Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2008
Aktenzeichen: 22 B 07.143
Rechtsgebiete: BayBO 2008, BauGB, WHG, GG


Vorschriften:

BayBO 2008 Art. 6 Abs. 2 Satz 2
BayBO 2008 Art. 6 Abs. 2 Satz 3
BayBO 2008 Art. 6 Abs. 5
BayBO 2008 Art. 6 Abs. 7
BayBO 2008 Art. 63 Abs. 1
BayBO 2008 Art. 70 Abs. 1 a.F.
BauGB § 35 Abs. 2
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7
WHG § 31 Abs. 4 Satz 3
WHG § 31 Abs. 4 Satz 4
GG Art. 14 Abs. 1 Satz 2
1) Besondere örtliche Situationen in einer Gemeinde können es auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtfertigen, eine Abstandsflächensatzung auf eine relativ kleine Fläche (Betriebsgelände im Außenbereich) zu beschränken.

2) Eine die Möglichkeit einer Abweichung eröffnende atypische Fallgestaltung liegt vor, wenn große Teile des von der Nichteinhaltung einer Abstandsfläche betroffenen Nachbargrundstücks unbebaut sind und im Außenbereich sowie zusätzlich in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet liegen.

3) Öffentliche Belange des Außenbereichsschutzes stehen der Erteilung einer Abweichung von Abstandsflächenvorschriften nicht entgegen, wenn ihre Beeinträchtigung durch die Erteilung der Abweichung weder hervorgerufen noch wesentlich verschärft wird.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

22 B 07.143

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Dezember 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 5. Dezember 2008

am 15. Dezember 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich als Grundstücksnachbarin gegen die Erteilung von Abweichungen von Abstandsflächen in einer der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung.

Die Klägerin ist seit 11. Dezember 2006 Rechtsnachfolgerin des früheren Eigentümers des Grundstücks FlNr. 1194 Gemarkung H************ und hat den Rechtsstreit gemäß § 173 VwGO i.V. mit § 266 Abs. 1 ZPO vom Voreigentümer übernommen. Das Grundstück FlNr. 1194 liegt größtenteils im förmlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Ilm, ist ca. 3 ha groß, in seinem westlichen Teil unbebaut und wird dort als Pferdekoppel genutzt.

Die Beigeladene betreibt auf den westlich vom Grundstück der Klägerin gelegenen und nur durch die Ilm (FlNr. 1486/1) von diesem getrennten Grundstücken FlNrn. 1191, 1191/2 und 1191/3 Gemarkung H************ eine Hart- und Weichweizenmühle. Die Betriebsgrundstücke sind insgesamt ca. 340 m lang und bis zu ca. 55 m breit. Die seit dem 15. Jahrhundert - ursprünglich als Wassermühle - bestehende Mühle wurde in der Vergangenheit mehrfach erweitert und besitzt derzeit eine Vermahlungsleistung von 500 t/24 h.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2006 erteilte das Landratsamt P*********** **** *** der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines zusätzlichen Getreidesilos mit Getreideannahme (Lagerkapazität 22.300 t), eines Mühlengebäudes (Vermahlungsleistung 500 t/24 h), eines Mehl- und Nachproduktesilos (Lagerkapazität 5200 t) und einer Verpackungslinie für Mehle in einer bestehenden Halle. Nach der Kurzbeschreibung des Vorhabens dient die Erweiterung und Modernisierung des Mühlenbetriebs folgenden Zielen: Sicherung des Standortes und der Arbeitsplätze, Erreichen eines hohen Hygienestandards, Minimierung des Energieeinsatzes, Verminderung der Emissionen und Anpassung an den Stand der Technik.

Dem Grundstück der Klägerin gegenüber kommen die neue Getreideannahme, das neue Mühlengebäude und das neue Mehlsilo zu liegen. Das 16 m lange neue Mühlengebäude hat eine Höhe von 34,95 m, das unmittelbar südlich angrenzende neue ca. 30 m lange Mehlsilo hat eine Höhe von 60,85 m; von den nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO (in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung - BayBO a.F.) für diese Gebäude berechneten Abstandsflächen kommen ca. 1678,4 m² auf dem Grundstück der Klägerin zu liegen. Von der ca. 30 m hohen Getreideannahme erstrecken sich ca. 2,3 m² der Abstandsflächen auf das klägerische Grundstück. Nach Osten zu den FlNrn. 1486/1 und 1194 wurde unter Nr. 1.3.1.1.3 für den Gebäudekomplex Mehlsilo/Mühle und unter Nr. 1.3.1.3.3 für den Gebäudekomplex Getreideannahme/Getreidesilo jeweils eine Abweichung von Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO a.F. wegen der fehlenden Einhaltung der erforderlichen Abstandsfläche zugelassen. Die Abweichungen wurden damit begründet, dass eine unbebaute Fläche (Wiese) betroffen sei und keine Anhaltspunkte für eine Bebauung in absehbarer Zeit bestünden. Wegen der Lage im Außenbereich und im festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Ilm sei eine Bebauung zwar nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich. Aufgrund der nicht vorhandenen Bebauung könne der originäre Zweck des Abstandsflächenrechts - Sicherung von Freiflächen zwischen Gebäuden - nicht tangiert werden. Eine nennenswerte Beeinträchtigung in der Nutzbarkeit durch eintretende Verschattung sei nicht erkennbar. Die Ertragsfähigkeit des klägerischen Grundstücks werde den eingeholten Gutachten zufolge maximal um etwa 0,25% zurückgehen. Das Vorhaben weiche vom Regelfall ab, da die betrieblichen Erfordernisse die Errichtung relativ hoher Gebäude bedingten und nach dem Zuschnitt des Betriebsgeländes die für den Betrieb notwendige Erweiterung ohne die Abweichungen ausgeschlossen wäre. Die Situation unterscheide sich auch deshalb vom Regelfall, weil mangels Gebäuden der wesentliche Zweck des Abstandsflächenrechts nicht erreicht werden könne.

Die hiergegen vom Voreigentümer erhobene Anfechtungsklage blieb vor dem Verwaltungsgericht München erfolglos (Urteil vom 5.12.2006).

