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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 26.04.2007
Aktenzeichen: 22 A 07.40008
Rechtsgebiete: AEG, GG
Vorschriften:
AEG § 18 Abs. 1 Satz 1 | |
AEG § 18 Abs. 3 | |
AEG § 21 Abs. 1 | |
GG Art. 14 Abs. 1 | |
GG Art. 14 Abs. 3 | |
GG Art. 87 e Abs. 4 Satz 1 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen vorzeitiger Besitzeinweisung;
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Konrad, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. April 2007
am 26. April 2007
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Der Besitzeinweisungsbeschluss der Beklagten vom 16. Oktober 2006 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die durch die Anrufung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München zusätzlich entstandenen Kosten sind allein von der Beklagten zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 1314/26 der Gemarkung A***** (2.475 m²). Der Kläger ist ferner zur Hälfte Erbbauberechtigter an diesem Grundstück, desgleichen die Deutsche Bahn AG.
Durch Planfeststellungsbeschluss der Bundeseisenbahndirektion M****** vom 7. Mai 1982 wurde die Errichtung des Rangierbahnhofs M*********** planfestgestellt. Der Planfeststellungsbeschluss ist bestandskräftig. Für die Errichtung des Rangierbahnhofs M******-**** gemäß dem Planfeststellungsbeschluss wurde eine Teilfläche des klägerischen Grundstücks benötigt, die ca. 2.035 m² umfasst. Diesbezüglich existiert ein Grunderwerbsplan, der Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses ist und in dem der Erwerb von ca. 2035 m² aus dem klägerischen Grundstück für den Rangierbahnhof M*********** vermerkt ist. Auf dem klägerischen Grundstück sollte ein Bahndamm mit darauf befindlichen Gleisanlagen zum Zwecke der Überführung der Gleise über die P******straße errichtet werden.
Den Besitz an der im Planfeststellungsbeschluss dafür vorgesehenen Grundstücksteilfläche erhielt die damalige Deutsche Bundesbahn aufgrund des Besitzeinweisungsbeschlusses der Beklagten vom 27. November 1989 sowie aufgrund einer Einigung mit dem Kläger vom 28. Februar 1991. Der Besitzeinweisungsbeschluss vom 27. November 1989 bezog sich auf eine Teilfläche von ca. 1.430 m² aus dem damaligen Grundstück Fl.Nr. 1314 der Gemarkung A*****. Die Einigung vom 28. Februar 1991 bezog sich auf eine weitere Teilfläche von 2.120 m² aus diesem Grundstück.
Das planfestgestellte Vorhaben wurde errichtet und im September 1991 fertiggestellt. Es wurden jedoch statt - wie im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen - insgesamt ca. 2.035 m² zusätzlich weitere Grundstücksflächen in Anspruch genommen. Der Bahndamm hat nunmehr tatsächlich stellenweise geringere, überwiegend jedoch größere Ausmaße erlangt, als im Planfeststellungsbeschluss festgelegt worden ist. Es handelt sich insgesamt um eine Fläche von mindestens 2208 m² (Bestandsaufmessung Dammfuß, Bl. 319 d.A.), nach Angaben des Klägers um die gesamte Fläche des Grundstücks FlNr. 1314/26 von 2475 m².
Im Jahr 1992 leitete die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ein Enteignungsverfahren ein. Mit Enteignungsbeschluss vom 11. Oktober 2001 entzog die Beklagte dem Kläger auf Antrag der Beigeladenen das Eigentum an insgesamt 2.475 m², die der neu gebildeten FlNr. 1314/26 entsprachen. Der Enteignungsbeschluss wurde vom Kläger angefochten. Das Bayerische Verwaltungsgericht München hob den Enteignungsbeschluss mit Urteil vom 7. April 2005 auf. Das Urteil ist rechtskräftig. Tragender Grund für die Aufhebung war, dass statt - wie im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen - ca. 2.035 m² nunmehr ca. 2.475 m² Fläche des klägerischen Grundstücks enteignet werden sollten. Eine teilweise Aufrechterhaltung der Enteignung lehnte das Verwaltungsgericht ab, da die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 31 Abs. 1 Nr. 4a BayEG i.V.m. § 2 Abs. 3 GBO oder des Art. 31 Abs. 2 BayEG nicht erfüllt seien.
