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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 21.07.2003
Aktenzeichen: 22 B 99.3330
Rechtsgebiete: AbwAG


Vorschriften:

AbwAG § 10 Abs. 3
AbwAG § 10 Abs. 4
AbwAG § 10 Abs. 5
Der Verrechnungsanspruch nach § 10 Abs. 4 AbwAG bezieht sich auf die gesamte Abwasserabgabe jedenfalls für Einleitungen aus der Abwasserbehandlungsanlage, der das Abwasser vorhandener Einleitungen neu zugeführt wird.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

22 B 99.3330

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Abwasserabgabe;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. September 1999,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Konrad, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 21. Juli 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt die in einem technischen Verbund stehenden Klärwerke München I und München II. Für das von dort im Jahr 1994 eingeleitete Abwasser setzte das Landratsamt München in Ziff. 1 des Bescheids vom 6. Juni 1997 eine Abwasserabgabe in Höhe von 28.104.375 DM fest. In Ziff. 2 wurden bestimmte Investitionskosten nach § 10 Abs. 3 und 4 Abwasserabgabengesetz - AbwAG - als verrechenbare Aufwendungen anerkannt, so dass sich die zu zahlende Abgabe im Ergebnis auf Null reduzierte. Verrechnet wurden hierbei auch Aufwendungen in Höhe von insgesamt 7.639.000 DM für den Bau von Entwässerungskanälen, mit denen die Klägerin im Jahr 1995 bisher nicht kanalisierte Siedlungen und Einzelanwesen in den Außenbezirken an das städtische Kanalnetz angeschlossen hatte. Die Abgabenfestsetzung erging insgesamt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (Art. 14 Abs. 4 b BayAbwAG, § 164 Abs. 1 AO).

Mit Bescheid vom 3. Februar 1998 änderte das Landratsamt den Bescheid vom 6. Juni 1997 und setzte gegenüber der Klägerin eine Restforderung in Höhe von 6.096.424 DM fest. Zugleich lehnte es die Verrechnung der Investitionskosten für die Entwässerungskanäle mit der Abwasserabgabe für die Klärwerke der Klägerin ab. Solche Aufwendungen dürften nach § 10 Abs. 4 AbwAG nur mit Abwasserabgaben für die künftig wegfallenden Einleitungen verrechnet werden, nicht auch mit den Abgaben für ein bestehendes Klärwerk, dem die Abwässer durch den Kanalbau zugeführt würden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Oberbayern mit Bescheid vom 9. September 1998 zurück. § 10 Abs. 4 AbwAG erweitere nur den Kreis der verrechnungsfähigen Investitionen, enthalte aber keine Aussage zu der Frage, welche Abwasserabgaben verrechenbar seien. Hier bleibe es bei dem Grundgedanken des Gesetzes, nämlich der Verknüpfung von Investition und Frachtverminderung bei der Einleitung. Da durch Kanalbaumaßnahmen eine Minderung der Schadstofffracht nur hinsichtlich der wegfallenden Einleitungen eintrete, sei die Verrechnung auf die hierfür anfallenden Abgaben beschränkt. Eine weitergehende Verrechnungsmöglichkeit bestehe nach § 10 Abs. 5 AbwAG nur für die neuen Bundesländer.

Die Klägerin erhob dagegen Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Änderungsbescheid des Landratsamts München vom 3. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 9. September 1998 insoweit aufzuheben, als die Verrechnung von Investitionskosten mit der Abwasserabgabe in Höhe von 6.096.424 DM abgelehnt wurde.

