. Der am *** ***** **** geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste seinen eigenen Angaben zufolge am 16. Mai 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. Mai 2000 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 4. März 2001 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Der Kläger erhielt daraufhin am 28. März 2001 einen internationalen Reiseausweis und eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 5. September 2006.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2006 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Feststellung aus dem Bescheid vom 4. März 2001 und stellte zugleich fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben seien. Diese Entscheidung ist seit dem 19. Mai 2006 rechtskräftig. Am 4. September 2006 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 16. Mai 2007 ließ er ferner eine Niederlassungserlaubnis beantragen.
2. Mit Bescheid vom 2. August 2007 lehnte die Beklagte die Erteilung eines Aufenthaltstitels ab und drohte dem Kläger unter Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise die zwangsweise Abschiebung in den Irak an. Dagegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten am 20. August 2007 Klage erheben und beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2007 zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis, hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Beklagte trat dem entgegen und beantragte, die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 27. September 2007 lehnte das Verwaltungsgericht die weiteren Anträge des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Auf die dagegen erhobenen Beschwerden wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts durch die Beschlüsse des Senats vom 10. Dezember 2007 - 19 C 07.2829 - und 23. Januar 2008 - 19 CS 07.2828 - aufgehoben und dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt sowie die aufschiebende Wirkung seiner Klage angeordnet.
3. Mit Urteil vom 2. April 2008 wies das Verwaltungsgericht die Klage im Haupt- und Hilfsantrag als unbegründet ab. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG komme nicht in Frage, weil der Kläger nicht seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes besitze. Der Kläger habe sich am 17. Mai 2000 als Asylbewerber gemeldet und Asylantrag gestellt. Die Aufenthaltserlaubnis sei jedoch nur bis zum 5. September 2006 gültig gewesen.
Das Erfordernis des siebenjährigen Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis erfülle der Kläger ebenso wenig dadurch, dass die Beklagte erst mit Bescheid vom 2. August 2007 über den am 4. September 2006 gestellten Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis entschieden habe. Die Zeit von der Antragstellung bis zur Entscheidung über den Antrag sei auch unter Berücksichtigung von § 81 Abs. 4 AufenthG nicht auf die Sieben-Jahres-Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG anzurechnen. Die Fiktion des Fortbestehens des Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG sei mit dem Besitz des Aufenthaltstitels, den § 26 Abs. 4 AufenthG voraussetze, nicht gleichzustellen.
Nach der Vorgängerregelung des § 69 Abs. 3 AuslG 1990 habe der Aufenthalt eines rechtmäßig im Bundesgebiet ansässigen Ausländers dann, wenn er - rechtzeitig - die Erteilung oder die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung beantragt habe, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag als erlaubt gegolten. Folge dieser Fiktion sei allein die Legalisierung des Aufenthalts gewesen. Der Ausländer sei aber nicht so gestellt worden, als ob er bereits im Besitz der Aufenthaltsgenehmigung gewesen sei. Nichts spreche für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 81 Abs. 4 AufenthG die Rechtsposition des Ausländers abweichend von § 69 Abs. 3 AuslG 1990 derart verbessern wollen, dass die Zeit der Fiktionswirkung in die Sieben-Jahres-Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG einzurechnen sei. Ebenso wenig lasse der Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG erkennen, dass die Fiktionswirkung dem tatsächlichen Besitz eines Aufenthaltstitels habe gleichgestellt werden sollen. Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der Verweis auf Nr. 81.4.1 der vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz, wonach der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt. Damit solle lediglich sichergestellt werden, dass der betroffene Ausländer in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht so gestellt werde, wie er durch seinen abgelaufenen Aufenthaltstitel gestanden habe.
Auch aus dem Beschluss des Sächsischen OVG vom 29. März 2007 - 3 BS 113/06, EZAR-NF 24 Nr. 1 folge nichts anderes. Die im Beschluss des Senats vom 23. Januar 2008 - 19 CS 07.2828 - für den Fall einer Nichtberücksichtigung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG geäußerte Befürchtung einer Dispositionsmöglichkeit der Ausländerbehörde über die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG könne die Kammer nicht teilen. Ebenso wenig sei die vom Senat vertretene Auffassung einer unterschiedlichen Betrachtung des Besitzes eines Aufenthaltstitels im Zusammenhang mit § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 und § 26 Abs. 4 AufenthG nachvollziehbar und verständlich.
Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe dem Kläger nicht zu. Der Hilfsantrag sei deshalb ebenfalls unbegründet. Weder könne der Kläger ein Aufenthaltsrecht direkt aus Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes ableiten, noch habe er Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz (IMK-Beschluss) vom 17. November 2006, noch nach der Altfallregelung des § 104 a AufenthG.
4. Auf Antrag des Klägers ließ der Senat die Berufung mit Beschluss vom 16. Oktober 2008 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) unter gleichzeitiger Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu.
Zur Begründung der Berufung lässt der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 28. Oktober 2008 im Wesentlichen vortragen, bei der Berechnung des Sieben-Jahres-Zeitraumes für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Fiktionsbescheinigung einzurechnen. Dies ergebe sich sowohl aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/420, S. 96) und Nr. 81.4.1 der vorläufigen Anwendungshinweise als auch aus der Entscheidung des Sächsischen OVG vom 29. März 2007 - 3 BS 113/06 -, EZAR-NF 24 Nr. 1.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2007 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 2. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis, hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie in ihrer Erwiderung vom 11. Dezember 2008 vollumfänglich auf die für zutreffend erachteten Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die Dauer der fiktiven Fortgeltung des bisherigen Aufenthaltstitels sei bei der Berechnung der Siebenjahresfrist des § 26 Abs. 4 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber habe die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG dem tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleichstellen wollen. Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2009 trug sie ergänzend vor, aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2005 - 1 C 18/04 -, BVerwGE 124, 326 (331 f.) könne geschlossen werden, dass § 26 Abs. 4 AufenthG - ungeschrieben - voraussetze, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes bei der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis weiterhin vorliegen müssten, was vorliegend jedoch gerade nicht der Fall sei. Im Übrigen komme die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch deshalb nicht in Frage, weil der Kläger seiner Passpflicht nicht genügt habe (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).
5. Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt; sie vertritt unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 19. September 2008 ebenfalls die Auffassung, dass die Dauer der fiktiven Fortgeltung des bisherigen Aufenthaltstitels bei der Berechnung der Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG nicht zu berücksichtigen sei. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Betroffene während der Fiktionszeit Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gehabt hätte. § 81 AufenthG wolle bei rechtzeitiger Antragstellung negative Folgen, die sich aus einer längeren Bearbeitungsdauer ergeben könnten, abfangen, nicht aber dem Antragsteller auf Dauer Vorteile verschaffen. Der Betroffene solle nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als wenn über seinen Antrag sofort entschieden worden wäre.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den gesamten Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat im Hauptantrag Erfolg. Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht nicht stattgegeben. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis zu. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 2. August 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis folgt aus § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG wird dabei die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens auf die Frist angerechnet.
a) Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG sind - auch nach den insoweit übereinstimmenden Ausführungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (vgl. hierzu Niederschrift vom 2. April 2008, S. 2 - Bl. 93 d. VG-Akte) - erfüllt. Der Lebensunterhalt des Klägers (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) ist durch Erwerbstätigkeit dauerhaft gesichert (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.2006 - 11 LB 127/06 - Juris). Der Kläger steht seit dem 15. Juni 2006 in einem unbefristeten Vollzeit-Arbeitsverhältnis als Koch und erzielt einen Nettoverdienst in Höhe von 990,83 EUR monatlich (vgl. Bl. 185 u. 198 d. Behördenakte). Vom Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, der Einzahlung von 60 Monaten Pflichtbeiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung, ist der Kläger gemäß § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG befreit, da er sich bereits vor dem 1. Januar 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis befunden hat. Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegen nicht vor. Dem Kläger ist die Beschäftigung gestattet (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Er besitzt hierfür auch die erforderlichen Erlaubnisse (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AufenthG). Hinsichtlich der Voraussetzung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) ist nach der Übergangsregelung des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lediglich erforderlich, dass sich der Kläger auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Koch und des nunmehr über sieben Jahre währenden Aufenthalts in der Bundesrepublik ist dies gewährleistet. Vom Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG (Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet) ist der Kläger gemäß § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG befreit. Ausreichender Wohnraum (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG) ist ebenfalls vorhanden.
