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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.08.2009
Aktenzeichen: 22 CS 09.1961
Rechtsgebiete: VwGO, GastG, BayBO 2008


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
GastG § 4 Abs. 1 Nr. 2
GastG § 5 Abs. 1 Nr. 1
BayBO 2008 Art. 2 Abs. 4 Nr. 8
BayBO 2008 Art. 31 Abs. 2 Satz 2
BayBO 2008 Art. 31 Abs. 3 Satz 2
BayBO 2008 Art. 32 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 CS 09.1961

In der Verwaltungsstreitsache

wegen gaststättenrechtlicher Auflage (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. August 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch

ohne mündliche Verhandlung am 13. August 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. In Abänderung von Nr. III des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. August 2009 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass Nr. 2.1 ihrer gaststättenrechtlichen Erlaubnis vom 1. Oktober 2004 zum Betrieb einer Vergnügungsstätte (Diskothek) in einem Kellergeschoss mit einem einzigen, 90 m² großen Gastraum, die die maximale Besucherzahl auf 150 Personen festgelegt hat, von der Antragsgegnerin durch für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 30. Juli 2009 geändert worden ist. Die maximale Besucherzahl, die sich zur gleichen Zeit im Lokal aufhalten darf, wird demzufolge nunmehr auf 50 Personen begrenzt. Die Antragsgegnerin berief sich zur Begründung auf eine Feuerbeschau vom 18. Juli 2009, wonach die vorhandene Spindeltreppe mit 60 bis 70 cm Laufbreite als zweiter Rettungsweg für 150 Personen aus heutiger Sicht nicht mehr akzeptabel sei. Es bestehe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Beschäftigten und der Besucher. Die Antragsgegnerin zog als Rechtsgrundlage § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG heran. Die Antragstellerin stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, der mit Beschluss vom 7. August 2009 abgelehnt wurde. Die Antragstellerin hat Beschwerde eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern.

1. Der geltend gemachte Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 80 Abs. 3 VwGO bei der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit liegt nicht vor. Zwar mag es sein, dass die Begründung dieser Anordnung im Bescheid vom 30. Juli 2009 für sich genommen nicht hinreichend auf den konkreten Einzelfall eingeht. Doch nimmt diese Begründung erkennbar Bezug auf die vorstehende Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts, aus der sich bereits die besondere Dringlichkeit der Vollziehung ergibt ("konkrete Gefahr" für "Leib und Leben" "bei mehr als 50 Besuchern", wegen des "nicht mehr ausreichenden" zweiten Fluchtwegs). Diese Bezugnahme ist zwar nicht ausdrücklich erfolgt, wie an sich geboten (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 98 zu § 80), doch ergibt sich die Bezugnahme hinreichend deutlich aus dem Zusammenhang.

2. Der angefochtene Bescheid ist auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG gestützt und damit auf eine Befugnisnorm, die dem Grunde nach geeignet ist, eine Anordnung wie die hier strittige zu rechtfertigen. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht haben zu Recht angenommen, dass § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG jederzeit, also auch nachträglich, Auflagen zum Schutz der Diskothekengäste gegen Gefahren für Leben und Gesundheit zulässt und im Hinblick auf seinen untrennbaren Zusammenhang mit § 4 GastG auch Anforderungen an die zum Betrieb der Gaststätte bestimmten Räume (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 GastG) ermöglicht (Mi-chel/Kienzle/Pauly, GastG, 14. Aufl. 2003, Rdnr. 8 a zu § 5). Im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 GastG kommen alle durch die Ausübung des Gewerbes veranlassten Anforderungen zum Schutz der Gäste gegen Gefahren für Leben und Gesundheit in Frage, auch wenn sie zugleich bau-, feuer-, gesundheits- oder sonstigen spezialpolizeilichen Charakter tragen. Räume, die nicht den Vorschriften des Bauordnungsrechts entsprechen, entsprechen auch nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 GastG (Michel/Kienzle/Pauly, a.a.O., Rdnr. 43 zu § 4). Die Gaststättenbehörde ist insofern allerdings an die Beurteilung der Bauaufsichtsbehörde gebunden, soweit diese in der Baugenehmigung über die fachspezifischen Anforderungen des Baurechts entschieden hat (Michel/Kienzle/Pauly, a.a.O., Rdnr. 59 zu § 4). Für eine solche Bindungswirkung haben die Beteiligten hier nichts vorgetragen. Über den Betrieb einer Vergnügungsstätte (Diskothek) mit maximal 150 Besuchern ist offenbar zu keinem Zeitpunkt baurechtlich entschieden worden. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG in diesem Zusammenhang auch die Befugnis einräumt, die Besucherzahl durch Auflagen angemessen zu beschränken (BVerwG vom 22.2.1990 GewArch 1990, 179).