Die Verrechnung der Investitionskosten für den Kanalbau mit der Abgabe für die unverändert fortbestehende Abwasserbehandlungsanlage sei mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar. Bei § 10 Abs. 4 AbwAG gehe es, anders als bei der direkten Anwendung des Absatzes 3, immer um mindestens zwei Einleitungen, nämlich eine künftig wegfallende und eine aus der bestehenden Anlage, der das Abwasser zugeführt werden solle. Eine Gesamtbetrachtung dieser Einleitungen verlange § 10 Abs. 4 AbwAG schon für die Prüfung, ob durch den Kanalbau eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten sei. Auch die im Gesetz geforderte entsprechende Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG sei daher so zu verstehen, dass mit der "insgesamt für diese Einleitungen geschuldeten Abgabe" verrechnet werden dürfe. Bei anderer Auslegung verbleibe für die Vorschrift kaum ein Anwendungsbereich, da für die durch den Kanalbau typischerweise angeschlossenen Kleineinleitungen meist keine Abwasserabgabe erhoben werde, mit der verrechnet werden könne. Das Gesetz wolle aber einen Anreiz dafür schaffen, bisher ungeklärt eingeleitete Abwässer den bestehenden Klärwerken zuzuführen und dort reinigen zu lassen. Die Sonderregelung für die neuen Bundesländer in § 10 Abs. 5 AbwAG gehe sehr viel weiter, da sie keinen Zusammenhang zwischen der Aufwendung und der zu verrechnenden Abwasserabgabe voraussetze.

Der Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Eine Verrechnung mit Abgaben für Abwasserbehandlungsanlagen, deren Schadstofffracht nicht vermindert werde, habe der Gesetzgeber nach § 10 Abs. 5 AbwAG nur im Gebiet der neuen Bundesländer zugelassen.