Am 14. Dezember 2007 hat die Gemeinde H************ eine "Abstandsflächensatzung" gemäß Art. 6 Abs. 7 BayBO (in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.8.2007, [GVBl S. 588] in Kraft getreten am 1.1.2008 - BayBO 2008) erlassen, die nach ihrem § 3 am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist. Diese sieht für ihren räumlichen Geltungsbereich - ausschließlich die Betriebsgrundstücke der Beigeladenen - im Ergebnis vor, dass die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H beträgt.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin das Rechtsschutzbegehren des Voreigentümers weiter. Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 5. Dezember 2006 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landratsamts P*********** **** *** vom 6. Juni 2006 aufzuheben. Zur Begründung führt sie aus, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Die Abweichungen von den Abstandsflächen bezüglich der FlNr. 1194 seien rechtswidrig. Es fehle bereits an der von der Rechtsprechung geforderten Atypik. Die Gründe für eine Abweichung müssten umso bedeutender sein, je weiter die Verkürzung der Abstandsfläche gehen solle. Vorliegend liege die Abstandsfläche für das neue Mühlengebäude mit einer Tiefe von 20 m bis 21 m zu ca. 60% auf dem Grundstück der Klägerin und für das südlich anschließende Mehlsilogebäude mit einer Tiefe von 44,5 m bis 46,25 m zu ca. 75%. Das Verwaltungsgericht habe sich vorwiegend auf die wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen gestützt und sei von einer Art "überwirkenden Bestandsschutzes" ausgegangen. Die genehmigte Betriebserweiterung unterfalle aber nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 14 GG. Das Betriebsgrundstück habe per se auch keinen ungünstigen Zuschnitt, eine Betrachtung des Grundstücks speziell unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen sei unstatthaft. Die erteilten Abweichungen seien auch mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar. Zu den öffentlichen Belangen i.S. von Art. 70 Abs. 1 BayBO a.F. zählten auch die städtebaulichen Belange i.S. des § 35 Abs. 3 BauGB. Das genehmigte Vorhaben führe zur Verfestigung einer unerwünschten Splittersiedlung und zu einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes in dem insoweit sensiblen Talbereich der Ilm; im Übrigen stehe dem Vorhaben wegen der Konfliktlage mit hoher Intensität der öffentliche Belang der Planungsbedürftigkeit entgegen. Der Nachbar habe einen Anspruch darauf, dass von einer ihn schützenden Norm nur unter Beachtung aller gesetzlichen Voraussetzungen abgewichen werde. Schließlich seien die erteilten Abweichungen auch nicht mit den direkt betroffenen nachbarlichen Belangen vereinbar. Das Interesse der Klägerin werde in unzulässiger Weise verkürzt, wenn nur auf die Aufwuchsschäden abgestellt und nicht zusätzlich die aufgrund der konkreten Grundstücksnutzung als Pferdekoppel auftretenden Nachteile berücksichtigt würden. Im Übrigen seien die von der Beigeladenen vorgelegten Gutachten des Büros ********* vom 20. Juli 2005 und das darauf aufbauende Gutachten des Dr. ***** vom 2. November 2005 nicht nachvollziehbar bzw. in sich widersprüchlich. Die von der Klägerin eingeholten Gutachten (********** Lichtlabor GmbH vom 12.2.2007, Ingenieurbüro ******** GmbH & Co KG vom 2.2.2007 und darauf aufbauend Dr. ******* vom 21.2.2007) kämen zu anderen Ergebnissen.

Die von der Gemeinde H************ am 14. Dezember 2007 erlassene Abstandsflächensatzung sei wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam. Der räumliche Geltungsbereich dieser Satzung beschränke sich auf drei Flurnummern, nämlich die Betriebsgrundstücke der Beigeladenen. Verfassungsrechtlich sei es unzulässig, eine Satzung nur für die Betriebsgrundstücke eines einzigen Eigentümers zu erlassen. Soweit eine Satzung nur für Teile eines Gemeindegebiets erlassen werde, bedürfe dies einer sachlichen Rechtfertigung, die am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu beurteilen sei. Ausreichende Gründe dafür, nur die Beigeladene mit einer äußerst vorteilhaften Abstandsregelung zu "beglücken", bestünden nicht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, die Voraussetzungen für die Erteilung der Abweichungen von den Abstandsflächen lägen vor. Eine atypische, vom Regelfall abweichende Fallgestaltung ergebe sich daraus, dass die genehmigten Gebäude erforderlich seien, um den bestehenden Mühlenbetrieb zu modernisieren und an veränderte Anforderungen, insbesondere des Lebensmittelrechts, anzupassen. Aufgrund der engen betrieblichen Verzahnung komme nur dieser Standort in Betracht; zudem erforderten die betrieblichen Belange eine starke Höhenentwicklung der Gebäude. Im Hinblick auf diesen konkreten Bebauungswunsch habe das Betriebsgrundstück einen äußerst ungünstigen Zuschnitt. An diese objektiven Fakten knüpfe die Abweichung an. Die Abweichung beruhe auf einer hinreichenden Würdigung öffentlicher Interessen. Der Kreis der hier zu berücksichtigenden öffentlichen Belange sei durch den Regelungsgegenstand der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschrift eingegrenzt. Diese müssten Bezug haben zu den Regelungen des Abstandsflächenrechts, was bei öffentlichen Belangen i.S. des § 35 Abs. 3 BauGB nicht der Fall sei. Die Abweichung sei auch mit den nachbarlichen Belangen vereinbar. Der Zweck des Abstandsflächenrechts, Freiflächen zwischen Gebäuden zu sichern, um eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung zu gewährleisten, den sozialen Wohnfrieden zu wahren und einen ausreichenden Brandschutz sicher zu stellen, sei hier nicht nötig, weil das Nachbargrundstück wegen der Lage im Überschwemmungsgebiet grundsätzlich nicht bebaubar sei. Im Übrigen bestünden auch keine konkreten Bebauungsabsichten. Das Grundstück der Klägerin sei weder durch Beschattung noch in seiner Nutzung als Pferdekoppel signifikant betroffen. Der Beklagte stütze seine Entscheidung (auch) auf die neuen Erkenntnisse, die sich aus den von der Beigeladenen zusätzlich eingeholten Gutachten ergäben. Auch diese präzisere Datenbasis führe zu keiner anderen Bewertung der Nachteile für die Klägerin. Ihre landwirtschaftlich genutzten Flächen würden zwar eine gewisse Verschattung erleiden, aber keine nennenswerte Beeinträchtigung ihrer Ertragsfähigkeit (Grasgewinnung) bzw. ihrer Nutzbarkeit (Pferdekoppel).