b) Der Kläger erfüllt des Weiteren auch die Voraussetzung des siebenjährigen Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis. Auf diese Frist ist nicht nur die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens (§ 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG), sondern gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG auch die Zeit von der Stellung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bis zur Entscheidung der Behörde über den Antrag anzurechnen (so jüngst auch ******, der für Fragen des Aufenthaltsrechts verantwortlich zeichnende Referent des BMI, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 RdNr. 770; siehe auch Heinhold, ZAR 2008, 161 [163 f.]; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2008, RdNr. 17 zu § 26 AufenthG; a.A. noch Renner, AuslR, 8. Aufl., 2005, RdNr. 11 u. 8 zu § 26 AufenthG und RdNr. 27 zu § 81 AufenthG). Die Fiktion des Fortbestehens des Aufenthaltstitels, über die dem Kläger eine entsprechende Bescheinigung (§ 81 Abs. 5 AufenthG) erteilt wurde, steht dem Besitz des Aufenthaltstitels, den § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG voraussetzt, gleich (so auch HK-AuslR/Hofmann, § 81 RdNr. 33).
aa) Dies ergibt sich unmittelbar aus der Entstehungsgeschichte, vor allem der amtlichen Begründung zur Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG und deren Wortlaut. Der Bundestagsdrucksache 15/420, S. 96 ist hierzu Folgendes zu entnehmen:
"In Absatz 4 wird eine Sonderregelung für die Fälle getroffen, in denen der Betroffene bereits einen Aufenthaltstitel besaß. In diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels (oder z. B. der Beantragung einer Niederlassungserlaubnis) gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt wird." [Hervorhebung des Senats]
Die darin gewählte Formulierung "in diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels (...) gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen ... als fortbestehend" und der Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG lassen eine andere Schlussfolgerung schwerlich zu. Der Gesetzgeber hat - anders als bei der Vorgängerregelung des § 69 Abs. 3 AuslG 1990 - nicht lediglich eine Erlaubnisfiktion, sondern eine Titelfiktion angeordnet. Wörtlich ist hierzu in BT-Drs. 15/420, S. 96 Folgendes ausgeführt:
"Eine Erlaubnisfiktion wäre in diesen Fällen nicht ausreichend, da damit insbesondere die Frage der Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit offen bliebe." [Hervorhebung des Senats]
Damit hat der Gesetzgeber bewusst mit der Systematik des "alten" Ausländerrechts gebrochen und die Fiktionswirkung insgesamt auf eine neue Grundlage gestellt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.06.2006 - 2 M 167/06 - juris; HessVGH, Beschluss vom 28.12.2006 - 12 TG 2396/06 -, AuAS 2007, 74). Nicht der Aufenthalt wird als erlaubt fingiert, sondern der Titel in der Hand des Berechtigten selbst. Die Fiktion des Titels steht daher dem Besitz des Titels gleich. Dies ergibt sich im Übrigen auch bereits aus dem Begriff der Fiktion selbst, nach dem eine in Wahrheit nicht bestehende Tatsache als bestehend behandelt wird.
Dass sich die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG lediglich auf die Frage der Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder sonstiger Fragen des arbeits- und sozialrechtlichen Bereichs beziehen würde, kann der Gesetzesbegründung nicht entnommen werden. Zum einen macht bereits die Verwendung des Wortes "insbesondere" deutlich, dass sich die Regelung nicht nur auf die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder sonstige arbeits- oder sozialrechtlichen Fragen beschränken soll. Zum anderen lässt die Formulierung "gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen ... als fortbestehend" Zweifel hinsichtlich einer umfassenden Fortgeltung, die zugleich auch das Erfordernis des Besitzes eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in sich schließt, nicht zu. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen auch aus dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG selbst.
Der Wechsel des Gesetzgebers von der Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG 1990 zur Titelfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt eine wesentliche Verbesserung der Rechtsstellung der Betroffenen und trägt damit zugleich der in § 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG niedergelegten Zielsetzung Rechnung, Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit zu ermöglichen und zu gestalten.
Ungeachtet dessen führt auch der in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 96) enthaltene Klammerzusatz
"in diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels (oder z. B. der Beantragung einer Niederlassungserlaubnis) gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen ... als fortbestehend ...", [Hervorhebung des Senats]
in welchem die Beantragung einer Niederlassungserlaubnis und damit letztlich auch der Fall des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausdrücklich angesprochen ist, zu dem Schluss, dass die Zeit der fiktiven Fortgeltung der Aufenthaltserlaubnis auf die Frist des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG anzurechnen ist. Bestätigung findet dieser Befund ferner auch in Nr. 81.4.1 der vorläufigen Anwendungshinweise, die insoweit Folgendes ausführen:
"In Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels oder der Beantragung eines anderen Aufenthaltstitels (z. B. einer Niederlassungserlaubnis) gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, ..."
Mit der Anerkennung einer Fortgeltungsfiktion wird im Übrigen auch kein Neuland beschritten. Bereits unter der Geltung des AuslG 1990 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Zeit des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (nunmehr § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) die Zeit von der Versagung der Aufenthaltserlaubnis bis zur Erteilung oder Verlängerung aufgrund eines erfolgreichen Rechtsbehelfs gleichzustellen sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.1995 - 1 C 7.94 -, BVerwGE 98, 313 [321 f.]). Die Rechtslage kann keine andere sein, wenn der Gesetzgeber selbst eine solche Rechtsfolge für den Fall der Beantragung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels oder des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis angeordnet hat.
bb) Endlich zwingt auch die ratio legis des § 81 Abs. 4 AufenthG zur Anrechnung des Fiktionszeitraums auf die Frist des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Die Fortgeltungsfiktion in § 81 Abs. 4 AufenthG bezweckt, dass der Ausländer nach rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrags von den Rechtswirkungen seiner seitherigen Aufenthaltserlaubnis weiterhin Gebrauch machen können soll. Die Fiktion der Fortgeltung des Aufenthaltstitels will sicherstellen, dass Vorschriften, die an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, weiterhin anwendbar bleiben (vgl. HessVGH, Beschluss vom 28.12.2006 - 12 TG 2396/06 -, AuAS 2007, 74 f.). Letzteres setzt voraus, dass Regelungen des Aufenthaltsrechts, die an den Besitz eines solchen Titels anknüpfen, auch im Falle des § 81 Abs. 4 AufenthG zur Anwendung kommen. Die Ausländerbehörde hätte es ansonsten in der Hand, durch "planvolles Nichtentscheiden" über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder der Erteilung der Niederlassungserlaubnis (vgl. hierzu auch Heinhold, ZAR 2008, 161 [164]) den Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - namentlich das Erreichen der Sieben-Jahres-Frist - zu verhindern und dem Betroffenen damit den durch § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG garantierten Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts zu nehmen, obwohl der Antragsteller auch während des Fiktionszeitraums an seiner Integration - vor allem der nachhaltigen Sicherung seines Lebensunterhalts - arbeitet und damit eine Anwartschaft auf aufenthaltsrechtliche Verfestigung erwirbt. In seinem Vertrauen hierauf ist der Betroffene schutzwürdig und auch schutzbedürftig. Die Fiktion des Aufenthaltstitels stellt diesen Schutz sicher, in dem sie für den Zeitraum, den die Behörde zu ihrer Entscheidung benötigt, eine Hemmung des Fristlaufs verhindert. Dabei bleibt es der Ausländerbehörde unbenommen, den Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen durch eine rasche, die Verlängerung ablehnende Entscheidung vor Ablauf der Sieben-Jahres-Frist zu verhindern und ein Erstarken der Anwartschaft des Betroffenen zum dauerhaften Aufenthaltsrecht rechtzeitig vor Eintritt der Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG zu verhindern, sofern nach dem Widerruf der Anerkennung der Asylberechtigung oder dem Widerruf der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und der Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG nicht mehr und die des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG nicht oder noch nicht vorliegen.