Mit Urteil vom 28. September 1999 hob das Verwaltungsgericht München den Änderungsbescheid des Landsratsamts München vom 3. Februar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern insoweit auf, als die Verrechnung der Investitionskosten für die Errichtung der Entwässerungskanäle mit der Abwasserabgabe abgelehnt worden war. Die Kanäle seien dazu bestimmt, den Kläranlagen gemäß § 10 Abs. 4 AbwAG "Abwasser bestehender Einleitungen" zuzuführen, da das in den angeschlossenen Gebieten anfallende Abwasser bisher mittels Versitzgruben in den Untergrund verbracht worden sei, was nach § 2 Abs. 2 AbwAG als Einleiten in ein Gewässer gelte. Da die Reinigungsleistung einer Kläranlage unstreitig über der von Versitzgruben liege, sei insgesamt mit einer Verminderung der Schadstofffracht zu rechnen. Die Investition könne nicht nur mit den künftig entfallenden Abwasserabgaben verrechnet werden, sondern auch mit den Abgaben für die Einleitung aus der aufnehmenden Kläranlage. Deren Schadstofffracht werde zwar durch die zusätzliche Zuführung von Abwasser erhöht. § 10 Abs. 4 AbwAG verlange aber einen Vergleich der Schadstofffrachten aus beiden Einleitungen vor und nach der Baumaßnahme. Ergebe sich hierbei eine Reduzierung, so sei von der grundsätzlichen Verrechenbarkeit der Maßnahme auszugehen. Sie müsse konsequenterweise die für die Einleitungen insgesamt geschuldeten Abgaben umfassen. Die Gegenauffassung lasse die Vorschrift überall dort weitgehend leer laufen, wo nach Bundes- oder Landesrecht keine Abgaben für Kleineinleitungen zu entrichten seien.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. September 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Durch die in § 10 Abs. 4 AbwAG geforderte Gesamtbetrachtung solle lediglich die Verrechnung auf Fälle begrenzt werden, bei denen durch die Zuführung einer vorhandenen Einleitung zu einer Abwasserbehandlungsanlage eine Verbesserung für den Gewässerschutz erzielt werde (BT-Drs 12/6281 S. 9). Aufwendung und Verrechnung müssten sich jedoch nach § 10 Abs. 3 AbwAG auf dieselbe Einleitung beziehen; dies habe auch bei der entsprechenden Anwendung im Rahmen des Abs. 4 zu gelten. Dass nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG mit der "insgesamt... geschuldeten Abgabe" verrechnet werden könne, bedeute für die entsprechende Anwendung nach Abs. 4 nur, dass die Verrechnung mit der gesamten Abgabe auch dann zulässig sei, wenn die vorhandene Einleitung nur teilweise einer Abwasserbehandlungsanlage zugeführt werde. Dürfte darüber hinaus nach § 10 Abs. 4 AbwAG ohne Erweiterungs- oder Modernisierungsmaßnahmen an der Kläranlage mit der gesamten Abgabe für die dortige Schadstofffracht verrechnet werden, so läge darin eine nicht gerechtfertigte Besserstellung gegenüber den Fällen des Absatzes 3. Für eine Verrechnung nach § 10 Abs. 4 AbwAG genüge schon eine minimale Verminderung der Schadstofffracht, so dass sich diese Möglichkeit nur auf die Abgabe für die vorhandene Einleitung beziehen könne. Die vom Verwaltungsgericht geäußerte Rechtsauffassung stehe im Widerspruch zu einer bewährten Verwaltungspraxis und zur Meinung eines Teils der Literatur. Sie bevorzuge in nicht nachvollziehbarer Weise die Betreiber von großen Kläranlagen, da nur diese beim Anschluss von Gemeindeteilen an die bestehende Anlage ihre Investition voll erstattet bekämen. Werde das Abwasser einer schlecht reinigenden Anlage zugeführt, so könne sogar ein höherer Betrag verrechnet werden als bei einer Anlage, die den technischen Anforderungen voll entspreche. Dies könne dazu führen, dass bei verschiedenen Anschlussmöglichkeiten die schlechter arbeitende Anlage bevorzugt werde, weil dort ein höherer Verrechnungsvorteil bestehe. Das widerspreche den Intentionen des Abwasserabgabengesetzes.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der vom Beklagten angenommene strenge Zusammenhang zwischen verbesserter Reinigungsleistung und verrechenbarer Abgabe bestehe schon bei § 10 Abs. 3 AbwAG nicht, da auch dort eine Verrechnung mit der gesamten Abgabe schon dann zugelassen werde, wenn eine Verbesserung um 20% nur in einem zu behandelnden Abwasserstrom (Teilstrom) und bei einem von mehreren Schadstoffen erfolgt sei. Der sachliche Zusammenhang der Investition nach § 10 Abs. 4 AbwAG mit der Abwasserbehandlungsanlage liege darin, dass diese ohne Zuführungskanäle ihren Zweck nicht erfüllen könne. Wegen der Bezugnahme auf Teilströme könnten auch bei § 10 Abs. 3 AbwAG schon geringfügige Verbesserungen zur Verrechnung führen. Demgegenüber stellten die von der Klägerin vorgenommenen Maßnahmen erhebliche Verbesserungen des Gewässerschutzes dar, da Einleitungen aus Klär- und Versitzgruben nicht dem geforderten Standard entsprächen. Eine Regelung, die für große und kleine Gemeinden im Vollzug zum gleichen Ergebnis führe, könne vom Gesetzgeber nicht verlangt werden; im übrigen erhielten kleinere Gemeinden für Zwecke des Kanalbaus mehr staatliche Zuschüsse als größere Kommunen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands - einschließlich des Verzichts der Beteiligten auf mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) - wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist begründet, da der angegriffene Bescheid des Landratsamts München vom 3. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 9. September 1998 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Bei der Festsetzung der Abwasserabgabe für das Jahr 1994 musste das Landratsamt nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 BayAbwAG zugunsten der Klägerin die Aufwendungen für den Bau der 1995 in Betrieb genommenen Entwässerungskanäle (insgesamt 7.639.000 DM) mit der nach Abzug anderer Investitionskosten verbliebenen Abgabe in Höhe von 6.096.424 DM verrechnen. Der auf § 10 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 AbwAG beruhende Verrechnungsanspruch, dessen Voraussetzungen im Übrigen unstreitig vorlagen, umfasste die gesamte Abwasserabgabe für die Klärwerke München I und II, denen das zuvor anderweitig eingeleitete Abwasser durch die neu errichteten Kanäle zugeführt wurde.