Die Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die von der Rechtsprechung geforderte Atypik liege vor. Bei der Beurteilung dieser Frage komme es auf den Zweck des Abstandsflächenrechts an, das dazu diene, Abstände zwischen Gebäuden sicherzustellen. Atypik sei daher in Fällen bejaht worden, in denen es keine im Hinblick auf das Abstandsflächenrecht schutzwürdige Bebauung auf dem Nachbargrundstück gebe. Auch aus Art. 7 Abs. 5 Satz 1, Halbsatz 1, Alternative 2 BayBO a.F. ergebe sich dies, da sich die Abstandsflächen ohne Abweichung auf ein Nachbargrundstück erstrecken dürften, wenn dessen Bebauung aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Vorliegend sei aufgrund der Lage des Nachbargrundstücks im Überschwemmungsgebiet sogar von einer solchen rechtlichen Unbebaubarkeit auszugehen, so dass es der Abweichungen gar nicht bedurft hätte. Ein atypischer Fall werde von der Rechtsprechung ferner bei der Erweiterung eines vorhandenen baulichen Bestands angenommen, wobei nicht Voraussetzung sei, dass diese Erweiterung sich im Rahmen des Bestandsschutzes bewege. Es werde vielmehr auf die Zwangslage eines Eigentümers abgestellt, die bei der Beigeladenen im Hinblick auf die betrieblichen Belange bestehe. Diese sei insbesondere aus Gründen des Lebensmittelrechts verpflichtet, ihren Betrieb anders zu organisieren. Die Anordnung der neuen Gebäude sei durch den vorhandenen Bestand und aufgrund der nötigen Neuordnung der Betriebsabläufe vorgegeben. Nachdem das Nachbargrundstück vorliegend praktisch unbebaubar sei, könne jedenfalls die gesamte öffentliche Fläche der Ilm als Abstandsfläche der Beigeladenen zugeschlagen werden. Insoweit sei das Ausmaß der Verkürzung der Abstandsflächen nicht so gravierend wie von der Klägerin dargestellt. Hinzu komme der ungünstige Zuschnitt der Betriebsgrundstücke, die im Süden ca. 36 m breit seien und in Richtung Norden zunächst nochmals schmäler würden, um sich dann auf eine maximale Breite von ca. 55 m auszuweiten (mit einer laufenden Verschmälerung im folgenden Bereich). Dass die Betriebsgrundstücke der Beigeladenen insgesamt eine beachtliche Fläche hätten, ändere nichts daran, dass deren Zuschnitt "besonders" und insbesondere auch "ungünstig" sei. Was die Auswirkungen des Vorhabens auf das Grundstück der Klägerin betreffe, so berücksichtigten die von der Klägerin eingeholten Gutachten nicht den 30 m bis 35 m hohen Baumbestand entlang der Westgrenze des klägerischen Grundstücks. Auch im Übrigen seien die Gutachten nicht nachvollziehbar, allgemeine Wertminderungen seien nach der Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen. Die zwischenzeitlich von der Beigeladenen eingeholten Gutachten bestätigten, dass nennenswerte Auswirkungen auf das Grundstück der Klägerin weder in Bezug auf die Ertragsfähigkeit noch in Bezug auf die Nutzung als Pferdekoppel zu erwarten seien.

Aufgrund der durch die Abstandsflächensatzung der Gemeinde H************ vom 14. Dezember 2007 auf 0,4 H reduzierten Abstandsflächen habe sich die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks nochmals reduziert. Auf diesem kämen ohne Betrachtung der Abweichungen nur noch Teile der Abstandsflächen des Mehlsilos und der Mühle im Umfang von (257,2 m² + 0,1 m²=) 257,3 m² zu liegen. Die Gemeinde sei einverstanden, dass ihr Grundstück FlNr. 1486/1 (Ilm) vollständig für das streitgegenständliche Vorhaben in Anspruch genommen werde. Durch eine Anrechnung dieser öffentlichen Wasserfläche mit einer maximalen Breite von 12,83 m rage die Abstandsfläche der Gebäude nur noch maximal 9,62 m in das Grundstück der Klägerin. Soweit nur die Hälfte der öffentlichen Wasserfläche angerechnet werde, beanspruche das Vorhaben ca. 16,03 m der rechtlich der Klägerin zustehenden Fläche. Nach den ergänzend eingeholten Gutachten bestehe nach dieser Rechtsänderung hinsichtlich der Situation bei Einhaltung der Abstandsflächen im Verhältnis zu der Situation ohne Einhaltung der Abstandsflächen nur noch eine vernachlässigbare Einbuße an Belichtung und Belüftung für das klägerische Grundstück und dementsprechend erst recht keine Minderung von dessen Ertragsfähigkeit und Nutzbarkeit. Jedenfalls nach Erlass der Abstandsflächensatzung der Gemeinde H************ seien Abweichungen von den Abstandsflächen überhaupt nicht mehr erforderlich, da nunmehr ausgeschlossen werden könne, dass die kleine Fläche, auf der die Abstandsflächen des Vorhabens noch auf dem klägerischen Grundstück zu liegen kämen, jemals bebaut werden könne. Für diese kleine, unmittelbar neben der Ilm liegende Fläche sei eine Bebauung schlechterdings auf Dauer nicht denkbar. Zumindest sei dadurch die Verkürzung der Abstandsflächen durch die Abweichung erheblich reduziert worden. Auf das klägerische Grundstück fielen nur noch 0,05% der Abstandsflächen der Mühle und 35,7% der Abstandsflächen des Mehlsilos.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die in der immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung vom 6. Juni 2006 erteilten (und noch Wirkung entfaltenden) Abweichungen von den Abstandsflächen die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach der nunmehr maßgeblichen Sach- und Rechtslage (1.) bedarf es zwar für den Gebäudekomplex Mühle/Mehlsilo weiterhin der erteilten Abweichungen (2.). Diese sind aber im Ergebnis nicht als rechtsfehlerhaft zu beanstanden (§ 114 VwGO) (3.).

1. Maßgebend für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs. Gegenüber der Sach- und Rechtslage bei Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist eine Änderung eingetreten, die sich insgesamt zu Gunsten des Vorhabens der Beigeladenen auswirkt und deshalb zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG vom 23.4.1998 NVwZ 1998, 1179 m.w.N.). Aufgrund der von der Gemeinde H************ am 14. Dezember 2007 erlassenen und am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen "Abstandsflächensatzung" beträgt die Tiefe der Abstandsfläche auf den streitgegenständlichen Betriebsgrundstücken der Beigeladenen statt 1 H nur 0,4 H. Diese Satzung ist gültig (a), und diese zum 1. Januar 2008 eingetretene Rechtsänderung wirkt sich insgesamt günstiger für das Vorhaben der Beigeladenen aus als die bisherige Rechtslage (b).

a. Die "Abstandsflächensatzung" der Gemeinde H************ ist wirksam. Sie ist insbesondere mit höherrangigem Recht vereinbar.

Die Satzung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 6 Abs. 7 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007 (GVBl S. 588), in Kraft getreten am 1. Januar 2008 - BayBO 2008. Nach dieser Vorschrift kann die Gemeinde durch Satzung abweichend u.a. von Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO 2008 (entspricht Art. 6 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BayBO a.F.) für ihr Gemeindegebiet oder Teile ihres Gemeindegebiets vorsehen, dass 1. nur die Höhe von Dächern mit einer Neigung von weniger als 70 Grad zu einem Drittel, bei einer größeren Neigung der Wandhöhe voll hinzugerechnet wird und 2. die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H, mindestens 3 m, in Gewerbe- und Industriegebieten 0,2 H, mindestens 3 m, beträgt. Genau diese Regelung hat die Gemeinde H************ in ihrer Satzung vom 14. Dezember 2007 für den räumlichen Geltungsbereich der Grundstücke FlNrn. 1191, 1191/2 und 1191/3 der Gemarkung H************ und damit ausschließlich für das Betriebsgelände der Beigeladenen getroffen. Da die Grundstücke der Beigeladenen im Außenbereich, also nicht in einem Gewerbe- oder Industriegebiet (§ 8, § 9 BauNVO) liegen, beträgt für sie die Tiefe der Abstandsfläche nunmehr 0,4 H.

