Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 23.12.2004
Aktenzeichen: 22 B 01.3142
Rechtsgebiete: AbwAG 1994, BayAbwAG 1991


Vorschriften:

AbwAG 1994 § 9 Abs. 5 Satz 1
BayAbwAG 1991 Art. 8 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

22 B 01.3142

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Abwasserabgabe;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Juni 2001,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. Dezember 2004

am 23. Dezember 2004

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Juni 2001 wird abgeändert.

II. Der Bescheid des Landratsamts Bamberg vom 12. August 1997 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberfranken vom 7. Dezember 1999 für das Veranlagungsjahr 1995 werden aufgehoben, soweit eine höhere Abwasserabgabe als 11.265,63 Euro festgesetzt wurde.

III. Soweit die Klägerin ihre Klage in erster Instanz zurückgenommen hat, trägt sie die Kosten des Verfahrens; die sonstigen Verfahrenskosten beider Instanzen trägt der Beklagte. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe für das Jahr 1995.

Mit Bescheid vom 12. August 1997 setzte das Landratsamt Bamberg die Abwasserabgabe für das Einleiten von Abwasser aus der Kläranlage der Klägerin für das Veranlagungsjahr 1995 auf 47.098,65 DM und für das Jahr 1996 auf 73.841,40 DM fest. Der Berechnung für das Jahr 1995 lag eine Jahresschmutzwassermenge von 371.616 m³ sowie ein Verdünnungs/Vermischungsanteil von 62 % zugrunde. Mit ihrem Widerspruch gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe für das Jahr 1995 in diesem Bescheid machte die Klägerin geltend, der Verdünnungs- und Vermischungsanteil von 62 % sei zu hoch angesetzt. Dieser beruhe auf falschen Messergebnissen, die mit der alten Durchflussmessanlage erzielt worden seien. Der tatsächliche Fremdwasseranteil liege bei lediglich 30 %, so dass der Anforderungswert für CSB eingehalten sei und die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Abwasserabgabe gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG vorlägen.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 1999 wies die Regierung von Oberfranken den Widerspruch zurück. Eine Verdünnung oder Vermischung bleibe bei der Entscheidung über eine Ermäßigung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG nur dann unberücksichtigt, wenn der Verdünnungs- oder Vermischungsanteil im Jahresmittel ein Vierteil des Abwasserabflusses bei Trockenwetter nicht übersteige (Art. 8 a Satz 1 BayAbwAG). Für die Berechnung der Verdünnung oder Vermischung müsse auf mittelbare Mess- oder Berechnungsmethoden zurückgegriffen werden. Der Berechnung seien die vom Kläranlagenbetreiber selbst gemessenen geringsten Nachtzuflüsse zugrunde zu legen; danach ergebe sich hier ein Fremdwasseranteil von 62 % im Jahresmittel. Soweit sich die Klägerin auf einen Defekt an der Messeinrichtung berufe, sei dieser erst mit Schreiben der Firma UMS vom 20. November 1995 festgestellt worden; der genaue Zeitpunkt des Auftretens des Defekts sei nicht bekannt. Ihrer Verpflichtung zur halbjährlichen Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Messanlage, bei der deren Fehlfunktion hätte festgestellt werden können, sei die Klägerin nicht nachgekommen. Ein hilfsweises Heranziehen der Fremdwasseranteile aus den Vor- und Folgejahren sei wegen des Vorliegens unterschiedlicher Bedingungen und Einflüsse nicht möglich. Selbst bei einer Berechnung des Fremdwasseranteils nach einer alternativen Methode ergebe sich ein Fremdwasseranteil von 54 % und damit keine Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG.