1.1. Die Frage, mit welchem Teil der insgesamt geschuldeten Abwasserabgabe ein Abgabepflichtiger (§ 9 Abs. 1 - 3 AbwAG) die Aufwendungen für Anlagen im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG verrechnen kann, wird vom Gesetz nicht ausdrücklich beantwortet. Höchstrichterliche oder obergerichtliche Rechtsprechung liegt hierzu bisher nicht vor; das Meinungsbild im Schrifttum ist uneinheitlich (Beschränkung auf Abgaben für künftig wegfallende Einleitungen: Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, 167; Knopp, BayBgm 1994, 307/308; Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, § 13 RdNr. 229; Erstreckung auf Abgaben für Einleitungen aus der Behandlungsanlage: Köhler, Abwasserabgabengesetz, § 10 RdNr. 99; Dahme in: Sieder/Zeitler/Dahme, AbwAG, § 10 RdNr. 56 a; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, 188). Die Verwaltungspraxis in Bayern und wohl auch in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen (s. Nisipeanu, a.a.O., Fn. 117) beruht auf der Annahme, dass nur mit der Abgabe für solche bisherigen Einleitungen verrechnet werden kann, die durch die Zuführung in eine bestehende Abwasserbehandlungsanlage künftig entfallen sollen. Bei Würdigung aller auslegungsrelevanten Umstände sprechen jedoch überwiegende Gründe für die Auffassung, dass - auch oder sogar ausschließlich - mit der für die Abwasserbehandlungsanlage geschuldeten Abgabe verrechnet werden kann.

1.2. Der Wortlaut des Gesetzes lässt beide Auslegungen zu. § 10 Abs. 4 AbwAG enthält zugunsten der Anlagen, die das Abwasser vorhandener Einleitungen einer (näher qualifizierten) Abwasserbehandlungsanlage zuführen, keine selbständige Verrechnungsregelung, sondern bringt Abs. 3 "entsprechend" zur Anwendung. Sollte dies als reine Rechtsfolgenverweisung zu verstehen sein, so wäre von der Grundnorm des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG lediglich der zweite Halbsatz mit seinen Regelungen über den Umfang der Verrechnung in den Absatz 4 zu übernehmen. Dies spräche für die These des Beklagten, dass mit der Bezugnahme auf die "insgesamt für diese Einleitung geschuldete Abgabe" im Kontext des § 10 Abs. 4 AbwAG allein die Abwasserabgabe aus jenen "vorhandenen Einleitungen" gemeint sei, um derentwillen die Anlagen nach § 10 Abs. 4 AbwAG errichtet oder erweitert werden. Die Forderung nach einer "entsprechenden" Anwendung des § 10 Abs. 3 AbwAG kann jedoch auch in einem umfassenderen Sinne verstanden werden. Im Unterschied zu § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG lässt § 10 Abs. 4 AbwAG keine klare rechtssatzmäßige Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge erkennen. Daher muss sich die "entsprechende" Anwendbarkeit des Abs. 3 nicht zwingend auf eine bloße Rechtsfolgenverweisung beschränken. Möglich wäre auch ein Normverständnis dahingehend, dass der Bau von Zuführungskanälen im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG wie eine Erweiterung der betreffenden Abwasserbehandlungsanlage nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG angesehen und demzufolge auch auf der Ebene der Verrechnung einer solchen unmittelbar qualitätsverbessernden Maßnahme gleichgestellt werden soll; danach dürfte unter den weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 AbwAG mit der Abgabe für das gesamte Abwasser aus der Behandlungsanlage verrechnet werden.

