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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.09.2004
Aktenzeichen: 22 CE 04.2203
Rechtsgebiete: VwGO, GastG, ProstG
Vorschriften:
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 2 | |
GastG § 2 Abs. 1 Satz 1 | |
GastG § 4 Abs. 1 Nr. 1 | |
ProstG vom 20.12.2001 Art. 1 § 1 | |
ProstG vom 20.12.2001 Art. 2 Nr. 2 b cc |
Entscheidung wurde am 15.10.2004 korrigiert: die Entscheidung wurde wegen nicht vollständiger Anonymisierung und falscher Angabe zur Rechtskraft ersetzt
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen
Gaststättenerlaubnis (Antrag nach § 123 VwGO);
hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 21. Juli 2004,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Konrad, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner
ohne mündliche Verhandlung am 20. September 2004 folgenden
Beschluss:
Tenor:
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin erhielt von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. Mai 2003 die bauaufsichtliche Genehmigung, das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. ***** der Gemarkung O********* aufzustocken und die Nutzung zu ändern in: "FKK-Club mit gewerblicher Zimmervermietung" (an Prostituierte). Die Genehmigung enthielt folgende "Auflage" III E 1: "In den Betriebsräumen des FKK-Clubs mit gewerblicher Zimmervermietung dürfen keinerlei gastronomische Aktivitäten gegen Entgelt stattfinden".
Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 2. März 2004 die gaststättenrechtliche Erlaubnis zur Verabreichung von Speisen und nichtalkoholischen Getränken an ihre Kunden, desgleichen die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis i.S. von § 11 GastG. Die Antragsgegnerin lehnte dies mit Bescheid vom 4. Juni 2004 ab. Die Antragstellerin legte dagegen Widerspruch ein.
Die Antragstellerin beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bayerischen Verwaltungsgericht A******g. Die Antragsgegnerin sollte verpflichtet werden, der Antragstellerin bis zur Erledigung des Rechtsstreits über die Versagung der Gaststättenerlaubnis eine vorläufige Gaststättenerlaubnis zu erteilen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab (Beschluss vom 20.7.2004). Ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben, da die Antragstellerin vorläufig Getränkeautomaten aufstellen könne.
Die Antragstellerin hat Beschwerde eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, wonach das Oberverwaltungsgericht bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die dargelegten Gründe prüft, hindert den Verwaltungsgerichtshof nicht daran, die Beschwerde gegen einen derartigen Beschluss zurückzuweisen, wenn sich dieser zwar möglicherweise nicht aus den Beschlussgründen, aber doch aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO analog; vgl. dazu BayVGH vom 21.5.2003, NVwZ 2004, 251). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Der Erlass der begehrten Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) kommt derzeit nicht in Betracht, weil sie nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin erforderlich ist und ein Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO) somit nicht glaubhaft gemacht ist. Angesichts der Ausgestaltung des § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist es zudem der Antragstellerin, der gesetzlichen Wertung folgend, nach den Umständen des vorliegenden Falles zuzumuten, vor der Betriebsaufnahme die Durchführung des Erlaubnisverfahrens bei der Verwaltungsbehörde einschließlich eines eventuellen Widerspruchsverfahrens abzuwarten, solange dies nicht unverhältnismäßig lange dauert. Der Weg der einstweiligen Anordnung ist bei verhältnismäßiger, dem Prüfungsaufwand entsprechender Verfahrensdauer zur Erreichung einer Gaststättenerlaubnis nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG nicht geeignet (vgl. BayVGH vom 1.3.2002 - Az. 22 CE 02.369 -, m.w.N.). Im vorliegenden Fall könnte die Antragstellerin die erstrebte vorläufige Erlaubnis derzeit von Rechts wegen nicht ausnützen und erfordert die Entscheidung in der Hauptsache erheblichen Prüfungsaufwand und entsprechende Prüfungszeit. Von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer kann bisher nicht die Rede sein.