Der Besitzeinweisungsbeschluss vom 27. November 1989 betreffend eine Teilfläche des klägerischen Grundstücks wurde von der Beklagten mit Beschluss vom 23. Mai 2006 aufgehoben. Die Beklagte hielt dies auf Grund von Art. 39 Abs. 5 Satz 2 BayEG für geboten. Der Kläger legte Widerspruch ein; er meinte, dass die Beklagte zusätzlich seine Wiedereinsetzung in den Besitz hätte verfügen müssen. Die Beigeladene legte ebenfalls Widerspruch ein. Der Kläger widerrief zudem die Einigungsniederschrift vom 28. Februar 1991.
Die Beigeladene reagierte auf die neue Lage mit der Ankündigung, die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses vom 7. Mai 1982 dahingehend beantragen zu wollen, dass er der tatsächlichen Flächeninanspruchnahme entspreche (Schreiben vom 13.10.2005, Schreiben vom 8.2.2006). Mit Schreiben vom 12. April 2006 teilte die Beigeladene jedoch mit, es könne mit baulichen Maßnahmen eine Rückführung der gegenständlichen Böschung auf die Grenzen des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses vom 7. Mai 1982 erreicht werden.
Mit Schreiben vom 14. August 2006 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten, die Beigeladene in den Besitz einer Teilfläche von 2.035 m² aus dem Grundstück Fl.Nr. 1314/26 der Gemarkung A***** einzuweisen sowie eine angemessene Entschädigung zugunsten der Betroffenen festzusetzen. Sie berief sich auf § 21 Abs. 1 AEG. Die Besitzeinweisung sei für die bereits durchgeführten Bauarbeiten geboten. Der Planfeststellungsbeschluss vom 7. Mai 1982 sei nach wie vor vollziehbar; die Besitzeinweisung beschränke sich auf die dort festgelegten Grenzen des Vorhabens. Der Kläger habe es abgelehnt, eine Vereinbarung über die Übernahme des Besitzes unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche abzuschließen.
Mit Schreiben vom 19. September 2006 ergänzte die Beigeladene die Antragsbegründung. Die Dringlichkeit der Besitzeinweisung beruhe darauf, dass die Berechtigung der Beigeladenen zum Besitz der planfestgestellten, zu erwerbenden Fläche wegzufallen drohe, und zwar mit der Bestandskraft des Aufhebungsbeschlusses hinsichtlich der früheren vorzeitigen Besitzeinweisung. Klare rechtliche Verhältnisse seien notwendig, nachdem der Bahndamm auf der Fläche errichtet sei und der Eisenbahnbetrieb seit Jahren darauf stattfinde. Es könne der Beigeladenen nicht zugemutet werden, Eisenbahnanlagen auf einer unsicheren rechtlichen Grundlage zu betreiben. Da sich der errichtete Bahndamm in seiner jetzigen Ausgestaltung über die planfestgestellte, zu erwerbende Fläche hinaus erstrecke, beabsichtige die Antragstellerin den Rückbau des Bahndamms bis auf die planfestgestellte Fläche. Die Trasse werde gemäß der Planfeststellung zurückgebaut. Hierzu solle eine Stützmauer errichtet werden. In der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2007 ergänzte die Beigeladene, die Anbringung von Winkelstützen sei ausreichend.