Das Verwaltungsgericht wies mit Urteil vom 19. Juli 2001 die Anfechtungsklage der Klägerin ab, soweit - wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nur noch beantragt - die Aufhebung des Bescheids bezüglich der den Betrag von 22.033,65 DM übersteigenden Festsetzung begehrt wurde. Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Klägerin trage die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der von ihr geforderten Ermäßigung der Abwasserabgabe. Durch Messungen sei ein solcher Nachweis nicht geführt. Der Umstand, dass im November 1995 ein Defekt an der Messanlage festgestellt worden sei, könne der Klägerin nicht zugute kommen; es sei ihre Sache, für das technisch einwandfreie Funktionieren ihrer Einrichtung zu sorgen. Weder der Zeitpunkt ab dem die Messeinrichtung fehlerhaft gearbeitet habe, noch die Größe des Messfehlers seien bekannt. Eine Vergleichsberechnung unter Annahme einer 40 %igen Messabweichung habe ebenfalls nicht zu Werten geführt, die eine Ermäßigung des Abgabesatzes zur Folge hätten. Die vom Landratsamt mit mehreren Methoden nach Art. 8 a Satz 3 BayAbwAG durchgeführte Schätzung des höheren Anforderungswerts sei nicht zu beanstanden; bei einer solchen Schätzung sei dem Beklagten ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Eine Schätzung nach den Messergebnissen von Vor- und Folgejahren sei als Schätzungsgrundlage nicht geeignet, da aufgrund variabler Faktoren, wie z.B. der Wetterverhältnisse oder etwaiger Fremdeinleitungen, keine Vergleichbarkeit gewährleistet sei. Selbst wenn man bei der Schätzung des höheren Anforderungswerts - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - nicht auf den von der Klägerin erklärten Wert abstelle, sondern auf das tatsächliche Einleiterverhalten, ergebe sich nach einer Vergleichsberechnung des Gerichts ebenfalls eine Überschreitung der Mindestanforderungen.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung wendet sich die Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Juni 2001 sowie den Bescheid des Landratsamts Bamberg vom 12. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 7. Dezember 1999 für das Veranlagungsjahr 1995 aufzuheben, soweit eine höhere Abwasserabgabe als 11.265,63 Euro festgesetzt wurde.

Der Klägerin sei eine Ermäßigung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1995 nach § 9 Abs. 5 AbwAG um 25.065 DM = 12.815,53 Euro zu gewähren. Der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Fremdwasseranteil von 62 % beruhe auf einer nachweislich falschen Messung. Die Firma UMS habe mit Schreiben vom 20. November 1995 festgestellt, dass die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Schwimmermessung im Bereich kleiner 10 % mit großen Messfehlern behaftet gewesen sei. Bis dahin sei für die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Messungen nicht erkennbar gewesen. Die im wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid vom 29. März 1976 unter Ziff. II, 7 b vorgeschriebene halbjährliche Prüfung der Messgenauigkeit der Messgeräte sei durch den Klärwart - wie im Bescheid vorgesehen - erfolgt. Eine Überprüfung durch eine Fachfirma habe das Landratsamt zu keiner Zeit gefordert. Bei den jährlichen Überprüfungen durch die Gewässeraufsicht seien ebenfalls keine Beanstandungen erfolgt. Seit Einbau eines neuen Messgeräts im Januar 1996 liege der Fremdwasseranteil bei konstant ca. 30 %. Nach Austausch des Messgeräts sei die Jahresschmutzwassermenge zurückgegangen, obwohl seit dem Jahr 1995 fünf weitere Baugebiete mit 10,86 ha Fläche an die Kläranlage angeschlossen worden seien. Ein Vergleich mit den festgestellten Fremdwasseranteilen aus den Jahren 1994, 1996 und 1997 zeige für das Jahr 1995 eine derart gravierende Abweichung, die nicht richtig sein könne. Andere Parameter, wie Jahresschmutzwassermenge, Kanalnetz und Einleiter seien demgegenüber gleich geblieben. Soweit bekannt, seien weder Defekte am Kanalnetz festgestellt noch Veränderungen an diesem vorgenommen worden; ein Nachweis, dass das Jahr 1995 besonders niederschlagsreich gewesen sei, liege nicht vor. Dass im Jahr 1995 auch bei anderen Kläranlagen ein höherer Fremdwasseranteil aufgetreten sei, sei für die Klägerin nicht nachvollziehbar. Bei einem Fehlen tatsächlicher Nachweise habe vorliegend ein Schätzwert von 30 % unter Zugrundelegung der Vergleichsjahre die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich. Selbst wenn der Fremdwasseranteil nach der Formel