Die Antragstellerin könnte die erstrebte vorläufige Erlaubnis derzeit von Rechts wegen nicht ausnützen, weil die für die Nutzung des Gebäudes als Gaststätte erforderliche bauaufsichtliche Genehmigung noch nicht vorliegt (vgl. Michel/Kienzle, GastG, 6. Aufl. 2003, RdNr. 57 zu § 4; VGH BW vom 29.1.1988, GewArch 1988, 388, 389). Die der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin erteilte Baugenehmigung enthält unter III E 1 eine eindeutige "Auflage", dass in den Betriebsräumen des FKK-Clubs mit gewerblicher Zimmervermietung keinerlei gastronomische Aktivitäten gegen Entgelt stattfinden dürfen. Die Baugenehmigung erstreckt sich damit ihrem bauplanungsrechtlichen Inhalt nach nicht auf die Nutzung als Gaststätte. Es handelt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht nur um einen unverbindlichen Hinweis auf den gaststättenrechtlichen Erlaubnisvorbehalt. Es mag sein, dass dieses Hindernis im Hinblick auf den primär gaststättenrechtlichen Hintergrund ausräumbar ist, wenn die Antragstellerin einen entsprechenden Antrag auf Genehmigung einer Nutzungserweiterung bei der Antragsgegnerin stellen sollte. Dieses bauaufsichtliche Verfahren muss aber erst durchgeführt werden. Bis dahin besteht kein Grund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Gaststättenerlaubnis.
Bezüglich der gaststättenrechtlichen Zuverlässigkeit der Antragstellerin im Sinn von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG besteht zudem weiterer erheblicher Prüfungsbedarf, der die bisherige Dauer des gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahrens einschließlich des Widerspruchsverfahrens nicht als unverhältnismäßig erscheinen lässt. Es mag zwar sein, dass die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin nicht damit begründet werden kann, dass sie die Antragsgegnerin über die eigentliche Gewerbetreibende getäuscht hat (vgl. dazu BayVGH vom 1.3.2002 - Az. 22 CE 02.369 -, m.w.N.). Der Antragstellerin ist einzuräumen, dass die von der Antragsgegnerin dargelegten Tatsachen wohl nicht ausreichen, um die Geschäftsführerin der Antragstellerin als "Strohfrau" für die drei Gesellschafter der Antragstellerin erscheinen zu lassen. Von einer "Strohfrau" kann nur dann gesprochen werden, wenn diese als bloße "Marionette" keinerlei Einfluss auf den Gewerbebetrieb ausübt - auch nicht in eingeschränktem Umfang. Eine "Strohfrau" hat keine Möglichkeit einer eigenbestimmten Handlungsweise in dem Gewerbebetrieb. Die "Strohfrau" gibt nur ihren Namen her und dient dem wahren Gewerbetreibenden als "Aushängeschild" (vgl. BayVGH vom 1.3.2002 -Az. 22 CE 02.369 -, m.w.N.). Davon kann hier trotz der häufigen Anwesenheit von Gesellschaftern der Antragstellerin in dem FKK-Club und deren häufiger Funktion als Ansprechpartner nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Die praktisch unentgeltliche Übertragung der Geschäftsanteile von der Geschäftsführerin auf die drei derzeitigen Gesellschafter bedeutet nicht unbedingt, dass die Geschäftsführerin von nun an in dem Betrieb keine Möglichkeit einer eigenständigen Handlungsweise mehr hat, zumal sie die Schwester eines der drei Gesellschafter ist. Es liegt aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keinesfalls fern, dass die Geschäftsführerin den drei Gesellschaftern der Antragstellerin so maßgeblichen Einfluss auf den Gewerbebetrieb einräumt, dass deren teilweise in Betracht kommende gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit die eigene gaststättenrechtliche Zuverlässigkeit der Antragstellerin in Frage stellen könnte (vgl. dazu Friauf, GewO, Rdnrn. 32 und 33 zu § 35, m.w.N.). In dieser Hinsicht erscheint der Sachverhalt dem Verwaltungsgerichtshof undurchsichtig; es besteht zumindest weiterer Prüfungsbedarf, für den auch eine entsprechende Prüfungszeit veranschlagt werden muss.