1.3. Welche der beiden Lesarten dem Gesetz eher entspricht, lässt sich allein aus dem objektiven Regelungszusammenhang nicht erkennen. Der von der Klägerin und vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die in § 10 Abs. 4 AbwAG geforderte (künftige) Minderung der Schadstofffracht eine Gesamtbetrachtung der Einleitungen - einschließlich derjenigen aus der Abwasserbehandlungsanlage - voraussetzt, bezieht sich lediglich auf die Frage, ob die entstandenen Aufwendungen überhaupt verrechnet werden dürfen; mit welchem Teil der (bisher) geschuldeten Abgabe dies gegebenenfalls möglich sein soll, ist damit noch nicht entschieden. Andererseits lässt sich auch die Annahme des Beklagten, eine Verrechnung mit Abgaben für unverändert erfolgende Einleitungen sei nur im räumlich und zeitlich begrenzten Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 AbwAG vorgesehen, aus der Gesetzessystematik nicht überzeugend begründen; die genannte Sondervorschrift geht, indem sie auf jeden betriebstechnischen Zusammenhang zwischen der begünstigten Anlage und der abgabepflichtigen Einleitung verzichtet, über die hier strittige Verrechnungsmöglichkeit weit hinaus.

1.4. Aus Sinn und Zweck der strittigen Regelung ergeben sich ebenfalls keine zwingenden Gründe für eine der beiden Auslegungsvarianten. Die in § 10 Abs. 3 bis 5 AbwAG eröffneten Möglichkeiten einer Reduzierung von Abwasserabgaben stellen Ausnahmen von dem in § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG normierten Verursacherprinzip dar (vgl. BVerwG vom 31. Mai 1999, DVBl 1999, 1654/1655; vom 1. Juni 1999, 8 B 71/99, juris Nr. WBRE410005685). Obwohl die für die Abgabenhöhe maßgebliche Schädlichkeit des Abwassers erst durch die Inbetriebnahme der neuen Anlage verringert wird, lässt das Gesetz bereits vor diesem Zeitpunkt eine Verrechnung mit den anfallenden Aufwendungen zu. Zur Vermeidung einer Doppelbelastung durch die Investitionskosten und die gleichzeitig zu entrichtenden Abwasserabgaben braucht der Einleiter als Betreiber der künftigen Anlage während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit weniger oder keine Abwasserabgaben zu zahlen (BVerwG a.a.O.). Durch dieses sog. Bauphasenprivileg sollen finanzielle Anreize zur Schaffung oder Verbesserung von Abwasseranlagen und damit zur Verringerung der Gewässerbelastung geschaffen werden. Die Privilegierungstatbestände des § 10 Abs. 3 bis 5 AbwAG verfolgen damit eine Zielsetzung, die auch der Erhebung von Abwasserabgaben insgesamt zugrunde liegt (vgl. Köhler, AbwAG, Einleitung, RdNr. 226; § 10 RdNr. 32). Ob das Ziel der (Gesamt-) Schadstoffverringerung eher durch technische Verbesserungen an einer bestehenden Behandlungsanlage oder durch Zuführen von Abwasser aus vorhandenen Einleitungen zu erreichen ist, hängt von den jeweiligen Einzelumständen ab, wie die von den Verfahrensbeteiligten geschilderten Beispiele zeigen (vgl. auch Köhler, a.a.O., § 10 RdNr. 99). Daher legen allgemeine teleologische Erwägungen weder eine extensive noch eine restriktive Auslegung der Verrechnungsvorschriften nahe.