Jahresschmutzwassermenge - gebührenfähige Abwassermenge

Jahresschmutzwassermenge

ermittelt werde, sei der Klägerin eine Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG zu gewähren. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Formel zur Ermittlung des Anforderungswerts nach Art. 8 a BayAbwAG, die nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. September 2000 nicht mehr anwendbar sei. Die geänderte Formel sei nach den Verwaltungsvollzugsvorschriften auch im vorliegenden Verfahren maßgeblich.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG für das Jahr 1995 bestehe nicht. Sowohl bei Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entwickelten Grundsätze wie auch bei Anwendung der - von der Klägerin benannten - neuen Berechnungsformel gemäß dem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 8. Mai 2001 könne eine Ermäßigung für den Parameter CSB nicht gewährt werden. Eine Schätzung oder Anlehnung an die Messergebnisse der Vor- bzw. Folgejahre komme nicht in Betracht, weil z.B. unterschiedliche Wetterverhältnisse, Fremdeinleitungen, geändertes Einleitungsverhalten eine Vergleichbarkeit des Veranlagungszeitraums mit anderen Jahren ausschliessen würden. Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Messanlage obliege der Klägerin. Von fehlerhaften Messungen könne sicher erst ab Mitte November 1995 ausgegangen werden. Selbst bei einer unterstellten Fehlerhaftigkeit der Messanlage während des gesamten Abgabejahres 1995 komme nach einer Alternativberechnung des Landratsamts eine Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG nicht in Betracht.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Der Abwasserabgabebescheid des Landratsamts Bamberg vom 12. August 1997 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberfranken vom 7. Dezember 1999 sind in dem Umfang, in dem sie angefochten wurden, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die den beiden Bescheiden zugrunde liegende Ermittlung eines höheren Anforderungswerts nach Art. 8 a BayAbwAG mit der Folge der Ablehnung einer Ermäßigung des Abgabesatzes gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG ist fehlerhaft erfolgt.

Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 1995 ist das Abwasserabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 1994 (BGBl I S. 3370 - AbwAG 1994). Die Klägerin ist danach dem Grunde nach verpflichtet, eine Abwasserabgabe zu entrichten, was von ihr auch nicht in Frage gestellt wird. Diese bemisst sich nach der Schädlichkeit des Abwassers und der Jahresschmutzwassermenge. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1994 ermäßigt sich der Abgabesatz nach Abs. 4 außer bei Niederschlagswasser (§ 7) und bei Kleineinleitungen (§ 8) um 75 vom Hundert für die Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl nach Nr. 1 der Inhalt des Bescheids nach § 4 Abs. 1 oder die Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 mindestens den Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 WHG entspricht und nach Nr. 2 die Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 WHG eingehalten werden, sofern sie nicht entgegen den allgemein anerkannten Regeln der Technik durch Verdünnung oder Vermischung erreicht werden. Eine Verdünnung oder Vermischung bleibt gemäß Art. 8 a Satz 1 BayAbwAG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 10. November 1991 (GVBl S. 382 - BayAbwAG 1991) bei der Entscheidung nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG 1994 nur dann unberücksichtigt, wenn der Verdünnungs- oder Vermischungsanteil im Jahresmittel ein Viertel des Abwasserabflusses bei Trockenwetter nicht übersteigt. Wird dieser Verdünnungs- oder Vermischungsanteil überschritten, so ist der Entscheidung über die Ermäßigung ein höherer Anforderungswert zugrunde zu legen, wenn dieser ohne eine Verdünnung oder Vermischung zu erwarten wäre (Art. 8 a Satz 2 BayAbwAG 1991). Der Wert ist nach Art. 8 a Satz 3 BayAbwAG 1991 von der Kreisverwaltungsbehörde zu schätzen.

Vorliegend wurde der höhere Anforderungswert in den angefochtenen Bescheiden entsprechend der seinerzeitigen Verwaltungspraxis (vgl. Anlage 13 Rückseite Nr. 4 VwVBayAbwAG vom 27.3.1992, AllMBl S. 277) nach der Formel ermittelt:

Anforderungswert (AW) = Überwachungswert (ÜW) x 75 : (100 - Qf). Dabei ist Qf der berechnete Anteil der Verdünnung oder Vermischung (Fremdwasseranteil).