Die Ermächtigungsgrundlage normiert keinerlei Rechtsvoraussetzungen für den Erlass einer derartigen Satzung, so dass es grundsätzlich im weiten Ermessen der jeweiligen Gemeinde liegt, ob sie eine solche Satzung erlässt. Nach der Amtlichen Begründung (LT-Drs. 15/7161 S. 42) enthält Art. 6 Abs. 7 BayBO 2008 eine abstandsflächenrechtliche Experimentierklausel. Die im Zuge der Verbändebeteiligung geführte lebhafte öffentliche Diskussion habe gezeigt, dass das in erster Linie durch eine Verkürzung der regelmäßigen Abstandsflächentiefe von 1 H auf 0,4 H charakteristische neue Abstandsflächenrecht der MBO (= Musterbauordnung) 2002 noch nicht hinreichend konsensfähig sei, aber lokal durchaus unterschiedlich eingeschätzt werde. Vor diesem Hintergrund erscheine es sachgerecht, dieses Abstandsflächenrecht zunächst auf freiwilliger Grundlage zu erproben. Diese Optionsmöglichkeit stelle eine an keine tatbestandlichen Voraussetzungen geknüpfte verfahrenstechnische Vereinfachung für die Gemeinden dar.

Dadurch, dass der Gesetzgeber keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen an den Erlass einer solchen Satzung knüpft und - mit Ausnahme des Geltungsbereichs - den genauen Regelungsinhalt vorgibt, stellt er neben das Abstandsflächensystem der Bayerischen Bauordnung ein weiteres Abstandsflächensystem, das er in gleicher Weise für geeignet hält, die Grenzen der konkurrierenden Nutzungs- und Schutzinteressen wie die sonstigen Regelabstandsflächen des Art. 6 BayBO 2008 zu bestimmen, und räumt der jeweiligen Gemeinde ein Wahlrecht zwischen beiden Systemen ein. Aus der Sicht des Gesetzgebers reicht auch mit Blick auf das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) eine Abstandsflächentiefe von 0,4 H als allgemeiner bauordnungsrechtlicher Mindeststandard aus. Der Gesetzgeber trifft damit jedenfalls für die Fallgestaltung, dass eine Abstandsflächensatzung für ein Gemeindegebiet insgesamt erlassen wird, eine gesetzliche Planungsentscheidung, die standardisierend aufgrund einer vorweggenommenen generellen Abwägung der Interessen des Bauherrn mit Gemeinwohl- und Nachbarinteressen eine bestimmte Verkürzung der grundsätzlich vorgesehenen Abstandsflächentiefe von 1 H zulässt (vgl. BayVGH vom 17.4.2000 NVwZ-RR 2001, 291 zum Schmalseitenprivileg). Aufgrund dieser bereits vom Gesetzgeber vorgenommenen Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist eine nochmalige Abwägung unter dem Blickwinkel der Eigentumsgarantie durch die Gemeinde entbehrlich, der Erlass solcher Satzungen liegt grundsätzlich in ihrem (weiten) Ermessen.

Die Ausübung dieses Ermessens unterliegt jedoch Einschränkungen durch höherrangiges Recht, die umso schwerer zu überwinden sind, je kleiner der Teil des Gemeindegebiets ist, auf den die Abstandsflächensatzung ihren Geltungsbereich erstreckt. Auch wenn der Gesetzgeber durch die Möglichkeit, nur Teile des Gemeindegebiets in die Satzung einzubeziehen, bereits die Grundsatzentscheidung getroffen hat, dass es mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig ist, zu Gunsten einer besseren Ausnutzbarkeit der Grundstücke im Satzungsbereich die jeweiligen Nachbarn bezüglich der abstandsflächenrechtlichen Zielsetzungen schlechter zu stellen, darf dies nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen nur unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 118 Abs. 1 BV) und des Rechtsstaatsgebots (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) im konkreten Fall geschehen. Hierfür bedarf es einer sachgerechten Begründung (vgl. auch Baumgartner/Jäde/Kupfahl, Das Bau- und Wohnungsrecht in Bayern, Stand April 2008, RdNr. 167 zu Art. 6 BayBO 2008). Der Gleichheitssatz untersagt es, gleich liegende Sachverhalte, die aus der Natur der Sache und unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit eine gleichartige Regelung erfordern, ungleich zu behandeln. Er verlangt aber keine schematische Gleichbehandlung, sondern lässt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind (BayVerfGH vom 21.10.2008 Az. Vf. 113-VI-07 m.w.N.).

Trotz der Begrenzung des räumlichen Geltungsbereichs der Abstandsflächensatzung auf das Betriebsgelände der Beigeladenen sind diese Ermessensgrenzen nicht überschritten. Dem Auszug aus der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Gemeinderats H************ vom 11. Dezember 2007 ist zu entnehmen, dass die Gemeinde bei Erlass der Satzung auf die vom Landratsamt aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten für das Bauvorhaben erteilten Abweichungen Bezug nimmt und sich dessen Erwägungen zu Eigen macht. Danach wird vorliegend eine Sondersituation gesehen, die darin besteht, dass sich auf den in den Geltungsbereich aufgenommenen Flächen ein alteingesessener Betrieb befindet, an dessen Modernisierung und Erweiterung sowie wirtschaftlichem Fortbestand die Gemeinde selbst - auch im Hinblick auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen - sehr interessiert ist, und dass zudem besondere Gründe in der Nachbarschaft vorliegen, die auch den Nachbarn gegenüber eine größere Ausnutzbarkeit der Betriebsgrundstücke rechtfertigen, obwohl den Nachbarn dieser rechtliche Vorteil nicht zugewendet wird. Durch die Bezugnahme auf die erteilten Abweichungen wird deutlich, dass die Gemeinde im Hinblick auf das Grundstück der Klägerin berücksichtigt hat, dass dieses wegen seiner Lage im Überschwemmungsgebiet der Ilm (und im Außenbereich) keine großen Chancen auf eine Bebauung hat (s. unten 3). Zwar werden die westlich gelegenen landwirtschaftlichen Grundstücke anderer Eigentümer nicht eigens genannt. Aber insoweit war der Gemeinde bekannt, dass diese teilweise der Verwirklichung des Vorhabens der Beigeladenen dienen, da hier bereits Abstandsflächenübernahmen bezüglich des streitgegenständlichen Vorhabens (bezogen auf die weit größeren Abstandsflächen nach altem Recht) stattgefunden hatten und angemessen vergütet worden waren. Realisierbare Bebauungsabsichten, die unangemessen eingeschränkt würden, sind auch auf diesen Grundstücken nicht erkennbar. Insgesamt ergibt sich danach, dass die Gemeinde für den fraglichen Bereich eine Sondersituation aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse bzw. der besonderen baulichen Situation gesehen hat, die letztlich dazu führt, dass in diesem Bereich der Hauptzweck des Abstandsflächenrechts, nämlich im Ergebnis freizuhaltende Abstände zwischen Gebäuden zu gewährleisten (vgl. schon BayVGH vom 14.12.1994 BRS 57 Nr. 156), kaum erreicht werden kann. Von der Klägerin wurde zudem nicht dargelegt, und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass eine gleichartige Situation auch in anderen Teilen des Gemeindegebiets vorhanden wäre, somit die Beschränkung des Geltungsbereichs auf die Betriebsgrundstücke der Beigeladenen aus diesem Grund gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen könnte. In gleicher Weise ist nicht ersichtlich, dass die Satzung im konkreten Fall gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Diese besondere Situation rechtfertigt es auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Satzung auf eine relativ kleine Fläche, die nur ein Vorhaben betrifft, zu beschränken (vgl. auch Baumgartner/Jäde/Kupfahl, a.a.O.).