Die Beklagte erließ unter dem 16. Oktober 2006, dem Kläger zugestellt am 18. Oktober 2006, den beantragten Besitzeinweisungsbeschluss. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Die Entschädigungspflicht der Beigeladenen für die durch die Besitzeinweisung dem Kläger entstehenden Vermögensnachteile wurden dem Grunde nach angeordnet. Die Festsetzung von Art, Höhe und besonderen Berechtigten der Entschädigungsleistung wurden einer späteren Entscheidung vorbehalten. Als statthaftes Rechtsmittel wurde eine Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München angegeben.
Am 17. November 2006 erhob der Kläger entsprechend der Rechtsmittelbelehrung Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Mit Beschluss vom 9. Januar 2007 verwies das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des Besitzeinweisungsbeschlusses der Beklagten vom 16. Oktober 2006, hilfsweise dessen Befristung bis zum 30. Mai 2007.
Zur Begründung führt der Kläger aus, § 21 AEG sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Abgesehen davon lägen dessen Voraussetzungen nicht vor. Es könne nicht die Rede davon sein, dass der Beginn von Bauarbeiten dringend geboten sei. Zudem sei der Planfeststellungsbeschluss vom 7. Mai 1982 nach § 75 Abs. 4 VwVfG außer Kraft getreten.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen die Abweisung der Klage.
Sie halten § 21 AEG für anwendbar. Sie sind der Auffassung, dass die Vorschrift auch dazu diene, dem Vorhabensträger ein entfallenes Recht zum Besitz vorübergehend wieder einzuräumen.
Während des Klageverfahrens stellte die Beigeladene bei der Beklagten Antrag auf Enteignung der verfahrensgegenständlichen Teilfläche von 2.035 m².
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Anfechtungsklage ist zulässig; entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist sie fristgerecht erhoben. Dies ergibt sich schon aus § 58 Abs. 2 VwGO, da über das Gericht, bei dem die Klage anzubringen ist, unrichtig belehrt worden ist. Art. 6 AGVwGO, der auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO beruht, wurde offensichtlich von der Beklagten übersehen. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts in der Eingangsmitteilung vom 22. November 2006 auf diese Vorschriften stellt keine Berichtigung der Rechtsmittelbelehrung dar.
II. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 AEG sind nicht erfüllt. Eine planwidrige Lücke in den gesetzlichen Vorschriften, deren Schließung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geboten sein könnte, liegt nicht vor.
1. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 AEG sind nicht erfüllt.
a) § 21 AEG ist auf den vorliegenden Fall anwendbar. § 21 AEG vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378, 2396) ist am 1. Januar 1994 in Kraft getreten (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 ENeuOG vom 27.12.1993, BGBl I S. 2378, 2426). Die seitdem unverändert gebliebene Vorschrift kommt für alle vorzeitigen Besitzeinweisungen, die nach diesem Zeitpunkt erlassen worden sind, als Rechtsgrundlage in Betracht. Dass dies etwa nicht gelten sollte, wenn der eisenbahnrechtliche Planfeststellungsbeschluss bereits früher erlassen worden oder mit der Durchführung des Vorhabens bereits früher begonnen worden ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
b) § 21 Abs. 1 AEG setzt gemäß seinem Satz 2 einen vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss voraus; ob dieser auf § 18 AEG beruht oder nach früherem Recht ergangen ist, ist gleichgültig. Ein solcher ist nach wie vor vorhanden. Der Planfeststellungsbeschluss der Bundeseisenbahndirektion M****** vom 7. Mai 1982 ist insbesondere nicht nach § 75 Abs. 4 VwVfG außer Kraft getreten. Innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ist mit der Durchführung des Plans begonnen worden. Nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten wurde die sofortige Vollziehbarkeit unter dem 4. März 1987 angeordnet und erfolgte die Fertigstellung der planfestgestellten Anlage im