cc) Durch die Anrechnung des Fiktionszeitraums auf die Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG wird zugleich ein Konflikt mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und dem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) vermieden:
Hätte die Behörde rechtzeitig vor Ablauf der Siebenjahresfrist ablehnend über die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entschieden, so wäre dem Betroffenen hiergegen der Rechtsweg offen gestanden verbunden mit der Möglichkeit, sich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Mai 1995 - 1 C 7.94 -, BVerwGE 98, 313 (321 f.) zugleich auch im Besitz seiner Anwartschaft auf aufenthaltsrechtliche Verfestigung zu halten. Sieht die Ausländerbehörde hingegen von einer Entscheidung über den Verlängerungsantrag vor Erreichen der Siebenjahresfrist ab, so ist dem Betroffenen ohne Anrechnung des Fiktionszeitraums ein Sich-Berufen-Dürfen auf die Rechtsfolgenverheißung des § 26 Abs. 4 AufenthG nach Eintritt der genannten Frist von vornherein verschlossen. Zwar ließe sich einwenden, der Betroffene könne Untätigkeitsklage erheben. Dabei wird jedoch übersehen, dass diese gemäß § 75 VwGO regelmäßig erst nach Ablauf von drei Monaten zulässig ist. Ohne Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Titelfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG ließe sich dieser Zeitraum nicht "überbrücken".
Nicht anders verhält es sich in den Fällen des § 79 Abs. 2 AufenthG, also dann, wenn die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines anhängigen Ermittlungsverfahrens auszusetzen ist. Wird das Ermittlungsverfahren später eingestellt und die begehrte Verlängerung ausgesprochen, so könnte ohne Anrechnung des Fiktionszeitraums gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG keine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt werden - ein schlechthin untragbares, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringendes Ergebnis.
Nach Auffassung des Senats sprechen deshalb die überzeugenderen Gründe dafür, die Fiktionszeit bei der Berechnung der Siebenjahresfrist des § 26 Abs. 4 AufenthG zu berücksichtigen. Andernfalls müsste dieser Zeitraum in allen Fällen einer nachträglichen Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels rückwirkend wieder "aufgefüllt" werden. Dafür, wie dies rechtsdogmatisch erreicht werden soll, bleibt die Gegenauffassung (vgl. insoweit etwa Renner, AuslR, 8. Aufl., 2005, RdNr. 11 u. 8 zu § 26 AufenthG und RdNr. 27 zu § 81 AufenthG) eine Begründung schuldig. Diese Schwierigkeiten lassen sich von vornherein vermeiden, wenn - dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragend - die Fiktion des Fortbestehens des Aufenthaltstitels dem Besitz des Titels gleichgestellt wird.
dd) Dem stehen die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. April 2006 - 19 ZB 06.185 - und 18. September 2006 - 19 CS 06.1713 - nur scheinbar entgegen (vgl. hierzu auch Heinhold, ZAR 2008, 161 [163 f.]). Daran hält der Senat trotz der Kritik des Verwaltungsgerichts fest. Beide Beschlüsse betreffen ausschließlich die Frage, ob es für das Bestehen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG auf den tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ankommt oder ob auch das Vorliegen einer Fiktionsbescheinigung (§ 81 Abs. 5 AufenthG) genügt. Der Senat hat diese in den oben angeführten Entscheidungen im ersteren Sinne beantwortet und festgestellt, dass die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG dem tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleich stehe. Aus dieser allein auf den Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG bezogenen Feststellung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass dies auch im Rahmen des § 26 Abs. 4 AufenthG so sein müsse (so aber VG Ansbach, Beschluss vom 22.8.2007 - AN 19 K 07.1694 und VG Augsburg, Beschluss vom 26.4.2007 - Au 1 S 07.232).