1.5. Auch aus höherrangigem Recht, insbesondere aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, ergeben sich keine strikten Vorgaben für ein bestimmtes Verständnis der hier streitigen Vorschrift des § 10 Abs. 4 AbwAG. Dem Gesetzgeber steht bei der Normierung der Verrechnungsmöglichkeiten ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu, wobei er angesichts der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen nicht verpflichtet ist, die ohnehin sehr differenzierten Bestimmungen des Abwasserabgabengesetzes im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit noch weiter zu differenzieren (BVerwG vom 6. Mai 2001, 9 B 12/01 m.w.N., juris Nr. WBRE410007901). Dass einzelne Regelungen - je nach Auslegung - bestimmte Abgabenpflichtige im Ergebnis stärker begünstigen als andere, beruht auf den objektiv vorgegebenen Unterschieden in der Art und Menge der eingeleiteten Abwässer sowie der vorhandenen Anlagen und stellt daher keinen Gleichheitsverstoß dar, der durch eine verfassungskonforme Auslegung korrigiert werden müsste.

1.6. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung des Regelungsinhalts von § 10 Abs. 4 AbwAG kann hiernach mangels sonstiger Direktiven nur der feststellbare Wille des historischen Gesetzgebers sein. Er spricht für das dem angegriffenen Urteil zugrunde liegende Verständnis der Vorschrift.

1.6.1. Die Vorschrift des § 10 Abs. 4 AbwAG wurde, ebenso wie die noch weiter gehende Sonderregelung für die neuen Bundesländer (§ 10 Abs. 5 AbwAG), erst nachträglich in die Bestimmung über Ausnahmen von der Abgabenpflicht aufgenommen (Viertes Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 5. Juli 1994, BGBl I S. 1453). Der Novellierung ging ein längeres Gesetzgebungsverfahren voraus, in dessen Verlauf deutliche Meinungsunterschiede hinsichtlich der Notwendigkeit und Reichweite einer Erweiterung der bisherigen Verrechnungsmöglichkeiten nach § 10 Abs. 3 AbwAG sichtbar wurden.

Die ursprüngliche Gesetzesinitiative des Freistaats Bayern vom 14. August 1992 beruhte auf der Überlegung, dass die bisherige Begrenzung der Verrechnungsmöglichkeit auf Abwasserbehandlungsanlagen zu eng sei. Andere Gewässerschutzmaßnahmen wie etwa der Bau von Kanalisationen könnten im Einzelfall wasserwirtschaftlich dringlicher sein als eine zwar aufwändige, aber relativ geringfügige Wirkungsgradsteigerung bei einer bestehenden Kläranlage; sie sollten daher in die Anreizwirkung einbezogen werden (BR-Drs 565/92). Der Änderungsvorschlag sah dementsprechend für alle "Abwasseranlagen" die grundsätzliche Möglichkeit vor, Aufwendungen für die Errichtung oder Erweiterung in den drei Jahren vor Inbetriebnahme zur Hälfte mit der Abwasserabgabe zu verrechnen, die insgesamt für die Einleitung aus der zugeordneten Abwasserbehandlungsanlage geschuldet war (a.a.O.).

Dem hierauf beruhenden Gesetzentwurf des Bundesrats (BT-Drs 12/4272, S. 4) stimmte die Bundesregierung im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich zu (Stellungnahme vom 4. Februar 1993, BT-Drs a.a.O., S. 7). Die vorgeschlagene Regelung sollte nach ihren Vorstellungen allerdings nur befristet gelten, da die neue Verrechnungsmöglichkeit auch nicht unmittelbar emissionsmindernd wirkende Maßnahmen erfasse und die Abwasserabgabe damit in ihrer eigentlichen Lenkungsfunktion geschmälert werde (a.a.O.).