September 1991. Ob die Bauarbeiten zur Durchführung des planfestgestellten Vorhabens später vor dessen Fertigstellung eingestellt worden sind, ist für die Anwendung des § 75 Abs. 4 VwVfG unerheblich (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, RdNr. 77 zu § 75, m.w.N.). Eine spätere Unterbrechung der Verwirklichung des Vorhabens berührt den Beginn der Durchführung nicht (so auch § 18 c Nr. 4 AEG in der Fassung des Gesetzes vom 9.12.2006, BGBl I S. 2833, der aber nicht unmittelbar für die Frage gilt, ob der Plan bereits früher außer Kraft getreten ist, wie § 39 Abs. 2 AEG n.F. zeigt). Abgesehen davon liegt in der Inanspruchnahme von mindestens 170 m² Grundstücksfläche über die Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses hinaus keine Einstellung der Arbeiten zur Durchführung des Vorhabens, sondern eine Errichtung des Vorhabens im Widerspruch zu einzelnen Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses. Darin kann auch keine endgültige Aufgabe des planfestgestellten Vorhabens i.S. von § 77 VwVfG gesehen werden. An der Wirksamkeit des ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss ändert diese Tatsache nichts. Wie § 43 Abs. 2 VwVfG zeigt, verliert dieser seine Wirksamkeit auch nicht dadurch, dass der Vorhabensträger zu erkennen gibt, dass das Vorhaben in geänderter Form durchgeführt werden soll (Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., RdNr. 35 zu § 76).
c) Der vollziehbare Planfeststellungsbeschluss schafft die Voraussetzungen für eine Enteignung oder eine vorzeitige Besitzeinweisung jedoch nur im Rahmen der von ihm getroffenen Festsetzungen, nicht jedoch darüber hinaus (so Beck'scher Kommentar zum AEG, 1. Aufl. 2006, RdNr. 31 zu § 22, für die Grunderwerbsunterlagen). Die vorzeitige Besitzeinweisung muss dem Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses dienen; dies ist Teil ihrer Zweckbestimmung (BVerwG vom 6.7.1973, DÖV 1973, 785/786 f.; Beck'scher Kommentar zum AEG, RdNr. 4 zu § 21). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die angefochtene Besitzeinweisung zielt zwar auf eine Grundstücksfläche ab, die den planfestgestellten Grunderwerbsunterlagen entspricht, bezweckt gleichwohl aber nicht die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vom 7. Mai 1982, sondern die Vollziehung eines geänderten Plans, hinsichtlich dessen die rechtlich verbindliche Feststellung noch aussteht. Die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vom 7. Mai 1982 ist derzeit real gar nicht möglich, auch nicht teilweise. Der Eisenbahnbetrieb kann derzeit zwangsläufig nur auf einem flächenmäßig gegenüber dem Planfeststellungsbeschluss erweiterten Damm stattfinden. Auf der diesbezüglich im Planfeststellungsbeschluss festgelegten Fläche ist dies erst dann möglich, wenn der Damm zurückgebaut und technisch umgestaltet worden ist. Nach Angaben der Beigeladenen (Schreiben vom 19.9.2006) und des Eisenbahnbundesamts (Schreiben vom 16.4.2007, vorgelegt von der Beklagten) muss dafür eine Stützmauer errichtet werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war insofern vom Einbau von Winkelträgern die Rede. Zur Durchführung dieser Maßnahmen bedarf es entsprechender Bauflächen. Hierfür bedarf es einer Änderungsplanfeststellung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG, nunmehr in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 9. Dezember 2006 (BGBl I S. 2833), ein Fall von unwesentlicher Bedeutung liegt schon im Hinblick auf § 18 Abs. 1 Satz 3 n.F. i.V.m. § 74 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 VwVfG nicht vor.
d) § 21 Abs. 1 AEG setzt weiter voraus, dass der sofortige Beginn von Bauarbeiten geboten ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht erfüllt. Der sofortige Beginn von Bauarbeiten ist ohne vorherige Änderungsplanfeststellung rechtlich gar nicht möglich, wie soeben ausgeführt wurde. Hier kann lediglich davon gesprochen werden, dass der sofortige Weiterbetrieb einer Betriebsanlage der Eisenbahn geboten ist. Diesen Fall regelt § 21 AEG aber nicht.