b. Die seit 1. Januar 2008 bestehende Rechtslage, die durch den Erlass der Abstandsflächensatzung der Gemeinde H************ bzw. das Inkrafttreten der hierfür als Rechtsgrundlage dienenden Bayerischen Bauordnung 2008 entstanden ist, begünstigt insgesamt die Beigeladene.

Durch die Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 H werden die Abstandsflächen für den gesamten Komplex des Getreidesilos samt Getreideannahme nunmehr auf dem Baugrundstück selbst eingehalten. Die hierfür erteilte Abweichung geht damit ins Leere. In Bezug auf die übrigen erteilten Abweichungen führt die durch die Satzung vom 14. Dezember 2007 eingeführte Abstandsflächenverkürzung zu einer geringeren rechtlichen Betroffenheit der Klägerin.

2. Auch nach der nunmehr maßgeblichen Sach- und Rechtslage bedarf es für das Vorhaben der Beigeladenen weiterhin der erteilten Abweichungen für die neue Mühle und das neue Mehlsilo (a). Das Erfordernis einer Abweichung entfällt auch nicht deshalb, weil das Grundstück der Klägerin im fraglichen Bereich rechtlich nicht bebaubar wäre (b).

a. Nach den von der Beigeladenen als Anlagen B 37 und B 38 (Bl. 476 f. der Akten des VGH) vorgelegten neuen Abstandsflächenplänen kommen die Abstandsflächen der Mühle und des Mehlsilos auch bei einer (regulären) Tiefe der Abstandsflächen von 0,4 H nicht, wie von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO 2008 gefordert, auf dem Baugrundstück selbst zu liegen. Die Abstandsfläche der Mühle fällt zwar nicht mehr direkt auf das Grundstück der Klägerin; sie nimmt aber die gesamte öffentliche Wasserfläche der Ilm in Anspruch. Von Gesetzes wegen darf diese von den jeweiligen Nachbarn nur bis zu deren Mitte in Anspruch genommen werden (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO 2008). Das Einverständnis der Gemeinde H************, die Beigeladene könne die gesamte Fläche dieses Wassergrundstücks, das sich in ihrem Eigentum befindet, in Anspruch nehmen, kann die gesetzliche Regelung nicht außer Kraft setzen. Die Abstandsflächen des Mehlsilos fallen bis zu einer Tiefe von 9,62 weiterhin auf das Grundstück der Klägerin und bedürfen daher ebenso wie die der Mühle nach wie vor der Zulassung einer Abweichung.

b. Das Erfordernis einer Abweichung entfällt auch nicht deshalb, weil sich die Abstandsflächen des Bauvorhabens wegen der rechtlichen Nichtbebaubarkeit des Grundstücks der Klägerin auf dieses erstrecken könnten (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO 2008 = Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 2 BayBO a.F.). Eine derartige rechtliche Nichtbebaubarkeit liegt nicht vor.

Ein Grundstück kann aus rechtlichen Gründen nicht überbaut werden, wenn aufgrund besonderer rechtlicher Umstände anzunehmen ist, dass auf ihm nicht nur gegenwärtig, sondern auf nicht absehbare Zeit - auf Dauer - abstandspflichtige Anlagen nicht errichtet werden dürfen. Die Anforderung, dass die Bebaubarkeit auf Dauer ausgeschlossen sein muss, ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift und aus der Gewährleistung der Eigentumsgarantie (Art. 103 Abs. 1 BV, Art. 14 Abs. 1 GG). Dem Eigentümer eines nicht überbaubaren Grundstücks ist eine abstandsflächenrechtliche Inanspruchnahme seines Grundstücks durch Nachbarn wegen des Verbots der Überdeckung von Abstandsflächen nur zuzumuten, wenn anzunehmen ist, dass sein Grundstück auch in Zukunft unbebaubar bleibt (vgl. BayVGH vom 29.9.2004 NVwZ-RR 2005, 389).

Diese Voraussetzungen sind nicht aufgrund der Lage eines großen Teils des klägerischen Grundstücks im förmlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Ilm gegeben. Öffentlich-rechtliche Bauverbote, von denen Ausnahmen zulässig sind, stehen einer Bebauung des Nachbargrundstücks grundsätzlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit entgegen (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO a.F., RdNr. 553 zu Art. 7 m.w.N.). Nicht anders ist dies hier. Durch eine Lage im förmlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet ist ein Grundstück grundsätzlich nicht mit dieser Sicherheit von einer Bebauung ausgeschlossen. Gemäß § 31 b Abs. 4 Sätze 3 und 4 WHG, Art. 61 d ff. BayWG besteht für Vorhaben im (förmlich festgesetzten) Überschwemmungsgebiet kein Bauverbot ohne mögliche Ausnahme, sondern nur eine Genehmigungspflicht. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen kann die Genehmigung erteilt werden (Art. 61 h Abs. 2 BayWG). Zwar handelt es sich im vorliegenden Fall um ein nach früherem Recht förmlich festgesetztes Überschwemmungsgebiet. Ein solches gilt jedoch nach Art. 61 e Abs. 1 Satz 2 BayWG trotz der neuen Rechtslage fort (vgl. Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, BayWG, RdNr. 2 zu Art. 61 e). Es trifft zwar zu, dass im konkreten Einzelfall die Erteilung einer Genehmigung auf die Dauer praktisch ausgeschlossen sein könnte mit der Folge, dass rechtliche Nichtbebaubarkeit bejaht werden könnte. Im vorliegenden Fall besteht für eine solche Annahme jedoch keine ausreichende Grundlage.