Was den Begriff der gaststättenrechtlichen Zuverlässigkeit und insbesondere den Ausschlussgrund "der Unsittlichkeit Vorschub leisten" in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG angeht, weist die Antragstellerin zwar zu Recht auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hin. Danach wird die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen nicht grundsätzlich als sittenwidrig angesehen. Dies folgt schon daraus, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten (ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3983) von der Erwägung hat leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werde. Namentlich hat er auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Prostituierte z.B. in Luxusbordellen und Saunaclubs durch Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. aus dem Tatbestand des § 180 a StGB herausgenommen (vgl. Art. 1 § 1, Art. 2 Nr. 2 b cc ProstG). Daher kann allein die Erzielung von Einkünften aus geschlechtsbezogenem Verhalten nicht als sittenwidrig angesehen werden (BVerwG vom 6.11.2002, NVwZ 2003, 603; BayVGH vom 29.4.2002, NVwZ 2002, 1393). Die Sittenwidrigkeit entfällt in derartigen Fällen aber nicht generell, sondern nur dann, wenn ein nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechendes und nicht mit Strafe bedrohtes sexuelles Verhalten Erwachsener in einem durch den Gastwirt bereitgestellten abgeschirmten Bereich stattfindet, der eine ungewollte Einsichtnahme des Publikums ausschließt (BVerwG vom 6.11.2002, NVwZ 2003, 603). Der Vorwurf der Unsittlichkeit soll mit anderen Worten nur dann entfallen, wenn die Ziele des Prostitutionsgesetzes erreicht werden können (vgl. BayVGH vom 1.3.2002 - Az. 22 CE 02.369 -).
Der vorliegende Sachverhalt enthält diesbezüglich erhebliche Unklarheiten, was zwei der drei Gesellschafter der Antragstellerin anbetrifft, denen die Geschäftsführerin wohl maßgeblichen Einfluss auf den Gewerbebetrieb einräumt. Der Gesellschafter H. J. ******** ist dem Führungszeugnis vom 2. Juni 2004 zufolge am 10. Juni 2003 vom Amtsgericht A******* wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt worden. Gegen den Gesellschafter **** ******* ************ finden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen statt; er wird beschuldigt, ab Mai 2002 in zehn Fällen andere Personen durch List angeworben zu haben, um sie in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen zu bringen, die sie an oder vor einer dritten Person vornehmen oder von einer dritten Person an sich vornehmen lassen sollen. (vgl. Haftbefehl des Amtsgerichts K*** vom 28.2.2003). Es ging um die Verbringung rumänischer Frauen nach Mallorca, um sie dort der Prostitution zuzuführen. Der Landrat des ****kreises bestätigte in einem Widerspruchsbescheid vom 18. September 2003 eine gaststättenrechtliche Auflage für die Betreiberin einer Gaststätte, die ein Betretungsverbot für den Gesellschafter ************ enthielt. In den Bescheidsgründen ist dazu folgendes ausgeführt: "Gegen Herrn ************ konkret wird wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Menschenhandel, Zuhälterei, und zusätzlich noch wegen schweren Menschenhandels zum Nachteil rumänischer Frauen ermittelt. Auch wenn er nicht zu den Haupttätern zählt, spricht doch die Tatsache, dass gegen ihn ein Haftbefehl ergangen ist, für eine nicht unerhebliche Beteiligung an den vorgenannten Straftaten. Zwar wurde er nach kurzer Zeit wieder aus der Untersuchungshaft entlassen, weil er umfassend zur Sache aussagte, den Strafakten lässt sich jedoch eine hinreichende Verwicklung in die vorgenannten Straftaten entnehmen, die die Annahme seiner Unzuverlässigkeit im Sinne des Gaststättengesetzes zulässt". Die Kriminalpolizeiinspektion A******* teilte in ihrem Bericht vom 8. April 2004 zudem mit, dass bei der Kontrolle des Betriebs der Antragstellerin am 12. Februar 2004 zwei ausländische Prostituierte ohne entsprechende ausländerrechtliche Erlaubnis und zudem fünf Prostituierte unter 21 Jahren festgestellt worden seien. Bei der Kontrolle am 1. April 2004 seien drei Prostituierte unter 21 Jahren festgestellt worden. Nach Einschätzung der Kriminalpolizeiinspektion A******* begründet die Gesamtsituation insofern den Anfangsverdacht einer Straftat gemäß § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB (Menschenhandel). Die Antragstellerin hat in ihrer Stellungnahme die genannten Beschuldigungen gegen den Gesellschafter ************ nicht entkräften können. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Streitwert: § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG n.F.; wie Vorinstanz.
Ende der Entscheidung
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