e) § 21 Abs. 1 AEG setzt schließlich voraus, dass sich der Eigentümer oder Besitzer weigert, den Besitz eines für den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahn benötigten Grundstücks durch Vereinbarung zu überlassen. Genau genommen liegt auch diese Voraussetzung nicht vor. Die Beigeladene ist nämlich nach wie vor unmittelbare Besitzerin der vom angefochtenen Bescheid erfassten Fläche. Die Beigeladene würde den unmittelbaren Besitz, den sie aufgrund des Besitzeinweisungsbeschlusses vom 27. November 1989 und der Einigung vom 28. Februar 1991 bereits erhalten hat, durch den Aufhebungsbeschluss der Beklagten vom 23. Mai 2006 auch dann nicht wieder verlieren, wenn dieser bestandskräftig wäre. Die Beklagte hat sich nämlich rechtlich gehindert gesehen, den vorherigen unmittelbaren Besitzer wieder in den Besitz einzuweisen, wie dies Art. 39 Abs. 5 Satz 1 BayEG und § 21 Abs. 6 Satz 1 AEG grundsätzlich vorsehen. Dies bedeutet, dass sich an den tatsächlichen Besitzverhältnissen auch in diesem Fall nichts ändern würde. Die Rechtsstellung der Beigeladenen bestimmt sich auch gegenüber dem betroffenen Eigentümer bzw. Erbbauberechtigten nach den §§ 854 ff. BGB (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl. 2005, RdNr. 7 zu § 116, Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, RdNr. 15 zu § 116). Damit gilt der Besitzschutz gemäß § 858 BGB. Das Gesetz untersagt unabhängig vom Bestehen eines Anspruchs auf Besitzeinräumung die Selbsthilfe gegen den Besitzer und verweist den Berechtigten zur Wiedererlangung des Besitzes auf die Inanspruchnahme der Gerichte. Auch der unberechtigte Besitzer ist geschützt (vgl. z.B. Münchner Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2004, RdNr. 1 zu § 858). Ein eventuelles Außerkrafttreten der Einigung vom 28. Februar 1991 hätte diesbezüglich keine anderen Rechtsfolgen.
Allerdings kann hier davon gesprochen werden, dass der Eigentümer dem Vorhabensträger dessen unmittelbaren Besitz an der bereits betriebenen Bahnanlage unter Berufung auf sein Eigentum und das Fehlen eines Rechtes zum Besitz streitig macht. Diesen Fall regelt § 21 AEG aber nicht.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen, ob eine erweiternde Auslegung des § 21 AEG in Betracht kommt, um im Wege richterlicher Rechtsfortbildung eine planwidrige Regelungslücke zu schließen. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hierfür kein Anlass besteht.
a) Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die vorzeitige Besitzeinweisung auf Fälle der vorliegenden Art ist entbehrlich, weil Herausgabe-, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Eigentümers zumindest befristet bis zum Abschluss unverzüglich durchzuführender ergänzender Änderungsplanfeststellungs- und Enteignungsverfahren nicht durchgesetzt werden können. Die bloße Aussicht auf die mögliche Legalisierung des Besitzes des Vorhabensträgers nach rechtskräftigem Abschluss ergänzender Verfahren ist zwar noch nicht geeignet, das Herausgabeverlangen des Eigentümers als unzulässige Rechtsausübung einzustufen. Hierbei ist nämlich zu bedenken, dass hier dem Eigentümer der Besitz schon seit längerer Zeit vorenthalten wird, ohne dass es dem Vorhabensträger gelungen wäre, sich das Eigentum an dem für die Anlage benötigten Gelände zu verschaffen. Zu beachten ist aber, dass der Betrieb der Anlage dem Wohl der Allgemeinheit dient (vgl. dazu auch BayVGH vom 25.11.1994 - Az. 22 B 93.3435). Maßgeblicher Umstand ist hier, dass die hier zu beurteilende Betriebsanlage Teil des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes ist, dessen Erhalt dem Wohl der Allgemeinheit dient (Art. 87 e Abs. 4 Satz 1 GG). Hieraus folgt eine spezifische öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung der Betriebsanlagen der Beigeladenen, die mit der faktischen Indienststellung wirksam wird (Beck'scher Kommentar zum AEG, RdNr. 35 zu § 18). Art. 87 e Abs. 4 Satz 1 GG reicht im Sinn der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aus, um die Fälligkeit der genannten Eigentümeransprüche für eine angemessene Zeit hinauszuschieben, um der Beigeladenen Gelegenheit zu geben, rechtmäßige Verhältnisse herzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht misst dieser Vorschrift ebenfalls erhebliche Bedeutung in dem Sinn bei, dass die Eigenschaft als Betriebsanlage der Eisenbahn nicht ohne eindeutige und bekanntgemachte Erklärung des Eisenbahnbundesamts beendet werden kann (BVerwG vom 27.11.1996, BVerwGE 102, 269/271). Dies gilt auch dann, wenn der Begriff der öffentlichen Eisenbahn i.S. von § 3 Abs. 1 AEG keinen Anknüpfungspunkt für die Anerkennung einer Widmung mehr enthält (Beck'scher Kommentar zum AEG, RdNr. 8 zu § 23, m.w.N.). Es besteht daher auch kein Anlass, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach Grundstückseigentümer die Beseitigung von Betriebsanlagen der Bahn nicht verlangen können, weil sie zu deren Duldung verpflichtet sind, im Ergebnis als überholt anzusehen (BayVGH vom 16.7.1993, BayVBl 1994, 441). Man kann vielleicht nicht mehr von einer öffentlichen Sache sprechen; doch besteht aufgrund der Indienststellung als Betriebsanlage der Eisenbahn eine spezifische öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung, aus der zumindest eine befristete Duldungspflicht abzuleiten ist. Die öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung überlagert das private Sachenrecht. Befindet sich das Grundstück nicht im Eigentum des Vorhabensträgers, wie im hier vorliegenden Fall eines sog. rückständigen Grunderwerbs, entsteht eine öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit (Beck'scher Kommentar zum AEG, RdNr. 35 zu § 18).
b) Etwaige Rechtsunsicherheiten muss die Beigeladene in Kauf nehmen; die dadurch für sie entstehende Drucksituation ist im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG zumutbar. In Betracht zu ziehen ist die Situation, dass der Kläger die strittige Grundstücksfläche über lange Zeiträume faktisch entschädigungslos der Beigeladenen überlassen müsste. Eine derartige Situation verbietet sich aber im Hinblick auf den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG. Es ist geboten, dass die Beigeladene jedenfalls dann, wenn der Kläger dies verlangt, unverzüglich die strittige Grundstücksfläche durch Vereinbarung oder, falls eine gütliche Einigung nicht gelingt, aufgrund eines Enteignungsverfahrens erwirbt. Demgemäß ordnet Art. 39 Abs. 5 Satz 2 BayEG an, dass die vorzeitige Besitzeinweisung auch dann aufzuheben ist, wenn der Vorhabensträger trotz eines Verlangens des Eigentümers spätestens nach sechs Monaten keinen Enteignungsantrag stellt. § 21 AEG enthält zwar keine derartige Bestimmung; die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind aber dieselben (vgl. dazu auch BayVGH vom 9.5.2006, BayVBl 2007, 149/150). Sache der Beigeladenen ist es, die hierfür etwa erforderlichen fachplanungsrechtlichen Voraussetzungen unverzüglich zu schaffen.
Kosten: § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 155 Abs. 4 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 160.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
Ende der Entscheidung
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