Hieran ändert sich auch durch die Verkürzung der maßgeblichen Abstandsfläche auf 0,4 H nichts. Zwar liegt der jetzt noch von den Abstandsflächen des Vorhabens betroffene Grundstücksteil der Klägerin nahe an der Ilm und ist im Verhältnis zum Grundstück insgesamt sehr klein. Der Vertreter des Beklagten konnte aber in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs keine Aussage dazu machen, ob es wahrscheinlich ausgeschlossen ist, dass auf diesem Grundstücksteil eine Bebauung gestattet werden würde. Der Grundstücksteil besitze noch eine Breite, die über den unter allen Umständen freizuhaltenden Uferstreifen hinausreiche. Der Vertreter des Beklagten konnte nur die Aussage treffen, die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Bereich Bebauung gestattet werden würde, sei nicht groß. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass vorliegend eine Ausnahme vom Bauverbot im (förmlich festgesetzten) Überschwemmungsgebiet nur eine theoretische Möglichkeit darstellt, die im konkreten Einzelfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Dauer ausgeschlossen ist (vgl. auch BayVGH vom 12.7.1999 Az. 14 B 95.2069).

3. Die danach (noch) erforderliche und vom Landratsamt getroffene Abweichungsentscheidung ist rechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die für einen bestimmten Geltungsbereich gemäß Art. 6 Abs. 7 BayBO 2008 angeordnete Verkürzung der Abstandsfläche auf 0,4 H eine absolute Grenze darstellen soll. Der Gesetzgeber wollte die Möglichkeit, Abweichungen zu erteilen, auch in diesem Regelungssystem nicht ausschließen. Dies hätte ansonsten in Art. 63 Abs. 1 BayBO 2008 seinen Ausdruck finden müssen. Schon nach der früher geltenden Rechtslage galt, dass nicht nur von den Regelabstandsflächen abgewichen werden konnte, es standen vielmehr alle (standardisierenden) Regelungen des Art. 6 BayBO a.F., wie z.B. auch das Schmalseitenprivileg, zusätzlich unter dem Korrekturvorbehalt einer an der Einzelfallgerechtigkeit orientierten Ermessensentscheidung nach Art. 70 Abs. 1 BayBO a.F. (vgl. BayVGH vom 17.4.2000 NVwZ-RR 2001, 291). Darüber hinaus gab es nach der alten Rechtslage auch kein absolutes Maß für eine (noch zulässige) Abweichung von den Regelabstandsflächen. Vielmehr kam es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an, wobei die Gründe für eine Abweichung umso bedeutender sein mussten, je weiter die Verkürzung der Abstandsfläche gehen sollte. Unter ganz besonderen Umständen wurde sogar eine Verkürzung der Abstandsflächentiefe auf 0,25 H in Wohngebieten als zulässig angesehen (vgl. BayVGH vom 22.9.2006 BauR 2007, 1558). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Ausnahmemöglichkeit für die Gemeinden nach Art. 6 Abs. 7 BayBO 2008 auf einen bauordnungsrechtlich zu sichernden Mindeststandard abzielt und dabei die Ausleuchtung von Aufenthaltsräumen mit Tageslicht im fensternahen Bereich (bis etwa 2,5 m Tiefe), die Lesen und Schreiben bei bedecktem Himmel gestattet , im Blick hat (vgl. Amtliche Begründung Lt-Drs. 15/7161 S. 43). Inwieweit eine Abstandsflächensatzung, die allein für ein bestimmtes Betriebsgelände gilt und diesbezüglich abstandsflächenrechtliche Erleichterungen vorsieht, bei der Beurteilung der Erteilung einer darüber hinausgehenden Abweichung zu berücksichtigen ist, ist damit nicht beantwortet. Diese Frage kann nur im konkreten Einzelfall entschieden werden.

b. Gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO 2008, der in der Sache dem Art. 70 Abs. 1 BayBO a.F. entspricht (vgl. Amtliche Begründung a.a.O. S. 68), kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen der Bayerischen Bauordnung (und darauf erlassener Vorschriften) zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO 2008, vereinbar sind.

aa. Dies setzt bei Abweichungen von den Abstandsflächen zunächst voraus, dass eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung vorliegt. Während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt werden kann, wird der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Lüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Lüftung (sowie eine Verringerung der freien Flächen des Baugrundstücks) im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. Diese kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH vom 16.7.2007 NVwZ-RR 2008, 84 m.w.N.). Weitere Gründe stellen Besonderheiten der Lage und des Zuschnitts der benachbarten Grundstücke zueinander oder topographische Besonderheiten des Geländeverlaufs dar (OVG NRW vom 5.3.2007 NVwZ-RR 2007, 510). Auch wenn der bloße Wunsch eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen, als die Abstandsflächenvorschriften es erlauben, keine atypische Fallgestaltung schaffen kann, kann in den oben beschriebenen Fallgruppen auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen, oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH vom 16.7.2007 a.a.O. m.w.N.).

Vorliegend besteht die grundstücksbezogene Atypik vor allem darin, dass das ca. 3 ha große Nachbargrundstück der Klägerin ca. zur Hälfte, nämlich im gesamten unbebauten westlichen Teil (Breite im maßgeblichen Bereich ca. 100 m) im festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Ilm und zudem im Außenbereich liegt. Zwar mag allein die Lage eines Grundstücks im Außenbereich und dessen (nur) landwirtschaftliche Nutzung nicht die Annahme einer derartigen Atypik rechtfertigen (vgl. BayVGH vom 20.1.1995 Az. 1 CS 94.3618; a.A. Baumgartner/Jäde/Kupfahl, Das Bau- und Wohnungsrecht in Bayern Stand November 2006, RdNr. 22 c zu Art. 70 BayBO a.F.), da anzunehmen ist, dass auch der Landesgesetzgeber die maßgeblichen Planungsbereiche des Baugesetzbuchs im Blick hatte und im Übrigen nicht von einer grundsätzlichen Unbebaubarkeit des Außenbereichs auszugehen ist (vgl. § 35 Abs. 1, Abs. 4 BauGB, aber auch § 35 Abs. 2 BauGB). Anders ist dies jedenfalls dann zu beurteilen, soweit unbebaute Grundstücke im Außenbereich zugleich mit maßgeblichen Teilen in einem Überschwemmungsgebiet liegen und daher eine Bebauung gerade in diesen Bereichen nicht sehr wahrscheinlich ist (vgl. die Äußerung des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 5.12.2008). Angesichts der Größe des klägerischen Grundstücks erscheint - auch wegen des größeren Bau- und Erschließungsaufwands - eine Bebauung im Überschwemmungsbereich zudem umso unwahrscheinlicher, je näher Grundstücksteile zur Ilm hin liegen. Aufgrund solcher objektiver Gegebenheiten - nicht vorhandene und nicht zu erwartende Bebauung - erscheinen die zielorientierten Anforderungen des Abstandsflächenrechts, bezogen auf deren Hauptzweck - Sicherung von Freiflächen zwischen Gebäuden zur Gewährleistung einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie des erforderlichen Wohnfriedens und Brandschutzes -, vorliegend mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht erreichbar. Nicht ohne Bedeutung erscheint zudem, dass der Zuschnitt der Grundstücke der Beigeladenen, die im Verhältnis zu ihrer Länge relativ schmal sind, eine Bebauung jedenfalls mit höheren Gebäuden sehr erschwert.

bb. Auch die vom Landratsamt getroffene Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen der Klägerin als Nachbarin - unter Berücksichtigung der öffentlichen Belange - ist rechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof geht dabei davon aus, dass dem Landratsamt hierbei ein Entscheidungsspielraum zusteht, dessen Ausnutzung verwaltungsgerichtlich nur beschränkt nach Maßgabe des § 114 VwGO überprüfbar ist. Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit hier Beurteilungsspielräume auf der Tatbestandsseite und Ermessensspielräume auf der Rechtsfolgenseite bestehen oder ineinander übergehen.