Die auf dieser Grundlage durchgeführte Schätzung unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Daran ändert nichts, dass der zuständigen Behörde, wovon auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, bei der Vornahme der Schätzung ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (vgl. BVerwG vom 29.1.2001, NWVBl 2001, 298). Dabei darf das Gericht nicht seine eigene Schätzung an die Stelle derjenigen der Behörde setzen; es hat sich vielmehr auf die Nachprüfung zu beschränken, ob sich die administrative Schätzung in dem gezogenen rechtlichen Rahmen hält (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 77 zu § 114). Hierzu zählt insbesondere auch, ob die Behörde den gesetzlichen Rahmen für ihre Schätzung zutreffend gesehen und nicht verkannt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 30 zu § 114). Ein solcher Beurteilungsfehler ist vorliegend bereits insoweit gegeben, als die Ermittlung des höheren Anforderungswerts nach obiger Formel unter Zugrundelegung des vom Einleiter erklärten Überwachungswerts erfolgt. Gemäß der bundesrechtlichen Vorgabe in § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG 1994 ist bei der Ermittlung des höheren Anforderungswerts aber auf das tatsächliche Einleiterverhalten und nicht auf den vom Einleiter erklärten Überwachungswert abzustellen (vgl. VGH BW vom 28.9.2000, NVwZ-RR 2001, 330). Auch die in Art. 8 a Satz 3 BayAbwAG 1991 eingeräumte Schätzungsbefugnis ist nur im Rahmen des § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG 1994 eröffnet. Sie bezieht sich in Ausfüllung der Rahmenvorschrift nach dem Wortlaut der gesamten Regelung in Art. 8 a BayAbwAG 1991 nur auf die Methode zur Ermittlung des höheren Anforderungswerts, nicht jedoch auf den bundesrechtlich vorgegebenen Anknüpfungspunkt für dessen Schätzung, nämlich das tatsächliche Einleiterverhalten (vgl. VGH BW, a.a.O.). Ob im Fall der Klägerin unabhängig von diesen bundesgesetzlichen Vorgaben auch aufgrund des Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 8. Mai 2001 für die zuständigen Behörden Anlass zur Anwendung einer auf dieser Rechtsprechung beruhenden neuen Berechnungsformel bestanden hätte, bedarf daneben keiner Entscheidung. Im übrigen hat auch der Gesetzgeber inzwischen durch die Änderung des Art. 8 a BayAbwAG durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Wassergesetzes und des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes vom 24. Juli 2003 (GVBl S. 482) der o.g. Rechtsprechung Rechnung getragen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung, LT-Drs. 14/12034, S. 19). Auch in der Verwaltungspraxis soll diese Rechtsprechung nunmehr bei der Ermittlung des Anforderungswerts durch die Zugrundelegung einer neuen Berechnungsformel berücksichtigt werden (vgl. Nr. 2.1.1.5 und Anl. 13, Rückseite Nr. 2.5 VwV BayAbwAG, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Ermittlung des Anforderungswerts selbst unter Heranziehung der neuen Formel entsprechend der o.g. rechtlichen Vorgaben vorliegend nicht zu einer Ermäßigung der Abwasserabgabe für den Schadstoffparameter CSB führt. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass sowohl nach der neuen als auch nach der alten Formel der Fremdwasseranteil (Verdünnungsanteil) eine maßgebliche Rolle für die Höhe des Anforderungswerts spielt. Auch wenn sich nach dem Wortlaut des Art. 8 a Satz 3 BayAbwAG 1991 die dort eingeräumte Schätzungsbefugnis ausdrücklich nur auf den höheren Anforderungswert bezieht und nicht wie in Art. 8 a Satz 2 BayAbwAG 2003 auf den Verdünnungsanteil, kann allerdings nicht außer Betracht bleiben, dass der Fremdwasseranteil ebenfalls Schätzungselemente in sich trägt, weil sich der Fremdwasseranfall meist nicht genau messen lässt, so dass auf mittelbare Mess- oder Berechnungsmethoden zurückgegriffen werden muss (vgl. Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, BayAbwAG, Stand: Juni 2002 EL. 22, RdNrn. 1, 5 und 6 zu Art. 8 a). In der Praxis wird - wie im vorliegenden Fall - für eine Berechnung des Fremdwasseranteils auf den gemessenen geringsten Nachtzufluss zur Abwasserbehandlungsanlage an Trockenwettertagen zurückgegriffen und der daraus ermittelte Tagesfremdwasserzufluss mit dem gemessenen Tagesabwasserzufluss verglichen. Diese Schätzung des Fremdwasseranteils begegnet vorliegend allerdings durchgreifenden Bedenken, soweit ihr die vom Klärwärter der Klägerin selbst gemessenen Werte des geringsten Nachtzuflusses zugrunde gelegt wurden; gleiches gilt für die vom Landratsamt vorgenommene Vergleichsberechnung unter Annahme einer 40 %igen Messabweichung. Ziel einer behördlichen Schätzung des Fremdwasseranteils kann ebenso wie bei anderen Schätzungen im Abwasserabgabenrecht nur sein, aufgrund verschiedenster Anhaltspunkte ein möglichst realistisches Ergebnis zu ermitteln, das die größtmögliche Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, AbwAG, RdNr. 20 zu § 6 m.w.N.; OVG Schleswig vom 20.6.1996, ZfW 1998, 387). Wie bereits oben ausgeführt wurde, steht der schätzenden Behörde hinsichtlich des Weges der Schätzung ein Beurteilungsspielraum zu; insoweit beschränkt sich die Prüfungsbefugnis der Gerichte auf die Vertretbarkeit des angewandten Schätzungsverfahrens und die Plausibilität des erzielten Ergebnisses (vgl. OVG Münster vom 28.10.2002, ZfW 2003, 170). Hiervon ausgehend erscheint es nicht mehr "vertretbar" im oben genannten Sinn, dass bei der Schätzung des Fremdwasseranteils in den angefochtenen Bescheiden die von der Klägerin für das Veranlagungsjahr 1995 vorgelegten Messergebnisse zugrunde gelegt wurden, obwohl - wie vom Beklagten nicht bestritten - nach dem Schreiben der Firma UMS vom 20. November 1995 die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Schwimmermessung im Bereich kleiner 10 % mit einem großen Messfehler behaftet war. Ob die Messanlage bis November 1995 richtig gemessen hat, kann im nachhinein nicht mehr festgestellt werden. Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst darauf hingewiesen, dass aus den Feststellungen vom November 1995 keine Rückschlüsse auf die vergangenen Monate gezogen werden können und es sich insofern um bloße Spekulationen handeln würde. Sein Hinweis, dass die Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Messanlage dem Kläranlagenbetreiber obliegt, ändert daran nichts. Abgesehen davon, dass sich dem wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid vom 29. März 1976 nicht ausdrücklich entnehmen lässt, dass die dort vorgeschriebene halbjährliche Prüfung der Messgenauigkeit der Messgeräte durch eine Fachfirma zu erfolgen hat und es zweifelhaft erscheint, ob die Fehlerhaftigkeit des Messgeräts für den Klärwärter erkennbar war, dient die Schätzung der Grundlagen für die Bemessung der Abwasserabgabe nicht als Mittel zur "Bestrafung" des Abgabepflichtigen für die in der Vergangenheit versäumte Mitwirkung; die Erhebung der Abwasserabgabe bezweckt nicht, die eventuelle Verletzung von Mitwirkungspflichten zu sanktionieren (vgl. OVG Magdeburg vom 4.7.2000, NVwZ-RR 2001, 329). Soweit der Beklagte darauf verweist, dass 1995 ein regenreiches Jahr gewesen sei, vermag dies allein die Plausibilität des gegenüber den Vor- und Folgejahren erheblich erhöhten Verdünnungsanteils von 62 % im Veranlagungsjahr 1995 nicht zu begründen. Wie sich den sonstigen Stellungnahmen des Landratsamts und Wasserwirtschaftsamts im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren entnehmen lässt, mit denen eine - von der Klägerin geforderte - Schätzung nach den Messergebnissen der Vor- und Folgejahre abgelehnt wurde, wird der Fremdwasseranteil von verschiedenen Faktoren beeinflusst; neben den Witterungsverhältnissen wird in den Stellungnahmen auf den Einfluss von defekten Abwasserkanälen, unzulässigen Fremdeinleitungen, geändertem Einleitungsverhalten, Bauwasserhaltungen, neu ausgewiesenen Baugebieten sowie jahreszeitlich bedingten Schwankungen hingewiesen. Hinsichtlich der Vergleichsberechnung unter Annahme einer 40 %igen Messabweichung haben die Vertreter des Beklagen, insbesondere Oberflussmeister *****, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass man sich auch hier bezüglich des Prozentsatzes der Abweichung im Bereich der Spekulation bewegt hätte.