3. Der Verwaltungsgerichtshof folgt der Beschwerde darin, dass die von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Brandschutzanforderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf die Versammlungsstättenverordnung vom 2. November 2007 (GVBl S. 136) gestützt werden können. Deren Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1) kann bei einem einzelnen Versammlungsraum mit 90 m² Fläche nach keiner Berechnungsweise (§ 1 Abs. 2) eröffnet sein. Für eine Fläche von ca. 140 m² (vgl. Stellungnahme des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz vom 5.8.2009) gibt es in den vorliegenden Akten keinen Beleg; eine bloße Schätzung anlässlich der Feuerbeschau genügt insofern nicht. Der Verwaltungsgerichtshof geht jedoch davon aus, dass sich die von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Brandschutzanforderungen unabhängig von der Versammlungsstättenverordnung begründen lassen. Gaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen sind im bauordnungsrechtlichen Sinn Sonderbauten (Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO 2008); die innere Rechtfertigung für diese Entscheidung des Gesetzgebers ist gerade in den Belangen des Brandschutzes zu sehen (LT-Drs. 15/7161, S. 40). Bei Sonderbauten muss der zweite Rettungsweg aus einem Kellergeschoss aus einer weiteren notwendigen Treppe bestehen (Art. 31 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayBO 2008; vgl. auch Nr. 2.4.8 der Vollzugshinweise des BayStMI zur BayBO 2008 vom 13.12.2007 - II B 4 - 4101 -065/02). Dass hier ausnahmsweise keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen, lässt sich weder dem Beschwerdevorbringen noch dem Akteninhalt entnehmen, wenn man bedenkt, dass hier im Brandfall maximal 150 unter Umständen teilweise alkoholisierte Diskothekenbesucher zuzüglich Personal aus einem Kellergeschoss gerettet werden müssten. Nach Art. 32 Abs. 5 BayBO 2008 muss die nutzbare Breite der Treppenläufe und Treppenabsätze notwendiger Treppen für den größten zu erwartenden Verkehr ausreichen. Eine Breite von 60 bis 70 cm wie bei der hier als zweiter Rettungsweg vorgesehenen Spindeltreppe genügt nicht. Dies entspricht nicht nur der Ansicht des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz, sondern ist - soweit ersichtlich - allgemeine Meinung. In der Regel dürften in Fällen wie dem vorliegenden mindestens 100 cm erforderlich sein (vgl. NdsOVG vom 24.6.1994, BRS 56, 306; Famers in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO 1998, Anm. 4 und 5.1.2 zu Art. 35; Hillesheim/Linow in Hillesheim/Linow/Nemetz/Renner/Viefhaus, BayBO 2008, Anm. 5 zu Art. 32). Zwar besteht in den strittigen Räumen schon seit dem Ergehen des gaststättenrechtlichen Erlaubnisbescheids vom 4. Mai 2000 eine Vergnügungsstätte (Diskothek) und ist seither kein Brandfall eingetreten. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass es in der Zukunft zu einem Brand kommen und die Brandschutzvorkehrungen dann nicht ausreichen könnten. Auch eine derartige Sachlage steht der Annahme einer konkreten Gefahr nicht entgegen (vgl. BVerwG vom 16.9.1994, GewArch 1995, 34).

4. Die Ausübung des durch Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG der Antragsgegnerin eingeräumten Ermessens ist nicht deshalb fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin die wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin unterschätzt hat. Finanzielle Einbrüche wurden gesehen und in die Abwägung eingestellt. Der von der Antragstellerin befürchtete Verlust der Wirtschaftlichkeit wird dadurch relativiert, dass die angefochtene Maßnahme nur vorübergehend gelten soll, bis die Antragstellerin den zweiten Rettungsweg durch bauliche Maßnahmen verbessert hat. Darauf haben die Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid und das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss deutlich hingewiesen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde nicht.

5. Das Ausmaß der angeordneten Reduzierung der Besucherzahl gibt zwar insofern zu Bedenken Anlass, als es möglicherweise der Fortsetzung des gestatteten Betriebs einer Vergnügungsstätte (Diskothek) auf die Dauer die Grundlage entziehen würde und deshalb den Rahmen des durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG Regelbaren sprengt (vgl. zum Fall der Eliminierung eines für die gestattete Betriebsart wesentlichen Merkmals Michel/Kienzle/Pauly, a.a.O., Rdnr. 9 zu § 5); insofern kommen dann nur Teilrücknahme oder Teilwiderruf der Gaststättenerlaubnis in Betracht. Die Anwendung des Instruments der nachträglichen Auflage kann hier aber möglicherweise damit gerechtfertigt werden, dass diese nur vorübergehend gelten soll, bis die Antragstellerin den zweiten Rettungsweg durch bauliche Maßnahmen verbessert hat.

6. Dass im Hinblick auf Nr. II 5 die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regelung etwas zweifelhaft erscheint, führt nicht zu einer Änderung des angefochtenen Beschlusses. Der Verwaltungsgerichtshof muss bei der Interessenabwägung zusätzlich berücksichtigen, dass die Nutzungsänderung von einer Schank- und Speisewirtschaft mit 50 Gastplätzen (vgl. Gaststättenerlaubnis vom 16.6.1997) zu einer Vergnügungsstätte (Diskothek) mit 150 Gastplätzen (vgl. Gaststättenerlaubnis vom 4.5.2000) bauaufsichtlich genehmigungsbedürftig war und ist (Art. 62, Art. 63 Abs. 4 BayBO 1998; Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 BayBO 2008). Die erforderliche bauaufsichtliche Genehmigung fehlt nach Aktenlage, so dass die Fortsetzung des Betriebs derzeit baurechtlich formell illegal wäre.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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