Aufgrund des schon auf dem Grundstück vorhandenen Bestands durfte das Landratsamt das Interesse der Bauherrin an der Erhaltung ihres Standorts berücksichtigen. Dieser Standort wäre im Hinblick auf die für die Entwicklung ihres Betriebs notwendige Erweiterung bei Nichterteilung einer Abweichung gefährdet gewesen. Der Geschäftsführer der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbar dargelegt, dass die ständig fortschreitende Konzentration bei Mühlen- und Bäckereibetrieben und die gestiegenen hygienischen Erwartungen der Abnehmer sowie die Notwendigkeit, die für die Großabnehmer nötige Liefersicherheit sicherzustellen, eine Neustrukturierung des Betriebs erforderlich machten, um so auf längere Sicht hin den Marktanteil halten zu können. Insoweit ist nicht maßgeblich, ob die Beigeladene schon derzeit zur Erhaltung ihrer Marktposition das streitgegenständliche Vorhaben ausführen muss, was die Klägerin bestritten hat. Maßgeblich ist vielmehr, dass nach der nachvollziehbaren unternehmerischen Einschätzung auf längere Sicht hin eine Anpassung des Betriebs an geänderte Marktverhältnisse für dessen Fortbestand unverzichtbar ist. Der Geschäftsführer der Beigeladenen hat weiter in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass für die Beigeladene ein Standortwechsel nicht finanzierbar wäre, weil dann auf die auf dem strittigen Baugrundstück bereits vorhandenen hochwertigen technischen Anlagen (Hartweizen- und Weichweizenmühle) nicht zurückgegriffen werden könnte und diese neu errichtet werden müssten. Insoweit bedingt das Interesse der Beigeladenen an der zeitgemäßen Nutzung des vorhandenen Bestands auch die genehmigte Modernisierung und Erweiterung ihres Betriebs. Auch wenn ein verständlicher Wunsch eines Bauherrn nach der Modernisierung seines Betriebs als solcher nicht für die Annahme einer Atypik ausreicht, so ist sein Interesse daran, einen im Außenbereich schon bestehenden Betrieb, zu dem bereits hochwertige, moderne Anlagen gehören, durch entsprechende weitere Modernisierung für die Zukunft zu sichern, jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung als Belang des Bauherrn einzustellen. Das gilt zumindest dann, wenn der Bauherr sich, wie vorliegend die Beigeladene, vorher um eine Verlagerung der Abstandsfläche auf das Nachbargrundstück durch Leistung einer angemessenen Entschädigung bemüht hat (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO a.F., RdNr. 143 zu Art. 7). Das Landratsamt hat auch nicht verkannt, dass der Bauwunsch der Beigeladenen (weit) über eine noch (teil-)privilegierte Erweiterung ihres Betriebs i.S. von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB hinausgeht und das Vorhaben auch nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert ist. Die nunmehr von der Beigeladenen geltend gemachte Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB setzt voraus, dass die Mühle bei wertender Betrachtung im Außenbereich ausgeführt werden "soll", also einen singulären Charakter hat (vgl. BayVGH vom 18.2.2008 Az. 22 ZB 06.1813 m.w.N.). Dies ist nicht begründbar. Im Gegensatz zu einer Wassermühle ist der Betrieb der Beigeladenen zudem nicht auf einen Standort im Außenbereich angewiesen. Demgemäß hat das Landratsamt das Vorhaben zu Recht als sonstiges Vorhaben i.S. von § 35 Abs. 2 BauGB behandelt. Dies schließt die Bejahung schutzwürdiger Interessen des Anlagenbetreibers aber nicht aus.

Offen bleiben kann vorliegend die unter den Beteiligten strittige und in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortete Frage, ob das Landratsamt grundsätzlich auch Belange des Außenbereichsschutzes, wie z.B. städtebauliche Belange i.S. des § 35 Abs. 3 BauGB, als der Erteilung einer Abweichung möglicherweise entgegenstehende Belange in die Abwägung hätte einstellen müssen. In folgenden Fällen wurde bisher eine Abwägungsrelevanz (objektiv-rechtlicher) öffentlicher Belange bei der Erteilung einer Abweichung bejaht: BayVGH vom 12.3.1999 BayVBl 2000, 630 (Naturschutz), vom 2.5.2002 Az. 2 B 99.2590 (Gestaltung) und vom 16.7.2007 NVwZ-RR 2008, 84 (Denkmalschutz). In folgenden Fällen wurde die Abwägungsrelevanz verneint, da die öffentlichen Belange als mit dem Regelungszweck des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO a.F. nicht zusammenhängend betrachtet wurden: BayVGH vom 13.10.1999 Az. 2 ZS 99.2355 (objektivrechtliche Beeinträchtigung öffentlicher Belange), vom 22.7.2003 Az. 15 ZB 02.1223 (bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit, konkret: fehlende Privilegierung) und vom 13.1.2005 Az. 20 CS 04.3225 (Maß der baulichen Nutzung). Geklärt ist in diesem Zusammenhang jedenfalls aufgrund der Rechtsprechung des Großen Senats des Verwaltungsgerichtshofs, dass nicht jeder Rechtsverstoß ausreicht und ein Nachbar sich jedenfalls nicht auf eine (objektive) Rechtswidrigkeit des Vorhabens berufen kann, die nicht ihn selbst, sondern z.B. ausschließlich einen anderen Nachbarn betrifft (vgl. BayVGH vom 17.4.2000 NVwZ-RR 2001, 291). Auch soweit in den oben zitierten Entscheidungen die Frage der Abwägungsrelevanz (objektiv-rechtlicher) öffentlicher Belange einer eingehenderen Erörterung unterzogen und im Ergebnis bejaht wird, wird entscheidend darauf abgestellt, ob durch die Erteilung einer Abweichung der jeweilige Rechtsverstoß hervorgerufen oder zumindest wesentlich verschärft wird (vgl. z.B. BayVGH vom 16.7.2007 a.a.O.). Nur unter dieser Voraussetzung kommt Abwägungsrelevanz in Betracht. Nur dann besteht der notwendige Zusammenhang zu dem Zweck des Art. 63 Abs. 1 BayBO 2008, die Befolgung einer gesetzlichen Regel auf ihre Entbehrlichkeit im Einzelfall zu prüfen. Nur dann kann vermieden werden, dass das Prüfprogramm mit Voraussetzungen angereichert wird, die über diesen Zweck hinausgehen.