Nachdem die Bundesregierung den Gesetzesentwurf des Bundesrats zum Anlass genommen hatte, weitere Änderungen des Abwasserabgabengesetzes vorzuschlagen, führte der Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nach Einholung schriftlicher Stellungnahmen (Ausschuss-Drucksache 12/401, Teile I bis IV) am 21. Juni 1993 eine öffentliche Sachverständigenanhörung durch, in deren Verlauf auch der damalige Entwurf zu § 10 Abs. 4 AbwAG eingehend erörtert wurde (Protokoll der 56. Sitzung, 12. Wahlperiode). Hierbei äußerten einige der Gutachter heftige Kritik an der geplanten Verrechnungsregelung, da sie das Aufkommen aus der Abwasserabgabe drastisch mindern und deren Lenkungsfunktion weitgehend zunichte machen werde (Ewringmann, Protokoll, a.a.O., S. 29 f.; ders., Ausschuss-Drucksache 12/401, Teil III, S. 10; Umweltbundesamt, a.a.O., Teil II, S. 72; Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V., a.a.O., Teil I, S. 21). Demgegenüber verwiesen vor allem die Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums des Innern und des Bundesverbands der Kommunalen Spitzenverbände auf einen erheblichen Bau- und Sanierungsbedarf für Kanalanlagen, der die vorgeschlagene Erweiterung der Verrechnung dringend erforderlich mache (Knopp, Protokoll, a.a.O., S. 19 f.; ders., Ausschuss-Drucksache 12/401, Teil II, S. 29, 33 ff.; Landsberg, Protokoll, a.a.O., S. 33; ders., Ausschuss-Drucksache 12/401, Teil II, S. 52).

Nach weiteren ausschussinternen Beratungen brachte der Umweltausschuss des Bundestags aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses mit den Stimmen der damaligen Regierungskoalition einen geänderten Entwurf zur Neufassung des Abwasserabgabengesetzes in die parlamentarische Beratung ein, der die Regelungen des § 10 Abs. 4 und 5 AbwAG erstmals in der heute geltenden Form enthielt (Beschlussempfehlung vom 30. November 1993, BT-Drs 12/6281). Im beigefügten Bericht wurde die dem Bundesratsentwurf zugrunde liegende Zielsetzung erläutert und die im Anhörungsverfahren abgegebene positive Stellungnahme der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände besonders hervorgehoben (a.a.O., S. 6). Für die Städte und Gemeinden sei danach die vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit von zentraler Bedeutung (a.a.O., S. 7). Die Beschlussempfehlung des Ausschusses zu § 10 Abs. 4 AbwAG greife die von Bundesrat und Bundesregierung mit ihren Entwürfen verfolgten Intentionen auf, weiche aber in zwei Punkten von beiden Textvorschlägen ab. Einerseits werde die Verrechnungsmöglichkeit für Kanäle auf die Fälle eingegrenzt, die mit der Funktion der Abwasserabgabe als Lenkungsabgabe besser vereinbar seien; deshalb seien nur Sammelkanalisationen verrechnungsfähig, durch die sanierungsbedürftige Einleitungen an eine ordnungsgemäße Abwasserbehandlungsanlage angeschlossen würden, wenn dadurch insgesamt geringere Schadstofffrachten in die Gewässer gelangten. Andererseits könne auf die vom Bundesrat vorgesehene Begrenzung der Verrechnung auf die Hälfte der Aufwendungen ebenso wie auf die von der Bundesregierung für notwendig gehaltene Befristung der Regelung verzichtet werden (a.a.O., S. 9).

1.6.2. In ihrer Gesamtheit lassen die zitierten Gesetzesmaterialien hinreichend deutlich erkennen, dass die in § 10 Abs. 4 AbwAG eröffnete Option der Verrechnung nach der Vorstellung des Normgebers die Abwasserabgaben für Einleitungen aus derjenigen Abwasserbehandlungsanlage erfassen soll, an die das Abwasser aus den anderweitigen Einleitungen neu zugeführt wird.

