Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.09.2006
Aktenzeichen: 22 ZB 06.1875
Rechtsgebiete: AbwAG, BayAbwAG, AO


Vorschriften:

AbwAG § 10 Abs. 3
AbwAG § 10 Abs. 4
BayAbwAG Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 c
AO § 169
AO § 170
AO § 171
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 ZB 06.1871 22 ZB 06.1873 22 ZB 06.1875 22 ZB 06.1876 22 ZB 06.1877 22 ZB 06.1878

In den Verwaltungsstreitsachen

wegen Abwasserabgabe und Rückzahlungsanspruch nach § 10 AbwAG;

hier: Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Mai 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Konrad, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch

ohne mündliche Verhandlung am 29. September 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.

III. Die Klägerin zu 1 trägt elf Zwanzigstel, die Klägerin zu 5 trägt vier Zwanzigstel, der Kläger zu 4 trägt zwei Zwanzigstel und die Kläger zu 2, 3 und 6 tragen jeweils ein Zwanzigstel der Kosten der Antragsverfahren.

IV. Der Streitwert für die Antragsverfahren wird bis zur Verbindung für die Klägerin zu 1 auf 287.042,45 Euro, für den Kläger zu 2 auf 16.499,69 Euro, für den Kläger zu 3 auf 21.446,53 Euro, für den Kläger zu 4 auf 45.549,43 Euro, für die Klägerin zu 5 auf 90.908,07 Euro und für die Klägerin zu 6 auf 32.740,32 Euro, nach Verbindung der Verfahren auf insgesamt 494.186,49 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich jeweils gegen die Ablehnung einer Verrechnung und Rückzahlung von während des Zeitraums von 1985 bis 1999 gezahlten Abwasserabgaben mit Aufwendungen für den Bau von Kanalisationen bzw. für den Anschluss an die Abwasserbeseitigung diverser Ortsteile an die gemeindliche Kläranlage gemäß § 10 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 AbwAG. Sie beantragten nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 2004, BVerwGE 120, 97, wonach Aufwendungen für Entwässerungskanäle auch mit der Abwasserabgabe für Einleitungen der bestehenden Abwasserbehandlungsanlage, an die zugeführt wird, verrechnet werden können, beim jeweils zuständigen Landratsamt erstmals im Laufe des Jahres 2004 die Verrechnung noch offener Investitionskosten in jeweils unterschiedlicher Höhe mit für die oben genannten Jahre festgesetzten und bezahlten Großeinleiter- bzw. Kleinleiterabgaben für die aufnehmende Kläranlage. Eine Verrechnung wurde von den zuständigen Landratsämtern jeweils abgelehnt.

Die dagegen erhobenen, vom Verwaltungsgericht Regensburg als zulässig angesehenen Verpflichtungsklagen der Kläger blieben erfolglos (Urteile d. Bayer. Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29.5.2006).

Die Kläger haben jeweils die Zulassung der Berufung beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Anträge auf Zulassung der Berufung bleiben ohne Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3, § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) gegeben ist.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Verrechnungsanspruch der Kläger nach § 10 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 AbwAG für die (bestandskräftigen) Abgabenfestsetzungen aus den Jahren vor 2000 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht (mehr) besteht.

Die Verrechnungsmöglichkeiten des § 10 AbwAG betreffen - dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 20. April 2005, BVerwGE 123, 292, klargestellt - nicht die Ebene der Erfüllung der Abgabenschuld, sondern vielmehr ihre Höhe und mithin die Rechtmäßigkeit der Abgabenerhebung. Hierüber ist im Abgabenbescheid selbst bzw., soweit der Bescheid - wie hier - schon ergangen und bestandskräftig geworden ist, durch Änderung desselben zu entscheiden, damit der einmal gesetzte Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Abgabe im Umfang des Verrechnungsanspruchs wieder beseitigt wird. Die Verrechnung der Abwasserabgabe ist daher nicht wie die Aufrechnung (vgl. § 226 Abgabenordnung - AO) Teil des Erhebungsverfahrens, sondern des Festsetzungsverfahrens. Gemäß Art. 14 Abs. 1 Ziff. 4 c BayAbwAG sind im Festsetzungsverfahren der Abwasserabgabe die Regelungen der Abgabenordnung über die Festsetzungsverjährung anzuwenden (§ 169, § 170, § 171 AO).