Die von den Beteiligten diskutierte Frage, ob das strittige Vorhaben zur Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung führt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) und deshalb öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 2 BauGB), ist danach hier nicht abwägungsrelevant. Die der Beigeladenen erteilte Abweichung von den Abstandsflächen hat nämlich nicht zu einer nennenswerten Verschärfung dieses Problems geführt, weil vorliegend die konkrete Höhenentwicklung (knapp 61 m bzw. 35 m) nicht die Verletzung dieses öffentlichen Belangs bedingt. Der Belang der Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung wäre auch dann beeinträchtigt, wenn das Vorhaben unter Einhaltung der Abstandsflächen nach der jetzt maßgeblichen Rechtslage geplant worden wäre, also um 16,03 m (Mehlsilo) bzw. ca. 6,5 m (Mühle) niedriger. Die konkreten Gebäudehöhen, die zur Nichteinhaltung der Abstandsflächen führen, leisten nur noch einen geringen Beitrag zur Beeinträchtigung dieses öffentlichen Belangs und hätten daher das Abwägungsergebnis nicht maßgeblich beeinflussen können. In gleicher Weise gilt dies für die Belange der Planungsbedürftigkeit bzw. solche des Orts- und Landschaftsbildes.

Hinzu kommt, dass vorliegend keine spezielle planungsrechtliche Vorprägung besteht, so dass insgesamt die Erteilung einer Abweichung erleichtert wird (BayVGH vom 17.7.2002 Az. 15 ZB 99.1625). Zudem entspricht das Vorhaben den bauplanungsrechtlichen Vorstellungen der Gemeinde H************, die auf öffentlichen Belangen wie der Erhaltung und Sicherung von Arbeitsplätzen (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 c BauGB) und der Unterstützung der örtlichen Landwirtschaft (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 b BauGB) beruhen.

Es kann nicht beanstandet werden, dass das Landratsamt hier angenommen hat, dass überwiegende schutzbedürftige Interessen der Klägerin nicht vorliegen. In rechtlicher Hinsicht hat sich das Ausmaß der Verkürzung der Abstandsflächen aufgrund der seit 1. Januar 2008 bestehenden Rechtslage deutlich reduziert, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die Gemeinde H************ mit ihrer Abstandsflächensatzung den für und gegen die Abweichung streitenden Interessen bereits einmal Rechnung getragen hat. Das Landratsamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich die gewährten Verkürzungen der Abstandsflächen in tatsächlicher Hinsicht nur ganz geringfügig auf die Nutzbarkeit und Ertragsfähigkeit des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks der Klägerin auswirken. Zwar war die dem Landratsamt ursprünglich zur Verfügung stehende Datengrundlage nicht hinreichend fachlich fundiert. Dies hat sich jedoch nicht auf die Richtigkeit des Ergebnisses bezüglich der Bewertung des nachbarlichen Interesses ausgewirkt. Die zwischenzeitlich von der Beigeladenen eingeholten und von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellten Gutachten bestätigen vielmehr, dass die Klägerin weder nennenswerte Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Ertrag des Grundstücks (vgl. insb. Gutachten des Prof. Dr. ******** [TUM] vom 2.11.2007) noch auf die Pferdehaltung und die Nutzung des Grundstücks als Pferdekoppel (vgl. Gutachten des Prof. Dr. Dr. med. vet. ****** [LMU] vom 12.11.2007) zu befürchten hat. Die von der Klägerin vorgelegten Gutachten können die Nachvollziehbarkeit dieser von einschlägigen Fachleuten erstellten Parteigutachten der Beigeladenen nicht erschüttern. Die Klägerin räumt selbst ein, dass in den von ihr vorgelegten Gutachten die unabhängig vom Vorhaben bestehende Verschattungswirkung der auf ihrem Grundstück stehenden, über 30 m hohen Bäume nicht berücksichtigt wurde, obwohl auch ihr Gutachter Dr. ******* im Gutachten vom 21. Februar 2007 (S. 8/9) eine Berücksichtigung verlangt hat. Es steht außer Frage, dass im Rahmen der erteilten Abweichungen nur die Auswirkungen der durch das Vorhaben bedingten zusätzlichen Verschattung auf das Nachbargrundstück zu berücksichtigen sein können. Auch ist in den von der Beigeladenen eingeholten Gutachten nachvollziehbar dargelegt, dass sich bezogen auf die konkrete Grundstücksnutzung Baumschatten und Gebäudeschatten nahezu in gleicher Weise auswirken. Die Tatsache, dass nach dem Verschattungsgutachten der ****** ************* GmbH vom 29.10.2007 eine größere Verschattung des klägerischen Grundstücks vorliegt als ursprünglich angenommen, wirkt sich im Ergebnis nicht aus. Maßgeblich ist bei landwirtschaftlichen Grundstücken die Auswirkung der Verschattung auf den landwirtschaftlichen Ertrag bzw. die Grundstücksnutzung und nicht in erster Linie die Zeitdauer der Verschattung, die je nach Jahres- und Tageszeit völlig unterschiedliche Auswirkungen haben kann (vgl. BayVGH vom 29.8.1995 Az. 22 CS 95.2544, vom 12.3.1999 Az. 2 ZB 98.3014). Die weiteren von der Beigeladenen eingeholten Gutachten zu den Auswirkungen der Verschattung bei Einhaltung der Abstandsflächen nach dem neuen Recht (Gutachten der ****** ************* GmbH vom 31.5.2008, des Prof. Dr. ******** [TUM] vom 8.7.2008 und des Prof. Dr. Dr. med. vet. ****** [LMU] vom 17.7.2008) bestätigen das Ergebnis, dass die Klägerin durch die Erteilung der Abweichungen kaum betroffen ist. Bei Einhaltung der Abstandsflächen gemäß der Abstandsflächensatzung der Gemeinde H************ wäre die Klägerin zwar noch deutlich geringer von Verschattung betroffen. Dies würde sich aber praktisch nicht mehr auf die Ertragsfähigkeit und Nutzbarkeit des Grundstücks auswirken, weil die Klägerin schon nicht nennenswert betroffen ist, wenn das Vorhaben wie geplant unter Nichteinhaltung der Abstandsflächen verwirklicht wird.

Die vorstehend erörterten Umstände des Einzelfalls führen dazu, dass die vom Landratsamt getroffene Abwägung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Gleiches gilt für die dementsprechend getroffene Ermessensentscheidung, die Abweichungen zu erteilen (§ 114 VwGO).

Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG; wie Vorinstanz wegen Beschränkung der Einwände auf die erteilten Abweichungen vom Abstandsflächenrecht ).

Ende der Entscheidung

Zurück