Für die vom Bundesrat und von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe kam schon vom Wortlaut her nur dieses Verständnis in Betracht, da dort die Verrechnung allein an die Errichtung oder Erweiterung von Abwasseranlagen und nicht auch an die Aufgabe bisheriger (unter Umständen ebenfalls abgabepflichtiger) Einleitungen geknüpft war. Die beabsichtigte Förderung des Kanalleitungsbaus insbesondere der Kommunen sollte durch eine Entlastung von den - regelmäßig in beträchtlicher Höhe anfallenden - Abgaben für das Einleiten gereinigten Abwassers aus bestehenden Klärwerken erreicht werden. Ungeachtet der unterschiedlichen Bewertung des Gesetzesvorhabens gingen auch alle Sachverständigen in der Anhörung vom 21. Juni 1993 davon aus, dass die Neuregelung das Gesamtaufkommen der zu zahlenden Abwasserabgabe erheblich vermindern werde (vgl. auch Gawel, ZUR 1993, 159 ff.).

Die Vorstellung, dass die insgesamt geschuldete Abgabe für die Einleitungen aus einer zentralen Abwasserbehandlungsanlage die "Verrechnungsmasse" bilde, lag auch noch der vom Umweltausschuss des Bundestags erarbeiteten endgültigen Fassung des § 10 Abs. 4 AbwAG zugrunde. Diese enthielt zwar gegenüber den früheren Gesetzentwürfen bestimmte Einschränkungen der vorgesehenen Verrechnungsmöglichkeit. Sie betrafen aber nicht die Frage, für welche Einleitung die zu verrechnende Abwasserabgabe geschuldet sein muss. Die Änderungen sollten vielmehr festlegen, welchen Mindestanforderungen eine als "verrechnungsfähig" anzuerkennende Anlage zu entsprechen hat (BT-Drs 12/6281, S. 9). Um die Funktion der Abwasserabgabe als Lenkungsabgabe besser zur Geltung zu bringen, wurde der sachliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 4 AbwAG auf Anlagen begrenzt, mit denen das Abwasser vorhandener Einleitungen zum Zwecke einer Minderung der Gesamtschadstofffracht einer bestehenden Behandlungsanlage zugeführt wird. Dass mit dieser Präzisierung der Tatbestandsvoraussetzungen zugleich eine Aussage über Art und Umfang der gegebenenfalls zu verrechnenden Abwasserabgabe getroffen werden sollte, geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor (vgl. Böhm, NVwZ 1995, 557/559).

Hätte die damalige Ausschussmehrheit tatsächlich nur noch eine Verrechnung mit etwa anfallenden Abwasserabgaben aus bisherigen (Klein-) Einleitungen zulassen wollen, so wäre sie hinsichtlich des Umfangs der Abgabenentlastung weit hinter den Intentionen der vorangegangenen Gesetzentwürfe und hinter den Erwartungen insbesondere der Kommunen zurückgeblieben. Dies hätte zumindest im weiteren Gesetzgebungsverfahren zur Sprache kommen müssen. Die abschließenden kontroversen Beratungen des Entwurfs im Bundestag und im Bundesrat liefern aber keinerlei Hinweis darauf, dass die Neufassung des Gesetzentwurfs als eine Beschränkung des möglichen Verrechnungsvolumens verstanden worden sein könnte. Unverändert erwarteten vielmehr die Befürworter der Novelle von den erweiterten Verrechnungsmöglichkeiten "starke Innovationsimpulse" (Wieczorek, Protokoll d. 196. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 2. Dezember 1993, 12. WP, S. 17006 A), während die Gegenseite einen Rückgang des Abgabeaufkommens "nahezu gegen Null" prognostizierte (Griefahn, Protokoll d. 668. Sitzung des Bundesrats v. 29. April 1994, 138 C; vgl. auch BR-Drs 5/4/94). Die hier als maßgebliches Kriterium heranzuziehende Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 4 AbwAG stützt demnach über alle Phasen des Gesetzgebungsverfahrens hinweg das vom Verwaltungsgericht gefundene Auslegungsergebnis.

2. Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Zulassung der Revision: § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. Berendes, a.a.O., S. 167).

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.117.052,09 EURO (6.096.424,00 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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