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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.11.2004
Aktenzeichen: 20 ZB 04.1559
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34
BauNVO § 15
1) "Ein-Mann-Tischlereien" sind in Dorfgebieten jedenfalls dann zulässig, wenn die Einhaltung der Richtwerte der TA-Lärm konkret zu erwarten ist.

2) Zum Schutz der benachbarten Wohnbevölkerung in den "Tagesrandzeiten".


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

20 ZB 04.1559

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Nachbarklage;

hier: Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. April 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 20. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Reiland, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Guttenberger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Brandl

ohne mündliche Verhandlung am 2. November 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert des Antragsverfahrens beträgt 5.000 Euro.

Gründe:

Die Kläger wenden sich als Nachbarn gegen die Zulassung einer "Ein-Mann-Tischlerei" in einem Weiler, dessen planungsrechtliche Einordnung umstritten

Ihr Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil keine Zulassungsgründe i.S. von § 124 Abs. 2 VwGO gegeben sind. Der Entscheidung zugrunde zu legen ist der angefochtene Baugenehmigungsbescheid i.d. Fassung der Änderung vom 16. August 2004, durch die auf Anregung des Senats die Betriebszeiten der streitigen Anlage gekürzt wurden (Betriebszeit nunmehr Mo-Fr. 8.00-20.00 Uhr, Sa 8.00 -18.00 Uhr).

1. Die auf die (bisherige) Regelung der Betriebszeiten bezogenen verfahrensrechtlichen Bedenken der Kläger sowohl gegenüber dem Landratsamt wie gegenüber dem Verwaltungsgericht (Begründungsmangel und Verletzung des rechtlichen Gehörs) sind unbegründet. Die Beschränkung der Betriebszeiten ist im Allgemeinen kein Gegenstand des Bauantrags, sondern eine Auflage in der Baugenehmigung. So liegt es auch hier: Mit seiner Antwort vom 25. März 2002 auf eine entsprechende Anfrage des Landratsamts wollte der Beigeladene lediglich mitteilen, in welchen Tagesstunden er voraussichtlich seine Baugenehmigung ausnützen würde, eine Befürwortung oder gar Beantragung einer Regelung, wonach der Betrieb in den übrigen Tagesstunden ausgeschlossen sein sollte, war damit offensichtlich nicht verbunden. Deshalb ist das Landratsamt bei seiner großzügigeren Regelung der Betriebszeiten nicht über den Antrag hinausgegangen. Das Verwaltungsgericht hat das mit Recht ebenso gesehen und daher in diesem Zusammenhang weder materiell-rechtliche noch verfahrensrechtliche Fehler begangen.

2. Bezüglich der Frage, ob im bauplanungsrechtlichen Sinn ein Ortsteil oder Außenbereich gegeben ist, dürfte der Weiler Klausen einen Grenzfall darstellen, zumal die Frage in bisherigen Verfahren offenbar unterschiedlich beantwortet wurde. Ausweislich der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das für die nähere Bestimmung des Gebotes der Rücksichtnahme an die für Misch- und Dorfgebiete geltenden Bestimmungen anknüpft, kommt es auf die Frage aber nicht an. Falls es sich um einen Ortsteil handelt, ist von einem Dorfgebiet auszugehen. Wie das Verwaltungsgericht im einzelnen ermittelt hat und wie die zahlreich vorliegenden Lichtbilder zeigen, wird in Klausen teilweise noch Landwirtschaft betrieben und sind darüber hinaus zahlreiche weitere Gebäude von der ehemals betriebenen Landwirtschaft geprägt. Geringere oder größere Entfernungen spielen dabei keine Rolle, da eine so kleine Ansiedlung nur in gewaltsamer Weise in verschiedene Gebietstypen aufgeteilt werden könnte. Ehemalige landwirtschaftliche Betriebsgebäude bieten sich von ihrer Struktur her erfahrungsgemäß eher für eine gewerbliche oder handwerkliche Nachfolgenutzung als für eine Wohnnutzung an. Der offenkundige Wunsch der Kläger, der abseits gelegene Weiler Klausen möge sich von einem Dorfgebiet gleichsam nahtlos in ein reines Wohngebiet entwickeln, ist zwar verständlich, mit den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenenheiten aber nicht zu vereinbaren.

Den Klägern ist im Ausgangspunkt darin Recht zu geben, dass bei der planungsrechtlichen Beurteilung die Lärmentwicklung einer Tischlerei einer typisierenden Betrachtung zu unterwerfen ist und dass in diesem Rahmen die Beurteilung insbesondere nicht von verhaltensbezogenen Auflagen abhängig gemacht werden sollte, die dem Wesen des Betriebes fremd sind und mit deren Nichteinhaltung in der Praxis zu rechnen wäre. Dementsprechend sind Tischlereien in Wohngebieten im Allgemeinen unzulässig (BVerwG vom 7.5.1971 DVBl 1971, 759 - dort auch zu möglichen Ausnahmen -, OVG Schleswig-Holstein vom 7.6.1999 1 M 119/98 Juris-Nr. MWRE 010330000). Größere Tischlereien können selbst in einem Mischgebiet unzulässig sein (OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.1.1997 BRS 59 Nr. 202).