Während die Berücksichtigung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG im Rahmen des § 26 Abs. 4 AufenthG bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zum Entstehen eines Aufenthaltstitels in Form der Niederlassungserlaubnis führt und damit Rechtswirkungen lediglich im Hinblick auf die Verfestigung eines bereits in der Vergangenheit begründeten Aufenthaltsrechts erzeugt, indem der bisherige Aufenthaltstitel während des Zeitraums der Entscheidung der Ausländerbehörde über die Verlängerung als fortbestehend gilt und bei der Berechnung der Sieben-Jahres-Frist zu beachten ist, würde die Berücksichtigung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG im Rahmen des § 56 AufenthG zur Anerkennung von Rechtswirkungen führen, die in diesen Fällen regelmäßig nicht mehr in Betracht kommen können, weil es infolge des Vorliegens eines Ausweisungstatbestandes an einer Verlängerungsmöglichkeit fehlt (vgl. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Im Fall des § 26 Abs. 4 AufenthG hat die Berücksichtigung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG bei der Berechnung der Sieben-Jahres-Frist mithin lediglich zur Folge, dass dem Antragsteller aus dem "planvollen Nichtentscheiden" der Behörde kein Nachteil erwächst; im Fall des § 56 AufenthG würde sie hingegen dazu führen, dass dem Antragsteller ein Vorteil nur deshalb entstünde, weil die Behörde - möglicherweise aus Zeitmangel - noch nicht abschlägig über den Verlängerungsantrag entscheiden konnte, obwohl bereits feststeht, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aufgrund des Vorliegens eines Ausweisungstatbestandes nicht (mehr) gegeben sind.
Daraus folgt, dass die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG im Fall des § 26 Abs. 4 AufenthG und im Fall des § 56 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG nicht einheitlich und gleichermaßen zur Anwendung kommen kann und muss. Während im Zusammenhang mit § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Sinn und Zweck des Aufenthaltsgesetzes, Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit zu ermöglichen und zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), zum Tragen kommt und zur Anrechnung des Fiktionszeitraums auf die Sieben-Jahres-Frist zwingt, steht der mit § 56 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG verfolgte Zweck, den Zuzug und Aufenthalt - vor allem in Fällen strafrechtlicher Delinquenz - zu steuern und zu begrenzen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), einer Anrechnung entgegen, weshalb der Anwendungsbereich des § 81 Abs. 4 AufenthG insoweit der Beschränkung bedarf. Darin mag man eine gewisse Widersprüchlichkeit erkennen; diese ist jedoch Ausdruck der mit dem Aufenthaltsgesetz verfolgten unterschiedlichen Zwecksetzungen und damit vom Gesetzgeber durchaus gewollt und deshalb hinzunehmen. Es handelt sich insoweit um nicht mehr und nicht weniger als eine durch den Gesetzeszweck gebotene teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs einer Norm. Diese auf der Grundlage der vom Normgeber in der amtl. Begründung (BT-Drucks. 15/420, S. 96) zum Ausdruck gebrachten Intentionen verbindlich festzustellen, ist Aufgabe richterlicher Gewalt. Will man sich dem nicht anschließen, so wäre - im Sinne einer einheitlichen Betrachtung - die Aufgabe der zu § 56 AufenthG ergangenen Senatsrechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 12. April 2006 - 19 ZB 06.185 - und 18. September 2006 - 19 CS 06.1713) die notwendige Folge (siehe insoweit auch bereits HessVGH, Beschluss vom 28.12.2006 - 12 TG 2396/06 -, AuAS 2007, 74 [75]).
Der Kläger hat sich am 17. Mai 2000 als Asylbewerber gemeldet und Asylantrag gestellt. Die Aufenthaltserlaubnis war zunächst bis zum 5. September 2006 gültig. Am 4. September 2006 - und damit rechtzeitig - hat der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt. Hierüber hat die Beklagte erst mit Bescheid vom 2. August 2007 und damit nach Ablauf der Sieben-Jahres-Frist am 16. Mai 2007 entschieden. Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt.