Wer letztlich die Beweislast dafür trägt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ermäßigung der Abwasserabgabe gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG 1994 vorliegen, bedarf keiner Entscheidung. Denn vorliegend kann eine Schätzung des höheren Anforderungswerts ungeachtet des Fehlens verwertbarer Messergebnisse auf der Grundlage einer anderen Methode beanstandungsfrei erfolgen. Jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1999 wird für diesen Fall eine Ermittlung des Fremdwasseranteils nach der Formel

Jahresschmutzwassermenge - gebührenfähige Abwassermenge

Jahresschmutzwassermenge

als geeignet angesehen. Wie sich dem im Berufungsverfahren vom Beklagten vorgelegten Schreiben des Landratsamts Bamberg vom 28. Januar 2002 entnehmen lässt, errechnet sich unter Anwendung dieser Formel ein Fremdwasseranteil von 54 %, was unter Ansatz der den bundesrechtlichen Vorgaben entsprechenden, neuen Berechnungsformel zu dem Ergebnis führt, dass der höchste amtliche Messwert von 54 mg/l den so ermittelten höheren Anforderungswert von 55,2 mg/l noch einhält und somit die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1994 für eine Ermäßigung des Abgabesatzes für den Schadstoffparameter CSB im Veranlagungsjahr 1995 erfüllt sind.

Kosten: § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.815,53 Euro (entspricht 25.065 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

Zurück