Das Institut der Festsetzungsverjährung dient im Abgaben- wie im Steuerrecht (vgl. Art. 14 Abs. 2 Ziff. 3 BayAbwAG) der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden (vgl. BFH vom 15.6.1988 BFHE 154, 77). Es bewirkt, dass nach Ablauf einer bestimmten Frist die Rechte aus dem Steuer- bzw. Abgabenschuldverhältnis erlöschen und die Ungewissheit über das Bestehen von Ansprüchen endgültig entfällt. Der Steuer- bzw. Abgabenpflichtige braucht nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr damit zu rechnen, dass Steuern bzw. Abgaben für zurückliegende Jahre gegen ihn festgesetzt werden. Andererseits kann der Steuer- bzw. Abgabengläubiger nach Ablauf der Frist sicher sein, dass etwaige Erstattungsansprüche nicht mehr bestehen (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, vor § 169 RdNr. 4). Demgemäß ist gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 AO eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag kann das Verfahren über die Verrechnung von Aufwendungen nicht losgelöst von dem Verfahren der Abgabenfestsetzung gesehen und als Verfahren sui generis mit eigenständigen Festsetzungsverjährungsfristen behandelt werden. Eine solche Aufspaltung würde weder in der Vorschrift des § 10 Abs. 3 AbwAG noch in anderen Gründen seine Rechtfertigung finden. § 10 Abs. 3 AbwAG bietet zwar eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Änderung eines schon bestandskräftigen Abgabenbescheids aufgrund erklärter Verrechnung (vgl. BVerwG vom 20.4.2005 a.a.O.), bestimmt aber nicht ausdrücklich, dass eine Verrechnung und eine damit verbundene Abgabenbescheidsänderung auch unter Abweichung von den Vorschriften über die Festsetzungsverjährung zugelassen werden soll. Wenn aber eine derartige ausdrückliche gesetzliche Bestimmung nicht vorliegt, muss davon ausgegangen werden, dass die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung anzuwenden sind (vgl. BFH vom 15.6.1988 BFHE 154, 77). Dies sind einheitlich die für die Abgabenfestsetzung geltenden Verjährungsvorschriften, da durch die Verrechnung nur die ursprüngliche Abgabenschuld abgeändert und ersichtlich kein neuer abgabenrechtlicher Tatbestand begründet wird. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 10 Abs. 3 S. 4 AbwAG auch die Verrechnung wiederum nur vorläufig sein soll und für den Fall, dass die Abwasserbehandlungsanlage nicht in Betrieb genommen wird bzw. die erforderliche Schadstoffminderung nicht erreicht, die Abgabe nachzuerheben ist. Zwar muss bei Beachtung der oben genannten Rechtsprechung auch für diese Nacherhebung der Abgabe die Festsetzungsverjährung gelten. Dies macht die gesetzlich angeordnete Nacherhebung aber nicht in einer Vielzahl von Fällen unmöglich. Denn die Herabsetzung der Abgabe aufgrund Verrechnung kann gemäß § 165 AO (vgl. Art. 14 Abs. 1 Ziff. 4 b BayAbwAG) vorläufig erfolgen, womit die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 8 AO in ihrem Ablauf gehemmt wird. Die Auffassung der Kläger, die Festsetzungsverjährung für die Verrechnung dürfe gemäß § 170 Abs. 1 AO erst mit deren Geltendmachung beginnen, hätte zur Folge, dass es im Belieben des Abgabenschuldners stünde, den Beginn dieser Verjährung zu bestimmen. Dies führte auf Seiten des Abgabengläubigers zu jahrelangen Unsicherheiten hinsichtlich des Behaltendürfens bereits vereinnahmter Gelder. Eine derartige Ungewissheit würde dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung eindeutig zuwiderlaufen.

Soweit in der Antragsbegründung darauf verwiesen wird, der Staat gehe in seinen derzeit gültigen Verwaltungsvorschriften zum Abwasserabgabengesetz selbst davon aus, der Eintritt der Festsetzungsverjährung hindere die Erklärung der Verrechnung nicht (vgl. Ziff. 2.1.4.4 Abs. 2 VwVBayAbwAG vom 17.9.2003, AllMBl S. 529), ändert dies nichts. Zum einen können Verwaltungsvorschriften (zwingende) gesetzliche Regelungen nicht abändern. Zum anderen wird diese erst seit 1. Januar 2004 geltende Fassung - die bis 31. Dezember 2003 geltende Ziffer 2.1.5.4 VwVBayAbwAG vom 5. Dezember 1997 (AllMBl 1998 S. 197/201) verwies demgegenüber auf die Geltung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung - nicht mehr angewandt (Schreiben d. Bayer. Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 17.7.2006 Az.: 52 d - U 4574 - 2006/4 - 1). Auch die von den Klägern befürchtete Gefahr einer Vereitelung von Verrechnungen durch die Kreisverwaltungsbehörden, etwa durch Hinausschieben der Festsetzung der Abgabenschuld bis kurz vor Ablauf der Festsetzungsverjährung, besteht nicht. Eine Verrechnung kann auch im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen Abgabenfestsetzung erfolgen (vgl. BVerwG vom 20.4.2005 a.a.O.). Diese ist danach sowohl vor Erlass eines Abgabenbescheids als auch nach Erlass eines solchen im Rahmen der noch offenen Rechtsmittelfrist möglich. Beides führt dazu, dass die Festsetzungsfrist nicht abläuft, bevor hierüber unanfechtbar entschieden worden ist (§ 171 Abs. 3 und 3 a AO).