c) Die Vorschrift verlangt entgegen der Annahme des Bayer. Staatsministeriums des Innern und der Beklagten nicht, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungserlaubnis die Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt noch vorliegen. Der Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen zu diesem Zeitpunkt steht der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht entgegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.5.2007 - 11 S 2093/06 -, EZAR-NF 24 Nr. 5, Seite 3 f.; Sächs. OVG, Beschluss vom 29.3.2007 - 3 BS 113/06 -, EZAR-NF 24 Nr. 1, Seite 3; Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 RdNr. 769; Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreutzer, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2. Aufl., 2008, § 26 RdNr. 7; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2008, RdNr. 23 zu § 26 AufenthG; a.A. nur OVG NW, Beschluss vom 12.1.2005 - 18 B 60/05 -, juris). § 26 Abs. 4 AufenthG ermöglicht nach Wortlaut, systematischer Stellung sowie Sinn und Zweck die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts unabhängig von den Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen des befristeten Aufenthaltsrechts. Die Vorschrift ermächtigt zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausdrücklich "im Übrigen" und setzt sich damit nach Wortlaut und Systematik nicht nur vom Verlängerungsverbot des § 26 Abs. 2 AufenthG und dem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, sondern auch von der Voraussetzung der Erfüllung eines der Tatbestände der §§ 22 bis 25 AufenthG vollständig durch das Erfordernis eines - auch im Verhältnis zur Fünf-Jahres-Frist nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG - deutlich längeren Besitzes eines Aufenthaltstitels nach dem fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes sowie den weiteren Integrationsanforderungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG ab. Die Regelung hat damit - ebenso wie § 35 Abs. 1 AuslG 1990 - allein die wirtschaftlich, sozial und sprachlich gelungene Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland im Auge. Der Wegfall der Voraussetzungen nach §§ 22 bis 25 AufenthG kann der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG deshalb nicht entgegengehalten werden, solange der Ausländer sich noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes befindet (so mit Recht VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.5.2007 - 11 S 2093/06 -, EZAR-NF 24 Nr. 5, Seite 3 f.), wofür gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG der Besitz einer Fiktionsbescheinigung und damit die rechtzeitige Stellung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis genügt (vgl. statt aller Maaßen in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 RdNr. 770).
Die hiervon abweichende Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern lässt nicht nur diesen Zusammenhang unberücksichtigt; sondern auch Bedeutung und Tragweite des Begriffs der Fiktion und kann deshalb der Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden. Der zunächst lediglich temporäre Schutz des Flüchtlings kann sich aufgrund fortschreitender Verwurzelung zu einem Daueraufenthalt weiterentwickeln. Eine bereits in der Lebenswirklichkeit faktisch vollzogene innerstaatliche Integration in die sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik soll auch rechtlich nachvollzogen werden können (vgl. Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., 2008, § 26 RdNr. 7; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2008, RdNr. 23 zu § 26 AufenthG).
Dem steht, anders als die Beklagte offenbar meint, auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2005 - 1 C 18.04 -, BVerwGE 124, 326 (331 f.) nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht befasst sich in dieser Entscheidung ausschließlich mit der Frage der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, ohne sich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG, dem Wortlaut, der systematischen Stellung oder dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift zu verhalten. Soweit ersichtlich, messen auch die eingangs erwähnten Stimmen in Rechtsprechung und Literatur der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Anwendungsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG keine Bedeutung bei.
Nach allem liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vor.
2. Die Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis steht zwar gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde. Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen einer Ermessensreduktion auf Null erfüllt. Liegen die strengen Anforderungen des § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG vor, so ist das behördliche Ermessen regelmäßig durch den Normzweck und die gesetzgeberische Intention, Zuwanderung zu ermöglichen und zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), intendiert. Eine Ausübung des Ermessens zu Ungunsten des Antragstellers kann nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor. Ebenso wenig steht die Nichterfüllung der Passpflicht der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegen, da hiervon gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach Ermessen abgesehen werden kann und die Voraussetzungen hierfür aufgrund der feststehenden Identität des Klägers erfüllt sind.
Der Berufung war daher bereits im Hauptantrag stattzugeben. Auf den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG kommt es deshalb nicht an.
3. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
5. Die Revision war zuzulassen, weil eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und der Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse liegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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