Noch weitergehend hat der 26. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kürzlich entschieden, dass Tischlereien selbst als "Ein-Mann-Betrieb" in Mischgebieten grundsätzlich unzulässig sind, soweit nicht ausnahmsweise eine atypische Fallgestaltung gegeben ist (BayVGH vom 22.7.2004 26 B 04.931). Der erkennende Senat bezweifelt, ob sich eine so weit gehende Einschränkung dieser Betriebsart vertreten lässt. Wenn nach der vorstehend zitierten Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts Tischlereien in Sonderfällen sogar in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sein können, erscheint es schon vom systematischen Standpunkt aus nicht folgerichtig, sie selbst in Gestalt eines Ein-Mann-Betriebes aus Mischgebieten regelmäßig verbannen zu wollen. Außerdem blieben dabei die herkömmlichen Siedlungsstrukturen unberücksichtigt; denn dass sich in zahlreichen Stadtvierteln, die von Wohnnutzung geprägt sind, auch kleinere Schreinereien befinden, ist ein durchaus vertrautes Bild. Schließlich ist es in Bezug auf die Lärmrichtwerte der TA Lärm zwar richtig, dass diese nicht gleichsam zur Gewissensberuhigung als Genehmigungsgrundlage genommen werden dürfen, ohne sich um ihre praktische Einhaltbarkeit zu kümmern. Ist ihre Einhaltung unter vernünftigen, der Betriebsart angemessenen Bedingungen aber gesichert, dann besteht kein Grund, den Betrieb dennoch als "zu laut" einzustufen und in dem jeweiligen Gebiet nicht zuzulassen; immerhin ist die TA Lärm (siehe ihre Nr. 1) die maßgebliche Richtschnur zur Beurteilung des von einer Tischlerei (nicht genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes) ausgehenden Lärms. Im vorliegenden Fall kann deshalb nicht außer Betracht bleiben, dass der von den konkret vorhandenen Maschinen ausgehende Lärm durch den Umweltingenieur des Landratsamts gemessen worden und dass seine Vereinbarkeit mit den Richtwerten der TA Lärm festgestellt worden ist, ohne dass dabei verhaltensbezogene Auflagen ins Spiel gekommen wären.

Es besteht indessen kein Anlass, die Frage, ob eine Ein-Mann-Tischlerei in einem Mischgebiet zulässig ist, einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren oder gar Revisionsverfahren zuzuführen; denn hier handelt es sich zwar um eine Ein-Mann-Tischlerei, aber nicht um ein Mischgebiet, sondern um ein Dorfgebiet. Obwohl sich beide Gebietstypen ansonsten bezüglich der Immissionsschutzanforderungen ähneln - gleiche Richtwerte nach der TA Lärm -, besteht ein für den vorliegenden Fall bedeutsamer Unterschied darin, dass im Dorfgebiet auch Betriebe zur Be- und Verarbeitung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse zulässig sind und damit insbesondere die Be- und Verarbeitung von Holz aus der Forstwirtschaft (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO). Man mag zwar mit den Klägern infrage stellen, ob der Beigeladene unmittelbar forstwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeitet, und infolgedessen den Betrieb bei § 5 Abs. 2 Nr. 6 und nicht Nr. 4 BauNVO einordnen, doch ist dies nicht der entscheidende Punkt. Es geht hier letztlich nicht um die Betriebsart, sondern um den zumutbaren Störungsgrad. Eine Zumutbarkeit unter typischen Umständen vorausgesetzt, bestünde kein Hindernis, eine Tischlerei als "sonstigen Gewerbebetrieb" im Dorfgebiet zuzulassen. Und was die Zumutbarkeit angeht, kann nicht außer Betracht bleiben, mit welchen Geräuschen die Bewohner eines Dorfgebietes ansonsten zu rechnen haben, und dies sind eben nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO auch die Geräusche Holz verarbeitender Betriebe. Übrigens gilt dies für die konkrete Situation in besonderem Maße, weil der Weiler Klausen weithin von Wäldern umgeben und aus einer ehemaligen Waldarbeitersiedlung hervorgegangen ist. Wenn, wie nachgewiesen ist, die Einhaltung der Lärmrichtwerte erwartet werden kann, steht demnach der Zulassung einer kleinen Tischlerei im Dorfgebiet nichts im Wege.

3. Ein besonderer Schutz der Tagesrandzeiten nach Nr. 6.5 TA Lärm ist für Dorfgebiete nicht vorgesehen. Der Senat hat jedoch schon mehrmals darauf hingewiesen, dass unter dem Blickwinkel des Gebots der Rücksichtnahme diese Zeiten dennoch kritisch betrachtet werden müssen, wenn besondere Umstände wie Gemengelagen oder sonstige Besonderheiten i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gegeben sind und es um das Schutzbedürfnis von Wohnhäusern geht (so zuletzt BayVGH vom 25.3.2004 20 B 03.2225 S. 15 f. UA; für eine besondere Berücksichtigung der Tagesrandzeiten in Mischgebieten allgemein und insofern über die TA Lärm hinaus Bielenberg in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Rdz. 11 zu § 6 BauNVO). Denn es liegt auf der Hand, dass das Ruhebedürfnis der Wohnbevölkerung "nach getaner Arbeit", also an den Abenden und den Wochenenden, besonders ausgeprägt ist. Besondere Umstände in diesem Sinne könnten hier insofern gegeben sein, als der räumliche Abstand zwischen dem streitigen Betrieb und dem Wohnhaus der Kläger samt Terrasse verhältnismäßig gering ist. Die Einzelheiten können aber auf sich beruhen, da das Landratsamt inzwischen durch die Bescheidsänderung die Betriebszeiten in einer Weise begrenzt hat, die sowohl diesem Gesichtspunkt wie auch den Bedürfnissen des Beigeladenen Rechnung trägt. Weitere Beschränkungen können die Kläger nicht verlangen; Arbeiten in den frühen Abendstunden sind in der Landwirtschaft und damit auch in Dorfgebieten als durchaus üblich anzusehen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1, 3 GKG a.F.

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