Demgemäß verbleibt es dabei, dass es für die Geltendmachung der Verrechnung auf die Festsetzungsverjährungsfrist für die Abwasserabgabe ankommt, die gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt. Diese begann, soweit wie bei der Großeinleiterabgabe nach § 4 Abs. 1 AbwAG keine Abgabeerklärung nötig war, gemäß § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abwasserabgabe entstanden ist. Dies ist mit der jeweiligen Einleitung der Fall (§ 1 Abs. 1 AbwAG). Soweit Abgabeerklärungen abzugeben waren wie bei der Großeinleiterabgabe nach § 6 AbwAG oder der Kleineinleiterabgabe (vgl. Art. 10 Abs. 1 BayAbwAG), begann die Frist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabeerklärung eingereicht wurde, frühestens aber in dem Jahr des Entstehens der Abgabe (vgl. § 170 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz AO). Da alle erforderlichen Abgabeerklärungen spätestens im Jahr 1999 eingereicht waren, begann für sämtliche zur Verrechnung gestellten Abwasserabgaben die Festsetzungsfrist spätestens nach Ablauf des 31. Dezember 1999 zu laufen. Sie ist am 31. Dezember 2003 abgelaufen, womit die erst im Jahre 2004 geltend gemachten Verrechnungsansprüche erloschen sind (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O. vor § 169 RdNr. 19).

Entgegen der Ansicht der Kläger war die Festsetzungsfrist in ihrem Beginn nicht gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO oder gemäß § 170 Abs. 3 AO im Hinblick auf die noch nicht erklärte Verrechnung gehemmt. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, der den Fristbeginn auf die Einreichung einer Abgabeerklärung o.ä. hinausschiebt, betrifft nur die Fälle, in denen eine Verpflichtung des Abgabenpflichtigen zur Einreichung einer Abgabeerklärung o.ä. besteht, wie etwa bei den o.g. gesetzlichen Verpflichtungen zu Abgabeerklärungen nach § 6 AbwAG oder Art. 10 Abs. 1 BayAbwAG. Dadurch soll verhindert werden, dass durch die Nichtabgabe oder späte Einreichung einer Abgabeerklärung die der Finanz- bzw. Abgabenbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O. § 170 RdNrn. 11, 21 ff.). Die Erklärung der Verrechnung ist keine Abgabeerklärung in diesem Sinne. Hierzu besteht gemäß § 10 Abs. 3 und 4 AbwAG, Art. 9 BayAbwAG keine Verpflichtung, sondern diese Vorschriften räumen dem Abgabepflichtigen nur ein Recht ein, schaffen also die Möglichkeit zur Verrechnung, ohne sie zwingend anzuordnen. Auch § 170 Abs. 3 AO erfasst die vorliegende Fallgestaltung nicht, und zwar unabhängig davon, ob die Rückerstattung nach § 10 Abs. 3 AbwAG bereits aufgrund gesetzlicher Regelung angeordnet ist und nicht "nur auf Antrag" erfolgt, wie das Verwaltungsgericht meint. Offen bleiben kann auch, ob der Rückzahlungsanspruch nach § 10 Abs. 3 AbwAG überhaupt unter den Begriff der "Steuervergütung" subsumiert werden könnte (vgl. zu diesem gesetzlich nicht definierten Begriff Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O. § 1 RdNr. 21). Die Vorschrift betrifft jedenfalls nicht die Fallgestaltung, dass eine "Steuervergütung" erstmals (auf Antrag) des Abgabenpflichtigen festgesetzt wird. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO besteht nur für die spätere Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der schon einmal festgesetzten "Steuervergütung" (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O. § 170 RdNr. 26). Die vorliegend gewollte (erstmalige) Festsetzung der Rückerstattung aufgrund Verrechnung wird von dieser Vorschrift somit nicht erfasst.

2. Die Rechtssache weist auch weder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat sie die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwGO). Die angesprochenen Rechtsfragen lassen sich, soweit diese überhaupt entscheidungserheblich sind, ohne weiteres anhand der gesetzlichen Vorschriften bzw. der obergerichtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs klären. Auf die Ausführungen unter Nr. 1 wird Bezug genommen.

Kosten: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO.

Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück